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  BFH-Urteil vom 10.6.1999 (IV R 23/98) BStBl. 1999 II S. 664

Auch bei einer nach Versäumung der Ausschlußfrist gemäß § 364b AO 1977 erhobenen Klage ist das FG verpflichtet, die mündliche Verhandlung nach Maßgabe des § 79 Abs. 1 FGO vorzubereiten und alle prozeßleitenden Maßnahmen zu ergreifen, um den Rechtsstreit nach Möglichkeit bis zur mündlichen Verhandlung zur Entscheidungsreife zu bringen. Auf welchen Tag die mündliche Verhandlung angesetzt wird, ist in einem solchen Fall vom FG unter Berücksichtigung seiner Geschäftslage nach pflichtgemäßem Ermessen zu bestimmen.

FGO § 76 Abs. 3, § 79 Abs. 1, § 79b Abs. 3; AO 1977 § 364b.

Vorinstanz: FG des Landes Brandenburg (EFG 1998, 387)

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) zu 1 betrieb in den Jahren 1992 und 1993 eine Mutterkuhhaltung im Nebenerwerb. An diesem Unternehmen war die Klägerin zu 2 atypisch still beteiligt. Das Gesellschaftsverhältnis begann am 12. Oktober 1992 und endete mit der Betriebsaufgabe am 31. März 1995.

Nachdem Erklärungen zur einheitlichen und gesonderten Feststellung der Einkünfte 1992 und 1993 trotz ausdrücklicher Aufforderung und mehrfacher Fristverlängerung nicht abgegeben worden waren, schätzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Gewinne aus Land- und Forstwirtschaft aufgrund der vorliegenden Umsatzsteuererklärung 1992 bzw. der Umsatzsteuervoranmeldungen 1993 auf 0 DM für 1992 und auf 15.868 DM für 1993. Die entsprechenden Gewinnfeststellungsbescheide ergingen am 8. Oktober 1996 und standen nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

Die dagegen von den Klägerinnen erhobenen Einsprüche wurden nicht innerhalb der vom FA zunächst gesetzten Frist begründet. Deshalb setzte das FA am 6. Januar 1997 eine Ausschlußfrist nach § 364b Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) bis zum 6. Februar 1997. Innerhalb der Frist sollten die Tatsachen angegeben werden, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung sich die Klägerinnen beschwert fühlten, insbesondere die bei der Schätzung nicht berücksichtigten steuermindernden Sachverhalte. Außerdem sollten eine Abschrift der Bilanz sowie eine Gewinn- und Verlustrechnung vorgelegt werden. Die Folgen einer Fristversäumnis wurden in dem Schreiben erläutert.

Am letzten Tag der Frist übermittelten die Klägerinnen dem FA per Fax die ausgefüllten ersten Seiten der beiden Feststellungserklärungen sowie der beiden Anlagen L. Die vollständigen Erklärungen sowie die Jahresabschlüsse gingen erst am 13. Februar 1997 beim FA ein. Die Einsprüche wies das FA unter Hinweis auf den Ablauf der Ausschlußfrist ohne weitere Prüfung der eingereichten Unterlagen als unbegründet zurück.

Dagegen richtet sich die Klage vom 26. März 1997. Außerdem haben die Klägerinnen gegen die Fristsetzung nach § 364b Abs. 1 AO 1977 unter dem 26. Juni 1997 Einspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden ist.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet zurück (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1998, 387). Es führte aus, eine Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf die noch anhängigen Einsprüche gegen die Fristsetzung komme nicht in Betracht. Auf den Ausgang der Einspruchsverfahren komme es für die vorliegende Klage nicht an. Die Feststellungsbescheide seien rechtmäßig, denn gegen die Schätzungen bestünden keine Bedenken. Auch die Einspruchsentscheidung sei rechtmäßig, weil die wirksam und ermessensfehlerfrei gesetzte Ausschlußfrist nicht gewahrt worden sei. Der Senat weise die Feststellungserklärungen nach § 76 Abs. 3 i. V. m. § 79b Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurück. Bei Zulassung des verspäteten Vorbringens würde der Rechtsstreit länger als bei einer Zurückweisung dauern. Die Feststellungserklärungen könnten nicht ohne weitere Ermittlungen der Besteuerung zugrunde gelegt werden, denn die in den Bilanzen vorgenommenen Teilwertabschreibungen auf den Tierbestand seien nicht nachzuvollziehen. Zu einer Erläuterung hätte das Gericht nicht auffordern müssen, denn nach Ablauf der vom FA wirksam gesetzten Ausschlußfrist bestehe im Hinblick auf den Entlastungszweck der Präklusionsregelung nur eine eingeschränkte Hinweispflicht nach § 76 Abs. 2 FGO. Dem stehe in Vollschätzungsfällen eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen gegenüber, aus der sich im Streitfall die Verpflichtung zur Erläuterung der Teilwertabschreibung ergebe. Das dem FG nach § 76 Abs. 3 FGO eingeräumte Ermessen werde im Sinne einer Zurückweisung der Feststellungserklärungen ausgeübt. Zwar seien die Klägerinnen bemüht gewesen, die Ausschlußfrist zu wahren. Andererseits falle aber ins Gewicht, daß die Erklärungen bereits am 30. September 1993 bzw. 1994 hätten abgegeben werden müssen.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügen die Klägerinnen einen Verstoß gegen §§ 76 Abs. 3, 79b Abs. 3 FGO.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das FG hat sein Ermessen bei der Zurückweisung der Feststellungserklärungen mit Anlagen nicht fehlerfrei ausgeübt.

1. Nach § 76 Abs. 3 i. V. m. § 79b Abs. 3 FGO kann das FG Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf der vom FA nach § 364b Abs. 1 AO 1977 gesetzten Frist eingehen, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn die Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und der über die Folgen der Fristversäumung belehrte Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt. Eine Zurückweisung darf nicht erfolgen, wenn es dem Gericht mit geringem Aufwand möglich ist, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung des Beteiligten zu ermitteln. Hat das FA über den Einspruch unter Zurückweisung von Vorbringen nach § 364b AO 1977 entschieden und wird dagegen Klage erhoben, hat das FG bei Prüfung der Begründetheit dieser Klage zunächst zu untersuchen, ob

- die Ausschlußfrist vom FA wirksam und ermessensfehlerfrei gesetzt worden ist,

- der Beteiligte über die Folgen der Fristversäumung zutreffend belehrt worden ist,

- die zurückgewiesenen Erklärungen und Beweismittel nach Ablauf der Frist vorgebracht worden sind,

- die Verspätung nicht genügend entschuldigt worden ist und

- der Sachverhalt nicht mit geringem Aufwand vom FG selbst bis zur Entscheidungsreife ermittelt werden kann.

Sind alle diese Fragen zu bejahen, setzt die Zurückweisung der Erklärungen oder Beweismittel weiter voraus, daß die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nach der freien Überzeugung des Gerichts verzögern würde. Wenn das Gericht zu dieser Überzeugung kommt, liegt es in seinem pflichtgemäßen Ermessen, die Erklärungen oder Beweismittel zurückzuweisen (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. Dezember 1997 I R 47/97, BFHE 185, 21, BStBl II 1998, 269; vom 19. März 1998 V R 7/97, BFHE 185, 134, BStBl II 1998, 399; vom 9. September 1998 I R 31/98, BFHE 186, 511, BStBl II 1999, 26).

2. Das FG ist zu dem Ergebnis gekommen, daß die Fristsetzung durch das FA rechtmäßig und mit einer ordnungsgemäßen Belehrung versehen war. Dagegen ist revisionsrechtlich nichts einzuwenden. Auch die Klägerinnen sind auf diese Frage in der Revisionsschrift nicht mehr eingegangen. Unstreitig und vom FG festgestellt ist zudem, daß die Klägerinnen die Ausschlußfrist ohne genügende Entschuldigung versäumt haben.

Unklar ist aber, ob es dem Gericht möglich war, den Sachverhalt mit geringem Aufwand ohne Mitwirkung der Klägerinnen zu ermitteln (§ 79b Abs. 3 Satz 3 FGO). Die Vorentscheidung enthält dazu keine Ausführungen. Entgegen der Ansicht des FA ist dies auch nicht offensichtlich. Betrachtet man den insoweit einzigen vom FG als unklar bezeichneten Punkt, die sog. Teilwertabschreibung, bestehen Zweifel im Hinblick auf einen bestehenden Aufklärungsbedarf. Der Ansatz der Tiere des Anlagevermögens zum 30. Juni 1993 mit den Durchschnittswerten ist grundsätzlich zulässig (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 6. August 1998 IV R 67/97, BFHE 186, 402, BStBl II 1999, 14). Die sog. Teilwertabschreibung dürfte sich als Differenz zwischen den höheren tatsächlichen Anschaffungs- und Herstellungskosten und den Durchschnittswerten erklären lassen. Inwieweit sich daraus Gewinnauswirkungen ergeben, ist keine Frage des Sachverhalts, sondern eine vom Gericht selbst zu beantwortende Rechtsfrage.

3. Letztlich kann die Frage, ob tatsächlich Aufklärungsbedarf bestand, aber offen bleiben. Denn selbst wenn weitere Aufklärung erforderlich gewesen wäre, durfte das FG nicht ohne weiteres davon ausgehen, daß die Zulassung des verspäteten Vorbringens den Rechtsstreit verzögert hätte.

Nach dem vom erkennenden Senat für maßgeblich erachteten absoluten Verzögerungsbegriff (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 5. Mai 1987 1 BvR 903/85, BVerfGE 75, 302, 316; Bundesgerichtshof, Urteil vom 12. Juli 1979 VII ZR 284/78, BGHZ 75, 138; FG des Landes Brandenburg, Urteil vom 10. Dezember 1997 2 K 79/97 K, EFG 1998, 389, rkr.; Stöcker in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 79b FGO Rz. 63 ff., m. w. N.) tritt eine Verzögerung dann ein, wenn der Rechtsstreit bei Zulassung der verspäteten Erklärungen oder Beweismittel länger als bei deren Zurückweisung dauern würde. Danach kann es keinesfalls zu einer Verzögerung des Rechtsstreits kommen, wenn eine Erledigung in der ersten vom FG nach pflichtgemäßem Ermessen terminierten mündlichen Verhandlung möglich ist.

Wie der BFH mit seinem Urteil in BFHE 186, 511, BStBl II 1999, 26 entschieden hat, besteht auch im Fall einer versäumten Ausschlußfrist gemäß § 364b AO 1977 die Verpflichtung des Gerichts, die mündliche Verhandlung nach Maßgabe des § 79 Abs. 1 FGO vorzubereiten und alle prozeßleitenden Maßnahmen zu ergreifen, um den Rechtsstreit nach Möglichkeit bis zur mündlichen Verhandlung zur Entscheidungsreife zu bringen. Erkennt das Gericht, daß der verspätet vorgetragene Sachverhalt auch unter Berücksichtigung des Akteninhalts in einem entscheidungserheblichen Punkt unvollständig oder unklar ist, muß es die Maßnahmen ergreifen, die zur Klärung des Sachverhalts innerhalb der Frist bis zur mündlichen Verhandlung geeignet erscheinen. Auf welchen Tag die mündliche Verhandlung angesetzt wird, richtet sich dabei allerdings mit Rücksicht auf den Beschleunigungszweck der Präklusionsregelung (vgl. BTDrucks 12/1061, S. 17) nicht nach dem Umfang des Aufklärungsbedarfs, sondern ist vom FG unter Berücksichtigung seiner Geschäftslage nach pflichtgemäßem Ermessen zu bestimmen (vgl. Stöcker, a. a. O., § 79b FGO Rz. 76 f.).

Der Streitfall bietet keine Veranlassung, der Frage nachzugehen, ob bei zeitlich erst kurz vor dem anberaumten Termin eingehenden Erklärungen oder Beweismitteln die Anforderungen an prozeßleitende Maßnahmen nach versäumter Ausschlußfrist geringer als im Regelfall sind. Denn vorliegend bestand ausreichend Zeit zum Erlaß einer solchen Maßnahme. Dem FG waren Steuererklärungen und Jahresabschlüsse mit Klageerhebung zugegangen und der zeitliche Abstand bis zur mündlichen Verhandlung betrug knapp sieben Monate.

Von einer Verzögerung bei Zulassung der verspäteten Erklärungen hätte das FG nach diesen Grundsätzen nur ausgehen dürfen, wenn es seiner Verpflichtung zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung nachgekommen wäre. Angesichts des von ihm angenommenen Aufklärungsbedarfs hätte es die Klägerinnen dazu auffordern müssen, die Teilwertabschreibung und die Entwicklung des Bilanzpostens für Tiere des Anlagevermögens näher und ggf. unter Vorlage geeigneter Unterlagen zu erläutern.

4. Die Vorentscheidung ist danach aufzuheben. Das FG wird erneut unter Beachtung seiner Pflicht zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung zu entscheiden haben.

Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, daß einer verfahrensabschließenden Entscheidung nicht das noch schwebende Einspruchsverfahren gegen die Setzung der Ausschlußfrist entgegensteht. Hiervon ist das FG auch bisher ausgegangen. Es kann die umstrittene Frage dahinstehen, ob ein Einspruch gegen die Fristsetzung überhaupt statthaft ist. Jedenfalls fehlt das Rechtsschutzinteresse für einen solchen Einspruch, wenn in der Hauptsache eine Einspruchsentscheidung bereits ergangen ist. Denn dann ist die Rechtmäßigkeit der Fristsetzung inzidenter im Rahmen der gegen die Hauptsacheentscheidung gerichteten Klage zu überprüfen.