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  BFH-Urteil vom 9.6.1999 (I R 64/97) BStBl. 1999 II S. 656

Eine Rückstellung darf in der Steuerbilanz nicht gebildet werden, wenn ein steuerliches Abzugsverbot (hier: gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 1 EStG für Geldbußen) besteht. Läßt das Abzugsverbot Ausnahmen zu (hier: gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 EStG für die Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils), müssen die Voraussetzungen dafür am Bilanzstichtag objektiv vorliegen.

EStG 1987 § 5 Abs. 1; EStG 1990 i.d.F. des StÄndG 1992 § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Sätze 1 und 4, § 52 Abs. 5a; HGB § 249 Abs. 1; OWiG § 17 Abs. 1 und Abs. 4; GWB a.F. § 38 Abs. 4 (= § 81 Abs. 2 GWB).

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg (EFG 1997, 1300)

Sachverhalt

I.

Durch Bußgeldbescheid vom 1. Juni 1989 setzte das Bundeskartellamt wegen der Teilnahme an wettbewerbsbeschränkenden Absprachen gegen die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine AG, und deren Vorstandsmitglieder Bußgelder nach § 25 Abs. 1, § 38 Abs. 1 Nrn. 1 und 8 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in der für das Streitjahr 1988 maßgeblichen Fassung i. V. m. § 30 des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG) in der seinerzeit geltenden Fassung fest. Zur Begründung wurde u. a. ausgeführt, daß die gegen die Vorstandsmitglieder der Klägerin festgesetzten Geldbußen nach Dauer und Intensität der Verstöße bemessen worden seien. Bei der Bemessung der Geldbußen gegen die Klägerin hätten - teilweise - außerdem die durch die Zuwiderhandlungen erlangten erheblichen Mehrerlöse berücksichtigt werden müssen. Um jegliche Unternehmensgefährdung von vornherein auszuschließen, sei jedoch davon abgesehen worden, erheblich über den geschätzten Mehrerlös hinausgehende Beträge als Geldbuße festzusetzen.

Die Klägerin bildete in ihrer Steuerbilanz zum 31. Dezember 1988 eine Rückstellung in Höhe des von ihr mit insgesamt ... DM errechneten, auf die inländische Betriebsstätte entfallenden Abschöpfungsbetrags der gegen sie festgesetzten Geldbuße. Sie machte geltend, das Bundeskartellamt habe mit dieser Busse den durch die Gesetzesverstöße erlangten wirtschaftlichen Vorteil abgeschöpft und dabei die darauf entfallenden Steuern vom Einkommen und Ertrag nicht abgezogen. Der Abschöpfungsteil der Geldbuße sei daher nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1990 i. d. F. des Steueränderungsgesetzes 1992 (StÄndG 1992) - EStG 1990 - StÄndG 1992 - i. V. m. § 52 Abs. 5 a EStG 1990 - StÄndG 1992 als Betriebsausgabe abziehbar.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) folgte dem nicht. Es ergingen dementsprechend Bescheide über Körperschaftsteuer 1988, zunächst vom 15. August 1989, sodann - nach Durchführung einer Betriebsprüfung - vom 11. August 1993. Dieser geänderte Bescheid war "hinsichtlich des noch laufenden Verfahrens bzgl. des Bußgeldes" gemäß § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) vorläufig. Am 29. März 1994 erklärte das FA diesen Bescheid auf Antrag der Klägerin für endgültig, entgegen diesem Antrag allerdings ohne die Rückstellung anzuerkennen, weil zwischenzeitlich gesicherte Erkenntnis sei, daß das Bundeskartellamt bei der Festsetzung der Geldbuße angesichts des damals für diese noch uneingeschränkt geltenden steuerlichen Abzugsverbots die Belastung mit Einkommen- und Ertragsteuern berücksichtigt habe (so - im Ergebnis - das an die Klägerin gerichtete Schreiben des Finanzministeriums Baden-Württemberg vom 5. Januar 1994).

Die dagegen gerichtete Klage blieb erfolglos. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1997, 1300 abgedruckt.

Ihre Revision begründet die Klägerin mit Verletzung materiellen Rechts.

Sie beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Körperschaftsteuer 1988 auf ... DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Das dem Verfahren beigetretene Bundesministerium der Finanzen hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanz hat im Ergebnis zutreffend geurteilt. Die von der Klägerin begehrte Rückstellung durfte im Streitjahr nicht gebildet werden, ohne daß es darauf ankommt und abschließend entschieden werden muß, ob die Voraussetzungen in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 EStG 1990- StÄndG 1992 erfüllt sind oder nicht.

1. Nach § 249 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs, der einen für alle Kaufleute verbindlichen Grundsatz ordnungsgemäßer Bilanzierung wiedergibt, müssen Rückstellungen insbesondere für ungewisse Verbindlichkeiten und für drohende Verluste gebildet werden. Nach dem Maßgeblichkeitsgrundsatz des § 5 Abs. 1 EStG 1987 haben Gewerbetreibende, die - wie die Klägerin - verpflichtet sind, Bücher zu führen und Abschlüsse zu machen, bei der Bilanzierung die Grundsätze ordnungsgemäßer Bilanzierung zu beachten. Entsprechende Rückstellungen sind deshalb auch in der Steuerbilanz anzusetzen. Gemäß § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes gilt dies auch für Körperschaften. Allerdings ist bei dem steuerlichen Ansatz der Rückstellungen neben der erforderlichen betrieblichen Veranlassung (§ 4 Abs. 4 EStG 1987) insbesondere zu prüfen, ob nicht steuerliche Abzugsverbote, wie sie beispielsweise in § 4 Abs. 5 EStG 1987 enthalten sind, dem Abzug als Betriebsausgaben und damit der Passivierung entgegenstehen. Denn die Rückstellung einer Verbindlichkeit kann ebensowenig wie der betreffende Betriebsausgabenabzug über die steuerlichen Abzugsverbote und -grenzen hinausgehen; beide unterliegen den gleichen tatbestandlichen Beschränkungen. Insoweit wird der entsprechende, gemäß § 5 Abs. 1 EStG auch für das Steuerrecht maßgebliche handelsrechtliche Passivposten durch außerbilanzielle Hinzurechnung im Ergebnis neutralisiert (vgl. Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 14. Juli 1966 IV 344/62, BFHE 86, 582, BStBl III 1966, 590; Lambrecht in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 5 Rdnr. D 23; Weber-Grellet in Schmidt, Einkommensteuergesetz, 18. Aufl., § 5 Rz. 353; Lauth, Steuer-Kongreß-Report 1993, 379, 383).

2. Daran scheitert vorliegend die Rückstellung für die vom Bundeskartellamt gegen die Klägerin festgesetzte Geldbuße.

a) Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG 1983 i. d. F. des Gesetzes vom 25. Juli 1984 durften Geldbußen, Ordnungsgelder und Verwarnungsgelder, die von deutschen Behörden oder Gerichten oder von Organen Europäischer Gemeinschaften festgesetzt worden sind, nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden. Dieses Abzugsverbot war im Grundsatz verfassungsmäßig (Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Urteil vom 23. Januar 1990 1 BvL 4, 5, 6, 7/87, BVerfGE 81, 228, BStBl II 1990, 483; BFH-Urteil vom 24. Juli 1990 VIII R 194/84, BFHE 161, 509, BStBl II 1992, 508).

Allerdings hat das BVerfG ausdrücklich festgestellt, daß dies nur dann gelte, wenn die zuständigen Behörden oder Gerichte bei der Verhängung der Geldbuße die auf dem gesetzeswidrig erlangten wirtschaftlichen Vorteil beruhende ertragsteuerliche Belastung berücksichtigen und nur den um diesen Wert geminderten wirtschaftlichen Vorteil abschöpfen. Ansonsten müsse von Gesetzes wegen sichergestellt werden, daß keine Doppelbelastung durch das Bußgeld einerseits und die Besteuerung andererseits eintrete. Nach diesen Maßgaben hat der Gesetzgeber durch das StÄndG 1992 in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG 1990 einen neuen Satz 4 eingefügt, wonach das Abzugsverbot für Geldbußen - ausnahmsweise - nicht gilt, soweit der wirtschaftliche Vorteil, der durch den Gesetzesverstoß erlangt wurde, abgeschöpft worden ist, wenn die Steuern vom Einkommen und Ertrag, die auf den wirtschaftlichen Vorteil entfallen, nicht abgezogen worden sind. Dieser Gesetzesergänzung kommt Rückwirkung auch für Veranlagungszeiträume vor 1992 zu, soweit Steuerbescheide noch nicht bestandskräftig sind, unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen oder die Steuer hinsichtlich der Abzugsfähigkeit der Geldbuße als Betriebsausgabe vorläufig festgesetzt worden ist (§ 52 Abs. 5 a EStG 1990 - StÄndG 1992).

b) Im Einklang hiermit hat die Klägerin zwar (nur) jenen Teil des noch nicht festgesetzten, von ihr am streitgegenständlichen Bilanzstichtag jedoch erwarteten Bußgeldes in die Rückstellung einbezogen, der - jedenfalls nach ihrer, hier nicht überprüften Berechnung - als Betriebsausgabe abzugsfähig bleibt. Es ist - entgegen der Annahme der Vorinstanz - auch richtig, daß die rückwirkende (eingeschränkte) Abzugsfähigkeit der Geldbußen die Bildung einer entsprechenden Rückstellung ermöglicht, obwohl eine solche Rechtsentwicklung aus Sicht des Kaufmanns am streitgegenständlichen Bilanzstichtag naturgemäß nicht erwartet werden konnte und für diesen nicht absehbar war. Dennoch durfte das Bußgeld von der Klägerin auch in diesem eingeschränkten Umfang nicht rückgestellt werden, weil die dafür erforderlichen Voraussetzungen - die Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils und die Nichtberücksichtigung der auf das Bußgeld entfallenden Ertragsteuern bei der Bußgeldbemessung - am Bilanzstichtag objektiv noch nicht erfüllt waren.

aa) Vor Festsetzung der Geldbuße, also im Streitjahr, stand nach Lage der Dinge tatsächlich nicht fest, nach welchen Maßstäben das Bundeskartellamt die Busse festsetzen, insbesondere, ob dieses die auf die wirtschaftlichen Vorteile entfallende steuerliche Belastung rechnerisch einbeziehen würde. Das FA weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, daß sich nach seinerzeit einhellig vertretenem und allgemein praktiziertem Rechtsverständnis - vor dem Hintergrund des strikten steuerlichen Abzugsverbots für Geldbußen - eher annehmen ließ, daß die Bußgeldbehörde die steuerliche Belastung, die auf den abzuschöpfenden wirtschaftlichen Vorteil entfiel, bei Festsetzung der Busse selbst berücksichtigen würde (vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 161, 509, BStBl II 1992, 508; Senatsbeschluß vom 5. Juni 1996 I B 127/95, BFH/NV 1997, 6). Hinweise darauf, daß so im vorliegenden Fall nicht verfahren werden würde, ergaben sich nach eigenem Vortrag der Klägerin frühestens aus einer Besprechung, die im Beisein ihres Rechtsanwaltes im Mai 1989 im Bundeskartellamt stattfand und anläßlich derer es von seiten des Amtes abgelehnt worden sein soll, die Ertragsteuerbelastung bei der Bußgeldfestsetzung zu berücksichtigen. Ob dies dann in der Folgezeit tatsächlich geschehen ist, ist nach Aktenlage und nach den vor dem Senat in der mündlichen Verhandlung gemachten Äußerungen zwischen den Beteiligten bis heute umstritten, wäre für die Verhältnisse am streitgegenständlichen Bilanzstichtag aber ohnehin steuerlich unbeachtlich.

bb) Der Umstand, daß nach § 38 Abs. 4 Satz 1 GWB a. F. (nunmehr § 81 Abs. 2 Satz 1 GWB) die Höchstgrenze für die Ahndung der Kartellrechtsordnungswidrigkeit bis zum Dreifachen des durch die Zuwiderhandlung erlangten Mehrerlöses hinausgedehnt werden kann, ändert an dieser Ungewißheit nichts. Zwar ist davon auszugehen, daß der Begriff des Mehrerlöses sich auf die erlangten Einnahmen bezieht und deswegen "brutto" zu verstehen ist (Bundesgerichtshof, Beschluß vom 19. September 1974 KRB 2/74 - KG -, Neue Juristische Wochenschrift 1975, 269; Meurer, Betriebs-Berater 1998, 1236). Zum einen verpflichtet § 38 Abs. 4 GWB a. F. (§ 81 Abs. 2 GWB) die ahndende Behörde aber nicht, bei der Bußgeldfestsetzung den Mehrerlös zu berücksichtigen, die Vorschrift ermöglicht dies lediglich ("kann"). Zum anderen stimmen die Inhalte der Begriffe Mehrerlös gemäß § 38 Abs. 4 GWB a. F. (§ 81 Abs. 2 GWB) und wirtschaftlicher Vorteil gemäß § 17 Abs. 4 OWiG, § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 EStG 1990 - StÄndG 1992 nicht vollen Umfangs überein. Der durch die Tat erlangte wirtschaftliche Vorteil kann insofern weiter sein als der Mehrerlös, als er auch immaterielle Vorteile einschließt, er kann dahinter zurücktreten, weil er netto zu verstehen und um Kostenpositionen zu reduzieren ist. Auch wenn sich die Bußgeldhöhe nahezu ausschließlich nach dem Mehrerlös bemißt, so heißt das deshalb doch nicht zwangsläufig, daß die betreffenden Ertragsteuern rechnerisch unberücksichtigt geblieben wären.

cc) Zieht die danach gegebene Ungewißheit über die Höhe der noch festzusetzenden Geldbuße aber ihre Nichtabzugsfähigkeit nach sich, mußte die Rückstellungsbildung in der Steuerbilanz unterbleiben. Andernfalls würde das Abzugsverbot unterlaufen: Würde die Busse in der Folgezeit nämlich tatsächlich unter Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils und zugleich unter Berücksichtigung der Ertragsteuern festgesetzt, dann entfiele ihr Abzug als Betriebsausgabe insgesamt; gleichwohl wäre, folgt man der Klägerin, die Rückstellung im Vorjahr in Höhe des Abschöpfungsteils zuzulassen. Das aber kann, wie ohne weiteres erhellt, nicht richtig sein.

3. Der Senat war nicht gehalten, im Hinblick auf die Rechtsfrage nach den Voraussetzungen der von der Klägerin erstrebten Rückstellung (vgl. Art. 20 der Vierten Richtlinie des Rates vom 25. Juli 1978 EWG-RL 78/660 aufgrund von Art. 54 Abs. 3 Buchst. g des Vertrages über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen vom 25. Juli 1978, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 222/11; Senatsbeschluß vom 9. September 1999 I R 6/96, BFHE 187, 215, BStBl II 1999, 129, m. w. N.) eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften einzuholen (Art. 177 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 2 des Vertrages über die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft), weil die Frage danach, ob die von der Klägerin in der Handelsbilanz gebildete Rückstellung für das von ihr im Streitjahr erwartete, aber nach Grund und Höhe noch ungewisse Kartellbußgeld in die Steuerbilanz übernommen werden kann, sich, wie aufgezeigt, aufgrund der Regelungen über die lediglich eingeschränkte Abziehbarkeit von Bußgeldern in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG 1990 - StÄndG 1992 beantwortet. Einschlägig sind also gerade nicht die gemäß § 5 Abs. 1 EStG 1987 als maßgeblich vorgegebenen handelsrechtlichen, sondern spezifisch steuerrechtliche Normzusammenhänge, die eine auch nur mittelbare Geltung von Gemeinschaftsrecht ausschließen (s. a. Dautzenberg, Finanz-Rundschau 1997, 690 ff.).