| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 14.5.1998 (VII R 139/97) BStBl. 1998 II S. 579

Das FA darf, ohne seine Amtsermittlungspflicht zu verletzen, die ihm von der Verkehrsbehörde übermittelte Einstufung eines Kraftfahrzeuges als LKW der Kraftfahrzeugsteuerfestsetzung zugrunde legen, wenn kein konkreter, d. h. durch die für das FA ersichtlichen Umstände des Einzelfalls begründeter Anlaß besteht, an der Richtigkeit dieser Einstufung zu zweifeln.

KraftStG § 8; AO 1977 § 173 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Münster (EFG 1998, 413)

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Halterin eines für sie seit Juni 1996 zugelassenen Kfz vom Typ Mitsubishi L 040. Das Fahrzeug war erstmals 1988 für einen anderen Halter als PKW zugelassen worden; bereits 1994 war jedoch im Kraftfahrzeugbrief die Fahrzeugart "LKW geschlossener Kasten" bescheinigt worden. Auf der Grundlage der ihm im Datenträgeraustausch von der Zulassungsstelle übermittelten technischen Daten setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Kraftfahrzeugsteuer gegen die Klägerin zunächst auf 243 DM jährlich fest. Im Juli 1996 änderte das FA jedoch diesen Bescheid und verlangte rückwirkend gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes Kraftfahrzeugsteuer von jährlich 927 DM (PKW-Besteuerung).

Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 413 veröffentlicht worden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom FG zugelassene Revision des FA, zu deren Begründung im wesentlichen vorgetragen wird:

Der Fall, der dem vom FG angeführten Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) zugrunde gelegen habe, sei mit dem der Klägerin nicht vergleichbar, weil das FA - anders als dort - aus dem Kfz-Steuer-Konto der Klägerin den Umbau nicht habe erkennen können; denn das Fahrzeug sei bei seiner Zulassung auf die Klägerin von Anfang an als LKW eingestuft worden. Es könne vom FA in einem Massenverfahren nicht verlangt werden, daß ohne eine besondere Veranlassung überprüft werde, ob nach dem Gesamtbild der technischen Daten trotz zulassungsrechtlicher Einstufung eines Fahrzeuges als LKW steuerrechtlich ein PKW vorliege; das gelte insbesondere dann, wenn die im Datenträgeraustausch übermittelten Daten keine Rückschlüsse auf eine Umrüstung und eine zulassungsrechtliche Umstufung zuließen.

Im übrigen habe das FG zu Unrecht die Möglichkeit einer Änderungsfestsetzung für die Zukunft verneint.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision des FA zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet und führt zur Aufhebung des Urteils des FG und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Das FG hat rechtsfehlerfrei erkannt, daß das Fahrzeug der Klägerin ein PKW ist. Diese im wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet liegende Würdigung, bei der das FG in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats maßgeblich auf das Erscheinungsbild des Fahrzeuges und die Konzeption seines Herstellers abgestellt hat (vgl. u. a. Urteile des Senats vom 29. April 1997 VII R 1/97, BFHE 183, 272, BStBl II 1997, 627, und vom 26. November 1991 VII R 88/90, BFH/NV 1992, 414), ist für den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindend. Auch die Revision hat gegen die Würdigung des FG offenbar keine Einwände.

Die Steuerfestsetzung in dem ursprünglich gegen die Klägerin ergangenen Kraftfahrzeugsteuerbescheid, bei der das FA entsprechend den ihm von der Zulassungsstelle übermittelten Daten von einem LKW ausgegangen ist, entsprach demnach nicht dem Gesetz. Sie kann für die Vergangenheit - d. h. für den bei Erlaß des angefochtenen Änderungsbescheides schon begonnenen Besteuerungszeitraum 1996/1997 - unter den Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geändert werden. Dessen Voraussetzungen liegen vor. Das FG hat dazu ebenfalls rechtsfehlerfrei sinngemäß ausgeführt, daß das FA bei Kenntnis der Tatsache, daß das Fahrzeug der Klägerin als PKW konzipiert und später in der in dem Urteil des FG im einzelnen beschriebenen Weise umgebaut worden ist, zu einer anderen kraftfahrzeugsteuerrechtlichen Entscheidung gelangt wäre, daß also die vorgenannten, dem FA bei Erlaß des ursprünglich gegen die Klägerin ergangenen Kraftfahrzeugsteuerbescheides nicht bekannten Tatsachen entscheidungserheblich gewesen wären.

Entgegen der Ansicht des FG scheitert eine Änderung des rechtswidrigen Kraftfahrzeugsteuerbescheides nicht am Grundsatz von Treu und Glauben. Das FA war nicht durch § 88 AO 1977 verpflichtet, den Fahrzeugtyp festzustellen; es durfte sich vielmehr damit begnügen, daß ihm von der Zulassungsstelle übermittelt worden ist, es handele sich um einen LKW. Konkreter, d. h. durch die für das FA ersichtlichen Umstände des Einzelfalles begründeter Anlaß, an der Richtigkeit dieser Einstufung der Zulassungsstelle zu zweifeln, bestand für das FA nicht. Wie die Revision richtig herausstellt, unterscheidet sich der Streitfall insofern wesentlich von dem Sachverhalt, der dem vom FG angeführten Urteil des erkennenden Senats in BFHE 183, 272, BStBl II 1997, 627 zugrunde lag, nämlich einem Fall der verkehrsbehördlichen Umstufung eines Fahrzeuges und der dadurch ausgelösten Neufestsetzung der Steuer gegen denselben Steuerpflichtigen.

Allerdings mußte dem FA bei Erlaß des ursprünglich gegen die Klägerin ergangenen Steuerbescheides bekannt sein und war ihm offenbar auch bekannt, daß die Kraftfahrzeugzulassungsstellen bei der verkehrsrechtlichen Einstufung von PKW-Kombis mit Trennwand zwischen Fahrgastraum und Ladefläche und anderen auch zur Lastenbeförderung geeigneten Fahrzeugen insbesondere in Umbaufällen Maßstäbe anwenden, die den von der Rechtsprechung der Finanzgerichte und des erkennenden Senats entwickelten Anforderungen an die Unterscheidung zwischen PKW und LKW nicht in allen Fällen entsprechen. Das FA konnte deshalb nicht davon ausgehen, daß die Einstufung eines Fahrzeuges durch die Verkehrsbehörde als LKW generell zutreffend ist, sondern es mußte damit rechnen, daß es bei angeblichen LKW mit geringem zulässigen Gesamtgewicht aufgrund der strengeren Anforderungen der finanzgerichtlichen Rechtsprechung - unbeschadet der Maßgeblichkeit verkehrsrechtlicher Vorschriften auch für das Kraftfahrzeugsteuerrecht (vgl. Urteile des Senats vom 28. Juli 1992 VII R 118/91, BFHE 169, 468, BStBl II 1993, 250, und vom 5. Februar 1985 VII R 181/82, BFHE 142, 515, BStBl II 1985, 230) - insbesondere in Umbaufällen zu aus der Sicht der Finanzbehörden unzutreffenden Zuordnungen kommen kann.

Nach Auffassung des erkennenden Senats rechtfertigt dies jedoch nicht die Annahme des FG, das FA habe vor Erlaß des Kraftfahrzeugsteuerbescheides gegen die Klägerin den Fahrzeugtyp ermitteln müssen. Denn dies würde bedeuten, daß die Kraftfahrzeugsteuerstellen bei von der Verkehrsbehörde als LKW eingestuften Fahrzeugen mit bis zu 2,8 t zulässigem Gesamtgewicht stets den Fahrzeugtyp ermitteln müßten (wegen der Besteuerung von Fahrzeugen mit höherem Gesamtgewicht, sofern sie Kombinationsfahrzeuge sind, vgl. Urteile des Senats vom 26. August 1997 VII R 60/97, BFHE 183, 276, BStBl 1997, 744, und vom 31. März 1998 VII R 115/97, zur Veröffentlichung in BFH/NV bestimmt). Sie liefen sonst Gefahr, die zutreffende Besteuerung nicht durchführen zu können, wenn sich nachträglich herausstellt, daß es sich nicht um einen Klein-LKW oder um einen auch nach den strengen Maßstäben der finanzgerichtlichen Rechtsprechung - etwa infolge "Verblechung" der hinteren Fenster und Umgestaltung des dahinterliegenden Innenraums zum Laderaum - entgegen seiner ursprünglichen Konzeption zum LKW umgebauten PKW handelt, sondern um einen der Fälle, in denen die Rechtsprechung der Finanzgerichte, anders als die Praxis der Verkehrsbehörden, trotz Umbaus oder Vorliegens einer Sonderausführung eines PKW-Serienfahrzeuges (vgl. Urteil des Senats vom 5. Mai 1998 VII R 104/97, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt) das Fahrzeug dem Typus PKW zuordnet. Damit wäre indes, solange nicht durch eine Umstellung des elektronischen Datenaustausches mit den Verkehrsbehörden umgebaute Fahrzeuge vom FA ohne weiteres identifiziert werden konnten, die Möglichkeit der Übernahme der von der Verkehrsbehörde vorgenommenen Zuordnung dieser Kraftfahrzeuge zum Typus PKW oder LKW in einem bedeutenden Bereich faktisch ausgeschlossen gewesen, obwohl damit gerechnet werden konnte, daß in der Mehrzahl der Fälle die verkehrsbehördliche Einstufung eines Kfz als LKW auch aus der Sicht der von den Kraftfahrzeugsteuerstellen zu beachtenden Maßstäbe zutreffend war. In solcher Weise bei der Besteuerung von Kraftfahrzeugen gleichsam ins Blaue hinein - mit voraussichtlich nicht unerheblichem Verwaltungsaufwand - zu ermitteln, verlange § 88 AO 1977 von dem FA nach Ansicht des Senats nicht (im Ergebnis ebenso FG Münster, Urteil vom 29. April 1997 13 K 4217/96 Kfz, EFG 1997, 1409), zumal es der Steuerpflichtige jederzeit in der Hand hatte, in Grenz- oder Zweifelsfällen das FA von sich aus auf die für die Besteuerung wesentlichen Merkmale seines Fahrzeuges hinzuweisen und dadurch eine endgültige Entscheidung über seine Besteuerung herbeizuführen. Das gilt jedenfalls für den hier fraglichen Zeitraum, nachdem den Finanzbehörden erst Ende 1993 deutlich geworden war, daß bei Übermittlung nur der verkehrsbehördlichen Einordnung der Fahrzeuge als PKW oder LKW insbesondere in Umbaufällen eine zutreffende Besteuerung nicht ausnahmslos gewährleistet ist.

Im übrigen hat der erkennende Senat schon in seiner bisherigen Rechtsprechung hervorgehoben, das FA müsse zwangsläufig zu Zweifeln an der Bewertung eines Fahrzeugs als LKW durch die Zulassungsstelle nur dann gelangen, wenn - vom FG ggf. festzustellende - besondere Gründe eine solche Überprüfung veranlaßten, sich also etwa aus einer dem FA bekannten früheren Besteuerung des Fahrzeugs als PKW oder sonst beim FA vorliegenden besonderen Erkenntnissen die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen ergebe (Urteil vom 12. August 1997 VII R 49/97, BFH/NV 1998, 219; vgl. auch Urteil des Senats vom 29. Juli 1997 VII R 19, 20/97, BFH/NV 1998, 217). Selbst eine Mitteilung der Zulassungsstelle über eine Fahrzeugveränderung hat der Senat in diesem Zusammenhang nicht als ohne weiteres ausreichenden Anlaß für weitere Ermittlungen des FA angesehen (Urteil vom 12. August 1997 VII R 27/97, BFH/NV 1998, 219).

Da das FG von höheren Anforderungen an die Ermittlungspflicht des FA ausgegangen ist als sie der erkennende Senat für angemessen hält, ist seine Entscheidung aufzuheben. Die Klage ist für den bei Erlaß des Änderungsbescheides bereits begonnenen Besteuerungszeitraum abzuweisen, weil die Änderung des Kraftfahrzeugsteuerbescheides der Klägerin insoweit nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 statthaft war.

Ob mit Rücksicht auf den Erlaß des Finanzministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 21. Januar 1998 S 6104-2-V A 1, Ziff. 3 Unterabs. 2, ein Absehen von der Erhebung der PKW-Steuer für den Besteuerungszeitraum 1996/1997 im Verwaltungswege in Betracht kommt, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

2. Hinsichtlich der bei Erlaß des angefochtenen Änderungsbescheides noch nicht angebrochenen Besteuerungszeiträume entspricht das Urteil des FG ebenfalls nicht dem Bundesrecht. Denn da die Kraftfahrzeugsteuer bei fortlaufenden Entrichtungszeiträumen mit Beginn des jeweiligen Entrichtungszeitraums neu entsteht, ist für die Zukunft - d. h. für bevorstehende Entrichtungszeiträume - eine der Rechtslage entsprechende Neufestsetzung jederzeit möglich, ohne daß dabei § 173 Abs. 1 AO 1977 zu beachten wäre (Urteil des Senats vom 24. März 1998 VII R 59/97, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt). Das FA durfte folglich den ursprünglich gegen die Klägerin erlassenen Steuerbescheid auch für die Zukunft ändern und hat dies mit Recht getan. Denn die in dem angefochtenen Änderungsbescheid für die Zukunft festgesetzte Kraftfahrzeugsteuer entspricht dem Gesetz.

Die Klage ist daher insgesamt abzuweisen.