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  BFH-Urteil vom 7.2.1997 (VI R 61/96) BStBl. 1997 II S. 333

Ein Stauer, der auf Seeschiffen an unterschiedlichen Liegeplätzen im Hamburger Hafen arbeitet, übt eine Einsatzwechseltätigkeit aus. Das Hafengebiet stellt keine einheitliche Arbeitsstätte dar.

EStG § 9 Abs. 1 Satz 1; LStR 1993 Abschn. 37 Abs. 2 Satz 4, Abs. 6.

Vorinstanz: FG Hamburg (EFG 1997, 11)

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist als Stauer im Hamburger Hafen tätig. Seine Einsatzorte befinden sich auf Seeschiffen, die an unterschiedlichen Liegeplätzen im Hafengebiet festmachen. Über eigene Kaianlagen verfügt der Arbeitgeber des Klägers nicht.

Im Streitjahr 1993 arbeitete der Kläger an 96 Tagen, an weiteren 5 Tagen meldete er sich zur Arbeitsaufnahme. In der Einkommensteuererklärung setzte der Kläger bei seinen Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit Verpflegungsmehraufwendungen wegen Einsatzwechseltätigkeit in Höhe von 808 DM (101 Tage x 8 DM) an. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) versagte den Abzug mit der Begründung, daß der Kläger nicht an ständig wechselnden Arbeitsstätten tätig gewesen sei; der Hamburger Hafen sei vielmehr eine einheitliche großräumige Arbeitsstätte.

Auf die hiergegen erhobene Klage erkannte das Finanzgericht (FG) die Verpflegungspauschalen für 96 Arbeitstage an, weil der Kläger eine Einsatzwechseltätigkeit ausgeübt habe. Das Gebiet des Hamburger Hafens sei nicht als einheitliche gleichbleibende Arbeitsstätte anzusehen. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 11 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt das FA eine Verletzung des § 9 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Es trägt vor, bei dem Hamburger Hafen handele es sich i. S. der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) um ein abgegrenztes, in sich geschlossenes und nicht weit auseinandergezogenes, überschaubares Gelände. Die Landfläche des Hafengebiets umfasse lediglich ca. 43 qkm. Das Arbeitsgebiet des Klägers habe sich auf einen von vornherein festliegenden und überschaubaren Bereich beschränkt. Zwar habe der BFH mit dem Urteil vom 2. Februar 1994 VI R 109/89 (BFHE 173, 179, BStBl II 1994, 422) sich von seiner Entscheidung vom 2. November 1984 VI R 38/83 (BFHE 142, 389, BStBl II 1985, 139), in der er den Hamburger Hafen als einheitliches Arbeitsgelände angesehen hatte, teilweise distanziert. Insoweit liege aber nur ein obiter dictum vor.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist unbegründet. Das FG hat zutreffend die geltend gemachten Verpflegungspauschalen für 96 Arbeitstage zum Werbungskostenabzug zugelassen.

1. Aufwendungen für die Ernährung gehören grundsätzlich zu den Kosten der Lebensführung, die gemäß § 12 Nr. 1 EStG steuerlich nicht zu berücksichtigen sind. Nach der Rechtslage, die bis zur gesetzlichen Neuregelung in § 4 Abs. 5 Nr. 5, § 9 Abs. 5 EStG 1996 galt, konnten Verpflegungsmehraufwendungen u. a. im Falle einer Einsatzwechseltätigkeit nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG i. V. m. Abschn. 39 Abs. 7 Satz 2 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) 1993 als Werbungskosten abgezogen werden, und zwar ohne Einzelnachweis mit einem Pauschbetrag von 8 DM für jeden Kalendertag mit mehr als sechsstündiger berufsbedingter Abwesenheit von der Wohnung. Die Rechtsprechung des BFH hat die Regelung der Verwaltungsrichtlinien als auch von Gerichten zu beachtende Konkretisierung des Werbungskostenbegriffs grundsätzlich anerkannt (vgl. BFH-Urteil vom 13. Januar 1995 VI R 82/94, BFHE 176, 419, BStBl II 1995, 324). Eine Einsatzwechseltätigkeit liegt nach Abschn. 37 Abs. 6 LStR 1993 bei Arbeitnehmern vor, die bei ihrer individuellen beruflichen Tätigkeit typischerweise nur an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten eingesetzt werden, wie z. B. Bau- oder Montagearbeiter. Dagegen ist keine Einsatzwechseltätigkeit gegeben - mit der Folge, daß Verpflegungspauschalen entfallen -, wenn der Arbeitnehmer an wechselnden Stellen innerhalb eines weiträumig zusammenhängenden Arbeitsgeländes tätig wird (Abschn. 37 Abs. 2 Satz 4 LStR 1993).

2. Die Würdigung der Vorinstanz, daß der Kläger an wechselnden Einsatzstellen tätig war, ist nicht zu beanstanden. Entgegen der Auffassung des FA kann das Gebiet des Hamburger Hafens nicht als einheitliche großräumige Arbeitsstätte angesehen werden.

a) Der BFH hat ursprünglich diesen Begriff weit verstanden und deshalb den Hamburger Hafen als einheitliche Arbeitsstätte für einen dort tätigen Tallyman (Urteil in BFHE 142, 389, BStBl II 1985, 139) oder auch für einen Stauer (Urteil vom 2. Dezember 1983 VI R 169/80, nicht veröffentlicht) gewertet. In seiner neueren Rechtsprechung hat der Senat jedoch seine Auffassung dahingehend konkretisiert, daß ein größeres räumliches Gebiet nur dann als einheitliche gleichbleibende Arbeitsstätte beurteilt werden kann, wenn es sich um ein zusammenhängendes Gelände des Arbeitgebers handelt, wie es z. B. bei einem größeren Werksgelände oder einem Forstrevier der Fall ist. Dagegen fällt ein gesamter Stadtbereich oder ein Ballungsgebiet nicht mehr unter den Begriff der einheitlichen, großräumigen Arbeitsstätte (vgl. Urteil vom 5. Mai 1994 VI R 6/92, BFHE 174, 169, BStBl II 1994, 534).

b) Diese Wertung hat der Senat - allerdings, worauf das FA zutreffend hinweist, zunächst in einem obiter dictum, und außerdem im Zusammenhang mit dem Abzug von Fahrtkosten - auch auf das Gebiet des Hamburger Hafens übertragen (vgl. Urteile in BFHE 173, 179, BStBl II 1994, 422; vom 4. August 1994 VI R 92/93, BFH/NV 1995, 27). Daran ist auch im Streitfall festzuhalten. Das Hafengebiet in Hamburg umfaßt (1988) eine Gesamtfläche von 63 qkm, wobei allein die Landfläche nach Darstellung des FA 43 qkm beträgt. Die Kaianlagen sind etwa 59 km lang (vgl. Brockhaus, Enzyklopädie, 19. Aufl., Stichwort "Hamburg"). Ein derartig weiträumiges Gebiet, in dem die Einsatzstellen eines Stauers (Liegeplätze der Seeschiffe) in unvorhersehbarer Weise an unterschiedlichen Stellen anfallen, kann nicht mehr als einheitliche Arbeitsstätte beurteilt werden. Soweit der Senat in früheren Entscheidungen eine andere Auffassung vertreten hat, hält er daran nicht mehr fest.

3. Da somit der Kläger an ständig wechselnden Einsatzstellen im Hafengebiet tätig war, steht ihm nach den für das Streitjahr geltenden Verwaltungsanweisungen die Verpflegungspauschale von 8 DM täglich zu. Ausnahmetatbestände, die dem Werbungskostenabzug entgegenstehen könnten, hat das FG in nicht zu beanstandender Weise ausgeschlossen.