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  BFH-Urteil vom 11.8.1999 (XI R 47/98) BStBl. 2000 II S. 31

Eine Architekten-ähnliche Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG liegt vor, wenn sie in ihren wesentlichen Elementen dem Beruf des Architekten in Theorie (Ausbildung, Kenntnisse, Qualifikation) und Praxis (berufliche Tätigkeit) gleichwertig ist. Der Nachweis theoretischer Kenntnisse kann anhand eigener praktischer Arbeiten geführt werden, wenn die Ausübung der beruflichen Tätigkeit das Wissen des Kernbereichs eines Architekturstudiums voraussetzt.

EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

I.

Der 1946 geborene Kläger und Revisionskläger (Kläger) schloss im Jahr 1963 eine Betonbauer-Lehre erfolgreich ab. Danach war er als Facharbeiter in verschiedenen Bauunternehmen und als Volontär in einem Architekturbüro tätig. Von 1966 bis 1968 besuchte er eine Bautechniker-Schule. In der Folgezeit war der Kläger als angestellter Planer und/oder Bauleiter bei verschiedenen Arbeitgebern tätig. Seit 1973 betreibt er ein eigenes Planungs- und Bauleitungsbüro. Ein Antrag auf Eintragung in die Architektenliste wurde am 6. Mai 1994 abgelehnt.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) beurteilte die Tätigkeit des Klägers als gewerblich. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage nach Einholung des Gutachtens eines Sachverständigen ab. Der Kläger habe nicht einen der Berufstätigkeit der Architekten ähnlichen Beruf ausgeübt. Für die Bejahung der Vergleichbarkeit seien auch Fachkenntnisse erforderlich, die in ihrer fachlichen Breite denen eines Architekten entsprächen. Daran fehle es. Der Kläger besitze keine Kenntnisse auf Gebieten, die zum Kernbereich eines Studiums eines Architekten gehörten (z.B. schwierige öffentliche Bauten; Städtebau; Bau- und Architekturgeschichte). Auch unter verfassungsrechtlichen Erwägungen könne die Klage keinen Erfolg haben.

Mit der Revision macht der Kläger geltend, dass das FG eine "vergleichbare Tätigkeit" zu Unrecht verneint habe. Nach der Rechtsprechung genüge, dass ein vergleichbarer Stand an theoretischen Kenntnissen autodidaktisch erworben worden sei. Der Nachweis an theoretischen Kenntnissen könne auch anhand eigener praktischen Arbeiten geführt werden. Die Arbeiten müssten einen der Architektentätigkeit vergleichbaren Schwierigkeitsgrad aufweisen und sich auf einen wesentlichen und typischen Bereich beziehen. Auch in Baugeschichte habe der Kläger Grundkenntnisse besessen. Dass diese nach 30 Jahren nicht mehr präsent seien, sei nicht vorwerfbar. Maßgeblich sei im übrigen der Stoff, der vor 30 Jahren in einem Architekturstudium gelehrt worden sei; insoweit habe das FG die notwendige Aufklärung unterlassen.

Es werde daran festgehalten, dass die Gewerbeertragsteuer wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verfassungswidrig sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 1985 vom 5. Oktober 1994 den Freibetrag für freie Berufe in Ansatz zu bringen sowie den Gewerbesteuermessbescheid 1985 vom 20. Juni 1988 i.d.F. der Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet; die Entscheidung des FG ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Der Kläger war in den Streitjahren gewerblich und nicht gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) freiberuflich tätig. Er übte weder die selbständige Berufstätigkeit eines Architekten aus noch einen ähnlichen Beruf.

1. Eine Architekten-ähnliche Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG liegt vor, wenn sie in ihren wesentlichen Elementen dem Beruf des Architekten in Theorie (Ausbildung, Kenntnisse, Qualifikation) und Praxis (berufliche Tätigkeit) gleichwertig ist. Der Nachweis theoretischer Kenntnisse kann auch anhand eigener praktischer Arbeiten geführt werden, wenn die berufliche Tätigkeit so geartet ist, dass sie ohne theoretische Kenntnisse nicht ausgeübt werden könnte (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Juni 1980 I R 109/77, BFHE 132, 16, BStBl II 1981, 118; vom 21. Februar 1986 III R 183, 184/82, BFH/NV 1986, 603, und vom 5. Oktober 1989 IV R 154/86, BFHE 158, 409, BStBl II 1990, 73); aus der Art der Arbeiten muss auf ein gründliches und umfassendes theoretisches Wissen geschlossen werden können. Eine solche - besonders anspruchsvolle - Tätigkeit muss sowohl der Tiefe als auch der Breite nach zumindest das Wissen des Kernbereichs eines Fachstudiums voraussetzen (BFH-Urteil in BFHE 132, 16, BStBl II 1981, 118, 120).

Der Senat hat zwar Bedenken, ob die Planung von öffentlichen Verwaltungsgebäuden, Messehallen, Altenzentren, Krankenhäusern und dergleichen zum Kernbereich theoretischer Kenntnisse gehört. Selbst wenn man weniger hohe Anforderungen an das für die Bejahung einer Architekten-ähnlichen Tätigkeit erforderliche theoretische Wissen stellt als das FG, erweist sich dessen Entscheidung aber als zutreffend.

Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG sind die vom Kläger im Bereich des Wohnungsbaus durchgeführten Arbeiten nicht so beschaffen, dass aus ihnen auf eine Ausbildung, einen Kenntnisstand und eine Qualifikation geschlossen werden kann, die durch den Kernbereich eines Architekturstudiums vermittelt werden, z.B. auch Kenntnisse im Bereich des Gewerbe- oder Industriebaus, der städtebaulichen Gestaltung und Entwicklung, der Denkmalspflege und des Baus im alten Bestand. Dass der Kläger typische Architektenleistungen (z.B. die Planung von Doppel-, Reihen- und Mehrfamilienhäusern) ausgeführt hat, ist nicht ausreichend; denn diese Arbeiten lassen nicht unmittelbar erkennen, dass sie nur mit Hilfe des dem Kernbereich eines Architekturstudiums entsprechenden theoretischen Wissens zu bewerkstelligen gewesen wären.

Das BFH-Urteil vom 12. Oktober 1989 IV R 118, 119/87 (BFHE 158, 413, BStBl II 1990, 64) darf nicht dahin missverstanden werden, dass jede Bauleitertätigkeit Architekten-ähnlich sei. In jenem Fall war der Kläger zunächst mit einer "gutachterischen, technischen und wirtschaftlichen Planung von Bauwerken" befasst und damit unstreitig Architekten-ähnlich tätig geworden; streitig war nur, ob eine spätere bauleitende Tätigkeit ebenfalls als Architekten-ähnlich einzustufen sei.

2. Der Kläger rügt zu Unrecht, dass das FG insoweit seine Aufklärungspflicht verletzt habe, als es nicht auf den Lehrstoff eines Architekturstudiums vor dreißig Jahren abgestellt habe. Der Kernbereich der Ausbildung war auch damals nicht auf die bauplanerische und bauleitende Tätigkeit im privaten Wohnungsbau beschränkt.

3. Der Senat hält die Gewerbeertragsteuer für verfassungsgemäß (vgl. die Hinweise auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - bei Güroff, in Glanegger/Güroff, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, 4. Aufl., 1999, § 1 Rz. 18). Eine Vorlage an das BVerfG kommt nicht in Betracht.