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  BFH-Urteil vom 23.1.1997 (IV R 36/95) BStBl. 1997 II S. 498

Die tarifbegünstigte Veräußerung eines Praxisanteils i. S. der §§ 18 Abs. 3, 34 EStG setzt die Übertragung aller wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen der freiberuflichen Tätigkeit einschließlich des Patienten-/Mandantenstammes voraus (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung). Hierzu ist bei Veräußerung des gesamten Anteils an einer Praxis - im Gegensatz zur Veräußerung nur eines Teils des Praxisanteils - erforderlich, daß die freiberufliche Tätigkeit in dem bisher örtlich begrenzten Wirkungskreis für eine gewisse Zeit eingestellt wird (Abgrenzung zum BFH-Urteil vom 14. September 1994 I R 12/94, BFHE 176, 520, BStBl II 1995, 407).

EStG § 18 Abs. 3, § 34 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

Die Zahnärzte L, St und Dr. S waren an der zahnärztlichen Gemeinschaftspraxis L, St und Dr. S in X zu je 1/3 beteiligt. Am 30. September 1986 schied L, der entsprechend seiner Ausbildung sowohl als Zahnarzt als auch als Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurg tätig war, aus der Gemeinschaftspraxis aus und übertrug seinen Anteil hieran auf die beiden übrigen Gesellschafter. Ab dem 1. Oktober 1986 führte L seine ärztliche Tätigkeit, nunmehr mit dem Schwerpunkt der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, in einer neuen Praxis in X fort.

In der Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte für das Streitjahr (1986) erklärte die zahnärztliche Gemeinschaftspraxis einen Veräußerungsgewinn i. S. des § 18 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) aus dem Mitunternehmeranteil L in Höhe von 33.550 DM.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erfaßte den Betrag von 33.500 DM im Streitjahr zusätzlich zu dem erklärten Gewinn aus der Gesellschaft als laufenden Gewinn des L.

Der hiergegen eingelegte Einspruch war ohne Erfolg.

Die Klage wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet ab, weil L seine freiberufliche Tätigkeit in Form einer Einzelpraxis fortgeführt habe. Ein tarifbegünstigter Veräußerungsgewinn bei freiberuflicher Tätigkeit liege nur dann vor, wenn sich der bisherige Inhaber von allen wesentlichen Betriebsgrundlagen trennt bzw. seinen Anteil am Betrieb/an der Praxis vollständig aufgibt. Der Praxisinhaber bzw. das Mitglied der freiberuflichen Sozietät, das seine bisherige Tätigkeit nicht vollständig aufgibt, könne diese entweder nur örtlich getrennt von der bisherigen Praxis fortführen oder müsse einen gewissen Zeitraum abwarten, ehe die Tätigkeit mit einer neuen Praxis fortgeführt werden könne.

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung der §§ 16, 18 und 34 EStG. Die höchstrichterliche Rechtsprechung halte an den im FG-Urteil genannten Auffassungen nicht mehr fest. Veräußerung und Übertragung eines Mitunternehmeranteils müßten in allen denkbaren Fallgestaltungen steuerlich gleichbehandelt werden. Es könne nicht auf die Einstellung der freiberuflichen Tätigkeit in dem bisherigen örtlich begrenzten Wirkungskreis abgestellt werden.

Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und den Betrag von 33.550 DM als steuerbegünstigten Veräußerungsgewinn nach § 18 Abs. 3 i. V. m. § 16 und § 34 EStG festzustellen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Das FG hat die Annahme einer tarifbegünstigten Anteilsveräußerung i. S. des § 18 Abs. 3 i. V. m. § 34 Abs. 1 und 2 EStG im Ergebnis zu Recht verneint.

Nach § 18 Abs. 3 Satz 1 EStG gehört zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit u. a. der Gewinn, der bei der Veräußerung eines Anteils am Vermögen erzielt wird, das der selbständigen Arbeit dient. Nach § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 1 EStG ist die auf außerordentliche Einkünfte i. S. des § 18 Abs. 3 EStG entfallende Einkommensteuer nach einem ermäßigten Steuersatz zu bemessen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 7. November 1985 IV R 44/83, BFHE 145, 522, BStBl II 1986, 335) setzt die tarifbegünstigte Veräußerung eines Anteils am Vermögen i. S. der §§ 18 Abs. 3, 34 EStG voraus, daß alle wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen der freiberuflichen Tätigkeit auf den Praxiserwerber übertragen oder in das Privatvermögen überführt werden. Zu den wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen einer freiberuflichen Praxis gehören insbesondere immaterielle Wirtschaftsgüter wie die Beziehungen des Praxisinhabers zu seinen bisherigen Mandanten und das durch den Praxisnamen bestimmte Wirkungsfeld, das die maßgebende Grundlage für die Möglichkeit darstellt, neue Mandanten zu erlangen.

Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, wonach die Übertragung aller wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen der freiberuflichen Tätigkeit auf den Erwerber in der Regel nur dann gewährleistet ist, wenn die freiberufliche Tätigkeit in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit aufgegeben wird. Denn die Überleitung des Mandanten-/Patientenstammes ist nicht gesichert, wenn der Veräußerer mit seiner bisherigen Tätigkeit in räumlicher Nähe zu dem veräußerten Unternehmen freiberuflich tätig bleibt und damit mit dem Erwerber zumindest bezüglich der bisherigen Kunden in Konkurrenz tritt.

Mit dieser Beurteilung weicht der Senat nicht von der Entscheidung des I. Senats vom 14. September 1994 I R 12/94 (BFHE 176, 520, BStBl II 1995, 407) ab. Dort war über die Teilübertragung eines Gesellschaftsanteils zu befinden.

Auch nach der Entscheidung des I. Senats in BFHE 176, 520, BStBl II 1995, 407 gehört zu den Voraussetzungen einer steuerbegünstigten Anteilsveräußerung bei einem Freiberufler die Übertragung des anteiligen Mandanten-/Patientenstammes als wesentliche Betriebsgrundlage. Dieses Erfordernis ist auch im Schrifttum weitgehend unbestritten (vgl. insbesondere Pickert, Der Betrieb - DB - 1995, 2390, 2393 ff., m. w. N.; Richter/Richter, Betriebs-Berater 1995, 703, 704; Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, 15. Aufl., § 18 Rdnr. 226; Brandt in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 18 EStG Anm. 320; a. A. wohl Klaas, DB 1989, 948).

Die Interessenlage bei Änderung der Beteiligungsverhältnisse und bei Ausscheiden aus einer Sozietät ist indes nicht identisch (vgl. auch BFH-Urteil vom 12. Juni 1996 XI R 56, 57/95, BFHE 180, 436, BStBl II 1996, 527, zur Aufgabe der gewerblichen Tätigkeit als Voraussetzung einer Betriebsveräußerung).

In den Fällen der Änderung der Beteiligungsverhältnisse beeinträchtigt die weitere freiberufliche Tätigkeit des Veräußerers, wenn auch bei veränderter Beteiligungsquote, nicht die Chancen, die einem erworbenen Mandanten-/Patientenstamm innewohnen. Der Erwerber partizipiert vielmehr in einem größeren Umfang als vorher an dem Mandanten-/Patientenvertrauen zu dem Veräußerer. Zum anderen ist der Veräußerer nach der Veräußerung des Teilanteils tatsächlich zu einem geringeren Anteil am wirtschaftlichen Ergebnis der Sozietät/Praxis beteiligt.

Scheidet jedoch ein Mitglied aus einer Sozietät/Praxis aus und baut sich ein neues "Unternehmen" mit gleicher oder vergleichbarer freiberuflicher Tätigkeit auf, ist die Überleitung des Mandanten-/Patientenvertrauens auf den Erwerber nur sichergestellt, wenn der Veräußerer nicht in Konkurrenz zu dem übertragenen Unternehmen steht, insbesondere dadurch, daß er sein bisheriges, durch Mandanten/Patienten und Praxisnamen bedingtes Wirkungsfeld als maßgebliche Grundlage zukünftiger freiberuflicher Tätigkeit nutzt. Im Gegensatz zur Teilanteilsübertragung ist in diesen Fällen die Übertragung aller wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen der freiberuflichen Tätigkeit auf den Erwerber mithin nur gewährleistet, wenn die freiberufliche Tätigkeit in dem bisher örtlich begrenzten Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit eingestellt wird.

Nach den Feststellungen des FG hat L seine Tätigkeit als Zahnarzt, Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurg im bisherigen Wirkungskreis weder endgültig noch vorübergehend eingestellt. Er hat vielmehr seine bisherige ärztliche Tätigkeit, nunmehr schwerpunktmäßig im Bereich der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, ohne Unterbrechung in X fortgesetzt. Auch die geringe Höhe der Abfindung deutet darauf hin, daß L nicht sämtliche Grundlagen seiner Tätigkeit in der bisherigen Sozietät belassen hat.