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  BFH-Urteil vom 23.10.1996 (I R 55/95) BStBl. 1998 II S. 90

Die entgeltliche Übertragung von GmbH-Anteilen auf eine neu gegründete GmbH zwecks Verrechnung von künftig auszuschüttenden Beteiligungserträgen mit einer ausschüttungsbedingten Teilwertabschreibung ist dann nicht mißbräuchlich i. S. des § 42 AO 1977, wenn die Anteilsübertragung auf Dauer angelegt ist.

AO 1977 § 42.

Vorinstanz: FG Nürnberg

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine am 7. Mai 1991 gegründete GmbH. Ihr Unternehmenszweck ist das Halten und Verwalten von Beteiligungen an anderen Gesellschaften und Unternehmen. Gesellschafter der Klägerin wurden damals W mit einem Geschäftsanteil von 40 v. H. (20.000 DM) und Z mit einem solchen von 60 v. H. (30.000 DM) des Stammkapitals.

Beide waren zusammen mit ihrer Mutter M bis zum 16. Juli 1991 Gesellschafter der W-GmbH, und zwar mit einem Geschäftsanteil von nominal 37.500 DM, W mit einem solchen von 60.000 DM und M mit einem solchen von 52.500 DM des Stammkapitals. Am 16. Juli 1991 veräußerten W, Z und M ihre Anteile an der W-GmbH zu einem Kaufpreis von 1.650.000 DM an die Klägerin. W, Z und M stundeten den Kaufpreis.

Im Jahre 1989 hatte die W-GmbH aus dem Verkauf von Supermärkten einen Gewinn von rd. 1,2 Mio DM erzielt. Einen ihr verbliebenen Supermarkt verpachtete sie an eine Großhandelskette. Diesen Supermarkt hatte die W-GmbH im Jahre 1983 mit einem Kostenaufwand von rd. 1 Mio DM errichtet. Der Grund und Boden war mit 304.480 DM aktiviert.

Am 22. Juli 1991 beschloß die Gesellschafterversammlung der Klägerin, aus dem Gewinn 1989 der W-GmbH 900.000 DM auszuschütten. Sie wies die Gewinnausschüttung als Beteiligungsertrag im Jahresabschluß 1991 aus und nahm in gleicher Höhe eine Teilwertabschreibung auf die erworbenen GmbH-Anteile vor. Der Jahresabschluß wies ferner eine Gewinnausschüttung der W-GmbH für 1990 mit 57.812 DM als Ertrag sowie Darlehensverbindlichkeiten gegenüber W, Z und M in Höhe von 1.709.795 DM aus.

In ihrer Körperschaftsteuererklärung 1991 ermittelte die Klägerin ein zu versteuerndes Einkommen von 22.659 DM und machte folgende Steueranrechnungsbeträge geltend:

Körperschaftsteuer

527.062,50 DM

Kapitalertragsteuer

234.250,00 DM

Solidaritätszuschlag

18.956,25 DM

Sie legte eine Steuerbescheinigung vor.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) wertete die Übertragung der Anteile an der W-GmbH auf die Klägerin als Gestaltungsmißbrauch i. S. von § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) und rechnete die Beteiligungserträge nicht der Klägerin zu. Er stellte im Körperschaftsteuerbescheid 1991 vom 12. Juni 1992 das Einkommen mit ./. 4.537 DM, die Tarifbelastung mit 0 DM und den verbleibenden Verlustabzug mit ./. 4.537 DM und setzte die Körperschaftsteuer mit 0 DM fest. Gleichzeitig erging ein Bescheid über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 47 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) zum 31. Dezember 1991.

Die Einsprüche der Klägerin blieben erfolglos. Das FG gab ihrer Klage statt.

Mit seiner vom Finanzgericht (FG) zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

Es beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Auf der Grundlage der den erkennenden Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) erzielte die Klägerin am 22. Juli 1991 einen Beteiligungsertrag in Höhe von 900.000 DM. Damals war sie alleiniger Anteilseigner der W-GmbH. Sie hatte die Anteile sechs Tage vorher zivilrechtlich wirksam von W, Z und M erworben. Als Alleingesellschafter beschloß die Klägerin bei der W-GmbH eine Gewinnausschüttung in Höhe von 900.000 DM. Dies löste einen von ihr zu aktivierenden Anspruch auf einen entsprechenden Gewinnanteil aus. Mit dem erfolgsmäßig zu erfassenden Anspruch korrespondierte die Möglichkeit, die von der W-GmbH gezahlte Körperschaftsteuer und die von ihr einbehaltene Kapitalertragsteuer auf die eigene Körperschaftsteuerschuld 1991 anzurechnen (§ 49 Abs. 1 KStG i. V. m. § 36 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 des Einkommensteuergesetzes - EStG -).

2. Aus § 42 AO 1977 ergibt sich keine andere Beurteilung. Die Steuerpflichtigen sind grundsätzlich frei, ihre rechtlichen Verhältnisse so zu gestalten, daß sich eine geringere Steuerbelastung ergibt (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12. Juli 1988 IX R 149/83, BFHE 154, 93, BStBl II 1988, 942, und vom 12. September 1995 IX R 54/93, BFHE 178, 542, BStBl II 1996, 158). Die gewählte Gestaltung ist auch der Besteuerung zugrundezulegen. Etwas anderes würde nur gelten, wenn die Voraussetzungen des § 42 AO 1977 erfüllt wären, d. h. wenn eine Gestaltung gewählt worden wäre, die, gemessen an dem angestrebten Ziel, der Steuerminderung dient und durch keine wirtschaftlichen oder sonstigen außersteuerlichen Gründe gerechtfertigt ist. Daran fehlt es jedoch im Streitfall.

Das körperschaftsteuerliche Anrechnungsverfahren geht wirtschaftlich gesehen von dem Grundsatz der Einmalbesteuerung von Beteiligungserträgen nach dem individuellen Steuersatz des Anteilseigners aus. Zwar wurde im Streitjahr 1991 bei einer ausschüttenden Körperschaft eine Körperschaftsteuer von 36 v. H. auf den ausgeschütteten Gewinn erhoben. Diese Körperschaftsteuer wird jedoch bei den unbeschränkt steuerpflichtigen Anteilseignern auf deren Steuerschuld angerechnet. Die Erhebung von Körperschaftsteuer wirkt insoweit - wirtschaftlich gesehen - wie eine Vorauszahlung auf die Steuerschuld des Anteilseigners. Veräußert ein Gesellschafter - wie im Streitfall - seine Beteiligung vor einer Ausschüttung, so erzielt er einen Veräußerungsgewinn, der unter den Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 EStG in seiner Person steuerpflichtig ist. Dabei erhöht ein vorhandenes Ausschüttungsvolumen einschließlich eines vorhandenen Körperschaftsteuerguthabens regelmäßig den Veräußerungserlös und damit den Veräußerungsgewinn. Der Erwerber der Beteiligung zahlt an den Veräußerer das, was die Körperschaft erst künftig an den Erwerber ausschüttet. So gesehen ist es konsequent, wenn der Erwerber nach Ausschüttung von Beteiligungserträgen durch die Körperschaft an ihn eine Teilwertabschreibung auf die Beteiligung vornimmt. Er müßte sonst einen Beteiligungsertrag versteuern, den er in der Form von Anschaffungskosten auf die Beteiligung bereits zuvor bezahlt hat. Der Grundsatz der Einmalbesteuerung wird dadurch beibehalten, daß der Veräußerer den "Beteiligungsertrag" schon in der Form des Veräußerungsgewinnes besteuert. So gesehen liegen sowohl die Ausschüttung der Körperschaft an den Erwerber der Beteiligung als auch die von ihm vorzunehmende Teilwertabschreibung im System des körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahrens. Sie sind im Grundsatz nicht mißbräuchlich.

Das System der Einmalbesteuerung von Beteiligungserträgen wird allerdings dann durchbrochen, wenn der Veräußerer nicht die Voraussetzungen des § 17 EStG erfüllt, weil er z. B. zu 25 v. H. oder weniger an der Körperschaft beteiligt ist, und der Veräußerungsgewinn deshalb nicht steuerbar ist. Das System wird ferner insoweit durchbrochen, als der Veräußerungsgewinn gemäß § 17 EStG einem ermäßigten Steuersatz unterliegt. Insoweit handelt es sich jedoch um Entscheidungen des Gesetzgebers, die in dessen Ermessen gestellt sind und hingenommen werden müssen. Sie sind für sich genommen ungeeignet, um die Anwendung des § 42 AO 1977 zu begründen. Damit kommt eine Anwendung der Vorschrift in den hier interessierenden Fällen nur dann in Betracht, wenn die Beteiligungsveräußerung wirtschaftlich nicht gewollt war, weil z. B. der zwischengeschaltete Erwerber alsbald wieder liquidiert wird.

So ist indes der Streitfall nicht gelagert. Vielmehr erwarb die Klägerin die Anteile an der W-GmbH auf Dauer, um lediglich alsbald nach dem Beteiligungserwerb den erzielten Beteiligungsertrag mit einer Teilwertabschreibung auf die Beteiligung zu verrechnen. Die Inanspruchnahme des einmaligen steuerlichen Vorteils rechtfertigt es nicht, die Anteile an der W-GmbH auf Dauer W und Z zuzurechnen. Dies wird deutlich, wenn man die Möglichkeit bedenkt, daß die Klägerin für das Streitjahr 1991 (noch) keine Teilwertabschreibung auf die Anschaffungskosten vorgenommen hätte. Dies wird ebenso deutlich, wenn man bedenkt, daß die Klägerin die Dividende von 900.000 DM an W und Z "weiterschütten" würde. Dann entstünde eine Körperschaftsteuererhöhung von 385.714 DM. Die von der Klägerin gewählte Gestaltung würde nur einen Stundungseffekt bewirken. Dieser rechtfertigt es jedoch nicht, die Anteile an der W-GmbH für alle Zeiten dem W und dem Z zuzurechnen. Zwar leitete die Klägerin den Betrag von 900.000 DM vermutlich als Kaufpreis an W, Z und M weiter. W und M müssen jedoch ihrerseits den Kaufpreis gemäß § 17 Abs. 1 EStG versteuern. Aus der Sicht des W besteht kein Grund, den Veräußerungsgewinn in eine Dividendeneinnahme umzudeuten. Schließlich hätte W seinen Anteil auch gemäß § 20 Abs. 1 Satz 2 des Umwandlungs-Steuergesetzes (UmwStG) in die Klägerin gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten einbringen können. Z konnte dagegen seinen Kaufpreis "steuerfrei" vereinnahmen. Aus seiner Sicht besteht kein Grund, ihm eine steuerpflichtige Dividende zuzurechnen. Z ist an der W-GmbH nur mittelbar beteiligt. Dagegen ist er an der Klägerin unmittelbar und wesentlich beteiligt. Wertsteigerungen, die sich im Vermögen der Klägerin vollziehen, erhöhen einen späteren Veräußerungs- oder Liquidationsgewinn des Z (§ 17 Abs. 1 und 4 EStG). In Wirklichkeit sieht das FA nicht in dem Beteiligungserwerb als solchem, sondern nur in der sich anschließenden Teilwertabschreibung auf die Anschaffungskosten einen Mißbrauch. Sollten die Voraussetzungen für eine solche Teilwertabschreibung, was das FG nicht näher geprüft hat, nicht gegeben sein, würde auch der Mißbrauchsvorwurf in sich zusammenfallen. Die Teilwertabschreibung ist jedoch keine rechtliche Gestaltung i. S. des § 42 AO 1977. Außerdem hat der Gesetzgeber die Teilwertabschreibung ausdrücklich nur unter den Voraussetzungen des § 50c EStG als nicht berücksichtigungsfähig angesehen. Dann aber können Finanzverwaltung und Finanzgerichte den Gesetzesbefehl des § 50c EStG nicht durch extensive Anwendung des § 42 AO 1977 in sein Gegenteil verkehren.

Es kommt hinzu, daß die Rechtsprechung noch nie eine auf Dauer angelegte Zwischenschaltung inländischer Kapitalgesellschaften als Rechtsmißbrauch qualifiziert hat. Die durch das Umwandlungsgesetz 1995 und das Umwandlungs-Steuergesetz 1995 geschaffenen erweiterten Umwandlungsmöglichkeiten würden durch eine extensive Anwendung des § 42 AO 1977 konterkariert. Deshalb ist regelmäßig kein Mißbrauch gegeben, wenn ein Steuerpflichtiger - aus welchen Gründen auch immer - auf Dauer zwischen sich und eine Einkunftsquelle eine inländische Kapitalgesellschaft schaltet und alle sich daraus ergebenden Konsequenzen zieht. So ist auch der Streitfall gelagert. § 42 AO 1977 findet schon deshalb keine Anwendung, weil die Anteilsübertragung auf Dauer angelegt war.

3. Das FG hat jedoch nicht geprüft, ob die vorgenommene Teilwertabschreibung steuerlich gerechtfertigt war. Daran bestehen schon deshalb ernstliche Zweifel, weil die Anschaffungskosten der Klägerin nur 1,65 Mio DM betrugen. Ihnen standen der Gewinn der W-GmbH aus dem Verkauf von Supermärkten in Höhe von 1,2 Mio DM, der Buchwert des verbleibenden Grund und Bodens von rd. 300.000 DM und die Herstellungskosten des verbleibenden Supermarktes von 1 Mio DM gegenüber. Damit ist nicht ausgeschlossen, daß die Ausschüttung von 900.000 DM den Teilwert der Beteiligung nicht oder nur unwesentlich unter die Anschaffungskosten von 1,65 Mio DM drückte. Es ist die Aufgabe des FG, dieser Frage im zweiten Rechtszug in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nachzugehen. Zu diesem Zweck war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache war an das FG zurückzuverweisen.