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  BFH-Urteil vom 16.12.1998 (I R 138/97) BStBl. 1999 II S. 437

1. Der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung (§ 10 AO 1977) einer ausländischen Kapitalgesellschaft kann sich (hier: im Bauleistungsgewerbe) in der Wohnung ihres Geschäftsführers oder in Baucontainern befinden.

2. Ausländische Kapitalgesellschaften, die im Inland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig sind, nehmen am Anrechnungsverfahren teil.

AO 1977 § 10; KStG § 1 Abs. 1 Nr. 1, §§ 27 ff.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz (EFG 1998, 576)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Kapitalgesellschaft rumänischen Rechts, deren Sitz sich in den privaten Wohnräumen ihres alleinigen Gesellschafters und Geschäftsführers (V) in Rumänien befindet. Gegenstand der Klägerin ist die Erbringung von Bauleistungen, insbesondere durch die Gestellung und Beaufsichtigung von Bauarbeitern.

Die Klägerin, jeweils vertreten durch V, schloß in den Jahren 1992 und 1993 mit mehreren inländischen Baufirmen Werkverträge über Bauleistungen ab. Die versprochenen Leistungen erbrachte sie mit eigenen, aus Rumänien mitgereisten Arbeitnehmern, die für die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses im Inland wohnten. Werkzeuge und Baumaterialien stellten die inländischen Vertragspartner. Die Vertragsverhandlungen führte V, der auch die Tätigkeit der Bauarbeiter überwachte und selbst auf den Baustellen mitarbeitete. Er erhielt hierfür eine mehrmals verlängerte Aufenthaltserlaubnis. Die einzelnen Bauvorhaben umfaßten jeweils einen Zeitraum von weniger als 12 Monaten. In Rumänien war die Klägerin nicht aktiv wirtschaftlich tätig.

Die Klägerin hatte im Inland nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) keine eigenen Geschäftsräume. Für Vertragspartner wie auch Behörden war sie über die Adresse von Frau K im Inland in L. ständig erreichbar. K fungierte nach eigenen Angaben nur als Übersetzerin und Ansprechpartnerin für Behörden, da der Geschäftsführer der Klägerin der deutschen Sprache nicht mächtig gewesen sei.

Die Klägerin reichte am 14. Oktober 1993 beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) für das Streitjahr eine Körperschaftsteuererklärung ein, in der sie sich als unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige Körperschaft auswies. Als Ort der Geschäftsleitung sowie als Anschrift ihres Geschäftsführers gab sie die Adresse von K an. Das FA behandelte die Klägerin als beschränkt steuerpflichtig, setzte einen Körperschaftsteuersatz von 46 % an und versagte die Anwendung des § 27 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG).

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage, der das FG stattgab (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1998, 576).

Das FA rügt mit seiner Revision Verletzung des Art. 5 Abs. 4 des Doppelbesteuerungsabkommens Rumänien (DBA-Rumänien) und beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Auf die Revision des FA ist die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Die Klägerin war im Streitjahr 1992 im Inland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig. Auf die zwischen den Beteiligten streitige Rechtsfrage, ob V als Organ einer ausländischen Kapitalgesellschaft ständiger Vertreter i. S. des § 49 Abs. 1 Nr. 2 a des Einkommensteuergesetzes (EStG) i. V. m. § 13 der Abgabenordnung (AO 1977) sein kann, kommt es daher nicht an.

1. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG sind Kapitalgesellschaften, die ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland haben, unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig. Die Klägerin ist nach den insoweit für den Senat bindenden Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) eine nach rumänischem Recht errichtete Kapitalgesellschaft. Auch ausländische Kapitalgesellschaften mit Geschäftsleitung im Inland können unbeschränkt steuerpflichtig sein (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. Juni 1993 I R 31/92, BFH/NV 1994, 661; vom 23. Juni 1992 IX R 182/87, BFHE 168, 285, BStBl II 1992, 972; vgl. auch Wassermeyer in Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft - DStJG -, Bd. 20 S. 83).

2. Aufgrund der Feststellungen des FG ist im Streitfall davon auszugehen, daß die Klägerin im Streitjahr ihre Geschäftsleitung im Inland hatte.

a) Geschäftsleitung ist nach § 10 AO 1977 der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung. Der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung ist dort, wo der für die Geschäftsführung maßgebende Wille gebildet wird. Folglich kommt es darauf an, an welchem Ort die für die Geschäftsführung nötigen Maßnahmen von einiger Wichtigkeit angeordnet werden.

Bei einer Körperschaft ist das regelmäßig der Ort, an dem die zur Vertretung befugten Personen die ihnen obliegende laufende Geschäftsführertätigkeit entfalten, d. h. an dem sie die tatsächlichen, organisatorischen und rechtsgeschäftlichen Handlungen vornehmen, die der gewöhnliche Betrieb der Gesellschaft mit sich bringt (sog. Tagesgeschäfte; vgl. z. B. BFH-Urteile vom 3. Juli 1997 IV R 58/95, BFHE 184, 185, BStBl II 1998, 86; vom 23. Januar 1991 I R 22/90, BFHE 164, 164, BStBl II 1991, 554; vom 7. Dezember 1994 I K 1/93, BFHE 176, 253, BStBl II 1995, 175; vom 15. Oktober 1997 I R 76/95, BFH/NV 1998, 434). Jedes Unternehmen muß einen Ort der Geschäftsleitung haben (BFH-Urteile vom 28. Juli 1993 I R 15/93, BFHE 172, 301, BStBl II 1994, 148; in BFH/NV 1998, 434). Eine feste eigene Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit des Unternehmens dient, ist hierfür nicht erforderlich (BFH in BFHE 172, 301, BStBl II 1994, 148). Die Geschäftsleitungsbetriebsstätte kann sich daher beispielsweise auch in der Wohnung des Geschäftsführers einer Kapitalgesellschaft befinden. Auch der dem Geschäftsführer von einem Werksvertragspartner zur Unterkunft bereitgestellte Baucontainer o. ä. kann im Bauleistungsgewerbe Ort der Geschäftsleitung eines Subunternehmers sein, wenn dieser Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung ist. Der Ort der Geschäftsleitung muß sich nicht notwendigerweise im Laufe eines Wirtschaftsjahres an ein und demselben (hier: inländischen) Ort befunden haben.

b) Die - unstreitigen - Feststellungen des FG sprechen für eine inländische Geschäftsleitungsbetriebsstätte der Klägerin im Streitjahr:

Die Klägerin war nach den Feststellungen des FG im Streitjahr in Rumänien nicht aktiv wirtschaftlich tätig. Sie schloß vielmehr in dieser Zeit nur mit inländischen Baufirmen Werkverträge ab. Sie wurde bei Abschluß der Verträge ausweislich der vom FG in Bezug genommenen Auskünfte der Vertragspartner durch ihren Geschäftsführer V vertreten. Dieser führte die Verhandlungen persönlich und überwachte die Arbeiten auf den jeweiligen Baustellen. Die Auftraggeber hatten Kontakt mit der Klägerin über V oder K. Die Klägerin stellte ihre Rechnungen unter der Anschrift in L. aus. Auch die Abrechnungen über Gutschriften der Auftragnehmer richteten sich an die Adresse der Klägerin bzw. des V in L. Die Bezahlung der Auftragnehmer erfolgte durch Zahlungen per Scheck an V, ebenfalls im Inland. Der telefonische Kontakt zwischen der Klägerin und ihren Auftraggebern lief ausschließlich über ein im Inland gemeldetes Telefon. Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Klägerin im Streitjahr 1992 in Rumänien nicht aktiv wirtschaftlich tätig war, konnte sie aufgrund der dargelegten Feststellungen des FG ihren Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung nur im Inland gehabt haben, wobei letztlich offenbleiben kann, ob sich der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung auf den Baustellen oder in L. befunden hat.

Diesem Ergebnis entsprechen im übrigen die von der Klägerin für 1992 abgegebene Körperschaftsteuererklärung, in der sie L. als Ort ihrer Geschäftsleitung angab, und ihre Angaben in der Kapitalertragsteueranmeldung für 1992.

c) Weder die Erteilung zeitlich begrenzter und später verlängerter Aufenthaltserlaubnisse noch die wiederholte Rückkehr des Geschäftsführers der Klägerin nach Rumänien sprechen gegen eine Geschäftsleitung im Inland, da die Klägerin im Streitjahr ausschließlich im Inland, nicht aber in Rumänien, aktiv tätig war.

Nach Sachlage ist zwar nicht auszuschließen, daß die Klägerin Bauarbeiter in Rumänien anwarb, einstellte und insoweit auch in Rumänien typische laufende Geschäftsführungsaufgaben wahrnahm. Werden die laufenden Geschäftsführungsaufgaben an verschiedenen Orten ausgeübt, so sind sie zu gewichten (BFH in BFHE 184, 185, BStBl II 1998, 86). Danach treten die im Zusammenhang mit einer möglichen Anwerbung von einzelnen Arbeitnehmern in Rumänien entfalteten Tätigkeiten hinter die laufenden rechtsgeschäftlichen und im Zusammenhang mit den eingegangenen Werkverträgen zu erbringenden tatsächlichen und organisatorischen Tätigkeiten (Personalgestellung, Bauleitertätigkeit, Zahlungs-, Schrift- und Behördenverkehr o. ä.) zurück. Im übrigen hat der erkennende Senat in BFH/NV 1998, 434 entschieden, daß ein Unternehmen mehrere Orte der Geschäftsleitung haben kann.

3. Ist danach die Klägerin als unbeschränkt steuerpflichtig zu behandeln, so ist sie entsprechend der von ihr eingereichten Körperschaftsteuererklärung zu veranlagen. Die Höhe des von ihr zu versteuernden Einkommens ist unstreitig. Gleichwohl kann der Senat in der Sache selbst nicht entscheiden, weil das FG keine Feststellungen zu den erklärten Gewinnausschüttungen getroffen hat, die nach § 27 KStG die Körperschaftsteuer mindern oder erhöhen können.

Auch Kapitalgesellschaften mit Sitz im Ausland nehmen am Anrechnungsverfahren teil. Dabei kann offenbleiben, ob § 27 Abs. 1 KStG als Kapitalgesellschaften nur Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Gesellschaften mit beschränkter Haftung und werkrechtliche Gewerkschaften (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG) mit Sitz im Inland versteht (so BFH in BFHE 168, 285, BStBl II 1992, 972; Frotscher, Körperschaftsteuergesetz, § 1 Rdnr. 45; vgl. auch BFH-Urteil in BFH/NV 1994, 661) oder ob auch ausländische Kapitalgesellschaften aufgrund des zur Feststellung der Körperschaftsteuerpflicht anzustellenden Typenvergleichs unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG zu subsumieren sind (vgl. Wassermeyer in DStJG, Bd. 20 S. 83). Auch wenn die Klägerin als ausländische Kapitalgesellschaft nicht Kapitalgesellschaft i. S. des § 27 Abs. 1 KStG sein sollte, so ist sie gleichwohl aufgrund ihrer Geschäftsleitung im Inland eine unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaft, deren Leistungen bei den Empfängern zu den Einnahmen i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 EStG gehören. Die §§ 27 ff. KStG gelten daher zumindest sinngemäß (§ 43 KStG). Für die Annahme von Einkünften i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG ist es unerheblich, daß die Kapitalgesellschaft nach ausländischem Recht errichtet wurde (BFH-Urteile vom 16. Dezember 1992 I R 32/92, BFHE 170, 354, BStBl II 1993, 399; vom 24. März 1992 VIII R 51/89, BFHE 168, 234, BStBl II 1992, 941; vom 26. August 1993 I R 44/92, BFH/NV 1994, 318; zustimmend Stuhrmann in Blümich, Einkommensteuergesetz und Nebengesetze, § 20 EStG Rdnr. 55; Wassermeyer in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 20 Rz. C 6; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 17. Aufl., § 20 Rdnr. 50; vgl. auch Rengers in Blümich, a. a. O., § 1 EStG Rdnr. 143).