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  BFH-Urteil vom 6.7.1999 (VIII R 12/98) BStBl. 1999 II S. 731

Das FG verstößt gegen die Grundordnung des Verfahrens, wenn es bei der Einkommensteuerveranlagung 1991 einen verbleibenden Verlustabzug aus früheren Jahren berücksichtigt, der vom FA nicht gesondert festgestellt wurde.

EStG ab 1990 § 10d Abs. 3; FGO § 74.

Vorinstanz: Hessisches FG

Sachverhalt

I.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) - Ehegatten - wurden für das Streitjahr 1991 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. In dem gegen den Einkommensteuerbescheid 1991 und den Bescheid über die gesonderte Verlustfeststellung zum 31. Dezember 1991 gerichteten Klageverfahren war u. a. streitig, ob Zahlungen, die eine Ehefrau als Bürgin für die Schulden ihres an einer GmbH wesentlich beteiligten Ehemannes gezahlt hat, zu nachträglichen Anschaffungskosten auf die Beteiligung führen. Die Schulden des Ehemannes beruhten ebenfalls auf Bürgschaftsverpflichtungen, die er für Verbindlichkeiten der GmbH übernommen hatte. Die GmbH war 1988 in Konkurs gegangen. Aufgrund der Bürgschaftsübernahme zahlte die Ehefrau 1993 insgesamt 35.000 DM und ab 15. Oktober 1993 in monatlichen Raten jeweils 4.687,50 DM.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) hat diese Zahlungen nicht als Aufwand des Ehemannes anerkannt; sie seien privat veranlaßt, jedenfalls aber nicht abzugsfähiger Drittaufwand. Die Einsprüche blieben insoweit erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit dem abgezinsten Betrag (362.769 DM) der Zahlungsverpflichtung des Ehemannes (505.752 DM) statt. Zur Begründung führte es aus:

- Der Liquidationsverlust sei bereits 1988 entstanden und erhöhe sich rückwirkend für dieses Jahr um die vom Ehemann übernommenen Bürgschaftsverpflichtungen. Dies gelte unabhängig davon, ob auf diese Verpflichtung Zahlungen geleistet werden.

- Das Problem des Drittaufwands sei hier nicht zu lösen; die Bürgschaftsverpflichtung erhöhe den Liquidationsverlust unabhängig davon, wer die Zahlungen später geleistet habe.

- Die Erhöhung des Liquidationsverlustes ergebe einen im Jahr 1991 gegenüber bisher (159.287 DM) zusätzlich zu berücksichtigenden Verlust in Höhe von 362.769 DM, so daß die Einkommensteuerschuld 1991 nur noch 379.330 DM betrage.

Der Betrag von 159.287 DM setzt sich zusammen aus dem im angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1991 bereits bisher berücksichtigten Verlust in Höhe von 138.563 DM und einem im Einspruchsverfahren vom FA zusätzlich anerkannten Verlust in Höhe von 20.723,25 DM.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung formellen Rechts. Das FG habe gegen die Grundordnung des Verfahrens verstoßen, weil es das Verfahren nicht in entsprechender Anwendung des § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bis zu einer Entscheidung des FA über die gesonderte Verlustfeststellung nach § 10d Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zum 31. Dezember 1990 ausgesetzt habe.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.

Die Kläger haben keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Das Urteil des FG beruht auf einem Verfahrensmangel.

a) Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, ist von der materiell-rechtlichen Auffassung des FG auszugehen (ständige Rechtsprechung, vgl. u. a. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. Juli 1976 I R 218/74, BFHE 119, 274, BStBl II 1976, 621, und die weiteren Nachweise bei Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 120 Rz. 39, und Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 118 FGO Tz. 66).

Nach dieser war der von den Klägern begehrte Verlust aus der Bürgschaftsverpflichtung nicht im Streitjahr 1991, sondern bereits 1988 zu berücksichtigen und - soweit er dort und in den Folgejahren nicht ausgeglichen werden konnte - wie Sonderausgaben bei der Einkommensteuerveranlagung 1991 vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen (verbleibender Verlustabzug, § 10d Abs. 2 EStG). Das FG hat auf dieser Grundlage einen vortragsfähigen und bisher nicht ausgeglichenen verbleibenden Verlustvortrag aus dem Jahr 1988 berücksichtigt.

Mit dieser Entscheidung hat das FG gegen Verfahrensrecht verstoßen. Denn es hat mit der Ermittlung des verbleibenden Verlustabzugs zum 31. Dezember 1990 eine Besteuerungsgrundlage festgestellt, deren Feststellung einem gesonderten und die abziehbaren Verluste früherer Jahre einbeziehenden Grundlagenbescheid vorbehalten ist (§§ 10d Abs. 3 Satz 1, 52 Abs. 1 EStG 1990 und dazu BFH-Beschlüsse vom 5. April 1995 I B 126/94, BFHE 177, 231, BStBl II 1995, 496, und vom 31. Juli 1996 XI R 4/96, BFH/NV 1997, 180, m. w. N.). Diese Feststellung hätte es nicht treffen dürfen; es hätte vielmehr das Verfahren bis zum rechtskräftigen Abschluß des in § 10d Abs. 3 EStG vorgesehenen Feststellungsverfahrens aussetzen müssen (entsprechend § 74 FGO, vgl. dazu etwa BFH-Urteil vom 12. November 1985 IX R 85/82, BFHE 145, 308, BStBl II 1986, 239 für die gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung, und - zur Anwendung der allgemein für Grundlagen- und Folgebescheide geltenden Verfahrensgrundsätze im Rahmen des § 10d Abs. 3 EStG - von Groll in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 10d Rdnrn. D 80 f., m. w. N., und Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 18. Aufl., § 10d Rz. 25 f.). Trifft es statt dessen eine Sachentscheidung, liegt ein Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens vor (vgl. u. a. BFH-Beschluß vom 9. Oktober 1991 II B 56/91, BFHE 165, 185, BStBl II 1991, 930, und Gräber/Ruban, a. a. O., § 118 Rz. 50, m. w. N.). Einen Ermessensspielraum hat das FG hier nicht.

b) Das Urteil kann auch auf diesem Mangel beruhen. Eine Prüfung der Erheblichkeit des Verfahrensmangels ist bei einem Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens nicht erforderlich (so wohl auch Gräber/Ruban, a. a. O., § 115 Rz. 34; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 120 FGO Rz. 36). Der Vortrag der Kläger, daß die Verlustrücktrags- und Verlustvortragsmöglichkeiten in den Jahren 1986 bis 1990 bereits voll ausgeschöpft worden seien, ist im Rahmen der gesonderten Verlustfeststellung zum 31. Dezember 1990 zu überprüfen.

2. Der Senat kann jedoch dem Antrag des FA, die Klage als unbegründet zurückzuweisen, nicht entsprechen.

Die Sache war an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Der BFH entscheidet bei einer auf Verfahrensmängel gestützten Revision nur über die geltend gemachten - oder von Amts wegen zu berücksichtigenden - Verfahrensmängel (§ 118 Abs. 3 Satz 1 FGO; ständige Rechtsprechung, vgl. dazu Gräber/Ruban, a. a. O., § 118 Rz. 53, m. w. N.).