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  BFH-Urteil vom 23.10.1996 (X R 75/94) BStBl. 1997 II S. 239

Aufwendungen des Erben zur Erfüllung von Vermächtniszuwendungen an gemeinnützige Einrichtungen sind (auch) beim Erblasser nicht als Spenden nach § 10b Abs. 1 EStG abziehbar (Fortführung des Senatsurteils vom 22. September 1993 X R 107/91, BFHE 172, 362, BStBl II 1993, 874 zur Nichtabziehbarkeit beim Erben).

EStG 1987 §§ 2 Abs. 7 Satz 3, 10b Abs. 1, 11 Abs. 2 Satz 1, 25 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Hamburg (EFG 1994, 965)

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Erben der am 7. Mai 1987 verstorbenen E. (im folgenden Erblasserin), die in ihrem öffentlichen Testament vom 27. Juni 1986 Vermächtnisse in Höhe von insgesamt 300.000 DM an verschiedene gemeinnützige Organisationen ausgesetzt hatte. Diese Vermächtnisse haben die Testamentsvollstrecker im Streitjahr 1987 erfüllt.

In der Einkommensteuererklärung für das Todesjahr der Erblasserin machten die Testamentsvollstrecker als Spenden gemäß § 10b des Einkommensteuergesetzes (EStG) auch die aufgrund der Vermächtnisse geleisteten Zahlungen geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) ließ in dem Einkommensteuerbescheid für 1987 die geltend gemachten Beträge unberücksichtigt. Der Einspruch der Kläger hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben. Die Entscheidung des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1994, 965 abgedruckt.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Zu Unrecht hat das FG die in Erfüllung der Vermächtnisse gezahlten Beträge bei der Einkommensteuer der Erblasserin gemäß § 10b Abs. 1 EStG zum Abzug zugelassen.

Nach dieser Vorschrift sind Ausgaben zur Förderung bestimmter als gemeinnützig anerkannter Zwecke bis zu einer gesetzlich festgelegten Obergrenze nach näherer Maßgabe des § 48 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung als Sonderausgaben abziehbar. Unter Ausgaben im Sinne der Vorschrift sind alle Wertabgaben zu verstehen, die aus dem Vermögen des Steuerpflichtigen abfließen (vgl. § 11 Abs. 2 EStG; z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. Februar 1991 X R 191/87, BFHE 164, 235, BStBl II 1991, 690). Hieran fehlt es im Streitfall.

1. Die Grundlagen für die Einkommensbesteuerung sind jeweils für ein Kalenderjahr zu ermitteln (§ 2 Abs. 7 Satz 2 EStG). Endet - wie im Streitfall durch Tod der Erblasserin - die persönliche Steuerpflicht vor Ablauf des Kalenderjahres, so tritt nach § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG (in der für den Streitfall maßgeblichen Fassung vor Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 1996 vom 11. Oktober 1995, BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438; im folgenden EStG a. F.) an die Stelle des Kalenderjahres der Zeitraum der jeweiligen Einkommensteuerpflicht. Nach § 25 Abs. 2 Satz 1 EStG a. F. ist das während der Dauer der Steuerpflicht bezogene Einkommen der Einkommensteuerveranlagung zugrundezulegen. Das bedeutet, daß die Grundlagen für die Festsetzung der Einkommensteuer - die aus Erwerbseinnahmen und Erwerbsaufwendungen sich ergebenden Einkünfte sowie die als Sonderausgaben oder außergewöhnliche Belastungen abziehbaren Aufwendungen - nur für den Zeitraum ihrer tatsächlichen Vereinnahmung oder Verausgabung (§ 11 EStG) zu ermitteln sind, in dem die Steuerpflicht besteht (z. B. BFH-Urteil vom 6. April 1984 VI R 162/81, BFHE 141, 136, BStBl II 1984, 587; Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 14. Aufl., zu § 25 a. F. Rz. 15; ders., a. a. O., 15. Aufl., zu § 25 n. F. Rz. 15).

2. Bis zu ihrem Tod und damit bis zum Ende der persönlichen Steuerpflicht hat die Erblasserin den Tatbestand des § 10b Abs. 1 i. V. m. § 11 Abs. 2 EStG nicht verwirklicht; die geltend gemachten Beträge sind nicht aus dem Vermögen der Erblasserin abgeflossen.

Eine Ausgabe ist in dem Zeitpunkt abgeflossen, in dem sich der Steuerpflichtige der wirtschaftlichen Verfügungsmacht über das Geld bzw. das geldwerte Gut begibt (z. B. BFH-Urteil vom 9. August 1991 III R 63/89, BFH/NV 1992, 101, m. w. N.). Hieran fehlt es für den Zeitraum der persönlichen Steuerpflicht, denn die Erblasserin selbst hat keine Ausgaben geleistet. Die Vermächtnisanordnung begründet einerseits lediglich eine den oder die Erben treffende Schuld, die erst durch den Erbfall entsteht (§ 1967 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB -; sog. Erbfallschuld), andererseits vor dem Erbfall noch nicht einmal eine rechtlich gesicherte Anwartschaft des Vermächtnisnehmers (§§ 2174, 2176 BGB; z. B. Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 16. Juni 1961 V ZB 3/61, Neue Juristische Wochenschrift 1961, 1915, m. w. N.). Erst mit der Erfüllung des Vermächtnisses ist die Spende abgeflossen.

3. Der spätere Zahlungsvorgang durch den Erben kann - entgegen der Auffassung des FG und eines Teils des Schrifttums (Seithel, Finanz-Rundschau - FR - 1967, 378; Clausen in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 10b EStG Anm. 16; Stephan in Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, § 10b EStG Rz. 15) - nicht dem Erblasser zugerechnet werden. Der Große Senat hat in der Entscheidung vom 5. Juli 1990 GrS 2/89 (BFHE 161, 332, BStBl II 1990, 837) ausgesprochen, daß die Berichtigung von Nachlaßverbindlichkeiten (§ 2046 Abs. 1 BGB), insbesondere der Erbfallschulden, den Erben zuzurechnen ist (Ziff. C II. 1. c der Gründe).

a) Von der Nichtabziehbarkeit von Vermächtniszuwendungen als Sonderausgabe des Erblassers i. S. des § 10b EStG ist der erkennende Senat im Ergebnis bereits im Urteil vom 22. September 1993 X R 107/91 (BFHE 172, 362, BStBl II 1993, 874) ausgegangen, nach dem die Aufwendungen zur Erfüllung von Vermächtniszuwendungen an gemeinnützige Einrichtungen (auch) beim Erben nicht als Spenden nach § 10b Abs. 1 EStG abziehbar sind. Der Senat hält an dieser Entscheidung fest.

b) Auch das FG hat sich dem angeschlossen, meint jedoch, § 11 Abs. 2 EStG i. V. m. § 10b EStG sei einschränkend auszulegen. Obwohl der Erblasser mit der Vermächtnisanordnung die rechtlichen Voraussetzungen für die spätere Zahlung geschaffen habe, komme ihm die Vergünstigung des § 10b EStG allein deshalb nicht zugute, weil der Zahlungsvorgang nicht mehr in den Zeitraum seiner persönlichen Steuerpflicht falle. Diese durch die periodische Ermittlung der Einkommensteuer bedingte "Ungleichbehandlung aus Gründen des formellen, lediglich technischen Rechts" sei bei Berücksichtigung des Regelungszweckes des § 10b EStG nicht gerechtfertigt.

Entgegen der Auffassung des FG ist jedoch weder eine Gesetzeslücke, d. h. eine planwidrige Unvollständigkeit (dazu z. B. BFH-Urteile vom 26. März 1991 VII R 100/89, BFHE 164, 148, und vom 14. Dezember 1995 IV R 106/94, BFHE 179, 368, 375, BStBl II 1996, 226, m. w. N.) noch ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes erkennbar, die es zuließen, § 10b, § 11 Abs. 2 EStG in der Weise fortzubilden, daß die Ausgabe des Erben dem Erblasser zugerechnet werden dürfte. Die Rechtsprechung ist daher nicht befugt, ein Auslegungsergebnis allein aus rechtspolitischen Überlegungen oder unter dem Aspekt eines allgemeinen Prinzips der "wirtschaftlichen Betrachtungsweise" zu korrigieren (zu den Grenzen der Rechtsfortbildung z. B. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Dezember 1991 2 BvR 72/90, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1992, 563, m. w. N.).

aa) Einnahmen und Ausgaben müssen zwar - wie die Ausnahmeregelungen in § 11 Abs. 1 und 2 EStG zeigen - nicht vollständig nach einem strengen Zu- und Abflußprinzip erfaßt werden. Die in § 11 Abs. 1 EStG genannten Durchbrechungen sind nicht abschließend. Weitere Ausnahmen können sich aus der besonderen Strukturierung einzelner Einkunftsarten (z. B. BFH-Urteil vom 3. Juni 1992 X R 91/90, BFHE 168, 272, BStBl II 1992, 1017 zu sonstigen Einkünften nach § 22 Nr. 3 EStG) oder - außerhalb des Bereichs der einzelnen Einkunftsarten - aus dem Zweck eines gesetzlichen Tatbestandes ergeben (zur Abziehbarkeit von Sonderausgaben z. B. BFH-Urteil vom 20. Februar 1976 VI R 131/74, BFHE 118, 331, m. w. N.). Die Auffassung des FG, § 11 Abs. 2 EStG müsse teleologisch dahingehend ausgelegt werden, daß die spätere Zahlung ungeachtet des Endes der persönlichen Steuerpflicht dennoch dem Erblasser zuzurechnen sei, wenn anderenfalls eine Zuwendung an eine gemeinnützige Einrichtung i. S. des § 10b EStG sich nicht steuermindernd auswirken würde, wird jedoch weder durch den Wortlaut noch den Zweck des § 10b EStG gestützt.

bb) Durch die einkommensteuerliche Berücksichtigung von Spenden nach § 10b EStG soll zwar zu privatem uneigennützigen Handeln zugunsten bestimmter, als besonders förderungswürdig anerkannter gemeinnütziger Zwecke angeregt werden (Senatsurteil in BFHE 172, 362, BStBl II 1993, 874, m. w. N.). § 10b EStG läßt jedoch nur Spenden des Steuerpflichtigen (vgl. § 10b Abs. 4 n. F. der Vorschrift) als Sonderausgaben zum Abzug zu (Senatsurteil in BFHE 172, 362, BStBl II 1993, 874, Ziff. 1. b der Gründe) und im übrigen auch nur einem proportional an die Höhe des Gesamtbetrages der Einkünfte geknüpften Umfang. Das bedeutet, daß selbst dann, wenn - anders als im Streitfall - der Steuerpflichtige in dem für die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen maßgeblichen Zeitraum alle tatbestandlichen Voraussetzungen für den Abzug von Aufwendungen an einen begünstigten Empfänger erfüllt hat, sich diese nicht stets einkommensteuermindernd auswirken, sondern nur dann, wenn der Gesamtbetrag der Einkünfte (§ 2 Abs. 3 EStG) des Steuerpflichtigen in dem Veranlagungszeitraum, in dem die Ausgabe geleistet wird, höher ist als der Grundfreibetrag (§ 32a Abs. 1 Nr. 1 EStG). Eine ausdrückliche Abweichung von § 11 Abs. 2 EStG enthält nur die Regelung für bestimmte Großspenden (§ 10b Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG i. d. F. des Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Kunst, Kultur und Stiftungen sowie zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 13. Dezember 1990, BStBl I 1991, 51). Darüber hinaus sind Anhaltspunkte für eine weitere Einschränkung des § 11 Abs. 2 EStG nicht erkennbar.

cc) Entgegen der Auffassung der Kläger rechtfertigen weder § 84 BGB noch die Entscheidung des BFH vom 26. Juli 1963 VI 353, 354/62 U (BFHE 77, 438, BStBl III 1963, 481) eine andere Beurteilung.

§ 84 BGB, wonach eine Stiftung, die erst nach dem Tode des Stifters genehmigt wird, für die Zuwendungen des Stifters als schon vor dessen Tode entstanden gilt, ist eine durch das zivilrechtliche Genehmigungserfordernis für Stiftungen bedingte Sonderregelung, ohne die Zuwendungen zugunsten einer im Zeitpunkt des Todes noch nicht genehmigten Stiftung rechtlich nicht möglich wären. Die Entscheidung in BFHE 77, 438, BStBl III 1963, 481 betrifft einen anders gelagerten Sachverhalt und allein die Rechtsfrage, wem der Veräußerungsgewinn zuzurechnen ist, wenn im Gesellschaftsvertrag die Fortführung der Gesellschaft ohne die Erben vereinbart ist und diese über den Buchwert abgefunden werden. Die Entscheidung, der Veräußerungsgewinn sei dem Erblasser zuzurechnen, beruht auf der Überlegung, daß die Erben zu keiner Zeit Gesellschafter geworden sind und nur den Abfindungsanspruch geerbt haben. Hieraus lassen sich keine Schlüsse zur Lösung der im vorliegenden Fall entscheidungserheblichen Frage ziehen, ob dem Erblasser eine vom Erben geleistete Ausgabe i. S. der §§ 10b, 11 EStG zuzurechnen ist.