| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 17.11.1998 (VIII R 24/98) BStBl. 1999 II S. 223

Ausschüttungen an den beherrschenden Gesellschafter einer zahlungsfähigen GmbH sind diesem in der Regel auch dann zum Zeitpunkt der Beschlußfassung über die Gewinnverwendung i. S. des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zugeflossen, wenn die Gesellschafterversammlung eine spätere Fälligkeit des Auszahlungsanspruchs beschlossen hat (Bestätigung der Rechtsprechung in dem Urteil vom 30. April 1974 VIII R 123/73, BFHE 112, 355, BStBl II 1974, 541).

EStG § 11 Abs. 1 Satz 1, § 20 Abs. 1 Nr. 1, § 44 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1.

Vorinstanz: FG Düsseldorf (EFG 1998, 870)

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Gesellschafter einer GmbH. Der Kläger ist am Stammkapital der GmbH mit 96,43 v. H. und die Klägerin mit 3,57 v. H. beteiligt. In der Gesellschafterversammlung vom 30. November 1990 beschlossen die Kläger, aus dem Gewinn des Jahres 1989 Dividenden, fällig am 10. Januar 1991, auszuschütten. Der Gesellschaftsvertrag enthält zur Fälligkeit von Ausschüttungen keine Regelung. Die Niederschrift über die Gesellschafterversammlung wurde dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) im Februar 1991 mit der Kapitalertragsteueranmeldung der GmbH vorgelegt. Eine Kopie der Niederschrift ging als Kontrollmaterial im Juni 1993 in dem Veranlagungsbezirk ein, in dem die Kläger einkommensteuerlich geführt werden.

Mit Bescheid vom 22. Januar 1993 hatte das FA die Einkommensteuer der Kläger für das Jahr 1990 festgesetzt. Die Gewinnanteile für das Jahr 1989 waren nicht erfaßt, da die Kläger diese in ihrer Steuererklärung für das Jahr 1991 angegeben hatten. Mit Bescheid vom 7. Juli 1993 änderte das FA den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid für 1990 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) in der Weise, daß es die in ihrer Höhe unstreitigen Gewinnanteile für 1989 als Einnahmen aus Kapitalvermögen des Jahres 1990 erfaßte. Zur Begründung führte es an, daß im Hinblick auf die Stellung des Klägers als beherrschender Gesellschafter die Gewinnausschüttung gemäß § 11 i. V. m. § 20 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bereits im Jahr der Beschlußfassung zugeflossen sei.

Die Kläger meinten demgegenüber, daß die Voraussetzungen für eine Änderung gemäß § 173 AO 1977 nicht vorgelegen hätten, da der Gewinnverwendungsbeschluß dem FA bereits vor Erlaß des Erstbescheides für das Jahr 1990 bekanntgewesen sei. Die Gewinnanteile seien ihnen erst bei Fälligkeit der Ausschüttung im Jahre 1991 zugeflossen.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und hob den Änderungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung auf. Es entschied, die Gewinnanteile seien den Klägern erst im Jahre 1991 i. S. des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zugeflossen. Gründe, weshalb der Klägerin, die nicht beherrschende Gesellschafterin sei, der Gewinnanteil bereits vor der Fälligkeit des Auszahlungsanspruchs zugeflossen sein solle, habe das FA nicht vorgetragen und seien auch nicht ersichtlich. Soweit bei einem beherrschenden Gesellschafter oder einem Alleingesellschafter nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (Urteile vom 30. April 1974 VIII R 123/73, BFHE 112, 355, BStBl II 1974, 541; vom 21. Oktober 1981 I R 230/78, BFHE 134, 315, BStBl II 1982, 139) Gewinnausschüttungen bereits im Zeitpunkt der Beschlußfassung zugeflossen seien, sei dem für die Zeit nach der am 1. Januar 1977 in Kraft getretenen Körperschaftsteuerreform nicht mehr zu folgen. Der BFH habe die Vorverlegung des Zuflußzeitpunktes damit begründet, daß auf der einen Seite die Gesellschaft den (nach altem Recht) begünstigten Körperschaftsteuersatz erhalte, während auf der anderen Seite beim Gesellschafter die Erfassung der Ausschüttung als Einkünfte aus Kapitalvermögen beliebig hinausgeschoben werde. Diese Begründung treffe unter Geltung des neuen Körperschaftsteuerrechts nicht mehr zu.

Das FA rügt mit der Revision eine fehlerhafte Auslegung des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG.

Das FA beantragt, die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils als unbegründet abzuweisen, soweit sie den Zufluß der Dividenden des Klägers in seiner Eigenschaft als beherrschender Gesellschafter zum Gegenstand hatte.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Festsetzung der Einkommensteuer für 1990 gemäß dem Revisionsantrag des FA (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Im übrigen ist die Klage abzuweisen. Entgegen der Ansicht des FG sind die Gewinnanteile (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) dem Kläger im Zeitpunkt der Beschlußfassung über die Ergebnisverwendung und mithin im Streitjahr 1990 zugeflossen.

1. Einnahmen (§ 8 Abs. 1 EStG) sind gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG innerhalb des Kalenderjahres bezogen, in dem sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH sind Einnahmen dem Steuerpflichtigen zugeflossen, sobald er darüber wirtschaftlich verfügen kann (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 22. Juli 1997 VIII R 57/95, BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755, 758; BFH-Beschluß vom 9. Juni 1997 GrS 1/94, BFHE 183, 187, BStBl II 1998, 307, 311, unter C. II. 1. a).

Bei Beträgen, die eine zahlungsfähige GmbH ihrem beherrschenden Gesellschafter unbestritten schuldet, hat die Rechtsprechung als Zeitpunkt des Zuflusses i. S. des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG den Zeitpunkt der Fälligkeit der Forderung des Gesellschafters angesehen. Sie hat dies damit begründet, daß der beherrschende Gesellschafter es aufgrund seiner Stellung in der Hand habe, sich fällige Beträge auch auszahlen zu lassen (vgl. BFH-Urteile vom 14. Februar 1984 VIII R 221/80, BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480, 482, unter 2. b; vom 19. Juli 1994 VIII R 58/92, BFHE 176, 317, BStBl II 1995, 362, 366, unter II. 2. b bb, jeweils m. w. N.; BFH- Beschluß in BFHE 183, 187, BStBl II 1998, 307, 311, unter C. II. 1. a).

Abweichend davon hat der BFH in dem Urteil in BFHE 112, 355, BStBl II 1974, 541 beim beherrschenden Gesellschafter in der Regel als Zeitpunkt des Zuflusses von Gewinnanteilen selbst dann den Zeitpunkt der Beschlußfassung angesehen, wenn in dem Beschluß über die Ausschüttung ein späterer Fälligkeitszeitpunkt bestimmt war. An dieser Auffassung hält der Senat auch für die Zeit nach Inkrafttreten des Körperschaftsteuerreformgesetzes vom 31. August 1976 (BGBl I, 2597, BStBl I, 445) fest.

a) Der I. Senat des BFH hat allerdings in dem Urteil vom 9. Dezember 1987 I R 260/83 (BFHE 151, 560, BStBl II 1988, 460, 463) darauf hingewiesen, daß die bisherige Rechtsprechung einer Überprüfung bedürfe. Denn beim beherrschenden Gesellschafter sei ab dem 1. Januar 1977 die rechtliche Situation eine wesentlich andere, weil die Besteuerung beim Anteilseigner mit dem Vorteil der Anrechnung des Körperschaftsteuerguthabens verbunden sei. Die Befürchtung, der Anteilseigner werde den Zufluß aus einkommensteuerlichen Gründen hinausschieben, sei in der bisherigen Form nicht mehr gerechtfertigt.

Der VIII. Senat hatte seine Rechtsprechung in dem Urteil in BFHE 112, 355, BStBl II 1974, 541, 542 zwar letztlich mit dieser Befürchtung begründet. Er hatte aber auch ausdrücklich die Frage angesprochen und offengelassen, ob der beherrschende Gesellschafter die wirtschaftliche Verfügungsmacht mit der Folge des Zuflusses i. S. des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht bereits deshalb im Zeitpunkt des Ausschüttungsbeschlusses erlangt habe, weil für ihn aufgrund dieses Beschlusses ein sofort fälliger und klagbarer Anspruch auf Auszahlung des Gewinnanteils entstehe.

Der Anspruch des Gesellschafters einer GmbH auf Auszahlung des Gewinns entsteht mit dem Beschluß der Gesellschafterversammlung über die Feststellung des Jahresabschlusses und die Verwendung des Gewinns (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 14. September 1998 II ZR 172/97, Der Betrieb - DB - 1998, 2212). Er wird nach allgemeiner Meinung mit dem Gewinnverteilungsbeschluß sofort fällig, wenn nicht die Satzung der GmbH Vorschriften über Gewinnabhebungen oder Auszahlungen zu einem späteren Zeitpunkt enthält (vgl. BFH-Urteile in BFHE 112, 355, BStBl II 1974, 541, 542; in BFHE 134, 315, BStBl II 1982, 139, 141, Scholz/Emmerich, Kommentar zum GmbH-Gesetz, 8. Aufl., § 29 Rn. 150; Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 16. Aufl., § 29 Rn. 49; Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz, 14. Aufl., § 29 Rn. 41). Diese Rechtslage rechtfertigt es, bei einem beherrschenden Gesellschafter einen späteren Zuflußzeitpunkt der Gewinnanteile nur dann anzunehmen, wenn die Satzung bindende Regelungen über eine spätere Fälligkeit des Auszahlungsanspruchs enthält. Denn wenn in der Satzung jegliche Regelungen fehlen oder diese nur eine Ermächtigung zur freien Bestimmung des Fälligkeitszeitpunktes durch die Gesellschafterversammlung enthält, dann hat der beherrschende Gesellschafter einer zahlungsfähigen GmbH es in der Hand, den Fälligkeitszeitpunkt des Auszahlungsanspruchs zu bestimmen. Er kann damit wirtschaftlich bereits im Zeitpunkt der Beschlußfassung über seinen Gewinnanteil verfügen. Das Hinausschieben der Fälligkeit ist unter diesen Umständen bereits als Verfügung über den Gewinnanteil zu beurteilen (vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 134, 315, BStBl II 1982, 139, 141, unter 3. der Entscheidungsgründe). Deshalb sind die Gewinnanteile dem beherrschenden Gesellschafter in einem solchen Fall im Zeitpunkt der Beschlußfassung i. S. des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zugeflossen.

b) An dieser Beurteilung ändert nichts, daß durch das Hinausschieben der Fälligkeit des Auszahlungsanspruchs in das Folgejahr beim beherrschenden Gesellschafter der Zeitpunkt, in dem die auf die Kapitaleinkünfte entfallende Einkommensteuer entsteht, vor dem Zeitpunkt der Entstehung der Kapitalertragsteuer liegt. Die auf die Kapitaleinkünfte entfallende Einkommensteuer entsteht gemäß § 36 Abs. 1 EStG mit Ablauf des Veranlagungszeitraums, in dem die Einnahmen aus Kapitalvermögen gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zugeflossen sind. Die auf die ausgeschütteten Gewinnanteile entfallende Kapitalertragsteuer als die durch Abzug vom Kapitalertrag erhobene Einkommensteuer (vgl. § 43 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) entsteht gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 EStG mit dem Zufluß der Gewinnanteile. Der Gesetzgeber hat ausschließlich für den Bereich der Kapitalertragsteuer in § 44 Abs. 2 Satz 1 EStG die Fiktion aufgestellt, daß die Kapitalerträge an dem Tag zufließen, der im Beschluß als Tag der Auszahlung bestimmt ist. Diese Fiktion gilt nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH-Urteil vom 18. Dezember 1985 I R 222/81, BFHE 146, 43, BStBl II 1986, 451, 452) auch für den beherrschenden Gesellschafter.

Wenn der Gesetzgeber nur für den Bereich der Kapitalertragsteuer, nicht aber gleichzeitig für den Anwendungsbereich des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG und damit für die zu veranlagende Einkommensteuer eine Fiktion für den Zeitpunkt des Zuflusses aufstellt, hat er die Möglichkeit, daß die Entstehungszeitpunkte der Abzugsteuer und der zu veranlagenden Einkommensteuer auseinanderfallen, hingenommen. Der Anrechnung der Kapitalertragsteuer steht das nicht entgegen. Denn § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG setzt für die Anrechnung lediglich voraus, daß die Einkünfte, auf die die anzurechnende Steuer entfällt, auch bei der Veranlagung erfaßt worden sind. Die Vorschrift verlangt nicht, daß die Kapitalertragsteuer auch im Laufe desjenigen Veranlagungszeitraums entstanden oder entrichtet worden sein muß, mit dessen Ablauf gemäß § 36 Abs. 1 EStG die Einkommensteuer entstanden ist.

2. Da die Vorentscheidung von anderen Voraussetzungen ausgegangen ist, ist sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Steuer ist entsprechend dem Revisionsantrag des FA festzusetzen.

a) Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden, daß dem FA erst nachträglich i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 der Beschluß über die Gewinnausschüttung bekannt geworden ist. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG war der Beschluß über die Gewinnausschüttung der Dienststelle, die für die Veranlagung der Einkommensteuer der Kläger zuständig war, bei der Durchführung der Veranlagung im Dezember 1992 als dem maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. BFH-Urteil vom 29. November 1988 VIII R 226/83, BFHE 155, 259, BStBl II 1989, 259) nicht bekannt. Dem Veranlagungsbezirk ist die Kopie des Gewinnausschüttungsbeschlusses erst Mitte des Jahres 1993 zugegangen. Die Veranlagungsstelle mußte sich die Kenntnis der Körperschaftsteuerstelle nicht zurechnen lassen, weil es insoweit nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteil vom 20. April 1988 X R 40/81, BFHE 153, 437, BStBl II 1988, 804, 806, unter I. 1. b aa, m. w. N.) auf den Wissensstand der zur Bearbeitung des Steuerfalles berufenen Dienststelle ankommt.

b) Der Kläger war unstreitig beherrschender Gesellschafter der GmbH. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG enthielt die Satzung keine Regelung über die Fälligkeit des Gewinnausschüttungsanspruchs. Deshalb sind die Gewinnanteile (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) dem Kläger mit dem Beschluß über die Ausschüttung i. S. des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zugeflossen. Anhaltspunkte für eine Zahlungsunfähigkeit der GmbH im Zeitpunkt der Beschlußfassung liegen nicht vor. Über die Höhe des Gewinnanteils besteht zwischen den Beteiligten kein Streit.