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  BFH-Urteil vom 4.11.1999 (V R 35/98) BStBl. 2000 II S. 454

Der während des Verfahrens über den Einspruch gegen den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid bekanntgegebene Umsatzsteuer-Jahresbescheid Jahresbescheid wird gemäß § 365 Abs. 3 AO 1977 Gegenstand des Einspruchsverfahrens.

AO 1977 § 365 Abs. 3; UStG 1993 § 18 Abs. 1, 3.

Vorinstanz: FG Berlin (1998, 1040)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) wies für eine nicht steuerbare Leistung an einen in Frankreich ansässigen Unternehmer in einer Rechnung vom 18. April 1995 ein Entgelt von 51.750 DM und einen Umsatzsteuerbetrag von 6.750 DM aus. Sie berichtigte die Rechnung am 26. April 1995 und wies nur noch einen Rechnungsbetrag von 45.000 DM ohne Umsatzsteuer aus.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) setzte in dem Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für I/1995 vom 24. Juni 1996 u.a. wegen des Steuerausweises in der Rechnung vom 18. April 1995 Umsatzsteuer in Höhe von 6.750 DM gemäß § 14 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1993 an und vertrat die Auffassung, eine wirksame Rechnungsberichtigung liege nicht vor. Die Berichtigung hänge von der Rückgabe der Originalrechnung und dem Nachweis ab, dass der ausländische Unternehmer keinen Vorsteuerabzug beansprucht habe (Hinweis auf Abschn. 189 Abs. 1 Nr. 3 der Umsatzsteuer-Richtlinien - UStR - 1992).

Gegen den bezeichneten Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid I/1995 legte die Klägerin rechtzeitig Einspruch ein.

Während des Einspruchsverfahrens setzte das FA die Umsatzsteuer für 1995 in dem Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 1995 vom 11. Dezember 1996 fest. Es erhöhte die erklärten steuerpflichtigen Umsätze der Klägerin (von 4.200 DM) um 45.000 DM, weil es die Auffassung vertrat, der nicht steuerbare Umsatz sei der Umsatzsteuer zu unterwerfen, denn er sei mit gesondertem Steuerausweis abgerechnet und die Rechnung sei nicht wirksam berichtigt worden.

Am 5. Februar 1997 wies das FA den Einspruch gegen den Bescheid über die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für I/1995 als unbegründet zurück, weil dem Begehren der Klägerin "auf Änderung des angefochtenen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheids nach Wirksamwerden des Umsatzsteuer-Jahressteuerbescheids für 1995 nicht entsprochen werden" könne.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und hob die erwähnte Einspruchsentscheidung auf. Das FG vertrat die Auffassung, der während des Einspruchsverfahrens erlassene Umsatzsteuer-Jahresbescheid 1995 sei nach § 365 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) Gegenstand des Rechtsbehelfsverfahrens geworden. Das FA habe fehlerhaft nicht entschieden, ob eine von der Steuerschuld befreiende Rechnungsberichtigung vorliege. Das Urteil des FG ist in "Entscheidungen der Finanzgerichte" (EFG) 1998, 1040 veröffentlicht worden.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung von § 365 AO 1977. Ein Umsatzsteuer-Jahresbescheid habe keine ändernde oder ersetzende Wirkung i.S. von § 365 Abs. 3 AO 1977, so begründet das FA die Revision, wenn er während eines Einspruchsverfahrens gegen einen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid ergehe. Daher könne der Umsatzsteuer-Jahresbescheid nicht Gegenstand des Einspruchsverfahrens gegen den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid geworden sein.

Das FA beantragt sinngemäß, die Aufhebung der Vorentscheidung und die Abweisung der Klage.

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist unbegründet. Das FG hat zutreffend entschieden, dass der Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 1995 Gegenstand des Einspruchsverfahrens geworden war und dass das FA über dessen Rechtmäßigkeit habe entscheiden müssen.

1. Nach § 367 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 hat die Finanzbehörde, die über den Einspruch entscheidet, die Sache in vollem Umfang erneut zu prüfen. Diese Prüfung hat das FA unterlassen. Der während des Einspruchsverfahrens bekanntgegebene Umsatzsteuer-Jahresbescheid 1995 wurde an Stelle des Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheids I/1995, gegen den die Klägerin ursprünglich Einspruch eingelegt hatte, Gegenstand des Einspruchsverfahrens.

Das folgt aus § 365 Abs. 3 Satz 1 AO 1977, der bestimmt: Wird der angefochtene Verwaltungsakt geändert oder ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Einspruchsverfahrens. Die durch Art. 1 Nr. 48 Buchst. b des Steuerbereinigungsgesetzes 1986 (vom 19. Dezember 1985, BGBl I 1985, 2436, BStBl I 1985, 735) eingefügte Vorschrift soll nach der Gesetzesbegründung (BTDrucks 10/1636, S. 51 zu § 365 Abs. 3 AO 1977) "verhindern, dass der Rechtsbehelfsführer ohne Einlegung eines erneuten Rechtsbehelfs aus dem außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren hinausgedrängt wird, wenn der ursprüngliche Verwaltungsakt geändert oder durch einen neuen Verwaltungsakt ersetzt wird". Daraus ist die Vorstellung des Gesetzgebers zu entnehmen, dass der Rechtsbehelfsführer keinen erneuten Einspruch einzulegen braucht, weil der ursprünglich eingelegte Einspruch gegen den neuen Verwaltungsakt wirkt.

Der Umsatzsteuer-Jahresbescheid 1995 ersetzte i.S. von § 365 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid I/1995. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) löst der Umsatzsteuer-Jahresbescheid die Umsatzsteuerfestsetzungen für Vorauszahlungszeiträume ab (BFH-Urteile vom 15. Juni 1999 VII R 3/97, BFHE 189, 14; vom 2. Februar 1995 VII R 42/94, BFH/NV 1995, 853; vom 17. März 1994 V R 39/92, BFHE 174, 268, BStBl II 1994, 538; vom 21. Februar 1991 V R 130/86, BFHE 163, 408, BStBl II 1991, 465). Die Umsatzsteuer-Jahresfestsetzung nimmt materiell-rechtlich den Inhalt der Umsatzsteuer- Vorauszahlungsfestsetzungen in sich auf. Dadurch erledigen sich die Steuerfestsetzungen für Vorauszahlungszeiträume "auf andere Weise" (§ 124 Abs. 2 AO 1977). Für das materielle Ergebnis der im Kalenderjahr positiv oder negativ entstandenen Umsatzsteuer ist mit seiner Bekanntgabe ausschließlich der Umsatzsteuer- Jahresbescheid maßgebend (BFH in BFHE 174, 268, BStBl II 1994, 538, und in BFHE 163, 408, BStBl II 1991, 465; vgl. dazu auch Schwakenberg, Umsatzsteuer-Rundschau 1993, 295, 299 f.). Nur die verfahrensrechtlichen Wirkungen des Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheids bleiben bestehen (vgl. dazu BFH in BFHE 189, 14; Wüllenkemper, Deutsche Steuer-Zeitung 1998, 458).

Wird während eines finanzgerichtlichen Verfahrens gegen einen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid ein Umsatzsteuer-Jahresbescheid bekanntgegeben, kann der Kläger den Jahressteuerbescheid - innerhalb eines Monats seit Bekanntgabe - zum Gegenstand des Verfahrens erklären (§ 68 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Dadurch bewirkt er einen Wechsel des Verfahrensgegenstands. Gegenstand des Klageverfahrens ist - regelmäßig - nur noch die Rechtmäßigkeit des Jahres-Umsatzsteuerbescheids (vgl. dazu BFH in BFHE 174, 268, BStBl II 1994, 538; BFH-Urteil vom 1. Oktober 1992 V R 81/89, BFHE 169, 117, BStBl II 1993, 120).

Im Unterschied zu § 68 FGO tritt diese Wirkung nach § 365 Abs. 3 AO 1977 ohne eine Erklärung des Einspruchsführers kraft Gesetzes ein. Das Einspruchsverfahren kennt im Unterschied zum finanzgerichtlichen Verfahren keinen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO) und ist nicht kostenpflichtig. Vielmehr fördert § 365 Abs. 3 AO 1977 im Interesse der Verfahrensökonomie eine abschließende Entscheidung in der Sache, die durch die Prüfung der Rechtmäßigkeit des Umsatzsteuer-Jahresbescheids gegeben ist. Dass in Ausnahmefällen nach Bekanntgabe des Umsatzsteuer-Jahresbescheids bei bestehendem rechtlichen Interesse vor dem FG die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheids begehrt werden kann, setzt die Anwendbarkeit von § 365 Abs. 3 AO 1977 voraus (vgl. BFH in BFHE 189, 14; Urteil des FG Hamburg vom 4. August 1998 II 39/97, EFG 1999, 157).

2. Das FA war somit verpflichtet, über die Rechtmäßigkeit des Umsatzsteuer-Jahresbescheids in der angefochtenen Einspruchsentscheidung zu entscheiden. Es musste prüfen, ob die Steuerschuld der Klägerin wegen fehlerhafter Abrechnung über einen nicht steuerbaren Umsatz mit gesondertem Steuerausweis (im 2. Kalendervierteljahr 1995) durch die unstreitig vorgenommene Rechnungsberichtigung nach § 14 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG 1993 entfallen war. Dafür darf das FA nach der Rechtsprechung des Senats nicht die Vorlage der Originalrechnung verlangen, wenn nachweisbar ist, dass dem Leistungsempfänger die berichtigte Rechnung zugegangen ist und er aufgrund der Originalrechnung keine Vergütung von Vorsteuer geltend gemacht hat. Das FA hätte die letztgenannte Voraussetzung ohne weiteres aufklären können (§ 88 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AO 1977).

3. Der Senat hält es für angemessen, mit dieser Sachverhaltsaufklärung das FA zu befassen und die Aufhebung der Einspruchsentscheidung durch das FG zu bestätigen, weil das FA es in der Einspruchsentscheidung abgelehnt hatte, den entscheidungserheblichen Sachverhalt aufzuklären. Die Klägerin behält dadurch eine Tatsacheninstanz.