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  BFH-Urteil vom 13.11.1997 (V R 140/93) BStBl. 1998 II S. 36

Eine Änderung der für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse i. S. des § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG 1980 liegt auch dann vor, wenn in einem Folgejahr die rechtliche Beurteilung der Verwendungsumsätze im Erstjahr als unzutreffend erkannt worden ist, die Steuerfestsetzung des Abzugsjahres jedoch unabänderbar ist. Es können nur solche Änderungsgründe berücksichtigt werden, deren Voraussetzungen mit Ablauf dieses Folgejahres verwirklicht waren.

UStG 1980 § 15a Abs. 1, 4.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) errichtete in den Jahren von 1981 bis 1984 im Rahmen einer Bauherrengemeinschaft in C fünf Wohnungen und vermietete sie ab November 1983 an einen gewerblichen Zwischenmieter, die Z-GmbH. Die Z-GmbH vermietete die Wohnungen an Endmieter. Der Kläger verzichtete auf die Steuerbefreiung der Vermietungsumsätze (§ 4 Nr. 12 Buchst. a, § 9 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes - UStG 1980 -) und zog von 1982 bis 1984 insgesamt Vorsteuerbeträge von 135.830 DM aus Rechnungen über die Herstellung der Wohnungen als Vorsteuerbeträge ab.

Vom 1. Januar 1989 vermietete der Kläger die Wohnungen selbst an den jeweiligen Wohnungsmieter. Nunmehr beurteilte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Vermietung als steuerfrei und berichtigte in dem angefochtenen Umsatzsteuerbescheid für 1989 vom 30. Oktober 1991 den Vorsteuerabzug wegen Änderung der Verhältnisse nach § 15a UStG 1980 um 13.580 DM (10 v. H. von 135.830 DM) und setzte die Umsatzsteuer unter Abzug von 80 v. H. von 13.580 DM (§ 19 Abs. 3 UStG 1980) auf 11.018 DM fest. Der Einspruch des Klägers, der sich darauf berufen hatte, nunmehr steuerfrei zu vermieten, mangels Änderung der Verhältnisse keine Vorsteuer berichtigen und keine Voranmeldungen mehr abgeben zu müssen, blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) änderte die Umsatzsteuerfestsetzung für 1989 in dem angefochtenen Urteil vom 25. März 1993 auf 0 DM. Zur Begründung führte das FG u. a. aus, die Voraussetzungen nach § 15a UStG 1980 für eine Vorsteuerberichtigung seien nicht vorhanden, weil der Vorsteuerabzug nur aufgrund rechtlich unzutreffender Beurteilung gewährt worden sei. Der Kläger habe von Beginn an steuerfrei vermietet.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung sachlichen Rechts durch unzutreffende Nichtanwendung des § 15a UStG 1980. Dazu weist es darauf hin, daß sich die Verhältnisse durch die Beendigung der gewerblichen Zwischenvermietung und die Fortsetzung durch eine eigene Vermietung tatsächlich und rechtlich geändert hätten.

Das FA begehrt die Aufhebung der Vorentscheidung und die Abweisung der Klage.

Der Kläger ist der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Vorentscheidung entspricht nicht der Auslegung des § 15a UStG 1980 durch den Bundesfinanzhof (BFH).

1. Nach § 15a Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG 1980 ist eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen, wenn sich bei diesem Wirtschaftsgut die Verhältnisse, die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung (sog. Erstjahr) für den Vorsteuerabzug maßgebend waren, innerhalb des Berichtigungszeitraums - von fünf Jahren bzw. bei Grundstücken von zehn Jahren (Erstjahr und sog. Folgejahre) - ändern. Mit den im Erstjahr für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnissen sind die Umstände gemeint, unter denen der Unternehmer mit dem bezeichneten Wirtschaftsgut die Umsätze ausgeführt hat. Aufgrund dieser Umsätze ist gemäß § 15 Abs. 2 und 3 UStG 1980 zu entscheiden, ob der Vorsteuerabzug bei der Anschaffung oder der Herstellung des Wirtschaftsguts im Abzugsjahr ganz oder teilweise ausgeschlossen ist (vgl. BFH-Urteil vom 14. Mai 1992 V R 79/87, BFHE 168, 462, BStBl II 1992, 983).

2. Die Verhältnisse ändern sich i. S. von § 15a Abs. 1 UStG 1980, wenn der Unternehmer mit dem Wirtschaftsgut in den sog. Folgejahren - innerhalb des Berichtigungszeitraums - Umsätze ausführt, die für den Vorsteuerabzug anders zu beurteilen sind, als die Umsätze im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung. Die Umsätze in den Folgejahren müssen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen für den Vorsteuerabzug anders als im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung zu qualifizieren sein.

Das FA hat die Vermietung der Wohnungen an den Zwischenmieter in den Abzugsjahren fehlerhaft und im Streitjahr zutreffend beurteilt. Es handelt sich um steuerfreie Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 14. Mai 1992 V R 12/88, BFHE 168, 468, BStBl II 1992, 931).

a) Der Senat hat mit den Urteilen vom 16. Dezember 1993 V R 65/92 (BFHE 173, 270, BStBl II 1994, 485), V R 56/91 (BFH/NV 1995, 444) und V R 24/93 (BFH/NV 1995, 448), vom 27. Januar 1994 V R 31/91 (BFHE 173, 463, BStBl II 1994, 488) sowie vom 17. Februar 1994 V R 44/92 (BFH/NV 1995, 352) entschieden, die Änderung der "maßgebenden Verhältnisse" könne auch dadurch eintreten, daß bei tatsächlich gleichbleibenden Verwendungsumsätzen die rechtliche Beurteilung, die der Gewährung des Vorsteuerabzugs im Abzugsjahr zugrunde lag, sich in einem der Folgejahre als unzutreffend erweist. Voraussetzung ist aber, daß die Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr bestandskräftig und unabänderbar ist. Der Senat hat der rechtlichen Beurteilung für die Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs. 1 UStG 1980 insoweit dieselbe Wirkung wie bei einer Gesetzesänderung zuerkannt (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 168, 462, BStBl II 1992, 983; vgl. Wagner in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, § 15a Rz. 48). Dieser Rechtsprechung des Senats hat sich der XI. Senat in dem Urteil vom 19. Februar 1997 XI R 51/93 (BFHE 182, 420, BStBl II 1997, 370) angeschlossen. Darauf nimmt der erkennende Senat Bezug.

b) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die dargelegte Auslegung des § 15a UStG 1980 bestehen nicht. Die Verfassungsbeschwerde gegen das Senatsurteil in BFH/NV 1995, 444 ist vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen worden (Beschluß vom 9. August 1994 1 BvR 592/94).

c) Entscheidungserhebliche Zweifelsfragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts, die dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zur Vorabentscheidung gemäß Art. 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vorgelegt werden müßten, stellen sich im Streitfall nicht, weil Art. 20 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) die Berichtigung des Vorsteuerabzugs "nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelheiten" vorsieht, diesen somit einen Freiraum bei der Umsetzung der Richtliniengrundsätze (Art. 20 Abs. 1 vor Buchst. a Richtlinie 77/388/EWG) vorbehält. Damit handelt es sich nicht um eine Richtlinienbestimmung, der Anwendungsvorrang zukommen könnte; denn sie ist nicht inhaltlich unbedingt und hinreichend genau und läßt dem Mitgliedstaat für die Umsetzung in nationales Recht einen Ermessensspielraum (vgl. ständige Rechtsprechung des EuGH, z. B. Urteile vom 17. September 1996 Rs. C 246 - 249/94 - Cooperativa Agricola Zootecnica, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 1997, 126; vom 26. Februar 1986 Rs. 152/84 - Marshall, Slg. 1986, 723, Neue Juristische Wochenschrift 1986, 2178).

3. Der Senat kann im Streitfall nicht abschließend entscheiden. Das FG hat aufgrund seines Rechtsstandpunkts keine Feststellungen zur Änderbarkeit der Steuerfestsetzung in den Abzugsjahren getroffen. Der Senat verweist die Sache deshalb an das FG zurück. Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 12. Juni 1997 V R 36/95, BFHE 182, 462, BStBl II 1997, 589) ist Unabänderbarkeit gegeben, wenn "bei der Steuerfestsetzung für das Folgejahr", in der der Steuerberichtigungsbetrag nach § 15a UStG 1980 berücksichtigt worden ist, keine Gründe (z. B. nach §§ 172 ff. der Abgabenordnung - AO 1977 -) für eine Änderung der bestandskräftigen Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr vorliegen. Der Senat stellt klar, daß "bei der Steuerfestsetzung für das Folgejahr" nur solche Änderungsgründe berücksichtigt werden können, deren Voraussetzungen mit Ablauf dieses Folgejahres verwirklicht waren.

Wenn die erstmalige tatsächliche Verwendung (Vermietung der Objekte) nicht im Abzugsjahr, sondern in dem späteren Erstjahr erfolgt, ist für die Änderbarkeit der Steuerfestsetzung des Abzugsjahres insbesondere § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 26. Februar 1987 V R 1/79, BFHE 149, 307, BStBl II 1987, 521, unter II. 2.) handelt es sich bei der erstmaligen tatsächlichen Verwendung um ein auf das Abzugsjahr zurückwirkendes Ereignis. In diesem Fall beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem das Ereignis eintritt (§ 175 Abs. 1 Satz 2 AO 1977).