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  BFH-Urteil vom 22.4.1997 (IX R 74/95) BStBl. 1997 II S. 541

Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Aufteilung des Kaufpreises einer Eigentumswohnung in Anteile für Grund und Boden sowie Gebäude ist für das FG im Regelfall keine nach Art oder Umfang erhebliche Ermittlung i. S. des § 100 Abs. 3 FGO.

FGO § 100 Abs. 3.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über den Grundstücksanteil beim Kaufpreis einer Eigentumswohnung.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) erwarben im Juni des Streitjahres 1992 eine Eigentumswohnung mit Tiefgaragenstellplatz und Pkw-Abstellplatz. Lt. Kaufvertrag betrug der Preis für die Wohnung 332.500 DM, für den Tiefgaragenstellplatz 22.500 DM und für den oberirdischen Stellplatz 5.000 DM. Von dem Gesamtbetrag (360.000 DM) sollten 54.400 DM auf den Grund und Boden einschließlich Erschließungskosten entfallen. Die Anschaffungskosten der Wohnung (ohne Grund und Boden) betrugen lt. Berechnung der Kläger insgesamt 316.241 DM. Davon errechneten sie eine Absetzung für Abnutzung - AfA - (7 %) von 22.137 DM.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) ging von Anschaffungskosten in Höhe von insgesamt 369.829 DM aus. Er schätzte anhand eines für die Kaufpreisaufteilung von Eigentumswohnungen vorgesehenen Vordrucks der Oberfinanzdirektionen des Landes Baden-Württemberg den Grundstücksanteil auf 103.552 DM, die Gebäudeanschaffungskosten auf 266.277 DM und ermittelte eine AfA in Höhe von 18.640 DM. Die Bemessungsgrundlage für die AfA errechnete das FA wie folgt:

Bodenwert:

750 DM/qm abzüglich 20%

 
 

wegen verschiedener

 
 

Nutzungsbeschränkungen

 

x 140 qm =

84.000 DM

 

Gebäudewert: 70 qm x 2.688 DM/qm =

188.160 DM

Tiefgaragenstellplatz:

15.000 DM

Stellplatz im Freien:

3.000 DM

Gebäudewert insgesamt:

206.160 DM

Grundstückssachwert

290.160 DM

Davon entfallen auf den Grund und

 

Boden 28%

 

auf das Gebäude 72%

 

 

gezahlter Kaufpreis

 

einschließlich Nebenkosten

369.829 DM

 

Davon entfallen auf den

 

Grund und Boden 28% =

103.552 DM

 

und auf das Gebäude 72% =

266.277 DM

Die Schätzung des Bodenwerts beruht auf Erfahrungswerten des Gutachterausschusses der Stadt X in bezug auf Grundstücke benachbarter Baugebiete in X. Der Schätzung des Gebäudewerts liegen Erfahrungswerte der Oberfinanzdirektion (OFD) Stuttgart zugrunde.

Nach im wesentlichen vergeblichem Einspruch erhoben die Kläger Klage.

Das Finanzgericht (FG) hob den streitigen Einkommensteuerbescheid 1992 sowie die Einspruchsentscheidung des FA gemäß § 100 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf.

Das FA habe im Vorverfahren die Sache unzureichend aufgeklärt. Das Gesetz sehe die Zuziehung eines Sachverständigen vor, wenn die Behörde die Besteuerungsgrundlagen ohne besondere Fachkenntnisse nicht zuverlässig selbst feststellen könne (§ 96 Abs. 1 und 3 der Abgabenordnung - AO 1977 -).

Das FA habe die Schätzungsergebnisse kritisch untersuchen müssen. Das erscheine dem Gericht ohne Einschaltung eines Sachverständigen nicht möglich. Der allgemeine Hinweis, die Vordruckwerte beruhten auf vielfältigen Erfahrungen des Bausachverständigen der OFD und anderer nicht bezeichneter Sachverständiger, genüge der Darlegungs- und Offenlegungspflicht der Finanzbehörde jedenfalls dann nicht, wenn Wertabweichungen von mehreren 10.000 DM nicht nur in Einzelfällen festzustellen seien.

Der einzuschaltende Sachverständige müsse sich vor allem mit folgenden Gründen für eine Wertabweichung auseinandersetzen:

- wegen besonderer Verhältnisse im Großraum Stuttgart

- wegen möglicherweise vom Normalfall abweichender Handwerker- und Generalunternehmerkonditionen zugunsten von Bauträgern

- wegen am Markt üblicher Aufschläge auf den gewöhnlichen oder tatsächlichen Gebäudeherstellungswert

- wegen etwaiger am Markt regelmäßig anzutreffender Abweichungen von den einschlägigen Bodenrichtwerten bei Grundstücksveräußerungen von Bauträgern an Erwerber neu errichteter Eigentumswohnungen (sei es nach oben, sei es nach unten) - über wertbeeinflussende Umstände des individuellen Grundstücks (etwa nach Lage und Nutzungsmöglichkeiten) - über wertbeeinflussende Umstände des streitgegenständlichen Gebäudes (z. B. aufwendige Außenanlagen, in Form von Spielplätzen und Grünanlagen, die das Normalmaß übersteigen).

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 i. V. m. § 7 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG), der §§ 88, 92 und 96 AO 1977 sowie § 100 Abs. 3 FGO.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen.

Das FA erließ am 16. September 1996 einen geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr, der auf Antrag der Kläger gemäß §§ 68, 121, 123 Satz 2 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden ist.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das FG hat zu Unrecht die Voraussetzungen des § 100 Abs. 3 FGO bejaht.

1. Nach § 100 Abs. 3 Satz 1 FGO in der seit dem 1. Januar 1993 geltenden Fassung des FGO-Änderungsgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 1992, 2109, BStBl I 1993, 90) kann das Gericht, wenn es eine weitere Sachaufklärung für erforderlich hält, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Zweck dieser seit 1993 gültigen Vorschrift ist die Entlastung der FG's und des Bundesfinanzhofs (BFH) sowie eine Beschleunigung des finanzgerichtlichen Verfahrens (BTDrucks 12/1061, S. 11). Unbeschadet seiner Verpflichtung, gemäß § 76 FGO selbst den Sachverhalt zu erforschen, kann das FG erhebliche Ermittlungen unter den sonstigen Voraussetzungen des § 100 Abs. 3 FGO durch die Finanzverwaltung vornehmen lassen (vgl. BFH-Urteil vom 17. Januar 1996 XI R 62/95, BFH/NV 1996, 527).

Nach dem BFH-Urteil vom 29. März 1995 II R 13/94 (BFHE 177, 217, 221, BStBl II 1995, 542) unterliegt der revisionsrichterlichen Überprüfung insbesondere auch, ob die nach Auffassung des FG noch durchzuführenden Ermittlungen für die Entscheidungsreife erforderlich sind. Der erkennende Senat läßt diese Frage im Streitfall offen. Auch wenn man davon ausgeht, daß die Entscheidung des FG insoweit vom Revisionsgericht nicht nachgeprüft werden kann, weil das FG den Sachverhalt selbständig ermittelt (§ 76 Abs. 1 FGO) und die Erforderlichkeit der Sachaufklärung nach § 100 Abs. 3 Satz 1 FGO auch nicht begründen muß, ist die Entscheidung des FG aufzuheben. Der revisionsrichterlichen Überprüfung unterliegt jedenfalls die Feststellung des FG, daß die (erforderlichen) Ermittlungen nach Art oder Umfang erheblich sind und die Aufhebung unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist (vgl. BFH-Urteil vom 18. Oktober 1989 I R 107/85, nicht veröffentlicht - Leitsatz in BFH/NV 1990, 646 -, und BFH-Urteil vom 22. Juli 1987 I R 226/83, BFH/NV 1988, 743; vgl. auch Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 9563).

2. Das FG hat zunächst zu Unrecht angenommen, Voraussetzung für eine Aufhebung gemäß § 100 Abs. 3 FGO sei eine unzureichende Sachaufklärung seitens der Finanzverwaltung. Das ist seit der Neufassung der Vorschrift nicht mehr der Fall (BFH-Urteil vom 14. März 1996 IV R 9/95, BFHE 180, 142, BStBl II 1996, 310, zu 2.; BTDrucks 12/1061, S. 19; anders noch die bis 1992 geltende Fassung des § 100 Abs. 3 Satz 2 FGO).

3. Im übrigen waren die vom FG für erforderlich gehaltenen Ermittlungen - d. h. hier die Einholung eines Gutachtens durch einen unabhängigen Sachverständigen - weder nach Art oder Umfang erheblich, noch war die Aufhebung des Steuerbescheids und der Einspruchsentscheidung in dieser Phase des finanzgerichtlichen Verfahrens unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich.

a) Die Voraussetzungen für eine solche Aufhebung gemäß § 100 Abs. 3 Satz 1 FGO waren nicht gegeben, weil die Einholung eines Sachverständigengutachtens im Streitfall nach Art oder Umfang i. S. des § 100 Abs. 3 Satz 1 FGO keine erhebliche Ermittlung für das FG darstellte. Hätte das FG ein derartiges Gutachten eingeholt, beschränkte sich seine Tätigkeit voraussichtlich auf den Beweisbeschluß (§ 82 FGO i. V. m. §§ 358 ff. der Zivilprozeßordnung - ZPO -), die Auswahl des Sachverständigen (§ 404 ZPO), die Auswertung seines Gutachtens und die Anhörung der Beteiligten zum Gutachten, und evtl. die Anhörung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung (§ 411 Abs. 3 ZPO). Diese Handlungen sind unter Berücksichtigung dessen, was das Gericht im Falle einer Entscheidung gemäß § 100 Abs. 3 FGO ohnehin zu tun hätte und ferner dessen, was zu tun bliebe, wenn das vom FA eingeholte Gutachten vorläge, nicht umfangreich. Das Gericht wird im Streitfall im Falle der Aufhebung nach § 100 Abs. 3 FGO nur unwesentlich entlastet. Die Entscheidung gemäß § 100 Abs. 3 FGO muß - wie hier geschehen - zumindest die vom FG für erforderlich gehaltenen Ermittlungen bezeichnen, was inhaltlich einem Beweisbeschluß vergleichbar ist. Im übrigen muß das FG auch ein vom FA eingeholtes Gutachten selbst würdigen, die Beteiligten dazu hören, das Gutachten notfalls ergänzen lassen und/oder das Erscheinen des Sachverständigen anordnen. Selbst wenn es letzteres nicht von sich aus beabsichtigte, kann dies doch auf Antrag eines Beteiligten geboten sein (vgl. BFH-Urteil vom 12. März 1970 V R 158/66, BFHE 98, 467, BStBl II 1970, 460; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 82 FGO Tz. 39 a, 41). § 100 Abs. 3 FGO soll zwar die FG's entlasten, dadurch werden aber die Regeln über die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme nicht eingeschränkt (vgl. BFH-Urteil vom 29. März 1995 II R 13/94, BFHE 177, 217, BStBl II 1995, 542, und BFH-Urteil in BFH/NV 1996, 527).

b) Die Aufhebung des Steuerbescheids und der Einspruchsentscheidung war auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten nicht sachdienlich.

Die Aufteilung der Anschaffungskosten anhand des von der OFD Stuttgart entwickelten Vordrucks entsprach jedenfalls im Ansatz den Grundsätzen, die der erkennende Senat in seinem Urteil vom 15. Januar 1985 IX R 81/83 (BFHE 143, 61, BStBl II 1985, 252) dargelegt hat. In Anbetracht dessen war eine Aufhebung gemäß § 100 Abs. 3 FGO ohne eine vorherige Erörterung unter Hinzuziehung des Sachverständigen der OFD Stuttgart unter Berücksichtigung der Belange des FA insbesondere dann nicht sachdienlich, wenn das FG bereits gegen die Methode Bedenken hatte (vgl. S. 16 des FG-Urteils). Das gilt auch dann, wenn das FG grundsätzliche Bedenken gegen die Art der Ermittlung des Gebäudewerts bei von Bauträgern erworbenen neu errichteten Eigentumswohnungen hatte (vgl. S. 17 des FG-Urteils).

Unter Berücksichtigung der Belange der Kläger war die Entscheidung nach § 100 Abs. 3 FGO nicht deshalb sachdienlich, weil sie andernfalls die Kosten eines Sachverständigengutachtens zu tragen hätten, falls ihre Klage abgewiesen wird.