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  BFH-Urteil vom 11.6.1997 (XI R 2/95) BStBl. 1997 II S. 687

Eine Beratungstätigkeit, die auf die Lösung von Problemen in einem bestimmten Teilbereich zwischenmenschlicher Beziehungen gerichtet ist, ist nicht erzieherisch i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG.

EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1.

Vorinstanz: FG Nürnberg

Sachverhalt

I.

Der 1946 geborene Kläger und Revisionskläger (Kläger) betreibt Managementberatung. Er hat nach eigenen Angaben im Jahre 1965 ein technisch-betriebsorientiertes Fachhochschulstudium als Ingenieur abgeschlossen. In den Folgejahren bildete er sich im Rahmen von Arbeitsverhältnissen "in Fragen der Führungssysteme der internationalen Marktpräsenz und des internationalen Marketing sowie der Unternehmensentwicklung und -führung" fort. Von 1979 bis 1985 eignete er sich autodidaktisch Kenntnisse in der Psychologie der Führungskräfte sowie in der Führungspsychologie an; außerdem befaßte er sich mit "Unternehmensführung und Management, Logistik und computerintegrierter Fabrikplanung sowie Organisation und betrieblichem Sozialwesen". Förmliche Ausbildungsnachweise legte der Kläger nur über seine Berechtigung, die Standesbezeichnung "Ingenieur" führen zu dürfen (Verleihungsurkunde vom 10. April 1973), sowie über seine Teilnahme an einer zweiwöchigen Seminarreihe "American Management Associations" in Chicago und New York vor.

Aufgrund dieser Vorkenntnisse beriet der Kläger Manager von Unternehmen, um sie durch "aufklärende Einzelarbeit mit dem Instrumentarium der Reflexion" in die Lage zu versetzen, Unternehmeraufgaben zu lösen. Er widmete sich dabei jeweils nur wenigen Personen. In den Streitjahren 1987 und 1988 waren es seinem eigenen Vortrag nach im wesentlichen nur zwei Manager größerer deutscher Unternehmen.

Bis einschließlich 1986 erklärte der Kläger die aus der Beratungstätigkeit erzielten Einkünfte als solche aus Gewerbebetrieb. In den Streitjahren rechnete er die Einkünfte aus der von ihm als wissenschaftliche Beratung bezeichneten Tätigkeit den Einkünften aus selbständiger Arbeit zu.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) sah die Tätigkeit des Klägers als Gewerbebetrieb an und erließ für die Streitjahre Gewerbesteuermeßbescheide. Die Einsprüche hatten insoweit keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und führte im wesentlichen aus:

Der Kläger übe keine freiberufliche Tätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) aus. Die Tätigkeit erfülle vielmehr alle Merkmale eines Gewerbebetriebs (§ 2 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes - GewStG -, § 15 Abs. 2 EStG).

a) Der Kläger sei nicht wissenschaftlich tätig: Weder aus der Beschreibung seiner Tätigkeit noch seinen eingereichten Skripten lassen sich Grundlagenforschung, betreffend das Gebiet der "Psycho-Ökonomie" und der "führungsspezifischen Psychodynamik", erkennen. Wissenschaftliche Erkenntnisse habe der Kläger in den Streitjahren weder auf dem Gebiet der Psychologie noch der Soziologie oder der Pädagogik gehabt. Seinem Werdegang bis zum Ende des streitigen Zeitraums könne auch nicht entnommen werden, daß er sich selbst wissenschaftliche Kenntnisse verschafft habe. Die autodidaktische Fortbildung habe den Senat von der Erlangung wissenschaftlicher Kenntnisse nicht überzeugen können. Das Ingenieurstudium sei für die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit nur von völlig untergeordneter Bedeutung gewesen. Auch sei von der Methodik her gesehen eine wissenschaftliche Tätigkeit nicht feststellbar. Vielmehr liege eine praxisorientierte Beratung vor.

b) Der Kläger habe auch keine erzieherische Tätigkeit ausgeübt. Hierunter falle nur die planmäßige Tätigkeit zur körperlichen, geistigen und charakterlichen Formung von jungen Menschen zu tüchtigen und mündigen Menschen. Der Kläger habe es hingegen mit Erwachsenen zu tun. "Erwachsenenerziehung" falle schon begrifflich nicht in den Bereich des erzieherisch Tätigen i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG.

c) Die Tätigkeit des Klägers sei auch keine unterrichtende. Der Kläger selbst habe den unterrichtenden Teil als nachrangig bezeichnet. Da eine einheitliche Tätigkeit vorliege, könne der unterrichtende Teil auch nicht abgespalten werden. Im übrigen sei die Tätigkeit des Klägers - als Analyse der jeweiligen Persönlichkeit des Klienten, auch wenn sie dem Ziele diene, daß der Betreffende anhand des Analyseergebnisses sein Verhalten selbst ändere - weniger unterrichtender, als vielmehr therapieähnlicher Art. Über entsprechende wissenschaftliche Kenntnisse und Fähigkeiten verfüge der Kläger aber nicht.

d) Der Kläger übe auch keinen Katalogberuf oder einen diesem ähnlichen Beruf aus. Als Ingenieur sei er - trotz seiner Ausbildung - tatsächlich nicht tätig gewesen. Die Tätigkeit der Managerberatung in ihrer Gesamtheit entspreche nicht dem Bild des Katalogberufes "Ingenieur". Der Kläger verstehe sich auch nicht als beratender Betriebswirt. Darüber hinaus decke seine Tätigkeit auch nicht die hauptsächlichen Bereiche der Betriebswirtschaftslehre ab.

e) Es liege schließlich auch keine "gemischtförmig freiberufliche" Tätigkeit vor. Der Kläger verstehe hierunter eine Mischform der selbständigen Tätigkeiten wissenschaftlicher, unterrichtender und erzieherischer Art. Er übe aber weder eine wissenschaftliche noch eine erzieherische/unterrichtende Tätigkeit aus.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung von § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Er ist insbesondere der Auffassung, bei der von ihm ausgeübten Tätigkeit handele es sich um eine erzieherische Tätigkeit.

Er befasse sich mit "Vorstandsentwicklung". Diese erzieherische Tätigkeit ermögliche es ihm, Vorstandsvorsitzende und Vorstände von Unternehmen mit Milliardenumsätzen aus besonderem Grund und in besonderer Weise zu "entwickeln". Er gebe den betreffenden Vorständen keinerlei unternehmerischen Rat, sondern beschränke sich darauf, sie in ihrer Persönlichkeit so zu entwickeln, daß sie in der Lage seien, bestehende Mängel ihres Verhaltens selbst zu erkennen und abzustellen. Das Ziel seiner Arbeit sei die Veränderung der Vorstände, nicht ein aus Analysen abgeleiteter Rat und dessen entgeltliche Weitergabe an die Vorstände. Er wirke auf ihr Werteverständnis ein. Dabei werde die gesamte Persönlichkeit weiterentwickelt. Private Aspekte seien genauso betroffen, da eine Persönlichkeit nicht teilbar sei.

Die Entscheidung des FG beruhe im wesentlichen auf dem bisher vom Bundesfinanzhof (BFH) verwendeten Erziehungsbegriff, wonach Erziehung nur bei jungen Menschen möglich sei. Die dort zugrunde gelegte 20 Jahre alte Begriffsdefinition für Erziehung sei jedoch veraltet und ungenau. In den Pädagogischen Wissenschaften würden mit Erziehung Handlungen umschrieben, durch die Menschen versuchten, die Persönlichkeit anderer Menschen, unabhängig von deren Alter, in irgendeiner Hinsicht zu fördern. In der Psychologie komme man zu dem Ergebnis, daß Erziehung als lebenslanger, nicht abschließbarer Prozeß gelte.

Die zunehmende Erwachsenenerziehung spiele im heutigen Wirtschaftsleben eine bedeutende Rolle. So rücke heute eine beziehungsorientierte Entwicklung von Mitarbeitern und Führungskräften in den Vordergrund, die weit größere soziale Fähigkeiten und ein verändertes Sozialverhalten voraussetze als früher. Um diese zu erlangen, bedürfe es der Erziehung und Weiterentwicklung der menschlichen Willensbildung, der Selbsteinschätzung, der Entscheidungsfähigkeit sowie der Fähigkeit, Folgen eines Handelns zu bedenken.

Der Kläger beantragt, zum Teil sinngemäß, das Urteil des FG und die Gewerbesteuermeßbescheide 1987 und 1988 in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Zu Recht hat das FG die Tätigkeit des Klägers als Gewerbebetrieb i. S. des § 2 Abs. 1 GewStG i. V. m. § 15 Abs. 2 EStG beurteilt. Der Kläger übte in den Streitjahren keinen freien Beruf aus. Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehören zur freiberuflichen Tätigkeit die selbständig ausgeübte wissenschaftliche, künstlerische, schriftstellerische, unterrichtende oder erzieherische Tätigkeit, sowie die selbständige Tätigkeit in einem der dort aufgezählten Berufe oder in einem diesen ähnlichen Beruf.

1. Entgegen der Auffassung des Klägers war er nicht erzieherisch tätig.

Erziehung bedeutet nach der Rechtsprechung des BFH die planmäßige Tätigkeit zur körperlichen, geistigen und sittlichen Formung junger Menschen zu tüchtigen und mündigen Menschen; dabei wird unter Mündigkeit die Fähigkeit verstanden, selbständig und verantwortlich die Aufgaben des Lebens zu bewältigen (vgl. BFH-Urteile vom 21. November 1974 II R 107/68, BFHE 115, 64, BStBl II 1975, 389, und vom 17. Mai 1990 IV R 14/87, BFHE 161, 361, BStBl II 1990, 1018).

Der Senat läßt offen, ob als erzieherische Tätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG auch eine entsprechende Schulung von Erwachsenen in Betracht kommt und ob tüchtige und mündige Menschen noch erziehbar im Sinne der Vorschrift sind. Voraussetzung jeder erzieherischen Tätigkeit ist, daß die ganze Persönlichkeit geformt wird (vgl. Schick, Die freien Berufe im Steuerrecht, 1973, 26; Brandt in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 18 EStG Rdnr. 130, und Hutter in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 18 EStG Rdnr. 108).

Diese Voraussetzung erfüllte der Kläger mit seiner "Vorstandsentwicklung" nicht. Seine Tätigkeit war darauf gerichtet, oberste Führungskräfte von Unternehmen in ihrem Verhalten - insbesondere im zwischenmenschlichen Bereich - zu verändern, damit sie ihre Führungsaufgaben besser bewältigen konnten. Auch wenn dabei den Führungskräften u. a. Selbsterkenntnis und der Willen und die Fähigkeit, danach zu handeln, vermittelt werden sollten, so war diese Tätigkeit trotz der persönlichen Elemente nach Anlaß und Zweck unternehmensbezogen und auf die besonderen Belange des jeweiligen Unternehmens zugeschnitten. Das schließt Auswirkungen auf das Verhalten der Führungskräfte im nicht unternehmerischen Bereich zwar nicht aus. Diese mittelbaren Auswirkungen reichen aber nicht aus, die Beratungstätigkeit, die auf die Lösung von Problemen in einem bestimmten Teilbereich zwischenmenschlicher Beziehungen - hier im Rahmen eines Unternehmens - gerichtet war, als erzieherisch einzustufen. Es fehlt an einer umfassenden Schulung des Charakters und der Bildung der Persönlichkeit im ganzen.

2. Die Unterweisung der Führungskräfte durch den Kläger war keine unterrichtende Tätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG.

Unterricht ist die Vermittlung von Wissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Handlungsweisen und Einstellungen durch Lehrer an Schüler in organisierter und institutionalisierter Form (vgl. BFH-Urteile vom 13. Januar 1994 IV R 79/92, BFHE 173, 331, BStBl II 1994, 362, und vom 18. April 1996 IV R 35/95, BFHE 180, 568, BStBl II 1996, 573).

Die organisierte und institutionalisierte Form des Unterrichts setzt u. a. ein auf ein bestimmtes Fachgebiet bezogenes schulmäßiges Programm zur Vermittlung von Kenntnissen an den/die Lernwilligen voraus. Dies schließt einen Individualunterricht zwar nicht aus, wie sich auch aus den Urteilen des IV. Senats zum Fitneß- und Bodybuilding-Studio ergibt (vgl. Urteile in BFHE 173, 331, BStBl II 1994, 362, und in BFHE 180, 568, BStBl II 1996, 573). In diesen Fällen wird bei der Durchführung eines nach Lehrziel und Lehrmethode feststehenden Programms - Training des Körpers unter Zuhilfenahme von Geräten - der Unterricht auf die besonderen Bedürfnisse des einzelnen abgestellt. Lassen sich jedoch Kenntnisse nicht aufgrund eines für das bestimmte Fachgebiet allgemeingültigen, im Einzelfall abwandlungsfähigen Lehrprogramms vermitteln, sondern erfordert die Tätigkeit die Erarbeitung und Entwicklung eines auf die speziellen Bedürfnisse einer Person abgestellten, nicht auf einen Fachbereich beschränkten Programms, so stellt dies keine Lehrtätigkeit in organisierter und institutionalisierter Form mehr dar. Es handelt sich hierbei um eine beratende Tätigkeit.

Eine solche beratende Tätigkeit übte der Kläger aus. Er vermittelte seinen Klienten die Kenntnisse nicht aufgrund eines bestimmten, für den Einzelfall abgewandelten Lehrprogramms. Er setzte vielmehr - nach seinem eigenen Vortrag vor dem FG bei den wenigen Klienten, die er im Streitjahr betreute - ein "Know-how-Mix" aus Mathematik, Betriebs- und Volkswirtschaftslehre und Finanzfragen, Führungs- und Betriebspsychologie sowie Soziologie ein. Die Kenntnisse, die er seinen Klienten vermittelte, wurden von ihm speziell aufgrund deren Persönlichkeit und deren Stellung im jeweiligen Unternehmen erarbeitet.

3. In revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise hat das FG auch die Voraussetzungen einer wissenschaftlichen Tätigkeit des Klägers in den Streitjahren verneint.

Voraussetzung für die Annahme einer wissenschaftlichen Tätigkeit ist, daß eine hochstehende, besonders qualifizierte Arbeit ausgeübt wird, die dazu geeignet ist, schwierige Streit- oder Grenzfälle nach streng objektiven und sachlichen Gesichtspunkten zu lösen. Der Begriff der Wissenschaft ist dabei in besonderem Maße mit den Disziplinen verbunden, die an den Hochschulen gelehrt werden (BFH-Urteil vom 26. November 1992 IV R 64/91, BFH/NV 1993, 360). Eine wissenschaftliche Tätigkeit setzt zwar kein Hochschulstudium, wohl aber wissenschaftliche Kenntnisse im Sinne dieser Betrachtungsweise voraus (BFH-Urteil vom 24. Februar 1965 I 349/61 U, BFHE 82, 46, BStBl III 1965, 263). Nach den den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) hatte der Kläger bis zum Ende des Streitjahres 1988 keine solchen wissenschaftlichen Kenntnisse auf dem Gebiet der Psychologie, Soziologie oder Pädagogik.

4. Der Kläger übte in den Streitjahren keinen Katalogberuf oder einen einem solchen ähnlichen Beruf aus.

a) Für die dem Arztberuf ähnliche Tätigkeit eines Psychotherapeuten oder Psychologen fehlt dem Kläger die erforderliche Vor- und Ausbildung. Der ähnliche Beruf muß mit dem sog. Katalogberuf in wesentlichen Punkten, also auch in der Ausbildung, vergleichbar sein. Ein Psychologe oder Psychotherapeut ist nur dann freiberuflich tätig, wenn er eine einem Arzt vergleichbare wissenschaftliche Ausbildung hat (vgl. Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, 15. Aufl., § 18 Anm. 155, Stichwort Psychologe, Psychotherapeut). Dies ist beim Kläger nicht der Fall.

b) Da der Kläger sich nicht als Unternehmensberater betätigte, kommt die Ausübung eines dem beratenden Volks- oder Betriebswirt ähnlichen Berufs nicht in Betracht.

5. Eine "gemischtförmig freiberufliche" Tätigkeit des Klägers kann - wie das FG zutreffend ausgeführt hat - schon deshalb nicht angenommen werden, weil er weder wissenschaftlich noch erzieherisch noch unterrichtend tätig war. Daß einzelne Elemente der sog. Katalogberufe erfüllt sind, genügt nicht, um eine Tätigkeit als freiberuflich zu beurteilen (vgl. BFH-Urteil vom 26. November 1992 IV R 109/90, BFHE 170, 88, BStBl II 1993, 325).