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  BFH-Urteil vom 25.7.1997 (VI R 107/96) BStBl. 1998 II S. 329

Ist ein Elternteil nicht zur Leistung von Unterhalt verpflichtet, so kann der ihm zustehende Kinderfreibetrag nicht nach § 32 Abs. 6 Satz 4 Alternative 1 EStG 1990 auf den anderen Elternteil übertragen werden.

EStG 1990 § 32 Abs. 6 Satz 4.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG (EFG 1996, 547)

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist in zweiter Ehe verheiratet und wurde für das Streitjahr 1990 zusammen mit seiner zweiten Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt. Aus seiner ersten Ehe mit der Beigeladenen sind ein 1968 geborener Sohn und eine 1971 geborene Tochter hervorgegangen. Der Sohn leistete im Januar und Februar 1990 Zivildienst, danach war er arbeitslos und ist seit dem 15. April 1990 Krankenpfleger. Er lebte während des gesamten Streitjahrs in einer eigenen Wohnung und erhielt von dem Kläger bis April 1990 Unterhalt. Die Tochter besuchte während des gesamten Streitjahrs das Gymnasium. Sie lebte bis Januar 1990 bei ihrer Mutter - der Beigeladenen -, danach bezog sie eine eigene Wohnung. Sie erhielt von dem Kläger monatlich Unterhaltszahlungen in Höhe von 560 DM.

Die Beigeladene, die im Streitjahr über ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von 589 DM verfügte, leistete an den Sohn keine Unterhaltszahlungen. Ihre Tochter unterstützte sie mit Monatsbeträgen zwischen 160 DM und 220 DM.

Der Kläger beantragte in seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr für beide Kinder aus der ersten Ehe die Berücksichtigung der doppelten Kinderfreibeträge sowie für die Tochter den vollen Ausbildungsfreibetrag. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) zog für beide Kinder jeweils nur den einfachen Kinderfreibetrag von je 1.512 DM ab und gewährte für die Tochter nur den halben Ausbildungsfreibetrag. Dabei ging das FA davon aus, daß die Beigeladene ihrer Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Tochter im Streitjahr in ausreichendem Maße nachgekommen und der Sohn wegen ausreichender eigener Einkünfte nicht unterhaltsberechtigt gewesen sei.

Die dagegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 547 veröffentlichten Urteil ab. Die Voraussetzungen für die Übertragung der Kinderfreibeträge der Beigeladenen auf den Kläger gemäß § 32 Abs. 6 Satz 4 Alternative 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) seien nicht erfüllt. Die Beigeladene sei ihren beiden Kindern gegenüber nicht unterhaltspflichtig gewesen, weil ihr Einkommen unter dem nach der Düsseldorfer Tabelle angemessenen Eigenbedarf gegenüber volljährigen Kindern von mindestens 1.400 DM monatlich gelegen habe. Sei die Beigeladene indes nicht unterhaltspflichtig gewesen, so sei der Kinderfreibetrag nach dem Gesetzeswortlaut nicht zu übertragen. Entsprechendes gelte für den Ausbildungsfreibetrag nach § 33a Abs. 2 EStG.

Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision. Nach den Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) komme ein Elternteil seiner Barunterhaltspflicht gegenüber dem Kind im wesentlichen nach, wenn er sie mindestens zu 75 v. H. erfülle (Abschn. 181 a Abs. 2 Satz 3 EStR 1990). Die unterschiedliche Leistungsfähigkeit und die mangelnde Leistungsfähigkeit eines der Elternteile werde von der Ausnahme des § 32 Abs. 6 Satz 4 EStG erfaßt.

Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und ihm unter Änderung des Einkommensteuerbescheides in Gestalt der Einspruchsentscheidung für seine beiden Kinder aus erster Ehe den doppelten Kinderfreibetrag und für die Tochter den vollen Ausbildungsfreibetrag zu gewähren und die Einkommensteuer entsprechend herabzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß die Voraussetzungen des § 32 Abs. 6 Satz 4 Alternative 1 EStG für eine antragsgemäße Übertragung der Kinderfreibeträge auf den Kläger nicht vorliegen, weil die Beigeladene den Kindern gegenüber mangels eigener Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig war.

Nach § 32 Abs. 6 Satz 4 EStG darf auf Antrag eines Elternteils der Kinderfreibetrag des anderen Elternteils nur dann auf ihn übertragen werden, wenn er, nicht jedoch der andere Elternteil, seiner Unterhaltsverpflichtung im wesentlichen nachkommt. Der erkennende Senat legt dabei den Wortlaut des § 32 Abs. 6 Satz 4 EStG zugrunde, den die Vorschrift durch Art. 1 Nr. 26 Buchst. a bb des Gesetzes vom 25. Juli 1988 - Steuerreformgesetz 1990 - (BGBl I 1988, 1093, 2074, BStBl I 1988, 224) erhalten hat. Der hiervon abweichenden Verwendung des Wortes "Unterhaltspflicht" anstelle von "Unterhaltsverpflichtung" in § 32 Abs. 6 Satz 4 EStG in der Bekanntmachung der Neufassung des Einkommensteuergesetzes vom 7. September 1990 - EStG 1990 - (BGBl I 1990, 1898, BStBl I 1990, 453) liegt weder ein späterer Gesetzesbeschluß zugrunde noch war diese Änderung erforderlich, um Unstimmigkeiten zu beseitigen (vgl. § 52 Abs. 4 Nr. 2 EStG 1987), wie die Verwendung des Wortes "Unterhaltsverpflichtung" in § 32 Abs. 1 Satz 2 EStG 1990 zeigt. Der Senat geht allerdings davon aus, daß sich aus der Verwendung des Wortes "Unterhaltspflicht" in der Bekanntmachung der Neufassung keine inhaltliche Änderung ergäbe, weil in Verbindung mit dem Verb "nachkommen" hinreichend deutlich wird, daß die konkrete Verpflichtung, Unterhalt zu leisten, entscheidend ist.

Die Übertragung des Kinderfreibetrages setzt danach eine Unterhaltsverpflichtung des anderen Elternteils voraus. Einer Unterhaltsverpflichtung nachkommen kann nur, wer unterhaltspflichtig ist. Besteht keine Verpflichtung, Unterhalt zu leisten, z. B. weil der andere Elternteil mangels ausreichender eigener Mittel nicht leistungsfähig ist oder das Kind über eigene Einkünfte in ausreichender Höhe verfügt, ist eine Abweichung vom Halbteilungsgrundsatz nicht gerechtfertigt (ebenso: FG Düsseldorf, Urteil vom 20. Oktober 1994 14 K 207/90 E, EFG 1995, 218 bei fehlender Unterhaltsberechtigung; FG München, Urteil vom 28. Juni 1994 2 K 722/93, EFG 1997, 747; Friederike Grube, Deutsches Steuerrecht 1997, 810; a. A. FG Münster, Urteil vom 30. Januar 1990 XII 8737/88 E, EFG 1991, 127; FG Bremen, Urteil vom 20. September 1994 193073K3, EFG 1995, 216; FG Köln, Urteil vom 12. August 1994 3 K 405/93, EFG 1995, 217; Hessisches FG, Urteil vom 22. März 1995 11 K 5447/92, EFG 1995, 887; Müller/Traxel, Betriebs-Berater 1997, 442; Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 32 EStG Anm. 185 a. E.; Schmidt/Glanegger, Einkommensteuergesetz, 15. Aufl., § 32 Rz. 67; wohl auch Kubesch, Deutsche Steuer-Zeitung 1987, 532; Abschn. 181 a Abs. 2 Satz 4 EStR 1987 bzw. Satz 6 EStR 1990.

Eine vom Gesetzeswortlaut abweichende Auslegung ist auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten. Zwar soll der Kinderfreibetrag Eltern wegen der Aufwendungen, die ihnen durch die Pflege und Betreuung ihrer Kinder oder durch Barunterhalt entstehen, steuerrechtlich entlasten, so daß es unter dem Blickwinkel der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit gerechtfertigt sein könnte, den Elternteil, der die kindbedingten Aufwendungen wegen fehlender Unterhaltspflicht des anderen Teils allein zu tragen hat, auch allein zu entlasten. Der Gesetzgeber hat jedoch den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum nicht überschritten, wenn er sich für eine andere Lösung entschieden hat, nämlich, es bei dem Halbteilungsgrundsatz zu belassen, wenn nur einer der Eltern unterhaltspflichtig ist. Auch der Elternteil, der nicht unterhaltspflichtig ist, kann - wie der Streitfall zeigt - (freiwillige) Aufwendungen für das Kind haben. Es wäre dann unbillig, ihm den Kinderfreibetrag nur deshalb zu nehmen, weil er zivilrechtlich nicht unterhaltspflichtig ist. Es ist zudem zu bedenken, daß die Gewährung von Kinderfreibeträgen ohnehin nicht stets von einer Minderung der Leistungsfähigkeit der Eltern durch Unterhaltszahlungen abhängt. Auch Eltern, die beide nicht unterhaltspflichtig sind oder zwar unterhaltspflichtig sind, aber keinen Unterhalt leisten, erhalten die Kinderfreibeträge.

Schließlich steht es den Eltern in Härtefällen frei, die Übertragung des Kinderfreibetrages durch Zustimmung zu erreichen (§ 32 Abs. 6 Satz 4 Alternative 2 EStG). Zu dieser Zustimmung kann der andere Elternteil in Fällen, in denen nur einer der Eltern den Unterhalt trägt, auf familienrechtlicher Grundlage verpflichtet sein (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 3. April 1996 XII ZR 86/95, Neue Juristische Wochenschrift 1996, 1894).

Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf den Streitfall konnte die Revision keinen Erfolg haben. Nach den Feststellungen des FG, die mangels zulässiger und begründeter Revisionsrügen für das Revisionsgericht bindend sind (§ 118 Abs. 2 FGO), war die Beigeladene gegenüber ihren beiden Kindern aus der Ehe mit dem Kläger nicht unterhaltspflichtig, so daß die Kinderfreibeträge nicht auf den Kläger übertragen werden können. Entsprechendes gilt für den Ausbildungsfreibetrag (§ 33a Abs. 2 EStG).