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  BFH-Urteil vom 8.1.1998 (V R 32/97) BStBl. 1998 II S. 410

Ein Wasser- und Abwasserzweckverband handelte - jedenfalls nach den im Jahr 1993 maßgebenden Voraussetzungen im Land Brandenburg - bei der Abwasserbeseitigung und Abwasserbehandlung hoheitlich und nicht im Rahmen eines Betriebs gewerblicher Art.

UStG 1993 § 2 Abs. 3; KStG 1991 § 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4.

Vorinstanz: FG des Landes Brandenburg (EFG 1997, 835)

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist ein Wasser- und Abwasserzweckverband. Zu seinen Verbandsmitgliedern gehören mehrere Gemeinden. Satzungsgemäße Aufgabe des Klägers ist unter anderem die schadlose Ableitung und Aufbereitung des Abwassers der Kommunen sowie - nach Vereinbarung - des Abwassers der Industrie und Landwirtschaft. Dazu gehört der Betrieb vorhandener Anlagen sowie die Planung und der Bau neuer Anlagen. Nach seiner Satzung ist der Kläger gemeinnützig. Die Abwassergebühren wurden aufgrund einer Gebührensatzung erhoben.

In seiner Umsatzsteuererklärung für 1993 behandelte der Kläger die Abwasserentsorgung als umsatzsteuerpflichtig und erklärte für diesen Bereich Umsätze in Höhe von 1.779.071,85 DM sowie Vorsteuern in Höhe von 1.063.880,42 DM; dies ergab unter Einbeziehung des Bereichs Wasserversorgung eine festzusetzende Umsatzsteuer in Höhe von ./. 1.204.474,89 DM.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) folgte der Umsatzsteuererklärung nicht, weil er die Auffassung vertrat, der Bereich der Abwasserentsorgung unterliege nicht der Umsatzsteuer; er setzte die Umsatzsteuer auf ./. 407.456 DM fest (Umsatzsteuerbescheid vom 11. Mai 1995).

Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 835 veröffentlicht ist, wies die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage gegen den Umsatzsteuerbescheid ab. Es führte aus, der Kläger sei mit der Abwasserversorgung nicht im Rahmen eines Betriebs gewerblicher Art i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG 1991), § 2 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1993) tätig geworden. Aus Art. 4 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) ergebe sich nichts anderes. Die Nichtbesteuerung der Abwasserentsorgung im Lande Brandenburg führe nicht zu größeren Wettbewerbsverzerrungen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision. Er rügt Verletzung von § 2 Abs. 3 UStG 1993. Seiner Ansicht nach führt die Nichtbesteuerung der Abwasserentsorgung durch ihn zu größeren Wettbewerbsverzerrungen, da er die ihm nach dem Gesetz offenstehende Entschließung, ob er sich zur Erfüllung seiner Aufgaben eines Dritten bediene, nicht mehr frei von umsatzsteuerlichen Erwägungen treffen könne.

Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Umsatzsteuer auf ./. 1.204.474,90 DM herabzusetzen.

Das FA ist der Revision entgegengetreten. Es sieht keinen Wettbewerb zwischen dem Kläger und einem privatwirtschaftlichen Unternehmen, sondern nur eine Konkurrenz zu anderen Gemeinden, die unter Berücksichtigung einer Vielzahl von Gesichtspunkten frei seien, die Abwasserentsorgung entweder selbst durchzuführen oder durch ein privatwirtschaftliches Unternehmen vornehmen zu lassen. Das FA meint, eine vom Gericht zu berücksichtigende Konkurrenzsituation wäre nur dann gegeben, wenn eine Gemeinde die Abwasserentsorgung bei jeder denkbaren Gestaltungsvariante nur als Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuerrechts und eine andere Gemeinde nur hoheitlich durchführen könnte.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet.

Der Kläger war auf dem Gebiet der Abwasserbeseitigung nicht im Rahmen eines Betriebs gewerblicher Art und deshalb insoweit nicht als Unternehmer tätig.

1. Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG 1993 sind die juristischen Personen des öffentlichen Rechts grundsätzlich nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art (§ 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 KStG) und ihrer land- oder forstwirtschaftlichen Betriebe gewerblich oder beruflich tätig. Nur insoweit sind sie Unternehmer (§ 2 Abs. 1 Satz 1 UStG 1993) und unterhalten ein Unternehmen (§ 2 Abs. 1 Satz 2 UStG 1993). Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind, soweit es sich nicht um Hoheitsbetriebe handelt, alle Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen außerhalb der Land- und Forstwirtschaft dienen und die sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person wirtschaftlich herausheben. Die Absicht, Gewinn zu erzielen, und die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr sind nicht erforderlich (§ 4 Abs. 1 KStG 1991). Zu den Betrieben gewerblicher Art gehören auch Betriebe, die der Versorgung der Bevölkerung mit Wasser, Gas, Elektrizität oder Wärme, dem öffentlichen Verkehr oder dem Hafenbetrieb dienen (§ 4 Abs. 3 KStG 1991). Nicht dazu gehören Betriebe, die überwiegend der Ausübung öffentlicher Gewalt dienen (Hoheitsbetriebe); für die Annahme eines Hoheitsbetriebs reichen Zwangs- und Monopolrechte nicht aus (§ 4 Abs. 5 KStG 1991).

2. Die Abwasserbeseitigung durch Personen des öffentlichen Rechts wird seit jeher als Ausübung öffentlicher Gewalt beurteilt (vgl. § 19 Abs. 2 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz - UStDB 1951 -; § 4 der Körperschaftsteuer-Durchführungsverordnung 1968; Bundesfinanzhof - BFH -, Urteile vom 12. Dezember 1968 V 213/65, BFHE 94, 558, BStBl II 1969, 280; vom 10. Juli 1962 I 164/59 S, BFHE 75, 498, BStBl III 1962, 448, und vom 10. Mai 1955 I 131/53 U, BFHE 61, 32, BStBl III 1955, 210; Abschn. 5 Abs. 14 der Körperschaftsteuer-Richtlinien 1995). Hieran ist auch im Streitfall festzuhalten.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH wird öffentliche (hoheitliche) Gewalt i. S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 KStG durch Tätigkeiten ausgeübt, die den juristischen Personen des öffentlichen Rechts als Träger öffentlicher Gewalt "eigentümlich und vorbehalten" sind (vgl. BFH-Urteile vom 30. Juni 1988 V R 79/84, BFHE 154, 192, BStBl II 1988, 910; vom 21. September 1989 V R 89/85, BFHE 158, 177, BStBl II 1990, 95, und vom 23. Oktober 1996 I R 1 - 2/94, BFHE 181, 322, BStBl II 1997, 139). Übernimmt eine juristische Person des öffentlichen Rechts Aufgaben, wie sie auch von Personen des Privatrechts ausgeübt werden, und tritt sie dadurch - und sei es auch ungewollt - in tatsächlichen oder potentiellen Wettbewerb zu privatwirtschaftlichen Unternehmen, ist ihre Tätigkeit nicht mehr hoheitlich. Es ist dann unerheblich, ob die juristische Person des öffentlichen Rechts mit der zu beurteilenden Tätigkeit einer öffentlich-rechtlichen Leistungsverpflichtung nachkommt und ob die Einnahmen, die sie durch die Tätigkeit erzielt, in Form öffentlich-rechtlicher Gebühren oder eines Beitrags erhoben werden (BFH in BFHE 181, 322, BStBl II 1997, 139, m. w. N.).

b) Die Abwasserbeseitigung und Abwasserbehandlung war - zumindest nach den Voraussetzungen, die im Land Brandenburg im Streitjahr 1993 zu berücksichtigen waren - juristischen Personen des öffentlichen Rechts vorbehalten.

Das FG hat unter Bezugnahme auf die im Streitjahr 1993 geltende Vorschrift des § 18a Abs. 2 des Gesetzes zur Ordnung des Wasserhaushalts vom 23. September 1986 - WHG - (BGBl I 1986, 1529) und unter Berücksichtigung des Wassergesetzes der Deutschen Demokratischen Republik vom 2. Juli 1982 (Gesetzblatt der DDR - GBl DDR - I 1982, 467) in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise geschlossen, daß die Abwasserbeseitigung und Abwasserbehandlung in Brandenburg eine ausschließliche Aufgabe der Körperschaften des öffentlichen Rechts war. Die maßgeblichen Vorschriften des Wassergesetzes der DDR galten nach Art. 9 Abs. 1 Satz 1 des Vertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31. August 1990 - EinigVtr - (BGBl II 1990, 889) i. V. m. Art. 70 ff. des Grundgesetzes als Landesrecht fort. Die Auslegung dieser Vorschriften durch das FG ist für den Senat bindend (vgl. § 118 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Wie sich bereits aus § 18a Abs. 2 Satz 1 WHG ergibt, trifft die Verpflichtung zur Abwasserbeseitigung in erster Linie die Körperschaften des öffentlichen Rechts. Nach dieser Vorschrift regeln die Länder, welche Körperschaften des öffentlichen Rechts zur Abwasserbeseitigung verpflichtet sind und die Voraussetzungen, unter denen anderen Personen die Abwasserbeseitigung obliegt. Es kann dahinstehen, ob und inwieweit die Kommunen sich ihrer Verpflichtung zur Abwasserbeseitigung überhaupt entziehen können (zu den verfassungsrechtlichen Schranken der Übertragung von Hoheitsaufgaben auf Private vgl. Scholz, Neue Juristische Wochenschrift 1997, 14). In Brandenburg waren jedenfalls ausschließlich Körperschaften des öffentlichen Rechts i. S. des § 18a Abs. 2 Satz 1 WHG zur Abwasserbeseitigung verpflichtet. Die Abwasserentsorgung war als hoheitliche Tätigkeit ausgestaltet. Es bestand ein Anschluß- und Benutzungszwang. Der Anschlußverpflichtete konnte also nicht wählen, wen er mit der Entsorgung seiner Abwasser beauftragen wollte.

Nach den Feststellungen des FG haben sich die für die Abwasserentsorgung ursprünglich zuständigen Volkseigenen Betriebe während des Bestehens der DDR keiner Personen des Privatrechts als Erfüllungsgehilfen (sog. Verwaltungshelfer) bedient. Nach der Herstellung der Einheit Deutschlands wurden die Volkseigenen Betriebe aufgelöst und die Abwasserentsorgung von den Gemeinden oder von zu diesem Zwecke neu gegründeten Gemeindeverbänden unter Fortgeltung des Wassergesetzes der DDR übernommen. Selbst wenn es bereits im Streitjahr 1993 rechtlich zulässig war, daß die für ordnungsgemäße Abwasserbeseitigung zuständigen Personen des öffentlichen Rechts bei der Erfüllung ihrer Aufgabe private Entsorgungsunternehmen als Verwaltungshelfer einsetzten, konnten sie sich ihrer Pflichtaufgabe durch die Einschaltung derartiger Verwaltungshelfer nicht entledigen. Die Abwasserbeseitigung blieb auch bei Einschaltung Dritter eine Tätigkeit der entsorgungspflichtigen Körperschaft. Die juristische Person des öffentlichen Rechts blieb öffentlich-rechtlich für die ordnungsgemäße Entsorgung verantwortlich.

c) Die Abwasserbeseitigung und Abwasserbehandlung war dem Kläger als Wasser- und Abwasserzweckverband auch als Träger öffentlicher Gewalt "eigentümlich". Sie war Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge insbesondere im Bereich des Gesundheitsschutzes und Umweltschutzes und der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.

Dies machte die Abwasserbeseitigung zu einer ihm eigentümlichen Aufgabe und Tätigkeit (vgl. BFH in BFHE 181, 322, BStBl II 1997, 139). Eine Privatisierung der Abwasserbeseitigung in dem Sinne, daß der Abwasserbeseitigungsverpflichtete diese Aufgabe mit befreiender Wirkung auf einen privaten Dritten delegiert, ist grundsätzlich nicht möglich (vgl. Gieseke/Wiedemann/Czychowski, Wasserhaushaltsgesetz, Kommentar, 6. Aufl., § 18a Rz. 12); jedenfalls war sie in Brandenburg ausgeschlossen.

d) Da die Abwasserbeseitigung dem Kläger eigentümlich und vorbehalten war, ist sie auch nicht aus Gründen der gebotenen Wettbewerbsneutralität des Steuerrechts als Betrieb gewerblicher Art i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 KStG 1991, § 2 Abs. 3 UStG 1993 zu beurteilen (vgl. unter 3).

3. Aus Art. 4 Abs. 5 Richtlinie 77/388/EWG folgt nichts anderes.

Nach dieser Vorschrift gelten Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts nicht als Steuerpflichtige, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Leistungen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben (Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1 Richtlinie 77/388/EWG). Etwas anderes gilt dann, wenn eine Behandlung als Nicht-Steuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde (Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 Richtlinie 77/388/EWG).

a) Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1 Richtlinie 77/388/EWG ist dahin auszulegen, daß es sich bei den Tätigkeiten "im Rahmen der öffentlichen Gewalt" um solche Tätigkeiten handelt, die die Einrichtungen des öffentlichen Rechts im Rahmen der eigens für sie geltenden rechtlichen Regelung ausüben; ausgenommen sind die Tätigkeiten, die sie unter den gleichen rechtlichen Bedingungen ausüben wie private Wirtschaftsteilnehmer (Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften - EuGH -, Urteile vom 17. Oktober 1989 Rs. 231/87 und 129/88 - Comune di Carpaneto Piacentino u. a. -, Slg. 1989, 3233, Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1991, 77, und vom 15. Mai 1990 Rs. C 4/89 - Comune di Carpaneto Piacentino u. a. -, Slg. 1990, I 1869).

Der Kläger übte im Bereich der Abwasserentsorgung seine Tätigkeit im Rahmen des öffentlichen Rechts und nicht unter gleichen rechtlichen Bedingungen wie private Wirtschaftsteilnehmer aus; er war deshalb eine Einrichtung des öffentlichen Rechts, die Tätigkeiten ausübte und Leistungen erbrachte, die ihr im Rahmen der öffentlichen Gewalt oblagen.

b) Es kann dahinstehen, ob Einrichtungen des öffentlichen Rechts sich darauf berufen können, sie seien gemäß Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 Richtlinie 77/388/EWG als Steuerpflichtige zu behandeln, weil ihre Nichtbesteuerung zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führe (vgl. dazu Stadie, Anm. zum Urteil des EuGH vom 6. Februar 1997 Rs. C 247/95 - Marktgemeinde Welden -, UR 1997, 261).

Im Streitfall kommt eine Berufung auf diese Vorschrift nicht in Betracht, weil die Behandlung des Klägers als Nicht-Steuerpflichtiger zu keinen größeren Wettbewerbsverzerrungen führt.

Nach der für das Land Brandenburg im Streitjahr 1993 geltenden Rechtslage konnte die Abwasserbeseitigung als hoheitliche Maßnahme im Bereich des Gesundheits- und Umweltschutzes nur durch die öffentliche Hand und nicht durch private Unternehmen ausgeübt werden.