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  BFH-Urteil vom 28.5.1998 (IV R 48/97) BStBl. 1998 II S. 775

1. Der Begriff des firmen- oder geschäftswertähnlichen Wirtschaftsguts hat aufgrund der 1987 eingetretenen Gesetzesänderung - Wegfall der Bezeichnung "Geschäfts- oder Firmenwert" im Klammerzusatz des § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG und Einführung einer Abschreibungsdauer von 15 Jahren für den Geschäfts- oder Firmenwert in § 7 Abs. 1 Satz 3 EStG 1986 - seine ursprüngliche steuerliche Bedeutung verloren. Je nachdem, ob sie einem Wertverzehr unterliegen, können solche immateriellen Wirtschaftsgüter abschreibbar oder als nichtabnutzbare immerwährende Rechte zu behandeln sein.

2. Aufwendungen für entgeltlich erworbene Belieferungsrechte sind zu aktivieren. Bestehen diese Belieferungsrechte aus mehreren Einzelwirtschaftsgütern, wie Kundenstamm und Wettbewerbsverbote, so ist für jedes dieser Wirtschaftsgüter gesondert zu entscheiden, ob sich ihr Wert innerhalb einer bestimmten Zeit erschöpft. In diesem Fall sind Absetzungen für Abnutzung vorzunehmen.

EStG 1986 § 6 Abs. 1 Nr. 2, § 7 Abs. 1 Satz 3.

Vorinstanz: FG Münster (EFG 1997, 1380)

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt als GmbH & Co. KG den Großhandel mit Zeitungen und Zeitschriften. Ihre Rechtsvorgängerin, die X, stand bis zum Jahr 1973 im Wettbewerb mit der Y. Auf Drängen der Verlage schlossen die konkurrierenden Großhandelsbetriebe mit Wirkung zum 26. März 1973 eine sog. Gebietsbereinigungsvereinbarung, nach der die Y gegen eine Ausgleichszahlung die Zeitungen- und Zeitschriften-Großo-Lieferungen im Raum A zugunsten der X einstellte. In gleicher Weise erwarb die X 1974 eine weitere "erhöhte Belieferungsmöglichkeit" für den Raum B. Nach Abschluß dieser Gebietsbereinigungsvereinbarungen verfügte die Klägerin für die genannten Gebiete über ein Alleinvertriebsrecht, das von den Verlagen zumindest faktisch garantiert wurde.

Mit dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) war man sich darüber einig, daß die Belieferungsrechte in den Bilanzen zum 31. Dezember 1974 bis 31. Dezember 1986 als nicht abschreibungsfähige, firmenwertähnliche immaterielle Wirtschaftsgüter mit 450.000 DM (Raum A) und 275.000 DM (Raum B) zu aktivieren waren. Bei der Erstellung der Bilanzen für die Streitjahre 1987 bis 1990 nahm die Klägerin unter Hinweis auf § 7 Abs. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1986 Abschreibungen in Höhe von 48.333 DM auf die Belieferungsmöglichkeiten vor. Das FA versagte die Abschreibungen nach einer Betriebsprüfung.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, die entgeltlich erworbenen Belieferungsmöglichkeiten seien auch weiterhin als nicht abschreibungsfähige immaterielle Wirtschaftsgüter zu behandeln. Für eine mögliche Teilwertabschreibung seien keine Anhaltspunkte gegeben. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 1380 veröffentlicht.

Mit ihrer dagegen gerichteten, vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet; das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Die Feststellungen des FG tragen nicht das Ergebnis der Vorentscheidung, wonach die von der Klägerin erworbenen Belieferungsmöglichkeiten als einheitliche firmenwertähnliche Wirtschaftsgüter mit den Anschaffungskosten zu aktivieren sind, Absetzungen für Abnutzung (AfA) aber mit der Begründung versagt werden, es handele sich um immerwährende Rechte.

a) Als firmen- oder geschäftswertähnliche Wirtschaftsgüter sind in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) z. B. ein Kundenstamm, ein Verlagswert und eine Güterfernverkehrsgenehmigung angesehen worden (BFH-Urteile vom 14. März 1979 I R 37/75, BFHE 127, 386, BStBl II 1979, 470; vom 26. Juli 1989 I R 49/85, BFH/NV 1990, 442; vom 22. Januar 1992 I R 43/91, BFHE 167, 61, BStBl II 1992, 529). Allgemein versteht man darunter Rechtspositionen oder faktische Verhältnisse, die, ähnlich wie der Geschäftswert, mit dem Unternehmen als solchem und seinen Gewinnchancen unmittelbar verknüpft sind (Senatsurteil vom 18. Februar 1993 IV R 40/92, BFHE 171, 422, BStBl II 1994, 224), die aber losgelöst von einem Unternehmen oder Unternehmensteil als selbständige Wirtschaftsgüter übertragbar sind (vgl. Hermann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 6 EStG Anm. 852 a. E.). Für die Zeit bis 1986 diente der Begriff der Firmenwertähnlichkeit dazu, diese immateriellen Einzelwirtschaftsgüter von den übrigen abnutzbaren immateriellen Wirtschaftsgütern zu unterscheiden. Firmen- oder geschäftswertähnliche Wirtschaftsgüter wurden danach hinsichtlich der AfA und der Teilwertabschreibung wie der Geschäftswert behandelt, wenn sie nicht bei einer Betriebsveräußerung im Geschäfts- oder Firmenwert aufgingen (s. etwa Senatsurteil vom 25. Januar 1979 IV R 21/75, BFHE 127, 180, BStBl II 1979, 369 zu 2. b).

b) Aufgrund der 1987 eingetretenen Gesetzesänderung - Wegfall des Wortes "Geschäfts- oder Firmenwert" im Klammerzusatz des § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG und Einführung einer Abschreibungsdauer von 15 Jahren für den Geschäfts- oder Firmenwert in § 7 Abs. 1 Satz 3 EStG 1986 - hat der Begriff des firmen- oder geschäftswertähnlichen Wirtschaftsguts seine ursprüngliche einkommensteuerliche Bedeutung verloren. Denn weder kann man solche immateriellen Wirtschaftsgüter nach wie vor ausnahmslos als nicht abnutzbar behandeln (so jedoch Werndl in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 7 Anm. B 190), noch unterliegen alle diese Einzelwirtschaftsgüter in Anlehnung an die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 3 EStG von vornherein planmäßigen Abschreibungen, wie dies die Klägerin im Streitfall erstrebt. Mit der Aufgabe der Einheitstheorie, wonach der erworbene und der vom Erwerber selbst geschaffene Geschäfts- oder Firmenwert als einheitliches Wirtschaftsgut behandelt wurde (s. auch Senatsurteil vom 24. Februar 1994 IV R 33/93, BFHE 174, 230, BStBl II 1994, 590 zum Praxiswert bei Gründung einer Sozietät), ist daher die Grundlage für eine entsprechende Beurteilung der sog. firmenwertähnlichen Wirtschaftsgüter und damit auch das generelle Abschreibungsverbot entfallen. Die immateriellen Wirtschaftsgüter sind danach nur noch in den Geschäfts- oder Firmenwert und die immateriellen Einzelwirtschaftsgüter zu unterscheiden (gleicher Ansicht in Herrmann/Heuer/Raupach, a. a. O., § 6 EStG Anm. 852). Letztere können, wie die Güterfernverkehrsgenehmigung, zu den nicht abnutzbaren, immerwährenden Rechten (zuletzt BFH-Urteil vom 15. Dezember 1993 X R 102/92, BFH/NV 1994, 543, m. w. N.) oder, wie etwa der Verlagswert, zu den abnutzbaren immateriellen Wirtschaftsgütern gehören (so Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 20. November 1986, BStBl I 1986, 532, 533 zu Verlagswerten).

c) Ob ein immaterielles Wirtschaftsgut abnutzbar ist, entscheidet sich danach, ob seine Nutzung unter rechtlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten zeitlich begrenzt ist (vgl. § 253 Abs. 2 des Handelsgesetzbuches - HGB -). Hat die Rechtsprechung Belieferungsmöglichkeiten eines Zeitschriften-Großunternehmens bisher als nichtabnutzbare geschäftswertähnliche immaterielle Wirtschaftsgüter beurteilt (so etwa FG Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, Entscheidung vom 1. Dezember 1982 II 44/79, EFG 1983, 402, rechtskräftig), so ist jedenfalls für den Fall an dem Abschreibungsverbot festzuhalten, daß diese Belieferungsmöglichkeit von den Konkurrenzunternehmen zumindest faktisch garantiert wird. Andererseits hat der Senat auch schon vor Änderung der §§ 6 Abs. 1 Nr. 2, 7 Abs. 1 Satz 3 durch das EStG 1986 Wettbewerbsverbote als abnutzbare immaterielle Einzelwirtschaftsgüter beurteilt, wenn sie als Hauptleistung - also unabhängig vom Erwerb eines Unternehmens - vereinbart worden sind (Urteil vom 25. Januar 1979 IV R 21/75, BFHE 127, 180, BStBl II 1979, 369). In gleicher Weise wurden ein Kundenstamm oder Geschäftsbeziehungen behandelt, wenn der Unternehmer ständig mit einer Beendigung der Geschäftsbeziehungen zu den einzelnen Wiederverkäufern rechnen mußte (Urteil vom 17. März 1977 IV R 218/72, BFHE 122, 70, BStBl II 1977, 595; s. auch BFH-Urteil vom 16. September 1970 I R 196/67, BFHE 101, 76, BStBl II 1971, 175). Im übrigen können Aufwendungen für einen Kundenstamm oder ein Wettbewerbsverbot auch als Anschaffungskosten für ein nicht abnutzbares immaterielles Wirtschaftsgut zu aktivieren sein, wenn sich der Wert dieses Wirtschaftsguts tatsächlich nicht innerhalb einer bestimmbaren Zeit erschöpft. Dies hat der BFH etwa bei Aufwendungen für die Übernahme der Zweigstelle einer Bank, deren Stillegung beabsichtigt war, angenommen (Urteil vom 26. Juli 1989 I R 49/85, BFH/NV 1990, 442; ebenso Senatsurteil in BFHE 127, 180, BStBl II 1979, 369).

2. Der erkennende Senat kann nicht abschließend entscheiden, ob die Vorentscheidung den dargestellten Grundsätzen entspricht. Zwar geht das FG noch von der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs der firmenwertähnlichen Wirtschaftsgüter aus und meint, diese seien dem abnutzbaren Geschäftswert nicht gleichzustellen. Die Entscheidung der Frage, ob die Klägerin ein einheitliches immaterielles Wirtschaftsgut oder mehrere getrennt zu bewertende immaterielle Einzelwirtschaftsgüter erworben hat, ob diese abnutzbar sind und welche Nutzungsdauer gegebenenfalls anzusetzen ist, liegt jedoch auf tatsächlichem Gebiet. Dazu hat das FG "auch den Umstand gewürdigt, daß die Klägerin ... zugleich einen neuen Kundenstamm erworben hat". Dieser Kundenstamm soll jedoch in dem von den Konkurrenzverlagen "faktisch garantierten Gebietsmonopol" aufgegangen sein. Diese Würdigung beruht auf für den Senat nicht erkennbaren Tatsachenfeststellungen. Die Vorentscheidung hat weder den Inhalt der fraglichen Gebietsbereinigungsvereinbarungen wiedergegeben, noch sich auf solche bei den Akten befindliche Vereinbarungen bezogen. Bei erneuter Verhandlung wird das FG auf der Grundlage der nachzuholenden Feststellungen entscheiden müssen, ob der Klägerin ihrem Vortrag entsprechend tatsächlich Anschaffungskosten für mehrere immaterielle Einzelwirtschaftsgüter entstanden sind oder ob sie nur ein umfassendes Belieferungsrecht erworben hat, das durch Nebenabreden wie Wettbewerbsverbote oder Übertragung von Geschäftsbeziehungen abgesichert wurde, ferner ob und in welchem Zeitraum diese Rechte abnutzbar sind.

Wurden die aktivierten Beträge lediglich für den Wettbewerbsverzicht eines Konkurrenten aufgewandt, so unterliegen sie dem Wertverzehr und demzufolge der regelmäßigen Abschreibung; denn der verzichtende Mitbewerber kann und will nicht garantieren, daß nicht irgendwann ein neuer Konkurrent in das Marktgeschehen eingreift. Eine andere Beurteilung wäre allerdings geboten, wenn die Verlage im Rahmen der getroffenen Vereinbarung selbst die Verpflichtung übernommen hätten, innerhalb des betreffenden Gebiets auf Dauer auch keinen dritten Großhändler zu beliefern. Eine Verminderung des Kundenstamms wäre bei Bestehen einer solchen Garantie der Lieferanten unwahrscheinlich. Bei gleichbleibendem Abnehmerkreis von Zeitungen und Zeitschriften wäre aber auch eine Abschreibung der aktivierten Beträge unzulässig.