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  BFH-Urteil vom 23.1.1997 (IV R 84/95) BStBl. 1997 II S. 462

Bei einer Anfechtungsklage gegen einen Gewinnfeststellungsbescheid ist der Gegenstand des Klagebegehrens hinreichend bezeichnet, wenn mit dem Klageantrag die Herabsetzung der Einkünfte auf einen bestimmten, genau bezeichneten Betrag geltend gemacht wird.

FGO § 65, § 79b.

Vorinstanz: FG München (EFG 1996, 388)

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) bezieht Einkünfte aus selbständiger Arbeit, die für die Streitjahre 1986 bis 1988 vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) gesondert festgestellt wurden. Nach einer Außenprüfung lehnte das FA den Abzug von Betriebsausgaben für die Streitjahre ab und erließ die angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheide. Der Einspruch hatte hinsichtlich geltend gemachter Absetzungen für Abnutzung (AfA) auf im einzelnen nicht nachgewiesene Anschaffungskosten für Praxisinventar in Höhe von 480.000 DM, nachträgliche Betriebsausgaben in Höhe von 160.000 DM für 1986 und 2.077 DM für 1987 sowie Steuerberatungskosten in Höhe von 7.800 DM für die Streitjahre keinen Erfolg.

Dagegen richtet sich die Klage zum Finanzgericht (FG). In der Klageschrift vom 9. August 1992 heißt es im wesentlichen:

"... erheben wir namens und im Auftrag des Klägers Klage und bitten um Anberaumung einer mündlichen Verhandlung, in der wir - vorbehaltlich einer Klageerweiterung - beantragen werden: 1. ... die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit (werden) im Jahre 1986 auf DM 462.837,00, für 1987 auf DM 703.136,00 und für 1988 auf DM 865.091,00 gesondert festgestellt ... Die Begründung bleibt einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten."

Mit Anordnung vom 14. Oktober 1994 setzte die Senatsvorsitzende beim FG dem damaligen Prozeßbevollmächtigten des Klägers Ausschlußfristen zur Vorlage der Vollmacht nach § 62 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und zur Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens nach § 65 FGO bis zum 10. November 1994. Daraufhin wurde die Prozeßvollmacht rechtzeitig vorgelegt, das Klagebegehren jedoch nicht weiter bezeichnet. Nachdem der Berichterstatter den damaligen Prozeßbevollmächtigten auf die Unzulässigkeit der Klage hingewiesen hatte, legte dieser das Mandat nieder. Daraufhin erteilte der Kläger dem jetzigen Prozeßbevollmächtigten Vollmacht. Dieser machte mit Schriftsatz vom 16. März 1995 geltend, das Klageziel sei mit der Bezeichnung der angefochtenen Verwaltungsakte und der Bezeichnung des Betrags, auf den die Einkünfte aus selbständiger Arbeit 1986 bis 1988 herabzusetzen seien, hinreichend bestimmt gewesen und verwies auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 17. Oktober 1990 I R 118/88 (BFHE 162, 534, BStBl II 1991, 242). Der Berichterstatter erließ daraufhin unter erneuter Fristsetzung eine Anordnung nach § 79b Abs. 1 und 2 FGO zur Angabe der für den Betriebsausgabenabzug erforderlichen Tatsachen und Beweismittel. In der richterlichen Anordnung heißt es u. a.:

"Aufgrund der überzeugenden Ausführungen des nunmehrigen Prozeßbevollmächtigten und nochmaliger Überprüfung der Sach- und Rechtslage ist davon auszugehen, daß die Klage zulässig ist."

Daraufhin wurde die Klage innerhalb der gesetzten Frist begründet. Dabei stellte sich heraus, daß sich die Bezifferung des Klageantrags auf die AfA-Beträge im Zusammenhang mit dem bereits in der Betriebsprüfung umstrittenen Praxiserwerb bezogen hatte. In die Klage wurden nun auch weitere Streitpunkte einbezogen.

Gleichwohl wurde die Klage ohne sachliche Prüfung durch Gerichtsbescheid als unzulässig abgewiesen. Das FG führte im wesentlichen aus, der ehemalige Prozeßbevollmächtigte habe den Gegenstand des Klagebegehrens innerhalb der Ausschlußfrist nicht hinreichend bezeichnet. Wie sich aus § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO ergebe, reiche dazu die Stellung eines ziffernmäßig bestimmten Antrags nicht aus. Zwar sei im Streitfall aufgrund der Bezeichnung der angefochtenen Feststellungsbescheide und des bezifferten Klageantrags ersichtlich, daß die Höhe der Einkünfte aus selbständiger Arbeit streitig sei und daß eine anderweitige betragsmäßige Festsetzung begehrt werde; unter Heranziehung der Einspruchsentscheidung sei ferner ersichtlich gewesen, daß im Einspruchsverfahren noch drei Streitpunkte offen gewesen seien. Daraus habe aber keineswegs entnommen werden können, ob der Kläger überhaupt einen und welchen der drei Streitpunkte habe aufgreifen und welchen er auf sich habe beruhen lassen wollen, zumal eine Klageerweiterung ausdrücklich vorbehalten gewesen sei. Im übrigen fehle es an der Geltendmachung einer Rechtsverletzung. Wiedereinsetzungsgründe seien weder vorgetragen noch ersichtlich.

Mit seiner dagegen gerichteten, vom FG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet; das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Das FG hat die Klage zu Unrecht durch Prozeßurteil als unzulässig abgewiesen, weil der Kläger den Gegenstand des Klagebegehrens innerhalb der Ausschlußfrist nicht hinreichend bezeichnet hat (§ 65 Abs. 1 Satz 1 FGO).

a) Wie der I. Senat des BFH durch Urteil in BFHE 162, 534, BStBl II 1991, 242 entschieden hat, reicht es für die Bestimmung des Gegenstands des Klagebegehrens aus, wenn die anderweitig anzusetzende Besteuerungsgrundlage dem Betrag nach bezeichnet wird. In einer weiteren Entscheidung vom 17. April 1996 I R 91/95 (BFH/NV 1996, 900) hat der I. Senat des BFH erkannt, daß es bei einer Anfechtungsklage gegen Schätzungsbescheide genügt, wenn der Kläger sein mit der Klage verfolgtes Begehren durch Angabe von Umsatz, Vorsteuer und Gewinn präzisiert. Der erkennende Senat hat weiter entschieden, daß die Klageschrift als prozeßuale Willenserklärung auch bei der Bestimmung des zum Mußinhalt einer Klage gehörenden Gegenstands des Klagebegehrens auszulegen ist und dazu auf die dem Gericht vorliegenden Akten zurückgegriffen werden muß (Senatsurteil vom 27. Juni 1996 IV R 61/95, BFH/NV 1997, 232). Nur diese Auslegung trägt dem aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes folgenden Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung von Verfahrensvorschriften Rechnung (vgl. Senatsurteil vom 16. Juni 1994 IV R 97/93, BFH/NV 1995, 279, sowie Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Oktober 1975 2 BvR 630/73, BStBl II 1976, 271).

b) Im Streitfall hat der Kläger einen bezifferten Klageantrag gestellt. Er hat die Herabsetzung der Einkünfte aus selbständiger Arbeit auf bestimmte Beträge beantragt und damit zugleich das auf Änderung der angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheide gerichtete Klagebegehren zum Ausdruck gebracht (vgl. auch Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 65 FGO Tz. 4). Darin unterscheidet sich der Streitfall von dem Sachverhalt, den der VIII. Senat des BFH in einem Beschwerdeverfahren zu entscheiden hatte (Beschluß vom 15. November 1994 VIII B 29/94, BFH/NV 1995, 886). Dort nämlich hatte der Kläger ohne jede weitere Konkretisierung lediglich die ersatzlose Aufhebung eines Einkommensteuerbescheids beantragt. Ganz ähnlich hatten die Kläger in einem weiteren vom BFH entschiedenen Fall beantragt, einen Einkommensteuerbescheid aufzuheben, dem geschätzte Einkünfte aus verschiedenen Einkunftsarten zugrunde lagen (BFH-Urteil vom 12. September 1995 IX R 78/94, BFHE 178, 549, BStBl II 1996, 16). Richtet sich der Klageantrag ohne weitere Erläuterung auf ersatzlose Aufhebung des angefochtenen Bescheids, so bleibt ungewiß, ob darüber hinaus noch eine Änderung der Steuerfestsetzung begehrt wird oder ob es tatsächlich bei der Aufhebung des Bescheids bleiben soll. Legt sich der Kläger hingegen, wie im Streitfall, betragsmäßig fest, so ist dies für den erkennenden Senat ein Indiz für die ausreichende Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens.

c) Mit ihrer Auslegung des als Mußvoraussetzung in § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO enthaltenen Begriffs "Gegenstand des Klagebegehrens" verlangen FG und FA im Ergebnis eine Klagebegründung (s. auch Tipke/Kruse, a. a. O.). Diese gehört nach § 65 Abs. 1 Satz 3 FGO nur zu den Sollvorschriften der Klage. Den rechtzeitigen Eingang einer minimalen Klagebegründung zu gewährleisten, ist aber Zweck des § 79b FGO. Dadurch wird nach Fristsetzung i. S. des § 79b Abs. 1 und 2 FGO die Angabe der Tatsachen, die nach Auffassung des Klägers seine Beschwer begründen, zwar nicht zu einem Mußerfordernis; es können sich jedoch Präklusionsfolgen ergeben, die im Ergebnis auf einen Begründungszwang hinauslaufen. Im Streitfall ist die Klage jedoch innerhalb der nach Ablauf der Frist des § 65 Abs. 2 Satz 1 FGO durch den Berichterstatter des FG verfügten weiteren Fristsetzung gemäß § 79b FGO eingegangen. Die vom FA aufgeworfene Frage, ob die Entscheidung des I. Senats in BFHE 162, 534, BStBl II 1991, 242 nach Inkrafttreten des § 79b Abs. 1 FGO ab 1. Januar 1993 überholt ist, kann daher im Streitfall offenbleiben. Hiervon geht der X. Senat des BFH aus (Urteil vom 8. März 1995 X B 243, 244/94, BFHE 177, 201, BStBl II 1995, 417). Entgegen der Auffassung des FA ergibt sich aber aus dieser allein zu § 79b FGO ergangenen Entscheidung nichts für die Auslegung des Begriffs des Gegenstands des Klagebegehrens nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO.

Dem FG ist zwar darin zuzustimmen, daß sich im Streitfall selbst unter Heranziehung der Steuerakten nicht ohne weiteres eindeutig ermitteln läßt, welche Streitpunkte des vorangegangenen Einspruchsverfahrens im Klageverfahren aufrechterhalten werden sollen. Zur Klärung dieser Fragen ist jedoch eigens die Vorschrift des § 79b FGO geschaffen worden, die entbehrlich gewesen wäre, würde man bereits aus dem Muß-Erfordernis, den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen, eine Verpflichtung ableiten, einzelne Tatsachen anzugeben oder Beweismittel zu bezeichnen.

2. Die Vorentscheidung beruht auf einer anderen Rechtsauffassung und ist daher aufzuheben. Der Senat ist auf die Prüfung des Verfahrensfehlers beschränkt, wenn ein solcher geltend gemacht wird und durchgreift (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 119 Rz. 3, m. w. N.).