| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 14.5.1998 (V R 85/97) BStBl. 1999 II S. 145

Leistungen durch Abgabe von Speisen und Getränken in einem Kabarett sind keine steuerbefreiten Nebenleistungen zur Theatervorstellung, wenn sie dazu bestimmt sind, dem Theater zusätzliche Einnahmen zu verschaffen, und im unmittelbaren Wettbewerb mit gewerblichen Unternehmen (Gaststätten, Restaurants) ausgeführt werden.

UStG 1993 § 4 Nr. 20 Buchst. a.

Vorinstanz: FG Berlin (EFG 1998, 150)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) veranstaltet Kabarettaufführungen. Vor, während und nach den Veranstaltungen können die Besucher Speisen und Getränke kaufen und im Theaterraum verzehren. Dabei führen die Schauspieler vor und nach der Vorstellung während des Verzehrs Gespräche mit den Besuchern. Die Vorstellung beginnt regelmäßig an den Tischen der Gäste und nicht auf der Bühne.

Im Jahr 1993 betrugen die Umsätze der Klägerin (abgerundet)

- durch Kabarettvorstellungen 622.000 DM und

- durch Abgabe von Speisen und Getränken 866.000 DM.

Ähnlich war das Umsatzverhältnis im Streitjahr 1994.

Die Klägerin beurteilte die Abgabe der Speisen und Getränke als steuerfreie Nebenleistungen zu den nach § 4 Nr. 20 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes 1993 (künftig nur: UStG) steuerfreien Theaterumsätzen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) besteuerte die Abgabe der Speisen und Getränke in der angefochtenen Umsatzsteuerfestsetzung für 1994. Er vertrat die Auffassung, die Voraussetzungen für unselbständige Nebenleistungen seien nicht gegeben.

Das FA wies den Einspruch der Klägerin zurück. Ihre Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) änderte die Umsatzsteuerfestsetzung für 1994 antragsgemäß. Zur Begründung, daß es sich bei der Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr vor, während und nach der Theatervorstellung um unselbständige Nebenleistungen zu den Theaterumsätzen handele, obwohl die Umsätze aus der Gastronomie überwögen, führte das FG u. a. aus, die Besucher seien wegen der Kabarettaufführung und nicht wegen des Verzehrs anwesend. Die gastronomischen Leistungen der Klägerin ergänzten die kulturelle Leistung wirtschaftlich, weil die Betriebskosten sonst nicht gedeckt werden könnten. Die Abgabe der Speisen und Getränke sei für die Klägerin aus wirtschaftlichen Gründen unverzichtbar. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Veröffentlichung der Vorentscheidung in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 150 Bezug genommen.

Mit der Revision rügt das FA unrichtige Anwendung von § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG. Es legt dar, daß allein die wirtschaftliche Ergänzung der Hauptleistung nicht ausreiche, um die Abgabe der Speisen und Getränke als unselbständige Nebenleistungen zur Theaterleistung anzusehen.

Das FA beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage gegen die Umsatzsteuerfestsetzung für 1994 abzuweisen.

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Vorentscheidung verletzt § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG.

1. Nach Satz 1 des § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG sind (soweit von Interesse) die Umsätze der Theater des Bundes, der Länder, der Gemeinden oder der Gemeindeverbände steuerfrei. Nach Satz 2 dieser Vorschrift gilt das gleiche für die Umsätze gleichartiger Einrichtungen anderer Unternehmer, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, daß sie die gleichen kulturellen Aufgaben wie die in Satz 1 bezeichneten Einrichtungen erfüllen.

a) Die im Gesetz nicht näher beschriebenen Umsätze der Theater sind nach der am Wortsinn ausgerichteten Auslegung die typischen Theaterleistungen einschließlich der üblicherweise damit verbundenen Nebenleistungen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Mai 1988 X R 11/82, BFHE 153, 459, BStBl II 1988, 799, unter 2. a). Eine mit einer Theaterleistung üblicherweise verbundene Nebenleistung ist gegeben, wenn sie im Vergleich zur Hauptleistung nebensächlich ist, mit ihr eng (im Sinne einer wirtschaftlich gerechtfertigten Abrundung und Ergänzung) zusammenhängt und üblicherweise in ihrem Gefolge vorkommt (BFH-Beschluß vom 18. Dezember 1980 V B 24/80, BFHE 132, 147, BStBl II 1981, 197).

b) Die Restaurationsumsätze der Klägerin durch Abgabe von Speisen und Getränke bei Kabarettvorstellungen sind keine nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG steuerfreien Nebenleistungen.

Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des Umfangs der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG. Sie darf den durch Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. n und Abs. 2 Buchst. a und b der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) gesetzten Rahmen nicht überschreiten. Zu der richtlinienkonformen Auslegung sind die Gerichte in den Mitgliedstaaten nach Art. 5 Abs. 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) verpflichtet (ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften - EuGH -, z. B. Urteil vom 26. September 1996 Rs. C 168/95 - Arcaro, Slg. 1996, I-4705, 4719, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht - EuZW 1997, 318). Sie müssen ein zur Durchführung einer Richtlinie des Gemeinschaftsrechts (Art. 189 Abs. 3 EGV) ergangenes nationales Steuergesetz "im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie" anwenden (zur richtlinienkonformen Auslegung vgl. auch EuGH-Urteile vom 7. Dezember 1995 Rs. C 472/93 Luigi Spano, Slg. 1995, I-4321, EUZW 1996, 185; vom 8. Oktober 1987 Rs. 80/86 - Kolpinghuis Nijmegen, Slg. 1987, 3969, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1988, 594).

Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. n der Richtlinie 77/388/EWG befreien die Mitgliedstaaten von der Steuer bestimmte kulturelle Dienstleistungen und eng damit verbundene Lieferungen von Gegenständen, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannten Einrichtungen erbracht werden. Die Mitgliedstaaten können die Gewährung der bezeichneten Befreiung für Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, von der Erfüllung von Bedingungen abhängig machen (Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG).

Von der Steuerbefreiung in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. n der Richtlinie 77/388/EWG sind nach Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen ausgeschlossen, wenn sie zur Ausübung der Tätigkeiten, für die die Steuerbefreiung gewährt wird, nicht unerläßlich sind oder wenn sie im wesentlichen dazu bestimmt sind, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen durchgeführt werden.

2. Das FG hat diese bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG gezogenen Grenzen nicht beachtet.

Die Abgabe von Speisen und Getränken in einem Kabarett in dem von der Klägerin bewirkten Umfang ist schon deshalb keine steuerbefreite Nebenleistung zur Theatervorstellung, weil sie, wie das FG festgestellt hat, im wesentlichen dazu bestimmt ist, dem Theater zusätzliche Einnahmen zu verschaffen. Das geschieht im unmittelbaren Wettbewerb mit gewerblichen Unternehmen (Gaststätten, Restaurants), die Speisen und Getränke nur mit Steuerbelastung abgeben können.

Dementsprechend hat der BFH den Verkauf von Getränken an Besucher in einem Verzehrkino ebenfalls nicht als Nebenleistung zu einer Filmvorführung angesehen, sondern als selbständige Leistung beurteilt (BFH-Urteile vom 1. Juni 1995 V R 90/93, BFH/NV 1996, 269; vom 7. März 1995 XI R 46/93, BFHE 177, 165, BStBl II 1995, 429).

3. Einer Anrufung des Großen Senats wegen einer Abweichung von dem Urteil des X. Senats des BFH in BFHE 153, 459, BStBl II 1988, 799 bedarf es schon deshalb nicht, weil der X. Senat nicht mehr für Umsatzsteuer zuständig ist.