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  BFH-Urteil vom 23.9.1998 (XI R 11/98) BStBl. 1999 II S. 133

Pflegesätze, die für die Unterbringung von Kindern in einem Kinderhaus gezahlt werden, sind keine Beihilfen i. S. des § 3 Nr. 11 EStG.

Kinder, die in einem Kinderhaus untergebracht sind, sind keine Pflegekinder.

EStG § 3 Nr. 11, § 32; SGB VIII §§ 33, 34, 39, 77.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt seit 1991 ein Kinderhaus, eine Einrichtung, in der Kinder und Jugendliche über Tag und Nacht betreut werden. Für den Betrieb des Kinderhauses liegt eine Erlaubnis nach § 45 des VIII. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VIII) des Landschaftsverbandes Rheinland vor. Die Erlaubnis ist auf ein Kinderhaus mit sechs Kindern begrenzt. In dem Kinderhaus der Klägerin lebten im Streitjahr sechs Kinder, die nur noch zum Teil Kontakt zum Elternhaus hatten. Seit 1991 beschäftigt die Klägerin zwei Angestellte. Für die erbrachten Leistungen erhält die Klägerin Pflegesatzzahlungen des R-Kreises, die 1992 101,35 DM und 1993 104,80 DM pro Kind und Tag betrugen.

Die Klägerin ist der Auffassung, daß ihr die Kinder zuzurechnen und die Pflegesatzzahlungen als steuerfreie Beihilfe gemäß § 3 Nr. 11 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu erfassen seien. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) folgte dieser Beurteilung nicht. Bei den Kindern handele es sich um sog. Kostkinder. Das gesamte Kinderhaus sei in den Streitjahren mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben worden; es sei die wesentliche Erwerbsgrundlage der Klägerin gewesen.

Die Klage vor dem Finanzgericht (FG) hatte keinen Erfolg. Der Klägerin seien keine Bezüge wegen (eigener) Hilfsbedürftigkeit bewilligt worden. Auch könnten die Zahlungen nicht als Beihilfen zur unmittelbaren Förderung der Erziehung beurteilt werden. Die Pflegesätze stellten ein Entgelt für die Dienstleistung dar. Zu dem fehle es an einer "unmittelbaren" Förderung der Erziehung.

Die in das Kinderhaus aufgenommenen Kinder seien keine Pflegekinder i. S. des § 32 EStG. Es fehle an einem familienähnlichen Band und an der Aufnahme der Kinder in den Haushalt der Klägerin.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts.

Ein Kinderhaus sei keine Heimeinrichtung nach § 34 SGB VIII. Es handele sich vielmehr um eine besondere Form der Familienpflege nach § 33 SGB VIII. Nur aus haushalts- und aufsichtsrechtlichen Gründen seien auch Kinderhäuser dem Bereich der institutionellen Erziehung zugeordnet. Das Kinderhaus sei eine Ersatzfamilie. Die von ihr, der Klägerin, erzielten Einnahmen seien gemäß § 3 Nr. 11 EStG steuerfrei.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer der Jahre 1992 und 1993 auf 0 DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entgegen der Darstellung der Klägerin stelle das von ihr betriebene Kinderhaus eine Einrichtung i. S. des § 34 SGB VIII und keine besondere Form der Familienpflege i. S. des § 33 SGB VIII dar. Bei mehr als fünf aufgenommenen Kindern und Jugendlichen liege keine Familienpflege, sondern eine Betreuung in einer Einrichtung vor (Münder, Frankfurter Lehr- und Praxiskommentar zum Kinder- und Jugendhilfegesetz, 2. Aufl., § 33 Rz. 1; § 34 Rz. 2). Für die betreuten Kinder würden keine Pflegegelder, sondern Pflegesätze bezahlt. Da die Heimpflegeverträge auch Elemente des Dienstvertrags beinhalteten, stellten die gezahlten Pflegesätze - teilweise - ein Entgelt für die erbrachte Dienstleistung dar. Die Aufnahme der Kinder sei als Erwerbstätigkeit anzusehen. Entscheidende Grundlage für die erwerbsmäßige Tätigkeit sei daher die Abrechnung mit Pflegesätzen statt wie bei der Vollzeitpflege mit steuerfreien Pflegegeldern.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zutreffend die Zahlungen an die Klägerin für die Betreuung der Kinder nicht als steuerfreie Bezüge und die Kinder nicht als Pflegekinder beurteilt.

1. Steuerfrei sind gemäß § 3 Nr. 11 EStG - soweit hier von Bedeutung - Bezüge aus öffentlichen Mitteln, die als Beihilfe zu dem Zweck bewilligt werden, die Erziehung unmittelbar zu fördern.

Öffentlich-rechtliche Beihilfen sind uneigennützig gewährte Unterstützungsleistungen (vgl. von Beckerath in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 3 Rdnr. B 11/5; vgl. ferner Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 20. Aufl., § 3 Nr. 11 EStG Anm. 17). Der Umfang der Beihilfe ist unterschiedlich und von der konkreten sozialen Lage abhängig. Entscheidendes Merkmal der Beihilfe ist ihre Unentgeltlichkeit und Einseitigkeit. Leistungen, die im Rahmen eines entgeltlichen Austauschgeschäfts erbracht werden, können nicht als Beihilfe qualifiziert werden.

Demgemäß hat der Bundesfinanzhof (BFH) die von den Jugendämtern an Pflegeeltern geleisteten Erziehungsgelder als nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfrei beurteilt (BFH-Urteil vom 28. Juni 1984 IV R 49/83, BFHE 141, 154, BStBl II 1984, 571). Mit der Zahlung der Pflegegelder sei keine vollständige Ersetzung des sachlichen und zeitlichen Aufwands der Pflegeeltern beabsichtigt (BFH-Urteil in 141, 154, BStBl II 1984, 571); Zuwendungen an Pflegeeltern ähnelten in vielerlei Hinsicht Zahlungen, die die leiblichen Eltern für die Erziehung ihrer Kinder ebenfalls steuerfrei erhielten (BFH-Urteil vom 17. Mai 1990 IV R 14/87, BFHE 161, 361, BStBl II 1990, 1018). Diesen Leistungen gegenübergestellt hat der BFH als steuerpflichtige Einnahmen Zahlungen an Personen, die Kinder nur des Erwerbs wegen in ihren Haushalt aufgenommen haben (BFH-Urteil in BFHE 161, 361, BStBl II 1990, 1018).

Dieser Unterscheidung entsprechend sind im Streitfall die an die Klägerin gezahlten Gelder keine Beihilfen i. S. des § 3 Nr. 11 EStG. Die Beträge, die die Klägerin für die Übernahme der Heimerziehung erhielt, sollten - pauschal - die tatsächlichen Kosten in angemessenem Umfang ersetzen. Die der Berechnung zugrunde gelegten Pflegesätze umfassen gemäß § 39 Abs. 2, § 77 SGB VIII die Personal- und die Sachkosten (Wiesner, Kommentar zum SGB VIII, 1995, § 77 Rz. 11; zur unterschiedlichen Höhe von Pflegegeld und Pflegesätzen vgl. auch Oberloskamp, Jugendhilferechtliche Fälle für Studium und Praxis, 9. Aufl., 1996, Rz. 84, 85, 92). Nach den Feststellungen des FG ist in den Pflegesätzen ein "fiktives" Gehalt für die Klägerin als Heimleiterin enthalten. Dieser Berechnungsmodus läßt erkennen, daß der Bereich der unentgeltlichen familiären Pflege, in dem die Pflegepersonen durch Beihilfen unterstützt werden, mit dem auf Erwerbstätigkeit gerichteten Betrieb eines Kinderhauses verlassen ist. Bestätigt wird diese Beurteilung dadurch, daß entgegen der Auffassung der Klägerin ein Kinderhaus nach allgemeiner Meinung nicht als Pflegestelle nach § 33 SGB VIII, sondern als Einrichtung i. S. des § 34 SGB VIII einzuordnen ist (vgl. Wiesner, a. a. O., § 34 SGB VIII Rz. 28; Münder, a. a. O., 1991, § 34 SGB VIII Rz. 3; Kunkel, Grundlagen des Jugendhilferechts, 1995, Rz. 134).

Die unterschiedliche Behandlung von Pflegegeldern und Pflegesatzzahlungen ist auch verfassungsrechtlich (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) nicht zu beanstanden. Diese Differenzierung ist gerechtfertigt, weil es sich - vor allem im Hinblick auf Organisation und Finanzierung - um ganz unterschiedliche Pflegeformen handelt, die Pflegefamilie auf der einen Seite, die Betreuung im Heim auf der anderen Seite.

Die Zahlungen, die die Klägerin erhielt, sind daher als steuerpflichtige Einnahmen zu erfassen.

2. Kinderfreibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG stehen der Klägerin nicht zu. Die in das Kinderhaus aufgenommenen Kinder sind keine Pflegekinder i. S. des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Von den weiteren Voraussetzungen dieser Vorschrift abgesehen ist die Klägerin mit den Kindern nicht durch ein familienähnliches Band verbunden und hat sie nicht auf Dauer in ihren Haushalt aufgenommen. Ebenso wie bei sog. Kostkindern ein familienähnliches Band fehlt (Schmidt/Glanegger, Einkommensteuergesetz, 17. Aufl., 1998, § 32 Rz. 21; Herrmann/Heuer/Raupach, a. a. O., § 32 EStG Anm. 45), findet auch bei den in das Kinderhaus aufgenommenen Kindern eine Aufnahme in die Familie nicht statt. Rechtlich betrachtet werden die Kinder nicht in eine Familie aufgenommen, sondern sie werden gegen Entgelt in einem erwerbsmäßig betriebenen Heim untergebracht.