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  BFH-Urteil vom 13.11.1996 (XI R 61/96) BStBl. 1997 II S. 170

Werden Betriebsausgaben bei der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung und zusätzlich bei der Einkünfteermittlung eines Gesellschafters doppelt erfaßt, liegen widerstreitende Steuerfestsetzungen vor. Eine Erklärung ist auch eine formlose Äußerung des Steuerpflichtigen, die nicht auf einem amtlichen Vordruck abgegeben wird.

AO 1977 § 174 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Münster (EFG 1996, 792)

Sachverhalt

I.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin ist selbständige Steuerbevollmächtigte. Der Kläger erzielt als Arzt Einkünfte aus einer Gemeinschaftspraxis und aus seiner daneben betriebenen Einzelpraxis. Bei den einheitlich und gesondert festgestellten Einkünften wurden Sonderbetriebsausgaben berücksichtigt. Die Einkünfte aus der Einzelpraxis wurden in der Anlage GSE ohne diese Betriebsausgaben erklärt. Den Einkommensteuererklärungen war jedoch eine Überschußrechnung beigefügt, die diese Ausgaben umfaßte. Der Veranlagungsbeamte änderte die für die Einzelpraxis erklärten Einkünfte entsprechend, so daß die Ausgaben doppelt berücksichtigt wurden. Im Zuge der Veranlagungsarbeiten für 1992 wurde der Fehler bemerkt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) änderte die Bescheide entsprechend und stützte sich auf § 174 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977). Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Ein bestimmter Sachverhalt sei mehrfach zugunsten der Kläger berücksichtigt worden. Die Berücksichtigung sei auf eine Erklärung der Kläger zurückzuführen und die Fehlerhaftigkeit sei nicht überwiegend vom FA verursacht worden. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 792 veröffentlicht.

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung des § 174 Abs. 2 AO 1977. Ein bestimmter Sachverhalt sei nicht in mehreren Steuerbescheiden berücksichtigt (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., Stand April 1994, § 174 AO 1977 Tz. 3). Die Doppelerfassung beruhe nicht auf der "Erklärung des Steuerpflichtigen". Erklärung sei (nur) die Erklärung, die unter Verwendung des amtlichen Vordrucks abgegeben werde.

Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil sowie die Einkommensteuerbescheide 1990 vom 16. August 1994 und 1991 vom 9. August 1994 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. September 1995 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -); die angefochtene Entscheidung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das FA war berechtigt, die Einkommensteuerbescheide 1990 und 1991 gemäß § 174 Abs. 2 AO 1977 zu ändern.

1. Gemäß § 174 Abs. 2 AO 1977 gilt Absatz 1 sinngemäß, wenn ein bestimmter Sachverhalt in unvereinbarer Weise mehrfach zugunsten eines oder mehrerer Steuerpflichtiger berücksichtigt worden ist, sofern die Berücksichtigung des Sachverhalts auf einen Antrag oder eine Erklärung des Steuerpflichtigen zurückzuführen ist. § 174 Abs. 1 AO 1977, der die Änderung zuungunsten eines Steuerpflichtigen regelt, setzt ausdrücklich voraus, daß der bestimmte Sachverhalt in mehreren Steuerbescheiden berücksichtigt worden ist, obwohl er nur einmal hätte berücksichtigt werden dürfen.

2. Im Streitfall sind diese Voraussetzungen gegeben. Der bestimmte Sachverhalt (die geltend gemachten Betriebsausgaben) ist in mehreren Steuerbescheiden berücksichtigt worden, nämlich in den Einkommensteuer- und in den Feststellungsbescheiden. Die Feststellungsbescheide sind Steuerbescheide (§ 179 Abs. 1, § 181 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Der Umstand, daß die gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen aus technischen Gründen aus dem Steuerfestsetzungsbescheid ausgeklammert werden, steht dieser Beurteilung nicht entgegen.

Der Sachverhalt hätte nur einmal berücksichtigt werden dürfen. Der Sachverhalt (Abzug von Sonderbetriebsausgaben) durfte nur in dem Feststellungsbescheid erfaßt werden. Eine nochmalige zusätzliche Berücksichtigung, die zu einem doppelten Abzug derselben Betriebsausgaben führte, war rechtswidrig; der Einkommensteuerbescheid war fehlerhaft. Im Verhältnis Grundlagen-/Folgebescheid bedeutet das Merkmal der "einmaligen Berücksichtigung", daß der Sachverhalt im Grundlagenbescheid erfaßt und in Gestalt der gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlage in den Folgebescheid übernommen wird, ohne daß insoweit eine eigenständige Regelung getroffen wird. In dieser Weise hätte der Sachverhalt nur einmal berücksichtigt werden dürfen (wie hier FG Baden-Württemberg, Urteil vom 10. September 1981 I 294-296/80, EFG 1982, 56; Frotscher in Schwarz/Frotscher, Kommentar zur Abgabenordnung, Stand September 1993, § 174, Tz. 17; a. A. Tipke/Kruse, a. a. O., § 174 AO 1977 Tz. 3 b).

Die Berücksichtigung des Sachverhalts in den Einkommensteuerbescheiden ist überwiegend auf eine Erklärung der Kläger zurückzuführen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 6. September 1995 XI R 37/95, BFHE 179, 196, BStBl II 1996, 148). Dafür ursächlich war die der Einkommensteuererklärung beigefügte Überschußrechnung, in der die als Sonderbetriebsausgaben angesetzten Beträge in zumindest mißverständlicher Weise auch als Betriebsausgaben der Einzelpraxis ausgewiesen waren. Entgegen der Auffassung der Kläger ist eine Erklärung i. S. des § 174 Abs. 2 AO 1977 nicht nur eine Erklärung, die unter Verwendung eines amtlichen Vordrucks abgegeben wird, sondern dazu gehören auch alle anderen formlosen Äußerungen des Steuerpflichtigen (vgl. Szymczak in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 5. Aufl. 1996, § 174 Rz. 13).