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  BFH-Urteil vom 16.7.1997 (XI R 85/96) BStBl. 1997 II S. 666

Der Arbeitgeberwechsel im Rahmen eines (Teil-)Betriebsübergangs führt in der Regel nicht zur Auflösung des bestehenden Dienstverhältnisses.

EStG § 3 Nr. 9 Satz 1.

Vorinstanz: FG Düsseldorf (EFG 1997, 391)

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Energieberater und wurde zusammen mit seiner Ehefrau, der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger wechselte im Streitjahr von der RAG zu der SAG. Infolge der Beendigung des Konzessionsvertrags für die Stromversorgung des Versorgungsgebiets D übertrug die RAG aufgrund vertraglicher Vereinbarungen vom 5./6. Februar 1991 ihre Stromversorgungsanlagen auf die SAG. In einem Schreiben vom 5. Februar 1991 teilte die RAG dem Kläger mit, daß er vom 1. Februar 1991 an Mitarbeiter der SAG sei. Im Hinblick auf die Absicherung des sozialen Besitzstandes werde ein Ausgleich für eventuelle Minderungen in der Vergütung und den sozialen Leistungen gewährt, der für den Fall eines durch den Kläger bedingten Ausscheidens vor Ablauf von drei Jahren zurückzuzahlen sei. Bezüglich der Altersversorgung werde von der SAG für die noch nicht unverfallbare Anwartschaft ein nach versicherungsmathematischen Grundsätzen berechneter Wert ausgezahlt. Die SAG teilte dem Kläger mit Schreiben vom 7. Februar 1991 mit, sie sei bereit, ihn mit Wirkung vom 1. Februar 1991 an als Arbeitnehmer zu übernehmen. Da die tariflichen und betrieblichen Regelungen der SAG von denen der RAG abwichen, müsse ein neuer Arbeitsvertrag abgeschlossen werden; die Vordienstzeiten bei der RAG würden hinsichtlich von Jubiläen und sonstigen betrieblichen und sozialen Leistungen anerkannt, so daß der Kläger insoweit keinen Nachteil erleide. Noch am selben Tag unterzeichnete der Kläger den vorbereiteten Arbeitsvertrag, in dem es u. a. heißt, daß der Kläger als Sachbearbeiter von der RAG übernommen werde. Der Beginn der Beschäftigungszeit wurde auf den 1. Juli 1981, der Beginn der Dienstzeit auf den 1. Juli 1979 festgesetzt. Eine Probezeit wurde nicht vereinbart.

Den Vereinbarungen entsprechend erhielt der Kläger Ausgleichszahlungen, von der RAG 106.126 DM und von der SAG 13.039 DM. Für diese Leistungen beantragte er die Anwendung des § 3 Nr. 9 und der §§ 24 Nr. 1 Buchst. a, 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) ermäßigte zwar den auf die außerordentlichen Einkünfte entfallenden Steuersatz (§§ 24 Nr. 1 Buchst. a, 34 Abs. 1 EStG), lehnte die Anwendung des § 3 Nr. 9 EStG aber ab. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg; die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 391 veröffentlicht.

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung sachlichen Rechts.

Das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber sei erloschen. Wenn auf der einen Seite eines Vertragsverhältnisses eine Auswechslung eintrete, so habe dies immer zur Folge, daß das Arbeitsverhältnis mit dem ausscheidenden Arbeitgeber rechtlich und wirksam beendet sei. § 3 Nr. 9 EStG würde praktisch ausgeschlossen, wenn er bei einem Betriebsübergang nicht angewendet werde. Der Streitfall sei genauso zu behandeln wie der Fall, daß sich ein neues Beschäftigungsverhältnis nahtlos anschließe. Zudem habe der Kläger keine andere Möglichkeit gehabt, als die neue Situation zu akzeptieren. Auch der Abschluß eines neuen Arbeitsvertrags zeige deutlich, daß das ursprüngliche Dienstverhältnis rechtlich und tatsächlich aufgelöst worden sei.

Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer unter Berücksichtigung eines Freibetrags nach § 3 Nr. 9 EStG von 24.000 DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Das Arbeitsverhältnis sei nicht aufgelöst worden. Der Übergang bewirke nur, daß das Arbeitsverhältnis zum bisherigen Arbeitgeber ende; das Arbeitsverhältnis als solches bestehe aufgrund des Eintritts des neuen Betriebsinhabers mit allen Rechten und Pflichten fort. Die Umstände, daß eine Kündigung nicht ausgesprochen worden sei und daß die Vordienstzeiten anerkannt worden seien, sprächen eindeutig für ein Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses. Im übrigen stellten Abfindungen, die zum Ausgleich von beim neuen Arbeitgeber nicht vorhandenen betrieblichen Leistungen gezahlt würden, keine Entschädigung wegen einer Auflösung eines Dienstverhältnisses dar, sondern seien vielmehr eine Vorauszahlung von Arbeitslohn.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) unbegründet.

1. Gemäß § 3 Nr. 9 Satz 1 EStG sind Abfindungen wegen einer vom Arbeitgeber veranlaßten oder gerichtlich ausgesprochenen Auflösung des Dienstverhältnisses, höchstens jedoch 24.000 DM, steuerfrei. § 3 Nr. 9 EStG erfaßt Leistungen zur Abgeltung von Interessen, die durch die Auflösung des Dienstverhältnisses beeinträchtigt sind; die Abfindung soll Nachteile des Arbeitnehmers aus dem Verhalten des bisherigen Arbeitgebers ausgleichen und wird aus diesem Grund in bestimmtem Umfang von der Steuer freigestellt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. April 1991 XI R 9/87, BFHE 164, 279, BStBl II 1991, 723). Die Auflösung des Dienstverhältnisses verlangt dessen endgültige Beendigung; nur unter dieser Voraussetzung ist die aus sozialpolitischen Gründen gewährte Steuerbefreiung, mit der den Folgen eines Arbeitsplatzverlustes Rechnung getragen werden soll, gerechtfertigt. Eine rein formale Betrachtung, die ausschließlich auf den Wechsel der Arbeitgeber abstellt, wird der Zielsetzung des § 3 Nr. 9 EStG nicht gerecht. Entscheidend ist vielmehr, ob die Beteiligten nach den Umständen des einzelnen Falles die Umsetzung als Fortsetzung eines einheitlichen Dienstverhältnisses ausgestaltet haben. Eine Auflösung des Dienstverhältnisses liegt daher nicht vor, wenn es nach einer sog. Änderungskündigung mit geänderten Konditionen fortgeführt wird. Andererseits wird ein bestehendes Dienstverhältnis nicht fortgesetzt, wenn nach seiner Beendigung mit demselben Arbeitgeber ein neues Dienstverhältnis zu anderen Bedingungen begründet wird. Ob eine Umsetzung innerhalb eines Konzerns die Beendigung des Dienstverhältnisses zur Folge hat, ist nach Auffassung des BFH davon abhängig, ob das neue Dienstverhältnis als Fortsetzung des bisherigen Dienstverhältnisses zu beurteilen ist (vgl. im einzelnen BFH- Urteil vom 21. Juni 1990 X R 48/86, BFHE 161, 372, BStBl II 1990, 1021, m. w. N.).

2. Im Streitfall hat das FG zu Recht entschieden, daß das bisherige Dienstverhältnis nicht aufgelöst wurde. Der (Teil-)Betriebsübergang von der RAG auf die SAG hat nicht zur endgültigen Beendigung des bestehenden Dienstverhältnisses geführt; das bestehende Dienstverhältnis wurde vielmehr mit einem neuen Arbeitgeber und mit teilweise geänderten Konditionen fortgesetzt. Die Fortsetzung des bestehenden Dienstverhältnisses kommt insbesondere darin zum Ausdruck, daß die an der Übertragung des Betriebs beteiligten Personen von einem Betriebsübergang i. S. des § 613a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ausgegangen sind, der den Bestand des bisherigen Arbeitsverhältnisses schützt und zu dessen Fortsetzung führt (Palandt/Putzo, Bürgerliches Gesetzbuch, 56. Aufl., 1997, § 613a Rz. 16; Schaub in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Aufl., 1988, § 613a Rz. 39, 43 a), daß in dem mit der SAG abgeschlossenen Arbeitsvertrag nicht von einer Einstellung, sondern von einer Übernahme gesprochen wird und daß als Beginn der Beschäftigung der Tag angesetzt wurde, an dem der Kläger seinen Dienst bei der RAG begonnen hatte. Ferner wurde in bezug auf Arbeitnehmerjubiläen oder sonstige Leistungen eine Anrechnung der bei der RAG zurückgelegten Vordienstzeiten vereinbart.

Der von den Klägern in den Vordergrund gestellte Umstand, daß das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber, der RAG, beendet worden sei, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Allein ein Wechsel in der Person des Arbeitgebers führt noch nicht zu einer Auflösung des Dienstverhältnisses i. S. des § 3 Nr. 9 EStG. Wird das bestehende Dienstverhältnis zwar mit einem neuen Arbeitgeber, aber im übrigen in bezug auf den Arbeitsbereich, die Entlohnung und unter Wahrung des sozialen Besitzstandes im wesentlichen unverändert fortgesetzt, so ist ein die Anwendung des § 3 Nr. 9 EStG rechtfertigender Arbeitsplatzverlust nicht gegeben. Den Klägern kann deshalb auch insoweit nicht gefolgt werden, als sie der Meinung sind, daß der Streitfall mit solchen Fällen gleichzubehandeln sei, in denen sich an die Auflösung eines Arbeitsverhältnisses nahtlos die Begründung eines neuen Dienstverhältnisses anschließt.