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  BFH-Urteil vom 24.3.1998 (I R 49/96) BStBl. 1998 II S. 649

1. Dividenden, die eine in den USA gegründete Tochtergesellschaft mit Geschäftsleitung im Inland (= doppelt ansässige Tochtergesellschaft) an ihre amerikanische Muttergesellschaft ausschüttet, waren in den Jahren 1987 und 1989 nach Art. XIV Abs. 2 DBA-USA 1954/65 von der deutschen Kapitalertragsteuer befreit.

2. Eine amerikanische Körperschaft i. S. des Art. II Abs. 1 Buchst. e DBA-USA 1954/65 kann zugleich deutsche Gesellschaft i. S. des Art. II Abs. 1 Buchst. f DBA-USA 1954/65 sein, wenn sie nach USt-Recht gegründet wurde und ihre Geschäftsleitung ins Inland verlegt.

DBA-USA 1954/65 Art. II Abs. 1 Buchst. e und f, Art. VI Abs. 2, Art. XIV Abs. 2; EStG § 20 Abs. 1 Nr. 1, § 43 Abs. 1 Nr. 1, § 49 Abs. 1 Nr. 5.

Vorinstanz: FG Köln (EFG 1996, 1228)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine nach dem Recht des US-Bundesstaates X errichtete Kapitalgesellschaft, die ihren Sitz und ihre Geschäftsleitung in den USA hat und hatte. Sie ist zu 100 v. H. beteiligt an der D-Inc., einer ebenfalls nach dem Recht des US-Bundesstaates X errichteten Kapitalgesellschaft, die ihren Sitz in den USA, jedoch den Ort ihrer Geschäftsleitung in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) hat. Im Handelsregister des Amtsgerichts St ist zugunsten der D-Inc. eine Zweigniederlassung eingetragen.

Am 17. Dezember 1987 schüttete die D-Inc. einen Betrag von umgerechnet 94.975 DM an die Klägerin aus. Bei der Ausschüttung handelt es sich um eine sog. Vorabausschüttung für das Geschäftsjahr 1987/88 der D-Inc. Am 2. März 1989 schüttete die D-Inc. für das Rumpfwirtschaftsjahr 1988 48.700 US-Dollar aus. Zugleich schüttete sie für das Geschäftsjahr 1989 vorab 26.299 US-Dollar aus. Beide Beträge machen zusammengenommen umgerechnet 137.062 DM aus. Die D-Inc. führte für die Ausschüttungen Kapitalertragsteuer in Höhe von insgesamt 57.509 DM (25 v. H. von 230.037 DM) ab.

Am 20. Dezember 1989 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Bundesamt für Finanzen - BfF -) die Erstattung eines Teilbetrages der Kapitalertragsteuer in Höhe von 23.003,70 DM (10/25 der abgeführten Kapitalertragsteuer) gemäß Art. VI Abs. 2 des Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) USA 1954/65. Das BfF gab diesem Antrag durch Bescheid vom 11. Dezember 1989 statt. Hiergegen erhob die Klägerin Einspruch. Sie begehrte nunmehr, die gesamte einbehaltene und abgeführte Kapitalertragsteuer gemäß Art. XIV Abs. 2 DBA-USA 1954/65 zu erstatten. Dies lehnte das BfF durch Einspruchsentscheidung vom 20. Juni 1990 ab. Die Klage blieb ohne Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1996, 1228, veröffentlicht.

Mit ihrer vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts.

Sie beantragt, das Urteil des FG Köln vom 9. Mai 1996 6 K 3079/90 aufzuheben, den Bescheid des BfF vom 11. Dezember 1989 zu ändern und die zu erstattende Kapitalertragsteuer auf 57.509 DM festzusetzen.

Das BfF beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Das Bundesministerium der Finanzen ist dem Verfahren beigetreten. Es hat Stellung genommen, jedoch keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Änderung des angefochtenen Erstattungsbescheides entsprechend dem Klageantrag (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Nach Art. XIV Abs. 2 DBA-USA 1954/65 sind Dividenden, die eine amerikanische Körperschaft zahlt, in der Bundesrepublik steuerbefreit, wenn der Empfänger in der Bundesrepublik keinen Wohnsitz hat oder keine deutsche Gesellschaft ist. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall eindeutig erfüllt.

a) Empfänger der Dividenden war die Klägerin. Sie war zu den Zeitpunkten der Fassung der maßgeblichen Gewinnverteilungsbeschlüsse Alleingesellschafterin der D-Inc. Die Dividenden wurden an sie ausbezahlt. Die Klägerin war keine deutsche Gesellschaft i. S. des DBA-USA 1954/65. Nach Art. II Abs. 1 Buchst. f DBA-USA 1954/65 ist dieses Erfordernis nur dann erfüllt, wenn ein Rechtsträger, der nach den Gesetzen der Bundesrepublik steuerlich als oder wie eine juristische Person zu behandeln ist, seine Geschäftsleitung oder seinen Sitz in der Bundesrepublik hat. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Die Klägerin hatte zu den genannten Zeitpunkten weder ihren Sitz noch ihre Geschäftsleitung in der Bundesrepublik.

Dies ergibt sich aus den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der erkennende Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist.

b) Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der erkennende Senat auch insoweit gebunden ist, wurden die Dividenden im Streitfall von der D-Inc. bezahlt. Die D-Inc. war eine amerikanische Körperschaft i. S. des Art. XIV Abs. 2 DBA-USA 1954/65. Dies folgt aus Art. II Abs. 1 Buchst. e DBA-USA 1954/65. Danach ist eine Körperschaft dann eine "amerikanische", wenn sie nach dem Recht der Vereinigten Staaten, ihren Staaten oder Territorien errichtet oder organisiert wurde. Diese Voraussetzungen sind schon deshalb erfüllt, weil die D-Inc. nach dem Recht des US-Bundesstaates Delaware errichtet wurde.

c) Die Zahlungen, die die Klägerin von der D-Inc. bezog, stellen nach deutschem innerstaatlichen Recht Kapitalerträge i. S. des § 43 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und abkommensrechtlich Dividenden i. S. des Art. VI Abs. 8 DBA-USA 1954/65 dar. Dies gilt unbeschadet der Rechtsauffassung des IX. Senats des Bundesfinanzhofs im Urteil vom 23. Juni 1992 IX R 182/87 (BFHE 168, 285, BStBl II 1992, 972). Die Entscheidung des IX. Senats gilt jedenfalls nicht für den Bereich des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Die dortige Erwähnung der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften macht deutlich, daß der Ausdruck "Kapitalgesellschaft", wie er unmittelbar in § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) und sinngemäß in § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG verwendet wird, nicht deckungsgleich ist (vgl. auch § 23 Abs. 1 Nr. 1 KStG). Aus der Sicht des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG kann es für die Annahme von Dividenden keinen Unterschied machen, ob der sie ausschüttende ausländische Rechtsträger rechtsfähig ist oder nicht. Entscheidend ist allein, ob der Rechtsträger seiner Struktur nach Ausschüttungen vornehmen kann oder nicht, ob also die Beteiligung an dem Rechtsträger Einkünfte aus Kapitalvermögen auszulösen vermag. Eine nach dem Recht des US-Bundesstaates X errichtete Inc. entspricht aber ihrer Struktur nach der deutschen AG. Ihre Ausschüttungen sind deshalb auch dann Kapitalerträge i. S. des § 43 Abs. 1 Nr. 1 EStG und damit Dividenden i. S. des Art. VI Abs. 8 DBA-USA 1954/65, wenn sie nach deutschem Gesellschaftsrecht nicht rechtsfähig sein sollte.

2. Entgegen der Auffassung des FG besteht kein Grund, Art. XIV Abs. 2 DBA-USA 1954/65 abweichend von seinem klaren Wortlaut einschränkend auszulegen. Art. XIV Abs. 2 DBA-USA 1954/65 ist seinem Inhalt nach lex specialis gegenüber Art. VI Abs. 2 DBA-USA 1954/65. Dies ergibt sich schon aus der Tatsache, daß Art. XIV Abs. 2 DBA-USA 1954/65 einen seltenen Ausnahmefall regelt. Die Ausnahmeregelung begründet den lex-specialis-Charakter der Vorschrift, weshalb Art. VI Abs. 2 DBA-USA 1954/65 hinter der Vorschrift zurücktritt. Die Regelung in Art. XIV Abs. 2 DBA-USA 1954/65 macht auch den Art. VI Abs. 2 DBA-USA 1954/65 nicht überflüssig. Die Vorschrift bleibt in allen Normalfällen anwendbar, in denen die Voraussetzungen des Art. XIV Abs. 2 DBA- USA 1954/65 nicht erfüllt sind. Art. XIV Abs. 2 DBA-USA 1954/65 betrifft nach den Ausführungen zu II. 1. u. a. den Fall, daß eine Gesellschaft, die keine "deutsche" i. S. des Art. II Abs. 1 Buchst. f DBA-USA 1954/65 ist, Ausschüttungen an eine amerikanische Körperschaft vornimmt. Für diesen Fall "droht" einerseits eine Quellenbesteuerung in der Bundesrepublik und andererseits die Besteuerung des Gewinns der ausschüttenden Gesellschaft (D-Inc.) in den USA, ohne daß die USA die in der Bundesrepublik erhobene Quellensteuer anrechnen. Es ist der Sinn des Art. XIV Abs. 2 DBA-USA 1954/65, diese Doppelbesteuerung dadurch zu vermeiden, daß die Bundesrepublik auf die Erhebung ihrer Quellensteuer verzichtet. Ist deshalb eine Körperschaft gleichzeitig mit Rücksicht auf ihre inländische Geschäftsleitung "deutsche Gesellschaft" i. S. des Art. II Abs. 1 Buchst. f DBA-USA 1954/65 als auch mit Rücksicht auf ihr Gründungsstatut "amerikanische Körperschaft" i. S. des Art. II Abs. 1 Buchst. e DBA-USA 1954/65 und schüttet sie eine Dividende an ihre amerikanische Muttergesellschaft aus, so darf die Bundesrepublik die Dividenden keiner Quellenbesteuerung gemäß Art. VI Abs. 2 DBA-USA 1954/65 mit der Folge unterwerfen, daß ein etwa nach dem innerstaatlichen US-Steuerrecht bestehendes Besteuerungsrecht ohne Einschränkung eingreifen kann.

3. Art. XIV Abs. 2 DBA-USA 1954/65 kann nicht mit Rücksicht auf Art. XIV Abs. 1 DBA-USA 1954/65 einschränkend ausgelegt werden. Beide Vorschriften stehen selbständig nebeneinander und regeln unterschiedliche Sachverhalte. Es muß davon ausgegangen werden, daß die unterschiedlichen Fassungen den Absichten der Vertragsstaaten entsprachen. Inwieweit Art. XIV Abs. 2 DBA-USA 1954/65 mit Art. 10 Abs. 5 des OECD-Musterabkommens aus 1963 (OECD-MustAbk 1963) vergleichbar ist, ist für die zu treffende Entscheidung letztlich ohne Bedeutung. Art. XIV Abs. 2 DBA-USA 1954/65 war schon mit dem gleichen Wortlaut Gegenstand des am 22. Juli 1954 abgeschlossenen DBA-USA 1954. Damals existierte jedoch Art. 10 Abs. 5 OECD-MustAbk 1963 noch nicht. Auch ist der in Art. 10 Abs. 5 OECD-MustAbk 1963 verwendete Ausdruck "ansässige Gesellschaft" ein wesentlich anderer als der der "deutschen Gesellschaft", wie er in Art. XIV Abs. 2 DBA-USA 1954/65 verwendet ist. Ferner ist die vom FG vorgenommene Unterscheidung zwischen einer ausschüttenden amerikanischen Körperschaft, die nur ihre aus der Bundesrepublik stammenden Gewinne ausschüttet, und einer solchen, deren Geschäftsleitung sich zusätzlich in der Bundesrepublik befindet, mit dem Wortlaut des Art. XIV Abs. 2 DBA-USA 1954/65 und der Definition des Ausdrucks "deutsche Gesellschaft" in Art. II Abs. 1 Buchst. f DBA-USA 1954/65 unvereinbar. Art. XIV Abs. 2 DBA-USA 1954/65 erfaßt alle Fälle, in denen eine Doppelbesteuerung in beiden Vertragsstaaten droht. Dies entspricht dem Sinn der Vorschrift. Ebenso schließt die Feststellung des FG, die Verhandlungsdelegationen seien schon im Jahre 1954 beim Abschluß des DBA-USA davon ausgegangen, daß die Vorschrift des Art. XIV Abs. 2 DBA-USA 1954 keine aktuelle Bedeutung habe, deren Anwendung auf das Streitjahr 1990 nicht aus. Das Urteil des Senats vom 20. Januar 1993 I R 54/92 (BFHE 170, 525, BStBl II 1993, 483) ist für den Streitfall schon deshalb nicht einschlägig, weil es keine Quellenbesteuerung von Dividenden betrifft. Der Senat hält im übrigen nicht an der damals vertretenen Auffassung fest, daß Art. XIV Abs. 2 DBA-USA 1954/65 "nur" die die Dividenden bzw. Zinsen zahlende Gesellschaft schütze (vgl. Vogel, Doppelbesteuerungsabkommen, 3. Aufl., Art. 10 Rdnr. 275). Der klare Abkommenswortlaut geht weiter. Er macht auch Sinn, weil mangels Steueranrechnung in den USA nur auf diese Weise eine Doppelbesteuerung vermieden wird. Deshalb kann auch der Hinweis des BfF auf die angeblich fiskalisch untragbaren Folgen der vom Senat vertretenen Auffassung kein anderes Ergebnis rechtfertigen. Die Bundesrepublik ist ein Rechtsstaat. Sie muß sich an das von ihr selbst gesetzte Recht halten lassen. Dieses ist nicht schon wegen seiner fiskalischen Auswirkungen im Einzelfall unverbindlich.

4. Die Vorentscheidung entspricht nicht den hier wiedergegebenen Rechtsgrundsätzen. Sie kann deshalb keinen Bestand haben und war aufzuheben. Die Sache ist entscheidungsreif. Die von der Klägerin erzielten Dividenden sind in der Bundesrepublik steuerbefreit. Deshalb war der angefochtene Erstattungsbescheid vom 11. Dezember 1989 zu ändern. Der Erstattungsbetrag war auf 57.509 DM festzusetzen.