| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 11.6.1997 (XI R 65/95) BStBl. 1999 II S. 420

Eine dem öffentlichen Verkehr gewidmete Strandpromenade kann auch dann nicht dem Gewerbebetrieb einer Gemeinde "Verpachtung von Strandhäusern" zugeordnet werden, wenn die Gemeinde ihren Pächtern an Teilflächen der Promenade ein Sondernutzungsrecht einräumt.

UStG 1980 § 2 Abs. 3 Satz 1, § 4 Nr. 12 Buchst. a, § 9 Abs. 1, § 15 Abs. 1 Nr. 1; Richtlinie 77/388/EWG Art. 4 Abs. 5, Art. 13 Teil B Buchst. b; NStrG § 18.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

I.

Die Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine Gemeinde, schloß am 28. November 1988 mit dem Land A einen Erbbaurechtsvertrag über das Deichgebiet "B-strand". Auf dem "B-strand" hatte die Klägerin zuvor mehrere Strandhäuser, die für den Hotel- und Restaurationsbetrieb ausgebaut waren sowie Fahrbahnen und Gehwege errichtet. Die Strandhäuser verpachtete sie ohne Inventar an private Unternehmer, die darin Hotels und Restaurants betreiben. In den Jahren 1986 und 1987 baute die Klägerin eine neue Strandpromenade, die auf dem Deich vor den Strandhäusern verläuft. Die Promenade ist dem öffentlichen Verkehr gewidmet und im Verzeichnis der öffentlichen Straßen und Wege enthalten.

Die Klägerin verzichtete hinsichtlich der Pachteinnahmen auf die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 12 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980. Sie unterwarf die Pachteinnahmen der Umsatzsteuer und brachte mit den Umsätzen in Zusammenhang stehende Vorsteuerbeträge für 1985 in Höhe von ... DM und für 1986 in Höhe von ... DM in Abzug. Aus den im Jahr 1986 für den Bau der Strandpromenade angefallenen Kosten machte die Klägerin den vollen Vorsteuerabzug in Höhe von ... DM geltend.

Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) versagte den Abzug der Vorsteuerbeträge mit der Begründung, daß die Verpachtung der Strandhotels reine Vermögensverwaltung sei und daß es sich bei der Herstellung der Strandpromenade um eine hoheitliche Tätigkeit der Klägerin handle.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage teilweise statt. Aus den mit der Verpachtung der Hotels in Zusammenhang stehenden Vorleistungen stehe der Klägerin der Vorsteuerabzug zu, weil diese insoweit einen Betrieb gewerblicher Art unterhalte und unternehmerisch tätig sei. Zwar stelle nach herrschender Auffassung die Verpachtung eines Betriebes, dessen Führung größeres Inventar erfordere, keinen Betrieb gewerblicher Art, sondern bloße Vermögensverwaltung dar, wenn das Inventar nicht vom Verpächter beschafft und dem Pächter zur Verfügung gestellt werde. Die dieser Auffassung zugrundeliegenden ertragsteuerrechtlichen Erwägungen seien jedoch mit dem Umsatzsteuerrecht unvereinbar. Umsatzsteuerrechtlich stelle die Verpachtungsleistung unumstritten eine steuerbare sonstige Leistung dar (vgl. auch § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980). Für die Annahme der Unternehmereigenschaft der Klägerin sei insoweit lediglich zu fordern, daß die Leistungserbringung einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit diene und sich aus der Gesamttätigkeit der Klägerin wirtschaftlich heraushebe. Daran bestünden schon wegen des Umfangs der Verpachtungsumsätze und -objekte keine Zweifel. Die Unternehmereigenschaft der Klägerin ergebe sich auch aus gemeinschaftsrechtlichen Erwägungen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zu Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (der Richtlinie 77/388/EWG) seien die Gemeinden nur dann Nichtsteuerpflichtige, wenn sie ihre Tätigkeiten "im Rahmen der öffentlichen Gewalt" ausübten. Die Klägerin sei gegenüber den Pächtern der Hotels hingegen im Rahmen eines privatrechtlichen Vertrages tätig geworden. Würde man annehmen, § 2 Abs. 3 UStG 1980 gebiete, die Vermögensverwaltung nicht als Betrieb gewerblicher Art anzusehen, läge Unvereinbarkeit mit Art. 4 Abs. 1, 2 und 5 der Richtlinie 77/388/EWG vor; der EG-Vorschrift käme dann Anwendungsvorrang zu.

Hingegen lägen die Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit dem Bau der Strandpromenade nicht vor. Zwar könne die Gemeinde Leistungen, die sowohl ihrem hoheitlichen Aufgabenbereich als auch ihrem unternehmerischen Bereich dienen, nach den vom Bundesfinanzhof (BFH) zu § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 entwickelten Zuordnungsregeln ihrem Unternehmensbereich zuordnen, wenn die Leistungen im Umfang des vorgesehenen Einsatzes für unternehmerische Zwecke in einem objektiven und erkennbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit der unternehmerischen Tätigkeit stehen und diese fördern sollen. Im Streitfall sei eine Zuordnung der dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Promenade zum unternehmerischen Bereich der Klägerin aber nicht möglich. Denn die Bestimmungsfreiheit bei der Zuordnung finde dort ihre Grenze, wo der Bezug einer Leistung nach den gesamten Umständen allein für den nichtunternehmerischen Bereich bestimmt ist. Eine dem Allgemeingebrauch gewidmete Straße könne nicht Teil oder Gegenstand eines Betriebes gewerblicher Art sein. Eine Ausnahme könnte nur im Fall einer Sondernutzung bestehen. Diese habe in den Streitjahren aber unstreitig nicht vorgelegen.

Nachdem das FG die Revision gegen sein Urteil wegen Divergenz zugelassen hat, haben sowohl das FA als auch die Klägerin Revision eingelegt.

Das FA rügt mit seiner Revision die Verletzung von § 2 Abs. 3 UStG 1980, § 4 Abs. 4 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) und Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG. Der Auffassung des FG zur umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung der Verpachtung von Betrieben ohne Inventar könne mit der Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH-Beschluß vom 21. März 1995 XI R 33/94, BFHE 177, 534) nicht gefolgt werden. Dies stehe auch nicht im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht. Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der Richtlinie 77/388/EWG räume den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, Tätigkeiten der Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die nach Art. 13 oder 28 steuerfrei sind, als nichtunternehmerisch zu behandeln. Dazu gehöre insbesondere die in Art. 13 Teil B Buchst. b genannte Vermietung und Verpachtung von Grundstücken. Selbst wenn man die Auffassung vertrete, die in § 2 Abs. 3 UStG 1980 angeordnete Nichtsteuerbarkeit der Verpachtungstätigkeit der Klägerin sei richtlinienwidrig, könne sich die Klägerin nicht unmittelbar auf die Richtlinie berufen, weil ihr Begehren auf die Anwendung einer sie im Ergebnis belastenden Richtlinienvorschrift abziele.

Das FA beantragt, das Urteil des FG insoweit aufzuheben, als der Klägerin der Vorsteuerabzug gewährt worden ist, und die Klage abzuweisen. Außerdem beantragt das FA, die Revision der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG insoweit aufzuheben, als ihr darin der Vorsteuerabzug aus den Baukosten für die Strandpromenade versagt worden ist, und die Umsatzsteuer 1986 auf ... DM festzusetzen. Weiterhin beantragt die Klägerin, die Revision des FA zurückzuweisen.

Zur Begründung ihrer Revision trägt die Klägerin vor: Wegen der Rettungsstraße der Promenade sei diese dem öffentlichen Verkehr gewidmet. Jedoch finde während der Saison (April bis Oktober) eine Sondernutzung statt, die auch ausdrücklich in den Pachtverträgen vorgesehen sei. Die Promenade zeige im äußeren Gepräge eine für eine öffentliche Straße untypische Anlage. Bei ihr handle es sich um ein Bauwerk, dem die Funktion einer Betriebsvorrichtung i. S. des § 68 Abs. 2 Nr. 2 des Bewertungsgesetzes zu dem Betrieb gewerblicher Art (BgA, bestehend aus dem Hotel, den Restaurants, Läden usw.) zukomme. Als besondere Vorrichtungen seien hier Bänke, abgegrenzte Nutzflächen für Hotels, Zugänge zum bezahlten Strand und nichtöffentliche Toiletten- und Duschräume vorhanden. Die Benutzung finde durch den unmittelbar angrenzenden BgA statt, z. B. auch für Feste. Aus wirtschaftlicher Sicht könne die Widmung der Straße für den öffentlichen Verkehr nicht entscheidend sein, da die tatsächliche Nutzung als Promenade mit vielfältigen Angeboten den Platz präge und nicht die Nutzung als Durchgangsstraße. Der Neubau der Promenade und die Renovierung der Hotels habe auch zu erhöhten Pachtzahlungen geführt. Ob bereits im Jahre 1986 eine Sondernutzung vorgelegen habe, könne deshalb nicht entscheidend sein, weil der Bau erst 1988 fertiggestellt worden sei.

Entscheidungsgründe

II.

A. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz folgt aus der Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG 1980, daß die Klägerin mit der Verpachtung der Strandhäuser ohne Inventar nicht als Unternehmerin tätig geworden ist. Die Vorschrift des § 2 Abs. 3 UStG 1980 darf allerdings dann wegen Verstoßes gegen Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG im Einzelfall nicht angewendet werden, wenn die Behandlung der Pachtentgelte als nichtsteuerbar zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Zur Begründung verweist der Senat auf die Gründe seiner Entscheidung vom heutigen Tage XI R 33/94 (BFHE 182, 454).

2. Ob im Streitfall eine Behandlung der Pachtentgelte der Klägerin als nichtsteuerbar zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde, kann der Senat nicht beurteilen, da das FG - aus seiner Sicht zu Recht - dazu keine tatsächlichen Feststellungen getroffen hat. Das FG wird bei seiner erneuten Verhandlung und Entscheidung die betreffenden Feststellungen nachholen. Dabei wird entscheidend sein, ob im Tätigkeitsbereich der Klägerin private Wirtschaftsteilnehmer in gleicher Weise wie die Klägerin Gebäude ohne Inventar zum Betrieb von Hotels und Restaurants verpachten und ob eine unterschiedliche (umsatz-)steuerliche Belastung intensive und nachhaltige negative Auswirkungen in diesem Marktbereich zur Folge haben könnte.

B. Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, daß die dem öffentlichen Verkehr gewidmete Promenade nicht einem evtl. gewerblichen Betrieb der Klägerin (Verpachtung der Strandhäuser) zugeordnet werden kann.

1. Der BFH hat in ständiger Rechtsprechung die in § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980 enthaltene Zuordnungsvorschrift ("für sein Unternehmen") dahingehend ausgelegt, daß ein Gegenstand, der sowohl unternehmerisch als auch nichtunternehmerisch genutzt werden kann, dann als insgesamt für das Unternehmen angeschafft anzusehen ist, wenn der Unternehmer eine entsprechende Zuordnungsentscheidung getroffen hat. Die Zuordnungsentscheidung ist statthaft, wenn der Gegenstand im Umfang des vorgesehenen Einsatzes für unternehmerische Zwecke in einem objektiven und erkennbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit der gewerblichen Tätigkeit steht und diese fördern soll (BFH-Urteil vom 27. Juli 1995 V R 44/94, BFHE 178, 482, BStBl II 1995, 853, m. w. N.). Von einem bestimmten Mindestumfang der vorgesehenen unternehmerischen Verwendung hängt die Zuordnungsmöglichkeit nicht ab; denn nach dem EuGH-Urteil vom 11. Juli 1991 Rs. C 97/90 (Umsatzsteuer-Rundschau 1991, 291) hat ein Steuerpflichtiger das Recht, die gezahlte Vorsteuer gemäß den Vorschriften des Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG abzuziehen, "wie gering auch immer der Anteil der Verwendung für unternehmerische Zwecke sein mag". Ihre Grenze findet die Bestimmungsfreiheit bei der Zuordnung allerdings dort, wo der Bezug einer Leistung nach den gesamten Umständen allein für den nichtunternehmerischen Bezug bestimmt ist (vgl. BFH-Urteil vom 26. April 1990 V R 166/84, BFHE 161, 182, BStBl II 1990, 799). In diesem Fall muß der Unternehmer die bezogene Leistung dem nichtunternehmerischen Bereich zuordnen. Diese Zuordnungsregeln gelten nicht nur im Hinblick auf unternehmerische und nichtunternehmerische Betätigung von natürlichen Personen, sondern auch auf solche der Körperschaften öffentlichen Rechts (vgl. BFH-Urteil vom 18. August 1988 V R 18/83, BFHE 154, 269, BStBl II 1988, 971).

2. Der Bau und die Unterhaltung der öffentlichen Straßen obliegen den Organen und Bediensteten der damit befaßten Körperschaften als Amtspflichten in Ausübung öffentlicher Gewalt (vgl. § 10 Abs. 1 des Niedersächsischen Straßengesetzes vom 24. September 1980 - NStrG -; Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt - GVBl ND - 1980, 359). Mit dem Bau der neuen Promenade zum Gebrauch für die Allgemeinheit hat die Klägerin somit eine Grundaufgabe im Rahmen der kommunalen Daseinsvorsorge erfüllt (vgl. Kodal/Krämer, Straßenrecht, 5. Aufl., Kap. 2 Rz. 6.1 und 18); sie ist insoweit hoheitlich tätig geworden. Eine Zuordnung der Straße zum unternehmerischen Bereich der Gemeinde kommt in solchen Fällen regelmäßig nicht in Betracht (vgl. BFH-Urteil in BFHE 161, 182, BStBl II 1990, 799).

3. Auch für den Fall, daß die Klägerin den Pächtern der Strandhäuser Sondernutzungsrechte an bestimmten Teilen der Strandpromenade eingeräumt haben sollte (das FG hat dazu keine Feststellungen getroffen), wäre eine Zuordnung der Promenade zu einem evtl. Gewerbebetrieb der Klägerin "Verpachtung der Strandhäuser" nicht zulässig.

Entgegen der Auffassung des FG scheitert die Zuordnung allerdings nicht schon daran, daß in den Streitjahren eine Sondernutzung noch nicht stattgefunden hatte. Denn ausschlaggebend für die Zuordnungsentscheidung ist die beim Leistungsbezug vorgesehene Verwendung (vgl. BFH-Urteil vom 20. Juli 1988 X R 8/80, BFHE 154, 255, BStBl II 1988, 1012; BFH-Beschluß vom 21. Juni 1990 V B 27/90, BFHE 161, 201, BStBl II 1990, 801). Die Zuordnung zum unternehmerischen Bereich ist vielmehr deshalb ausgeschlossen, weil die Einräumung (und der Entzug) einer Sondernutzung an einer dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Straße zur hoheitlichen Tätigkeit der Klägerin gehört und sie dadurch auch nicht in Wettbewerb zu privaten Wirtschaftsteilnehmern treten kann (vgl. EuGH-Urteil vom 17. Oktober 1989 Rs. 231/87 und 129/88, EuGHE 1989, 3233, 3277).

Wie sich aus § 18 Abs. 1 NStrG ergibt, ist für die Sondernutzung der Promenade - d. h. für deren Benutzung über den Gemeingebrauch hinaus - eine Erlaubnis der Klägerin erforderlich. Die Erlaubnis, die nur auf Zeit oder Widerruf erteilt werden darf (§ 18 Abs. 2 NStrG), ist ein Verwaltungsakt, dessen Erlaß im pflichtgemäßen Ermessen der die Erlaubnis erteilenden Behörde - also der Klägerin - liegt (vgl. Kodal/Krämer, a. a. O., Kap. 26 Rz. 14). Die Klägerin konnte deshalb weder Teile der Strandpromenade "mitverpachten", noch konnte sie die Promenade von vornherein mit dem Ziel errichten, durch die Einräumung von Sondernutzungsrechten für die Pächter der Strandhäuser ihre eigene Verpachtungstätigkeit zu fördern. Der Bezug der Bauleistungen für die Promenade war darum allein für den nichtunternehmerischen Bereich bestimmt. Das schließt eine Zuordnung der Promenade zum unternehmerischen Bereich der Klägerin - und damit den Abzug der in den Baukosten für die Promenade enthaltenen Vorsteuern - aus.