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  BFH-Urteil vom 11.12.1997 (V R 28/97) BStBl. 1998 II S. 521

1. Die sog. Null-Regelung nach § 52 Abs. 2 UStDV 1980 setzt voraus, daß über Leistungen, die dem Abzugsverfahren unterliegen, von dem leistenden Unternehmer ohne gesonderten Steuerausweis abgerechnet worden ist. Sie gilt nicht für "Ohne-Rechnung-Geschäfte".

2. Bleibt im Abzugsverfahren die Behauptung des Finanzamts unbewiesen, die als Rechnungsaussteller bezeichnete Person habe die abgerechnete Leistung nicht erbracht, trägt das Finanzamt insoweit die Feststellungslast.

UStG 1980 § 18 Abs. 8; UStDV 1980 § 51 Abs. 1, § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1, §§ 55, 56 Abs. 3.

Vorinstanz: FG Köln (EFG 1997, 134)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) führte von 1980 bis 1985 Tiefbauarbeiten mit Hilfe von nicht im Erhebungsgebiet ansässigen Subunternehmern aus. Diese Subunternehmer rechneten über die erstellten Gewerke ab und wiesen Umsatzsteuer nicht gesondert aus. Die Klägerin meldete keine Umsatzsteuer im Abzugsverfahren nach § 51 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV 1980) an, weil sie nach ihrer Darstellung mit den ausländischen Unternehmern die sog. Null-Regelung (§ 52 Abs. 2 UStDV 1980) vereinbart gehabt habe.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) richtete nach Abschluß einer Steuerfahndungsprüfung sechs gleichförmige Haftungsbescheide gegen die Klägerin, in denen sie gemäß § 55 UStDV 1980 für die Umsatzsteuern von sechs nicht im Erhebungsgebiet ansässigen Subunternehmern als Haftungsschuldnerin in Anspruch genommen wurde. Das FA vertrat die Auffassung, daß die Klägerin die Null-Regelung nach § 52 Abs. 2 UStDV 1980 nicht habe anwenden dürfen, weil es sich bei den unter wechselnden Namen aufgetretenen Subunternehmern um Scheinfirmen gehandelt habe. Es seien keine Rechnungen vorhanden, die sie - die Klägerin - zum Vorsteuerabzug berechtigt hätten, falls in ihnen Umsatzsteuer gesondert ausgewiesen worden wäre.

Die Klage gegen die bezeichneten Haftungsbescheide hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG), das die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hatte, führte zur Begründung u. a. aus, die Klägerin sei nicht zur Abführung von Steuern verpflichtet gewesen und habe zu Recht von der Ausnahmeregelung des § 52 Abs. 2 UStDV 1980 Gebrauch gemacht. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift seien selbst dann erfüllt, wenn es sich bei den Subunternehmern um sog. Scheinfirmen gehandelt habe. Wegen der weiteren Begründung wird auf das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 134 veröffentlichte Urteil Bezug genommen.

Mit der Revision rügt das FA unzutreffende Anwendung der §§ 51 ff. UStDV 1980, soweit die Entscheidung die Jahre 1984 und 1985 betrifft. Das FA legt dar, ein Leistungsempfänger sei auch dann zur Durchführung des Abzugsverfahrens verpflichtet, wenn er Rechnungen von ausländischen Unternehmern über Werklieferungen oder sonstige Leistungen vorlege, in denen Leistungen berechnet würden, die sie nicht erbracht hätten. Die Null-Regelung des § 52 Abs. 2 UStDV 1980 setze voraus, daß der ausländische Unternehmer über die von ihm ausgeführten Leistungen abrechne und die Rechnungen - mit Ausnahme des Steuerausweises - die Anforderungen erfüllten, die eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung erfüllen müsse.

Das FA beantragt, die Klagen unter Aufhebung der Vorentscheidung abzuweisen.

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Die Entscheidung wird aufgehoben und an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), weil es von anderen als den nachstehenden Grundsätzen bei der Anwendung des Abzugsverfahrens ausgegangen ist. Mangels ausreichender Feststellungen kann der Senat nicht abschließend entscheiden.

1. Nach § 55 UStDV 1980 haftet der Empfänger von Werklieferungen oder sonstigen Leistungen (§ 51 Abs. 1 Satz 1 UStDV 1980) eines nicht im Erhebungsgebiet ansässigen Unternehmers (§ 51 Abs. 3 UStDV 1980) für die nach § 54 UStDV 1980 anzumeldende und abzuführende Steuer. Er ist nach § 18 Abs. 8 Satz 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) i. V. m. § 51 Abs. 1 Satz 1 UStDV 1980 verpflichtet, Steuer von der Gegenleistung einzubehalten und an das für ihn zuständige Finanzamt abzuführen. Der Steueranspruch wird in den bezeichneten Fällen durch die Gesamtschuldnerschaft (§ 44 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -) des leistenden Unternehmers und des Leistungsempfängers als Haftungsschuldner gesichert (vgl. § 18 Abs. 8 Satz 1 UStG 1980).

Der Vorsteuerabzug ist unter den allgemeinen Voraussetzungen (§ 15 UStG 1980) aufgrund einer Rechnung (§ 14 Abs. 4 UStG 1980) des leistenden Unternehmers über die an den Leistungsempfänger ausgeführte Leistung in Höhe des gesondert ausgewiesenen Steuerbetrages zugelassen.

a) § 52 Abs. 2 UStDV 1980 ermöglicht es dem Leistungsempfänger, der zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, das Abzugsverfahren zu vermeiden (vgl. die Begründung des Entwurfs einer UStDV 1980, BRDrucks 576/79 zu § 52 Abs. 2 UStDV, S. 85), wenn der leistende Unternehmer keine Rechnung mit gesondertem Ausweis der Steuer erteilt hat und der Leistungsempfänger im Falle des gesonderten Ausweises der Steuer den Vorsteuerabzug hinsichtlich dieser Steuer voll in Anspruch nehmen könnte (§ 52 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 UStDV 1980). Unter den vorgenannten Voraussetzungen dieser sog. Null-Regelung (vgl. Abschn. 234 Abs. 3 der Umsatzsteuer-Richtlinien - UStR - 1985 bis 1996) ist der Leistungsempfänger nicht verpflichtet, die Steuer für die Leistung des nicht im Erhebungsgebiet ansässigen Unternehmers einzubehalten und abzuführen (§ 52 Abs. 2 vor Nr. 1 UStDV 1980).

Sofern die Voraussetzungen für die Anwendung der Null-Regelung (§ 52 Abs. 2 UStDV 1980) nicht vorliegen, muß der Leistungsempfänger Steuer für die in § 51 Abs. 1 Satz 1 UStDV 1980 bezeichneten Leistungen abführen, wenn er an den nicht im Erhebungsgebiet ansässigen Unternehmer Entgelt ganz oder teilweise gezahlt hat (vgl. § 54 Abs. 1 UStDV 1980). Er haftet für die von ihm anzumeldende und abzuführende Steuer (§ 55 UStDV 1980).

b) Nach § 52 Abs. 2 UStDV 1980 ist der Leistungsempfänger nicht verpflichtet, die Steuer für die Leistung des nicht im Erhebungsgebiet ansässigen Unternehmers einzubehalten und abzuführen, wenn (Nummer 1) der Unternehmer keine Rechnung mit gesondertem Ausweis der Steuer erteilt hat und wenn (Nummer 2) der Leistungsempfänger im Falle des gesonderten Ausweises der Steuer den Vorsteuerabzug nach § 15 des Gesetzes hinsichtlich dieser Steuer voll in Anspruch nehmen könnte. Nach § 52 Abs. 2 Nr. 1 UStDV 1980 muß der leistende Unternehmer über die von ihm ausgeführte, dem Abzugsverfahren unterliegende Leistung eine Rechnung erteilen (vgl. dazu Abschn. 234 Abs. 3 Satz 5 UStR 1996; Mösslang in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, 5. Aufl., § 18 Bem. 119). Der Verordnungsgeber wollte, worauf § 52 Abs. 5 Nr. 2 UStDV 1980 für die Vorsteuerberichtigung und § 56 Abs. 4 i. V. m. Abs. 3 UStDV 1980 für die Aufzeichnungspflichten hinweisen, die Null-Regelung nicht schon bei "Ohne-Rechnung-Geschäften" zulassen (vgl. auch FG des Saarlandes, Urteil vom 4. Februar 1992 1 K 341/90, Umsatzsteuer-Rundschau 1993, 91). Die Abrechnung darf allerdings keinen gesonderten Ausweis der Steuer für die steuerpflichtige Leistung enthalten (§ 52 Abs. 2 Nr. 1 UStDV 1980). Für den Inhalt der Abrechnung gelten - mit Ausnahme des gesondert ausgewiesenen Steuerbetrages - grundsätzlich die allgemeinen Voraussetzungen (vgl. dazu z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. November 1994 V R 45/93, BFHE 176, 472, BStBl II 1995, 395 unter II. 2. zur Abrechnung über die Leistung).

Die bei der Vereinbarung der Null-Regelung erteilte Rechnung muß somit von dem leistenden Unternehmer ausgestellt worden sein. Sie muß die Leistung so genau beschreiben (vgl. § 14 Abs. 4 UStG 1980), daß eindeutig und leicht nachprüfbar beurteilt werden kann, über welche Leistung abgerechnet worden ist. Im Rahmen des Abzugsverfahrens nach §§ 51 ff. UStDV 1980 kann aber darauf verzichtet werden, daß der in der Rechnung bezeichnete leistende Unternehmer eindeutig und leicht nachprüfbar bestimmbar ist. Da die Steuer im Abzugsverfahren nicht beim Rechnungsaussteller und leistenden Unternehmer erhoben wird, hat seine leichte Identifizierbarkeit hier nicht die Bedeutung, die ihr im allgemeinen Besteuerungsverfahren zukommt (vgl. BFH-Urteil vom 17. September 1992 V R 41/89, BFHE 169, 540, BStBl II 1993, 205).

Im Abzugsverfahren hat der vorsteuerabzugsberechtigte Leistungsempfänger die Steuer des Leistenden abzuführen und ggf. zu haften. Er haftet unter den Voraussetzungen der §§ 51 ff. UStDV 1980 für die Steuerschuld des leistenden Unternehmers selbst dann, wenn der Steuerschuldner nicht eindeutig und leicht nachprüfbar identifiziert werden kann. Unter den Voraussetzungen des § 52 Abs. 2 UStDV 1980 ist der Leistungsempfänger von der Verpflichtung zur Einbehaltung der Steuer auch dann befreit, wenn der leistende Unternehmer anhand der Angaben in der Rechnung nicht eindeutig und leicht nachprüfbar bestimmt und ermittelt werden kann. Behauptet das Finanzamt, die als Rechnungsaussteller aufgetretene Person habe die abgerechnete Leistung nicht ausgeführt, muß dies unter Mitwirkung des Leistungsempfängers (§ 76 Abs. 1 Satz 2 FGO) aufgeklärt, und die Beweisergebnisse müssen gewürdigt werden. Bleibt die Behauptung unbewiesen, die als Rechnungsaussteller bezeichnete Person habe die abgerechnete Leistung nicht erbracht, trägt das Finanzamt insoweit die Feststellungslast.

2. Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen, weil es die §§ 51 und 53 bis 55 UStDV 1980 auch dann für unanwendbar gehalten hat, wenn Rechnungen über in § 51 Abs. 1 UStDV 1980 bezeichnete Leistungen nicht von den leistenden Unternehmern ausgestellt worden waren. Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung ist zu prüfen, ob und welche der für die Haftungsbescheide herangezogenen Rechnungen Leistungen oder Leistungserfolge ausweisen, die die Aussteller nicht selbst oder mit Hilfe von überlassenen Arbeitnehmern erbracht haben.