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  BFH-Urteil vom 18.9.1996 (I R 44/95) BStBl. 1997 II S. 181

1. Die mit dem Erwerb einer Schachtelbeteiligung an einem zum Organkreis gehörenden Gewerbebetrieb wirtschaftlich zusammenhängenden Schulden gegenüber einem nicht zum Organkreis gehörenden Gläubiger (Außenschulden des Organkreises) sind bei der Ermittlung des Gewerbekapitals des Organkreises abzuziehen.

2. Handelt es sich - wie in der Regel - um Dauerschulden, ist der Abzug gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG eingeschränkt.

GewStG 1984 § 2 Abs. 2 Satz 2, § 8 Nr. 1, § 12 Abs. 2 Nr. 1; BewG § 102 Abs. 1, § 103 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) - eine GmbH - war im Erhebungszeitraum 1984 (Streitjahr) zu 91,6 v. H. an der S AG (S) beteiligt und gewerbesteuerrechtlich Organträgerin der S. Die Beteiligung erfüllte die Voraussetzungen für die Schachtelvergünstigung gemäß § 102 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG). Die Klägerin hatte die Anschaffungskosten der Beteiligung teilweise durch Darlehen finanziert. Die beiden Darlehen, die für den Rechtsstreit von Bedeutung sind, valutierten am 1. Januar 1984 mit insgesamt 11.766.882 DM. Darlehensgeber waren die A und B, die beide nicht zum Organkreis gehörten.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) stellte den Einheitswert des Gewerbebetriebs der Klägerin auf den 1. Januar 1984 mit ./. 227.000 DM fest. Dabei berücksichtigte er gemäß § 102 Abs. 1 und § 103 Abs. 1 BewG weder die Schachtelbeteiligung an der S (gemeiner Wert über 24 Mio. DM) noch die Darlehensverbindlichkeiten gegenüber A und B. Der Einheitswert wurde bestandskräftig.

Den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag 1984 setzte das FA durch Bescheid vom 20. April 1989 auf 25.484 DM fest. Dabei rechnete es zur Ermittlung des Gewerbekapitals des Organkreises auf den 1. Januar 1984 dem Einheitswert des Gewerbebetriebs der Klägerin das Gewerbekapital der S in Höhe von insgesamt + 12.861.815 DM hinzu. Einspruch und Klage, mit denen die Klägerin die Minderung des Gewerbekapitals des Organkreises um 50 v. H. der Darlehensschulden gegenüber A und B begehrte, waren erfolglos.

Die Klägerin stützt die Revision auf Verletzung des § 2 Abs. 2 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) 1984. Sie meint: Um eine doppelte steuerliche Belastung zu vermeiden, müßten die mit einer Schachtelbeteiligung an einer Organgesellschaft wirtschaftlich zusammenhängenden Außenschulden des Organträgers bei der Ermittlung des Gewerbekapitals des Organkreises abgezogen werden. Falls es sich - wie im Streitfall - um Dauerschulden handele, sei der Abzug allerdings entsprechend § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG eingeschränkt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des Finanzgerichts (FG) aufzuheben und unter Änderung des Gewerbesteuermeßbescheids 1984 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. Juli 1989 den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag auf 13.716 DM herabzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und Herabsetzung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags entsprechend dem Antrag der Klägerin (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Das FA hat zwar gemäß § 103 Abs. 1 BewG zu Recht die Darlehensschulden gegenüber A und B weder bei der Feststellung des Einheitswerts des Gewerbebetriebs der Klägerin noch bei der - von der Ermittlung des Gewerbekapitals des Organkreises getrennten - Ermittlung des Gewerbekapitals des Betriebs der Klägerin abgezogen. Bei der Ermittlung des Gewerbekapitals des Organkreises sind diese Verbindlichkeiten aber wie Dauerschulden zu berücksichtigen. Ohne diese Korrektur würde das Gewerbekapital des Organkreises zu hoch angesetzt und die Klägerin ungerechtfertigt steuerlich belastet werden. Rechtsgrundlage der teilweisen Korrektur des sich aus § 103 Abs. 1 i. V. m. § 102 Abs. 1 BewG ergebenden Abzugsverbots ist § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG, der gewerbesteuerrechtlich vorrangig gegenüber den Regelungen der Schachtelvergünstigungen ist.

1. Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG 1984 gilt eine Kapitalgesellschaft, die - wie im Streitfall die S - derart in ein anderes inländisches gewerbliches Unternehmen eingegliedert ist, daß die Voraussetzungen des § 14 Nr. 1 und 2 des Körperschaftsteuergesetzes erfüllt sind, als Betriebsstätte des anderen Unternehmens (sog. gewerbesteuerrechtliche Organschaft). Trotz dieser Fiktion bilden die eingegliederte Kapitalgesellschaft (die Organgesellschaft) und das andere Unternehmen (der Organträger) kein einheitliches Unternehmen. Sie bleiben vielmehr selbständige Gewerbebetriebe, die einzeln für sich bilanzieren und deren Gewerbeerträge und -kapitalien getrennt zu ermitteln sind (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH -; s. BFH-Urteile vom 17. Februar 1972 IV R 17/68, BFHE 105, 383, BStBl II 1972, 582; vom 6. November 1985 I R 56/82, BFHE 145, 78, BStBl II 1986, 73; vom 23. Januar 1992 XI R 47/89, BFHE 167, 158, BStBl II 1992, 630; vom 2. Februar 1994 I R 10/93, BFHE 173, 426, BStBl II 1994, 768; Schmidt/Müller/Stöcker, Die Organschaft, 4. Aufl., 1993, Rz. 965; ebenso Abschn. 42 Abs. 1 und 83 Abs. 1 Gewerbesteuer-Richtlinien - GewStR - 1990). Die Organschaft führt jedoch dazu, daß die persönliche Gewerbesteuerpflicht der Organgesellschaft für die Dauer der Organschaft dem Organträger zugerechnet wird (s. Senatsurteil vom 27. Juni 1990 I R 183/85, BFHE 161, 157, 160, BStBl II 1990, 916, 918). Deshalb ist der einheitliche Gewerbesteuermeßbetrag für die zum Organkreis gehörenden Gewerbebetriebe - das sind die Betriebe der Organgesellschaft(en) und des Organträgers - allein gegenüber dem Organträger festzusetzen.

Um den für die Festsetzung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags maßgebenden Gewerbeertrag bzw. das maßgebende Gewerbekapital des Organkreises zu ermitteln, sind die getrennt ermittelten Gewerbeerträge bzw. Gewerbekapitalien des Organträgers und der Organgesellschaft(en) zusammenzurechnen und die Summen um die sich aufgrund der Zusammenrechnungen etwa ergebenden ungerechtfertigten steuerlichen Belastungen - insbesondere aufgrund von Mehrfacherfassungen - und ungerechtfertigten steuerlichen Entlastungen zu korrigieren. Rechtsgrundlage der Korrekturen ist § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG (s. Urteile in BFHE 145, 78, BStBl II 1986, 73 und in BFHE 173, 426, BStBl II 1994, 768, m. w. N.; Glanegger/Güroff, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, 3. Aufl., 1994, § 2 Anm. 202; Blümich/Gosch, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, 15. Aufl., § 12 GewStG Rz. 165).

2. Gemäß § 103 Abs. 1 i. V. m. § 102 Abs. 1 BewG dürfen die Schulden der Klägerin gegenüber A und B zwar weder bei der Feststellung des Einheitswerts des Gewerbebetriebs der Klägerin noch bei der getrennten Ermittlung des Gewerbekapitals dieses Betriebs abgezogen werden.

a) Die Schachtelbeteiligung an der S gehörte bewertungsrechtlich nicht zum Gewerbebetrieb (= gewerblichen Betrieb) der Klägerin, da die Voraussetzungen des § 102 Abs. 1 BewG erfüllt waren. Bei der Feststellung des Einheitswerts war sie daher nicht als Teil des Betriebsvermögens zu erfassen. Dies hat gemäß § 103 Abs. 1 BewG zur Folge, daß die mit der Schachtelbeteiligung wirtschaftlich zusammenhängenden Schulden der Klägerin gegenüber A und B bei der Feststellung des Einheitswerts nicht abgezogen werden dürfen. Das bewertungsrechtliche Abzugsverbot würde nur dann nicht gelten, wenn und soweit die Schulden den gemeinen Wert der Schachtelbeteiligung überstiegen (Fall des sog. Schuldenüberhangs; s. BFH-Urteil vom 18. Mai 1988 II R 1/85, BFHE 154, 134, BStBl II 1988, 822). Nach den tatsächlichen und von den Beteiligten nicht angegriffenen Feststellungen des FG bestand im Streitfall kein Schuldenüberhang.

b) Das bewertungsrechtliche Abzugsverbot wirkt sich auf das getrennt zu ermittelnde Gewerbekapital des Gewerbebetriebs der Klägerin aus. Da die Schulden den Einheitswert nicht mindern und der Einheitswert Teil des Gewerbekapitals ist (§ 12 Abs. 1 GewStG), mindern die Schulden auch nicht das für den Betrieb der Klägerin getrennt ermittelte Gewerbekapital.

3. Um eine ungerechtfertigte steuerliche Belastung der Klägerin zu vermeiden, ist diese sich aus dem Abzugsverbot des § 103 Abs. 1 BewG ergebende Rechtsfolge bei der Ermittlung des Gewerbekapitals des Organkreises aber teilweise zu korrigieren.

a) Die ungerechtfertigte Belastung ergibt sich - anders als in den bisher vom BFH entschiedenen Fällen - nicht aufgrund einer Doppelerfassung bei der Zusammenrechnung der getrennt ermittelten Gewerbekapitalien. Da die Darlehensgläubiger A und B nicht zum Organkreis gehörten, sind die Darlehensforderungen nicht in dem Gewerbekapital einer Organgesellschaft enthalten. Der Gegenwert der Verbindlichkeiten ist lediglich in dem getrennt ermittelten Gewerbekapital der Klägerin enthalten, da sich das Abzugsverbot des § 103 Abs. 1 BewG wie eine (Wieder-)Hinzurechnung auswirkt (vgl. Senatsurteil vom 23. Oktober 1974 I R 182/72, BFHE 113, 467, BStBl II 1975, 46).

b) Die ungerechtfertigte steuerliche Belastung ergibt sich im Streitfall aus der Tatsache, daß in der Summe der zusammengerechneten Gewerbekapitalien zwar das Gewerbekapital der Organ(schachtel)gesellschaft enthalten ist, die mit der Schachtelbeteiligung wirtschaftlich zusammenhängenden Schulden des Organträgers aber ohne Korrektur die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer nicht mindern würden. Dies widerspräche dem Grundgedanken des Abzugsverbots gemäß § 103 Abs. 1 i. V. m. § 102 Abs. 1 BewG.

Das Abzugsverbot soll verhindern, daß sich die Schachtelvergünstigung des § 102 Abs. 1 BewG nur einseitig, d. h. auf der Aktivseite auswirkt (s. Reichsfinanzhof - RFH -, Urteil vom 31. August 1933 III A 157/33, RStBl 1933, 1350 - zu § 47 Abs. 1 des Reichsbewertungsgesetzes 1931, einer Vorgängervorschrift des § 103 BewG -; s. Gürsching/Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 9. Aufl., § 103 BewG Anm. 1; s. a. Urteil in BFHE 154, 134, BStBl II 1988, 822). Gewerbesteuerrechtlich wirkt sich in Organschaftsfällen § 102 Abs. 1 BewG nicht als Vergünstigung aus, da das Gewerbekapital der Organ(schachtel)gesellschaft trotz des § 102 Abs. 1 BewG als Teil des Gewerbekapitals des Organkreises erfaßt wird und - wenn es wie im Streitfall positiv ist - die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer erhöht. Es ist deshalb nicht gerechtfertigt, die Schulden eines zum Organkreis gehörenden Gewerbebetriebs - im Streitfall des Organträgers -, die im Organkreis wirtschaftlich ein Passivposten zu dem Gewerbekapital der Organ(schachtel)gesellschaft sind, nicht zu berücksichtigen.

c) Bei der Korrektur gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG ist jedoch zu beachten, daß die Verbindlichkeiten der Klägerin gegenüber A und B Schulden i. S. des § 8 Nr. 1 GewStG (Dauerschulden) waren. Aufgrund der Regelung in § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG 1984 mindern sie deshalb das Gewerbekapital des Organkreises nicht in voller Höhe, sondern - da der Freibetrag von 50.000 DM bereits durch andere Dauerschulden der Klägerin verbraucht worden ist - nur zu 50 v. H.