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  BFH-Urteil vom 25.2.1997 (VII R 15/96) BStBl. 1998 II S. 2

Der Begriff "Steuer" in § 240 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 erfaßt nicht Geldbeträge, die in einem Haftungsbescheid gegen den Haftungsschuldner festgesetzt sind. Demgemäß entstehen bei Nichtentrichtung des Haftungsbetrags bei Fälligkeit keine Säumniszuschläge.

AO 1977 § 240 Abs. 1 Satz 1.

Vorinstanz: FG München (EFG 1995, 462)

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war als Geschäftsführer einer GmbH mit auf die §§ 69 und 71 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Haftungsbescheid wegen der von der GmbH geschuldeten Umsatzsteuer 1982 in Anspruch genommen worden. Da der Kläger die laut Zahlungsaufforderung spätestens bis zum 7. Oktober 1986 an die Finanzkasse zu entrichtende Haftungsschuld erst zwischen Juli 1987 und Juli 1990 bezahlt hat, sind nach Auffassung des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt - FA -) Säumniszuschläge angefallen. Mit Abrechnungsbescheid vom 3. November 1993 hat das FA festgestellt, daß der Kläger wegen verspäteter Entrichtung der Haftungsschuld zur Umsatzsteuer 1982 Säumniszuschläge in Höhe von ... DM verwirkt hat. Gegen diese Entscheidung hat der Kläger mit Zustimmung des FA Sprungklage beim Finanzgericht (FG) eingelegt (§ 45 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Das FG hielt die Klage für begründet und hob den Abrechnungsbescheid auf. Zur Begründung führte es aus, daß es für die Erhebung von Säumniszuschlägen wegen verspäteter Entrichtung einer Haftungsschuld keine Rechtsgrundlage gebe. Die Vorschrift des § 240 AO 1977 betreffe lediglich die säumige Entrichtung von Steuern. Dies ergebe sich durch eine Auslegung der Vorschrift nach ihrem Wortlaut, nach ihrer systematischen Stellung innerhalb des Gesetzes und nach ihrem Sinn und Zweck unter Berücksichtigung des Schadensersatzcharakters der Haftung für Steuerschulden. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Urteilsabdruck in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1995, 462 verwiesen.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 240 Abs. 1 Satz 1 AO 1977. Es bringt im wesentlichen vor: Auch der Haftungsschuldner schulde letztlich eine Steuer, nämlich die Steuer, die der Steuerschuldner schuldig geblieben sei. Das bloße Abstellen auf den Wortlaut des § 240 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 führe nicht zu einem eindeutigen Ergebnis, da der Gesetzgeber den Begriff "Steuer" in der AO 1977 nicht einheitlich verwende. So habe der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, daß die gemäß § 191 Abs. 1 AO 1977 durch Haftungsbescheid geltendzumachende Haftung nicht nur für Steuern i. S. des § 3 Abs. 1 AO 1977, sondern zur Vermeidung einer Gesetzeslücke über den Wortlaut der Vorschrift hinaus auch für steuerliche Nebenleistungen i. S. des § 3 Abs. 3 AO 1977 gelte (BFH-Urteil vom 24. Februar 1987 VII R 4/84, BFHE 149, 125, BStBl II 1987, 363). Ebenso habe der BFH zu § 220 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 in der bis zum Gesetz zur Bekämpfung des Mißbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (StMBG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I, 2310, 2344) geltenden Fassung die Auffassung vertreten, daß diese Vorschrift auch für die Bestimmung der Fälligkeit einer Haftungsforderung gelte, obwohl darin Haftungsansprüche nicht ausdrücklich genannt gewesen seien (Urteil vom 14. März 1989 VII R 152/85, BFHE 156, 73, BStBl II 1990, 363).

Auch die systematische Auslegung in § 240 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 stütze die Auffassung von einem weiten Inhalt des Begriffs "Steuer". Bei enger Auslegung des Begriffs "i. S. des § 3 Abs. 1 AO 1977) wäre nämlich nicht verständlich, weshalb der Gesetzgeber in § 240 Abs. 2 AO 1977 ausdrücklich angeordnet habe, daß Säumniszuschläge nicht bei steuerlichen Nebenleistungen entständen. § 240 Abs. 2 AO 1977 mache nur dann Sinn, wenn man ihn als Regelung dahingehend verstehe, in welchen Fällen § 240 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 keine Anwendung finden solle, nämlich nur bei steuerlichen Nebenleistungen, nicht aber bei Haftungsschulden.

Sinn und Zweck der Erhebung von Säumniszuschlägen erforderten im Gegensatz zur Auffassung des FG gerade, daß der Haftungsschuldner nicht bessergestellt sein dürfe als der Steuerschuldner. Die Säumniszuschläge seien nicht nur ein Druckmittel zur Durchsetzung fälliger Steuerforderungen, sondern auch eine Art Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung und ein Ausgleich für den angefallenen Verwaltungsaufwand, ein Ordnungsmittel also, das den reibungslosen Ablauf des Verwaltungsverfahrens, auch bei einer Haftungsschuld, garantieren solle.

Gegenüber den Zwangsmitteln, die der Verwaltung zur Vollstreckung von Haftungsbescheiden zur Verfügung ständen, seien Säumniszuschläge sogar das mildere Mittel. Des weiteren könne der Haftungsschuldner, der auf eine Haftungsforderung bei Fälligkeit nicht reagiere, nicht bessergestellt sein als der Haftungsschuldner, der sich um eine Stundung der Haftungsforderung bemüht habe und dann Stundungszinsen zahlen müsse (§ 234 Abs. 1 Satz 1 AO 1977).

Schließlich habe das FG seiner Auslegung des § 240 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 völlig die Entstehungsgeschichte der Norm außer Betracht gelassen. Unter der Geltung der Reichsabgabenordnung (AO) seien nämlich Säumniszuschläge auf Haftungsschulden angefallen, da nach § 97 Abs. 2 AO die für den Steuerschuldner geltende, dem heutigen § 240 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 insoweit wortgleiche Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 1 des Steuersäumnisgesetzes (StSäumG) vom 13. Juli 1961 (BGBl I, 981) auch auf Haftungsschuldner zur Anwendung gekommen sei. Aus der Gesetzesbegründung zu § 240 AO 1977 ergebe sich, daß hinsichtlich der Säumniszuschläge keine Rechtsänderung beabsichtigt gewesen sei.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist nicht begründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat zu Recht erkannt, daß der angefochtene Abrechnungsbescheid rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO), weil der darin getroffene Ausspruch, der Kläger habe als Haftungsschuldner Säumniszuschläge verwirkt, rechtsfehlerhaft ist. Aus § 240 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 kann nicht entnommen werden, daß Säumniszuschläge zu entrichten sind, wenn ein durch Haftungsbescheid festgesetzter Haftungsbetrag nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet wird.

1. Gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 sind Säumniszuschläge zu entrichten, wenn bis zum Ablauf des Fälligkeitstages eine Steuer nicht entrichtet wird. Die Entscheidung über die vorliegende Revision des FA hängt also davon ab, ob ein Haftungsbetrag, der in einem Umsatzsteuerhaftungsbescheid festgesetzt ist, eine Steuer i. S. dieser Vorschrift ist oder als solche angesehen werden kann. Der BFH hat diese Frage bisher noch nicht entschieden.

In der Rechtsprechung der FG wird teilweise - entgegen der Auffassung der Vorinstanz - die Ansicht vertreten, Säumniszuschläge würden nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 auch dann verwirkt, wenn der durch Haftungsbescheid in Anspruch Genommene die "Steuer" bei Fälligkeit nicht entrichte, da es insoweit nicht darauf ankomme, ob Steuern vom Steuerschuldner oder vom Haftenden zu zahlen seien (FG Hamburg, Urteil vom 1. Februar 1983 IV 74/81 H, EFG 1983, 437; FG Baden-Württemberg, Beschluß vom 12. Juni 1986 XII V 15/85, EFG 1986, 542). Dies ist auch die Auffassung der AO-Referatsleiter der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder (vgl. z. B. die Verfügung der Oberfinanzdirektion Düsseldorf vom 25. Oktober 1994 S 0480 A - St 312, Der Betrieb - DB - 1994, 2373).

Im Schrifttum sind die Meinungen kontrovers. Der Rechtsprechung der genannten FG folgen, ohne nähere Auseinandersetzung: Klein/Orlopp (Abgabenordnung, 5. Aufl. 1995, § 240 Anm. 2), Schwarz (Kommentar zur Abgabenordnung, § 240 Rz. 3), Höllig in Koch/Scholtz (Abgabenordnung, 5. Aufl. 1996, § 240 Rz. 5) und Sauer in Beermann (Steuerliches Verfahrensrecht, § 240 AO 1977 Rz. 17). Mehrheitlich wird aber, vor allem im Spezialschrifttum, die Auffassung vertreten, daß aus Haftungsbescheiden geschuldete Beträge keine Steuern sind und folglich bei Nichtentrichtung des Haftungsbetrags am Fälligkeitstag keine Säumniszuschläge entstehen (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 240 AO 1977 Rz. 6; Kühn/Hofmann, Abgabenordnung, 17. Aufl. 1995, § 240 Anm. 2; Diebold, Zinsen und Säumniszuschläge bei Haftungsschulden, Betriebs-Berater - BB - 1992, 470; Harder, Entstehen Säumniszuschläge auch bei nicht rechtzeitiger Entrichtung einer Haftungsschuld?, DB 1993, 1644; Koepsell, Säumniszuschläge bei nicht rechtzeitig entrichteter Haftungsschuld, Die Information über Steuer und Wirtschaft 1996, 677; s. auch Rothenberger in einer Urteilsanmerkung zur Entscheidung der Vorinstanz, Deutsches Steuerrecht 1995, 675).

2. Der Senat entscheidet die Frage - wie die Vorinstanz und die mehrheitliche Auffassung im Schrifttum - dahingehend, daß der Begriff "Steuer" in § 240 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 Geldbeträge, die in einem Haftungsbescheid gegen einen Haftungsschuldner festgesetzt sind, nicht erfaßt. Demgemäß entstehen bei Nichtentrichtung des Haftungsbetrags bei Fälligkeit keine Säumniszuschläge.

a) § 240 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 knüpft die Entstehung von Säumniszuschlägen an die Nichtentrichtung einer Steuer bei Fälligkeit. Steuern sind nach der Begriffsdefinition in § 3 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen, was auch Nebenzweck sein kann, allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Steuern werden, sofern sie nicht als Abzugsteuern ausgestaltet sind oder durch Steueranmeldung realisiert werden, dem Steuerschuldner gegenüber durch Steuerbescheid festgesetzt (§ 155 Abs. 1 Satz 1 AO 1977), nicht aber durch Haftungsbescheid. Mit einem Haftungsbescheid wird, wie der Senat bereits zu § 236 Abs. 1 AO 1977 ausgeführt hat (Urteil vom 25. Juli 1989 VII R 39/86, BFHE 157, 322, BStBl II 1989, 821), keine Steuer festgesetzt, sondern die Haftung für eine Steuer geltend gemacht. Im allgemeinen geht die Steuerfestsetzung gegenüber dem Steuerschuldner dem Erlaß eines Haftungsbescheids voraus. Aber selbst dann, wenn ein Haftungsbescheid ergeht, ohne daß die Steuer bereits in einem Steuerbescheid festgesetzt worden ist, wird dadurch die Steuer nicht im Haftungsbescheid festgesetzt. Der Haftungsbescheid richtet sich nicht gegen den Steuerschuldner, sondern gegen einen Dritten, der für die Steuer des Steuerschuldners haftet, nämlich den Haftungsschuldner (vgl. § 191 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Daraus folgt für den Streitfall, daß der durch Umsatzsteuerhaftungsbescheid in Anspruch genommene Kläger durch die Nichtentrichtung des angeforderten Geldbetrages bis zum Ablauf des Fälligkeitstages nicht mit der Zahlung einer Steuer (die Umsatzsteuer der durch ihn als Geschäftsführer vertretenen GmbH) säumig geblieben ist, sondern mit der Begleichung einer eigenen, durch Verwirklichung eines gesetzlichen Haftungstatbestandes und gesondert neben der Steuer entstandenen Haftungsschuld. Eine unmittelbare Anwendung des § 240 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 kommt also nicht in Betracht.

b) Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber den Begriff "Steuer" in § 240 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 erweiternd in dem Sinne verstanden haben wissen wollte, daß darunter auch die Haftung, das Einstehenmüssen für fremde Steuern, erfaßt werden sollte. Dem Argument, der Haftungsschuldner schulde im Ergebnis die Leistung von Steuern, worauf das FA im Anschluß an finanzgerichtliche Präjudizien und Stimmen im Schrifttum die erweiternde Auslegung stützen möchte, folgt der Senat nicht.

aa) Die AO 1977 unterscheidet deutlich zwischen Steuer- und Haftungsschuld bzw. zwischen Steuer- und Haftungsanspruch. In § 37 Abs. 1 AO 1977 ist der Haftungsanspruch neben dem Steueranspruch und anderen Ansprüchen als eigenständiger Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis aufgeführt. In § 37 Abs. 2 AO 1977 wird hinsichtlich des Erstattungsanspruchs die rechtsgrundlose Zahlung einer Steuer ausdrücklich von der rechtsgrundlosen Zahlung eines Haftungsbetrags unterschieden. Überhaupt ist die Haftungsinanspruchnahme in der AO 1977 eigenständig geregelt (vgl. § 191 AO 1977), so daß die für die Steuerfestsetzung geltenden Vorschriften im Haftungsverfahren nicht - auch nicht sinngemäß - anwendbar sind (BFHE 157, 322, BStBl II 1989, 821).

Insofern hat sich die Systematik der AO 1977 gegenüber der früheren AO grundlegend geändert. Dies kommt auch dadurch zum Ausdruck, daß der Gesetzgeber eine dem früheren § 97 Abs. 2 AO vergleichbare Regelung, wonach die für den Steuerpflichtigen geltenden Vorschriften sinngemäß für den Haftungsschuldner galten, nicht in die AO 1977 übernommen, sondern hier Schuld und Haftung eigenständig und voneinander getrennt geregelt hat. Daher bedarf es unter der AO 1977 stets einer durch Auslegung der jeweiligen Vorschrift zu treffenden Entscheidung, ob neben der Steuer, dem Steuerbetrag oder der Steuerschuld auch die Haftung, der Haftungsbetrag oder die Haftungsschuld Gegenstand der Vorschrift ist.

bb) Aufgrund der Änderung der Systematik verbietet sich für die Auslegung der einschlägigen Vorschriften der AO 1977 ein Rückgriff auf die früher geltende Rechtslage. So darf es für die Auslegung des § 240 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 keine Rolle spielen, daß bis zum Inkrafttreten dieser Vorschrift aufgrund der nahezu wortgleichen Vorschrift des § 1 Abs. 1 Satz 1 StSäumG i. V. m. § 97 Abs. 2 AO Säumniszuschläge auch für Haftungsbeträge zu erheben waren. Ferner ist deswegen eine historische Auslegung der Vorschrift nur noch bedingt möglich. Wenn es in der Gesetzesbegründung zu dieser Vorschrift, die ursprünglich als § 223 in die AO 1977 eingehen sollte, am Anfang heißt, daß die Vorschrift die Säumniszuschläge im wesentlichen entsprechend der Regelung des § 1 StSäumG regelt (BTDrucks VI/1982 S. 173), so kann daraus nicht, wie das FA meint, geschlossen werden, daß hinsichtlich der Säumniszuschläge für Haftungsbeträge keine Rechtsänderung beabsichtigt gewesen und eingetreten sei. Diese Folgerung wäre gerade wegen der Nichtübernahme des § 97 Abs. 2 AO in die AO 1977 nur schlüssig, wenn in der Gesetzesbegründung besonders zum Ausdruck gekommen wäre, daß es auch weiterhin bei der Erhebung von Säumniszuschlägen auf Haftungsbeträge bleiben solle. Davon ist jedoch weder in der besonderen Begründung zur Vorschrift noch bei der allgemeinen Begründung des Regierungsentwurfs zur Übernahme von Vorschriften der AO (S. 93) und zur Neuregelung des Zinsrechts (S. 96) die Rede. Auch der vom FA erwähnte Abschlußbericht des Arbeitskreises für die Reform der Reichsabgabenordnung sagt hierzu nur: "Die Säumniszuschläge werden beibehalten" (vgl. Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., Einf. AO 1977 Rz. 58). Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift gibt daher für deren Auslegung in dem einen oder anderen Sinne nichts her.

cc) Auch die systematische Auslegung der Vorschrift vermag die vom FA vertretene Auffassung nicht zu stützen. Insbesondere läßt Absatz 2 der Vorschrift, wonach Säumniszuschläge nicht bei steuerlichen Nebenleistungen entstehen, keine zuverlässigen Rückschlüsse auf die Auslegung des Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift zu. § 240 Abs. 2 AO 1977, der aus § 1 Abs. 2 StSäumG übernommen worden ist, ist an sich nach der neuen Systematik nicht erforderlich, da sich die darin angeordnete Rechtsfolge ohne weiteres aus dem in § 3 Abs. 1 AO 1977 festgelegten Bedeutungsinhalt des Begriffs "Steuer" in § 240 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ergäbe. Indessen stehen die steuerlichen Nebenleistungen (i. S. des § 3 Abs. 3 AO 1977) den Steuern doch so nahe, daß eine klarstellende Vorschrift verständlich erscheint. Aus dem Schweigen des Gesetzes hinsichtlich der Nichtentstehung von Säumniszuschlägen bei Haftungsbeträgen kann auch nicht geschlossen werden, daß die steuerlichen Nebenleistungen in § 240 Abs. 2 AO 1977 als einzige Kategorie von Steuern in einem dann weiter aufzufassenden Sinne des Steuerbegriffs in § 240 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 von der Verwirkung von Säumniszuschlägen verschont bleiben sollten. Für ein solches Verständnis des § 240 Abs. 2 AO 1977 als Ausnahmevorschrift zu § 240 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 fehlt jeglicher Anhaltspunkt, insbesondere eine im Wortlaut zum Ausdruck kommende Verknüpfung beider Vorschriften, wie es noch in § 1 Abs. 2 StSäumG der Fall war ("Absatz 1 findet keine Anwendung ..."). Im übrigen ließe sich aus dem Schweigen ebensogut ableiten, daß die Frage der Entstehung von Säumniszuschlägen bei Haftungsbeträgen von vornherein nicht problematisiert und daher nicht geregelt zu werden brauchte, weil Steuer und Haftung grundsätzlich wesensverschieden sind.

Schließlich besagt auch die Regelung in Absatz 4 der Vorschrift, wonach in den Fällen der Gesamtschuld Säumniszuschläge gegenüber jedem Gesamtschuldner entstehen, deren Betrag insgesamt jedoch nicht höher sein darf, als wenn die Säumnis nur bei einem der Gesamtschuldner eingetreten wäre, nichts über die Frage der Entstehung von Säumniszuschlägen bei Haftungsbeträgen. Selbst wenn man diese Vorschrift in der Zusammenschau mit § 44 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 sieht, wonach Steuerschuldner und Haftungsschuldner Gesamtschuldner sein können, ergibt sich nichts anderes. Denn abgesehen davon, daß die Gesamtschuld zwischen Steuer- und Haftungsschuldner nicht die einzige Konstellation der Gesamtschuld darstellt, regelt § 240 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 lediglich die Rechtsfolge, wenn eine Gesamtschuld auch hinsichtlich der Säumniszuschläge vorliegt, nicht aber die Frage, wann eine solche Gesamtschuld gegeben ist (vgl. Diebold, BB 1992, 470, 477).

Für die systematische Auslegung der Vorschrift erscheint es demgegenüber bedeutsam, daß sie im Zweiten Abschnitt ("Verzinsung, Säumniszuschläge") des Fünften Teils der AO 1977 ("Erhebungsverfahren") zusammen mit den Zinsvorschriften geregelt ist. Für diese gilt nach der ausdrücklichen Regelung in § 233 Satz 1 AO 1977 aber eine kasuistische Betrachtungsweise, d. h. Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO 1977), worunter auch der Haftungsanspruch fällt, werden nur verzinst, wenn dies im Gesetz so vorgeschrieben ist. Dementsprechend ist bei jeder Zinserhebung zu prüfen, ob die konkrete Zinsart für den jeweils geltend gemachten Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis überhaupt als Sanktion zur Abschöpfung eines erlangten Zinsvorteils in Betracht kommt. Während z. B. Stundungszinsen nach der eindeutigen gesetzlichen Regelung des § 234 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 auch bei gewährter Stundung eines Haftungsanspruchs anfallen, scheidet, wie der Senat zu § 236 Abs. 1 AO 1977 entschieden hat (BFHE 157, 322, BStBl II 1989, 821), die Zuerkennung von Prozeßzinsen auf zu erstattende Haftungsbeträge aus, wenn durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung ein Haftungsbescheid aufgehoben oder im Betrag herabgesetzt worden ist.

Zwar gilt § 233 Satz 1 AO 1977 nicht ausdrücklich auch für Säumniszuschläge. Diese sind jedoch, da sie neben ihrer Funktion als Druckmittel eigener Art, das den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll, jedenfalls auch die Funktion wie Zinsen haben, nämlich erlangte Zinsvorteile abzuschöpfen, den Zinsen wesensverwandt. In der Rechtsprechung des BFH wird verwirkten Säumniszuschlägen sogar eine Art Zinsersatzcharakter zugewiesen (BFH-Urteil vom 29. August 1991 V R 78/86, BFHE 165, 178, BStBl II 1991, 906, m. w. N.). Von da aus hätte man erwarten können, daß der Gesetzgeber, hätte er den bei den Zinsen postulierten kasuistischen Ansatz bei den Säumniszuschlägen aufgeben und wieder zur früheren ganzheitlichen Betrachtung zurückkehren wollen, einem solchen Sinneswandel in § 240 AO 1977 klar und deutlich Ausdruck gegeben hätte. Da er dies nicht getan hat, spricht einiges für eine kasuistische Betrachtungsweise auch bei den Säumniszuschlägen, so daß Steuer- und Haftungsschuld hinsichtlich des Anfalls von Säumniszuschlägen nicht zwangsläufig eine einheitliche Behandlung erfahren müssen.

dd) Auch Sinn und Zweck des Gesetzes erfordern nicht zwingend die Belastung säumiger Haftungsschuldner mit eigenen Säumniszuschlägen. Hier ist vor allem darauf hinzuweisen, daß die für die Steuerschuld angefallenen Säumniszuschläge bereits nach § 69 AO 1977 von der Haftung der gesetzlichen Vertreter, Vermögensverwalter und Verfügungsberechtigten umfaßt werden. Dies gilt auch für Säumniszuschläge, die gerade infolge der Pflichtverletzung der nicht rechtzeitigen Zahlung der Steuerschuld durch den (gesetzlichen) Vertreter des Steuerpflichtigen nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 entstanden sind (§ 69 Satz 2 AO 1977; vgl. das Senatsurteil vom 26. Juli 1988 VII R 83/87, BFHE 153, 512, BStBl II 1988, 859). Umfaßt die Haftung aber bereits die für die Steuerschuld angefallenen (die in der Regel bis zum Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheids bereits im Haftungsbescheid enthalten sein werden), aber auch die künftig infolge der andauernden Säumnis des Steuerschuldners noch weiter anfallenden Säumniszuschläge (die ggf. in einem weiteren Haftungsbescheid geltend gemacht werden können), so erscheint es wegen des streng akzessorischen Charakters der Haftungsschuld gerechtfertigt, zumindest verständlich, daß ab dem Zeitpunkt der Säumnis des Haftungsschuldners und damit parallel zum Säumniszuschlag auf die noch offenstehende Steuerschuld ein weiterer Säumniszuschlag auf die nicht entrichtete Haftungsschuld im Gesetz nicht vorgesehen ist.

Eine solche doppelte Inanspruchnahme, die zwar ggf. über die Vorschriften zur Gesamtschuld korrigierbar wäre (vgl. § 240 Abs. 4 Satz 2 AO 1977), ließe sich auch mit dem Schadensersatzcharakter, den der Senat der Haftung sowohl nach § 69 als auch nach § 71 AO 1977 in ständiger Rechtsprechung beigemessen hat (vgl. Senatsurteil vom 26. August 1992 VII R 50/91, BFHE 169, 13, BStBl II 1993, 8, m. w. N.), nur schwerlich vereinbaren. Entsprechend hat der Senat im umgekehrten Fall angesichts der Akzessorietät der Haftungsschuld entschieden, daß eine Heranziehung des Haftungsschuldners für Säumniszuschläge nach § 69 Satz 2 AO, die ab dem Zeitpunkt des Eintritts der nachweislichen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit des Hauptschuldners entstanden sind, unzulässig ist, weil die verwirkten Säumniszuschläge in einem solchen Fall wegen Zweckverfehlung - die Ausübung eines Druckes zur Durchsetzung der Zahlung hat ihren Sinn verloren - dem Steuerschuldner zu erlassen sind (BFHE 153, 512, BStBl II 1988, 859).

Der Senat verkennt nicht, daß es Gründe dafür geben mag, die Frage der Säumniszuschläge auf Haftungsschulden nicht vornehmlich unter dem Blickwinkel der Einordnung der Säumniszuschläge in die allgemeine Haftungssystematik zu betrachten, sondern die Säumniszuschläge davon losgelöst auch als Ordnungsmittel anzusehen, um den reibungslosen Ablauf des Verwaltungsverfahrens zu gewährleisten, sie also gewissermaßen zu verselbständigen. Wenn man mit der herrschenden Auffassung die Säumniszuschläge nicht nur als Druckmittel zur Durchsetzung fälliger Steuerforderungen, sondern auch als Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung und als einen Ausgleich für den durch die Säumnis entstandenen Verwaltungsaufwand ansieht, ließe sich eine Regelung zur Erhebung von Säumniszuschlägen auf Haftungsbeträge sicherlich vertreten. Im Zusammenhang mit der Stellung und Bedeutung der Säumniszuschläge im Verzinsungsgefüge der AO 1977 weist das FA wohl auch mit Recht auf einen gewissen Widerspruch hin, der sich bei Ablehnung des Anfalls von Säumniszuschlägen auf Haftungsschulden ergäbe. Dann wäre nämlich der Haftungsschuldner, der sich bei Fälligkeit der Haftungsforderung nicht rührt und sich der Finanzbehörde gegenüber verschweigt, bessergestellt als der Haftungsschuldner, dem auf seinen Antrag hin die Haftungsforderung gestundet worden ist, dafür aber Stundungszinsen in halber Höhe des Betrages zahlen muß (§ 234 Abs. 1 Satz 1, § 238 Abs. 1 Satz 1 AO 1977), der als Säumniszuschlag bei dem Haftungsschuldner, der bei Fälligkeit nicht reagiert hat, nach der vom Senat für richtig erachteten Auslegung des § 240 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 nicht erhoben werden darf.

Aber auch dieses Ergebnis rechtfertigt keine erweiternde Auslegung des § 240 Abs. 1 Satz 1 AO 1977, zumal trotz dieses Ergebnisses eine von der Finanzbehörde bewilligte Stundung mit der Folge der Entstehung von Stundungszinsen gegenüber der bloßen Nichtentrichtung der fälligen Haftungsforderung durch den Haftungsschuldner nicht ihren Sinn verlöre. Das Hinausschieben der Fälligkeit der Haftungsforderung durch Stundung beseitigt nämlich deren Vollstreckbarkeit (§ 254 Abs. 1 Satz 1, § 257 Abs. 1 Nr. 4 AO 1977); der Haftungsschuldner, der bei Fälligkeit nicht reagiert, muß hingegen ständig der Durchführung einer Vollstreckungsmaßnahme der Finanzbehörde gewärtig sein. Schon aus diesem Grund dürfte die Belastung mit Stundungszinsen den Haftungsschuldner nicht davon abhalten, sich um eine Stundung durch die Finanzbehörde zu bemühen, auch wenn er weiß, daß jedenfalls eigene Säumniszuschläge auf die Haftungsschuld in keinem Fall anfallen können.

c) Nach alldem kommt der Senat wie das FG zu dem Ergebnis, daß eine erweiternde Auslegung des Begriffs "Steuer" in § 240 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 nicht gerechtfertigt ist. Anhaltspunkte für ein offensichtliches Versehen des Gesetzgebers, das Anlaß zu einer Korrektur im Wege der Auslegung durch teleologische Betrachtung contra legem oder zu einer über den Wortsinn hinausreichenden Rechtsfortbildung geben könnte, haben sich bei der Prüfung nicht ergeben. Selbst wenn jedoch Zweifel in dieser Richtung bestehen sollten, wäre zu berücksichtigen, daß, wie der Senat bei anderer Gelegenheit ausgeführt hat (Senatsurteil vom 24. März 1992 VII R 39/91, BFHE 168, 300, BStBl II 1992, 956, m. w. N.), auch in bezug auf die Erhebung von Säumniszuschlägen das Steuerrecht Eingriffscharakter hat, mit der Folge, daß unter Beachtung der Regelungen in § 37 Abs. 1, § 38 AO 1977 eine Gesetzes- und Tatbestandsmäßigkeit für den Eingriff zu fordern ist, die eine Analogie (zu Lasten des Haftungsschuldners) zumindest dann ausschließt, wenn sich nicht aus dem Gesamtzusammenhang und den Gesetzesmaterialien klar ergibt, daß der Gesetzgeber auch den nach dem Wortlaut nicht geregelten Fall tatsächlich entsprechend hat regeln wollen. Bloße Erwägungen, die es vielleicht sinnvoll erscheinen lassen könnten, auf aus einem Haftungsbescheid wegen Umsatzsteuer säumig gebliebene Haftungsbeträge Säumniszuschläge zu erheben, reichen nicht aus.

3. Mit dieser Entscheidung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu seiner bisherigen Rechtsprechung auf dem Gebiet der Haftung für fremde Steuerschulden. Soweit er in seinem Urteil in BFHE 149, 125, BStBl II 1987, 363 erkannt hat, daß die gemäß § 191 Abs. 1 AO 1977 durch Haftungsbescheid geltend zu machende Haftung auch die steuerlichen Nebenleistungen i. S. des § 3 Abs. 3 AO 1977 erfaßt, obwohl in der Vorschrift lediglich von der Haftung für eine Steuer die Rede ist, hat er dies damit begründet, daß es sich bei § 191 Abs. 1 AO 1977 ausschließlich um eine Verfahrensvorschrift handelt, deren Wortlaut daher keinen Rückschluß auf Inhalt und Umfang der Haftungsschuld zulasse. Eine Erweiterung des Begriffs "Steuer" in § 240 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 beträfe hingegen den materiellen Umfang der Haftung. Soweit er in seinem Urteil in BFHE 156, 73, BStBl II 1990, 363 entschieden hat, daß § 220 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 in seiner bis zum Inkrafttreten des StMBG geltenden Fassung auch für die Bestimmung der Fälligkeit einer Haftungsforderung gegolten hat, obwohl darin lediglich vom Eintritt der Fälligkeit von "Ansprüchen aus der Festsetzung einer Steuer" die Rede war, hat er zugunsten des Steuerpflichtigen ein offensichtliches Versehen des Gesetzgebers korrigiert, weil das sonst eintretende Ergebnis (sofortige Fälligkeit einer Haftungsschuld mit ihrer Entstehung) mit einem grundlegenden Prinzip des Haftungsrechts, daß nämlich jegliche Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners durch Haftungsbescheid in das pflichtgemäße Ermessen der Finanzbehörde gestellt ist (§ 191 Abs. 1 AO 1977), in Widerspruch gestanden hätte. Dieser Auffassung ist der Gesetzgeber dann mit der Änderung der Vorschrift durch das StMBG gefolgt. Die Auslegung des § 240 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 in dem vom FA gewünschten Sinne würde demgegenüber nicht zur Behebung eines offensichtlichen Fehlers im Haftungssystem führen.