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  BFH-Beschluß vom 4.10.1996 (I B 54/96) BStBl. 1997 II S. 136

Der hebeberechtigten Gemeinde fehlt das allgemeine Rechtsschutzinteresse für den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung eines von ihr angefochtenen Gewerbesteuer-Meßbescheides, den das Finanzamt zugunsten des Steuerpflichtigen geändert hat. Dies gilt auch dann, wenn das Finanzamt den sich hieraus ergebenden Gewerbesteuer-Erstattungsanspruch gepfändet hat.

FGO § 40 Abs. 3, § 69 Abs. 3; AO 1977 § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1; GewStG § 16.

Vorinstanz: FG München (EFG 1996, 714)

Sachverhalt

I.

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist eine Gemeinde, in deren Bereich die am 2. September 1991 in Konkurs gegangene X-GmbH eine Betriebstätte unterhält. Gegen diese GmbH erließ der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) für die Streitjahre 1983 bis 1990 unter dem 13. Dezember 1994 gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderte Gewerbesteuer-Meßbescheide. Überdies meldete das FA am 11. November 1994 Körperschaftsteueransprüche für 1984 bis 1990 infolge geänderter Besteuerungsgrundlagen zur Konkurstabelle an und rechnete für das Jahr 1983 aus gleichem Grunde einen Erstattungsbetrag ab. Die Änderungen beruhten auf Erkenntnissen der Steuerfahndung nach Durchführung einer Prüfung, die bei der GmbH vom 13. Juni 1991 bis zum 13. Juni 1994 durchgeführt worden war. Danach waren durch die GmbH in erheblichem Umfang Abgaben (Zölle, Einfuhrumsatzsteuer, Umsatzsteuer) hinterzogen worden, die verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA) nach sich zogen. Weil die GmbH diese Abgaben bislang nicht als Betriebsausgaben abgezogen hatte, verminderten sich andererseits die erklärten und den Steuerveranlagungen zugrunde gelegten Gewinne und Gewerbeerträge und damit auch die Gewerbesteuer-Meßbeträge. Über die Änderungsbescheide erhielt die Antragstellerin entsprechende Mitteilungen. Dadurch ergaben sich Gewerbesteuererstattungen von insgesamt 1.918.105 DM, die das FA bereits durch Pfändungs- und Arrestverfügung vom 11. Juli 1991 gepfändet hatte.

Die Antragstellerin wandte sich gegen die geänderten Gewerbesteuer-Meßbescheide mit Einsprüchen, über die noch nicht entschieden ist. Zugleich beantragte sie Aussetzung der Vollziehung der Bescheide. Diesen Antrag lehnte das FA ab, weil die Antragstellerin nicht rechtsbehelfsbefugt sei. Diese beantragte daraufhin Aussetzung der Vollziehung gemäß § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beim Finanzgericht (FG). Im Laufe des Verfahrens der Aussetzung der Vollziehung wurde sie über weitere Einzelheiten des Besteuerungsverfahrens gegen die GmbH in Kenntnis gesetzt, worauf sie den Rechtsstreit hinsichtlich der Streitjahre 1986 bis 1990 in der Hauptsache für erledigt erklärte und beantragte, die Kosten des Verfahrens dem FA als Verursacher des Rechtsstreits aufzuerlegen.

Das FG lehnte dies ab (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1996, 714). Es entschied u. a.: Weil das FA seinerseits keine Erledigungserklärungen für 1986 bis 1990 abgegeben habe, sei insoweit nicht nur noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die einseitige Erledigungserklärung der Antragstellerin könne nur dann Rechtswirkungen entfalten, wenn ihr Aussetzungsantrag zulässig gewesen wäre. Daran fehle es. Durch die geänderten Gewerbesteuer-Meßbescheide seien nicht die Rechte der Antragstellerin, sondern nur die der GmbH berührt. Gemeinden stehe grundsätzlich keine Klage- und Antragsbefugnis zu. Zwar sei hiervon eine Ausnahme zu machen, wenn auf Seiten des Fiskus eine Interessenkollision vorliege (§ 40 Abs. 3 FGO). Dies sei hier der Fall, nachdem das FA die Gewerbesteuer-Erstattungsansprüche gepfändet habe. § 40 Abs. 3 FGO setze insoweit aber voraus, daß der Steuerschuldner die verwaltende Körperschaft selbst sei und nicht ein außenstehender Dritter wie im Streitfall. Anderenfalls würde der Steuerschuldner mit Meinungsverschiedenheiten zwischen der abgabenberechtigten Körperschaft und der verwaltenden Landesbehörde belastet, was gerade vermieden werden solle. Abgesehen davon könne der für die Jahre 1983 bis 1985 aufrechterhaltene Antrag auf Aussetzung der Vollziehung aber auch in der Sache keinen Erfolg haben, weil die geltend gemachte Festsetzungsverjährung nicht gegeben sei. Das FA sei gemäß § 35b des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) änderungsbefugt gewesen. Nach dessen Abs. 3 gelte § 171 Abs. 10 AO 1977 sinngemäß. Daß das FA die Änderungen auf § 173 Abs. 1 AO 1977 gestützt habe, stehe dem nicht entgegen, weil die insoweit unzutreffende Rechtsgrundlage durch die zutreffende ausgetauscht werden dürfe.

Hiergegen richtet sich die - vom FG nachträglich wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene - Beschwerde der Antragstellerin. Sie rügt Verletzung von § 40 Abs. 3 FGO und von § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977.

Sie beantragt, den FG-Beschluß aufzuheben, die Vollziehung der GEwErbesteuer-Meßbescheide 1983 bis 1985 auszusetzen und die Kosten des Verfahrens gemäß §§ 138, 137 FGO dem FA aufzuerlegen.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die - vom FG verfahrensfehlerfrei nachträglich (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Oktober 1991 XI B 18/90, BFHE 165, 565, BStBl II 1992, 301) gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassene - Beschwerde ist unbegründet.

Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll - u. a. und soweit hier einschlägig - erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO).

1. Die im Streitfall von den Beteiligten aufgeworfenen Fragen danach, ob die Antragstellerin überhaupt befugt ist, einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der gegen die GmbH ergangenen Gewerbesteuer-Meßbescheide zu stellen (vgl. § 40 Abs. 3 FGO), und ob hinsichtlich der Streitjahre 1983 bis 1985 Festsetzungsverjährung eingetreten ist und damit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Bescheide vorliegen, brauchen nicht entschieden zu werden. Es fehlt bereits das für den Antrag erforderliche allgemeine Rechtsschutzinteresse. Denn entweder die Antragstellerin begehrt mit ihrem Antrag im Ergebnis nicht die Aussetzung der Vollziehung der von ihr angefochtenen Gewerbesteuer-Meßbescheide, sondern derjenigen Bescheide und der daraus resultierenden Steuerforderungen, derentwegen das FA am 11. Juli 1991 eine Pfändungs- und Arrestverfügung erlassen hat. Dann aber wäre es - die Zulässigkeit eines derartigen Vorgehens unterstellt - erforderlich gewesen, sich gegen diese Steuerbescheide oder auch gegen die Pfändungsverfügung zu wenden und deren Aussetzung der Vollziehung zu beantragen. Die beantragte Aussetzung der Vollziehung der Gewerbesteuer-Meßbescheide hilft ihr nicht weiter. Oder aber sie will erreichen, aufgrund der geänderten Gewerbesteuer-Meßbescheide als Grundlagenbescheide keine geänderten Gewerbesteuerbescheide als Folgebescheide erlassen zu müssen. Dazu ist sie indes infolge der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes) verpflichtet (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 i. V. m. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977; vgl. auch Senatsurteil vom 14. November 1984 I R 151/80, BFHE 142, 544, BStBl II 1985, 607; Gosch in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, 15. Aufl., § 16 GewStG Rz. 35, m. w. N.). Auch wenn die Umsetzung eines Grundlagenbescheides in einen Folgebescheid sich im weitesten Sinne als Vollziehung des Grundlagenbescheides darstellt (arg. § 361 Abs. 3 Satz 2 AO 1977, § 69 Abs. 2 Satz 5 FGO; Gosch in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 69 FGO Rz. 31), so könnte dessen Aussetzung der Vollziehung daran doch nichts ändern. Es bliebe gleichwohl dabei, daß aus dem Grundlagenbescheid die gesetzlich vorgeschriebenen verfahrensrechtlichen Konsequenzen gezogen werden müßten. Die Pflicht der zuständigen Behörden, den Folgebescheid zu erlassen, knüpft allein an die Tatbestandswirkung des Grundlagenbescheides an und ist von dessen Änderbarkeit, Anfechtbarkeit oder Rechtmäßigkeit unabhängig. Sichtbar wird dies nicht zuletzt dann, wenn der Folgebescheid - wie dies auch im Streitfall nach Aktenlage zwar nicht sicher, angesichts des Ablaufs der Festsetzungsfrist gemäß § 171 Abs. 10 AO 1977 aber wahrscheinlich ist - bereits erlassen worden ist; durch die Aufhebung der Vollziehung des Grundlagenbescheides (hier der Gewerbesteuer-Meßbescheide 1983 bis 1990) könnte dies nicht rückgängig gemacht werden. Aussetzung ebenso wie Aufhebung der Vollziehung des Meßbescheides bewirken insoweit lediglich, daß auch die Vollziehung des Gewerbesteuermeßbescheides als Folgebescheid auszusetzen oder aufzuheben ist (§ 361 Abs. 3 Satz 1 AO 1977, § 69 Abs. 2 Satz 4 FGO). Darum kann es der Antragstellerin jedoch nicht gehen, weil sich aus den zu ändernden Gewerbesteuerbescheiden Erstattungsansprüche ergeben. Solche Bescheide sind nicht vollziehbar; sie können nicht zwangsweise durchgesetzt werden (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 28. November 1974 V B 44/74, BFHE 114, 171, BStBl II 1975, 240; Urteil vom 17. Dezember 1981 V R 81/81, BFHE 134, 402, BStBl II 1982, 149). Die Gemeinde hat deshalb keine Möglichkeit, durch Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung einstweiligen Rechtsschutz wegen materiell-rechtlicher Fehler von Meßbescheiden zu erlangen.

2. Die Unzulässigkeit des Antrages der Aussetzung der Vollziehung führt im Streitfall zur Antragsablehnung. Dies betrifft auch die Streitjahre 1986 bis 1990, hinsichtlich derer die Antragstellerin den Rechtsstreit in der Hauptsache einseitig für erledigt erklärt hat. Sie sieht das Verfahren damit zwar als gegenstandslos an und beantragt insoweit nur noch eine Kostenentscheidung. Das FA hat demgegenüber aber seine Sachanträge aufrechterhalten. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß es bei dieser Sachlage für die Entscheidung des Senats darauf ankommt, ob der beim FG gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zulässig war. Denn Sachanträge, die in einem unzulässigen Verfahren gestellt sind, bleiben unbeachtlich. Das Rechtsmittel oder der Rechtsbehelf werden in diesem Fall als unzulässig abgewiesen, ohne daß über die Sachanträge zu entscheiden ist. Da auch die Entscheidung über die Erledigung der Hauptsache ein Eingehen auf die Sache selbst bedeutet, ist das Gericht hierzu nicht befugt, wenn der bei ihm gestellte Antrag - wie vorliegend - unzulässig ist (z. B. BFH-Beschluß vom 25. April 1989 VII B 185/88, BFH/NV 1990, 112, m. w. N.).