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  BFH-Urteil vom 15.3.2000 (I R 17/99) BStBl. 2001 II S. 251

1. Die erweiterte Kürzung gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG erfasst den Gewinn aus der Auflösung einer gemäß § 6b Abs. 3 EStG gebildeten Rücklage, wenn der ohne Bildung der Rücklage entstandene Veräußerungsgewinn nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG gewerbesteuerfrei gewesen wäre und wenn auch bei der Auflösung der Rücklage die Voraussetzungen des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG vorliegen. Daran fehlt es nicht deshalb, weil der veräußerte Grundbesitz im Zeitpunkt der Auflösung der Rücklage nicht mehr zum Betriebsvermögen gehört (Abweichung vom Senatsurteil vom 28. Juni 1989 I R 124/88, BFHE 158, 440, BStBl II 1990, 76).

2. Die erweiterte Kürzung erfasst jedoch nicht den Gewinnzuschlag gemäß § 6b Abs. 7 EStG.

GewStG § 9 Nr. 1 Satz 2; EStG § 6b Abs. 3 und 7.

Vorinstanz: FG Hamburg (EFG 1999, 571)

Sachverhalt

I.

Unternehmensgegenstand der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), einer GmbH, ist ausschließlich die Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes und eigenen Kapitalvermögens. Im August 1990 veräußerte sie ein unbebautes Grundstück und stellte die dabei aufgedeckten stillen Reserven in Höhe von 1.150.100,87 DM in eine Rücklage nach § 6b des Einkommensteuergesetzes (EStG) ein. Die Rücklage wurde zum 31. Dezember 1993 unter teilweiser Verrechnung mit den Herstellungskosten eines seinerzeit im Bau befindlichen, letztlich aber nicht fertiggestellten Lagerhauses in Höhe von 209.535,03 DM aufgelöst.

In ihrer Gewerbesteuererklärung für 1993 (Streitjahr) kürzte die Klägerin den Gewinn aus dem Gewerbebetrieb gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) um den Auflösungsgewinn aus der gemäß § 6b EStG gebildeten Rücklage in Höhe von 940.565 DM sowie um einen Betrag von 169.290 DM aus der Verzinsung der Rücklage gemäß § 6b Abs. 7 EStG. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte diese Kürzungen unter Berufung auf das Senatsurteil vom 28. Juni 1989 I R 124/88 (BFHE 158, 440, BStBl II 1990, 76) ab.

Die dagegen erhobene Klage hatte Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 571 abgedruckt.

Seine Revision stützt das FA auf Verletzung von § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG.

Es beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist teilweise begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur anderweitigen Festsetzung des einheitlichen Gewerbesteuermessbetrages 1993.

1. Der Gewinn, der im Streitjahr infolge der Auflösung der gemäß § 6b Abs. 3 EStG gebildeten Rücklage aufgedeckt worden ist, fällt unter die Kürzungsvorschrift des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG.

Nach dieser Vorschrift können Unternehmen, die ausschließlich eigenen Grundbesitz oder neben eigenem Grundbesitz eigenes Kapitalvermögen verwalten und nutzen oder daneben Wohnungsbauten betreuen oder Kaufeigenheime, Kleinsiedlungen und Eigentumswohnungen errichten und veräußern, auf Antrag den Gewerbeertrag statt um einen bestimmten Hundertsatz des Einheitswerts des Grundbesitzes um den Teil des Gewerbeertrags kürzen, der auf die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes entfällt. Zwischen den Beteiligten steht außer Streit, dass es sich bei der Klägerin um ein Unternehmen handelt, das diese tatbestandlichen Voraussetzungen an sich erfüllt; sie verwaltet ausschließlich eigenen Grundbesitz. Kontrovers ist jedoch, ob sich die ihr danach dem Grunde nach zu gewährende erweiterte Kürzung i.S. von § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG auch auf jenen Gewinn erstreckt, der durch die Auflösung der gemäß § 6b Abs. 3 EStG gebildeten Rücklage aufgedeckt worden ist. Die Vorinstanz hat dies zu Recht bejaht.

a) Wie der Senat in seinem Urteil vom 29. April 1987 I R 10/86 (BFHE 150, 59, BStBl II 1987, 603; s. auch Urteil in BFHE 158, 440, BStBl II 1990, 76) - unter Aufgabe seiner zuvorigen Rechtsprechung (vgl. Urteile vom 24. Februar 1970 I R 21/70, BFHE 100, 210, BStBl II 1970, 871; vom 24. Februar 1971 I R 174/69, BFHE 101, 396, BStBl II 1971, 338) - entschieden hat, gehört zu der hiernach vorzunehmenden Kürzung auch der Gewinn aus der Veräußerung von Grundbesitz. An dieser Rechtsprechung, der die Finanzverwaltung uneingeschränkt gefolgt ist (Abschn. 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Sätze 2 und 3 der Gewerbesteuer-Richtlinien - GewStR - 1990 = Abschn. 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Sätze 2 und 3 GewStR 1998), hält der Senat fest; die Revisionsbegründung des FA bringt keine neuen und vom Senat bislang noch nicht abgehandelten Aspekte, so dass darauf nicht mehr näher einzugehen ist.

b) Vor diesem Hintergrund und aufgrund der Tatsache, dass die Klägerin nach den Angaben in der Einspruchsentscheidung auch für 1990 einen Antrag gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG gestellt hatte, wäre der Gewinn, den die Klägerin im Jahre 1990 aus der Veräußerung des unbebauten Grundstücks im August 1990 erzielt hat, in die Kürzung einzubeziehen gewesen. Sie hat statt dessen aber entschieden, diesen Gewinn in eine Rücklage gemäß § 6b Abs. 3 EStG einzustellen. Das war auch gewerbesteuerrechtlich zu beachten (vgl. § 7 GewStG; Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 25. April 1985 IV R 83/83, BFHE 144, 25, BStBl II 1986, 350). Eine Kürzung gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG kam im Jahre 1990 hinsichtlich des Veräußerungsgewinns sonach nicht in Betracht.

c) Der Gewinn wirkt sich allerdings im Streitjahr gewerbeertragsmindernd aus.

aa) Voraussetzung für die Gewährung der erweiterten Kürzung gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG an Stelle der pauschalen Kürzung gemäß § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG ist, wie sich aus dem einleitenden Satzteil von § 9 Nr. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 GewStG ergibt, - zunächst - nur, dass der fragliche Grundbesitz zum Betriebsvermögen des Unternehmers gehört. Weitere tatbestandliche Erfordernisse und Einschränkungen bestehen insoweit nicht, insbesondere keine solchen zeitlicher Art. Der Regelungswortlaut steht einer erst späteren Berücksichtigung entsprechender Veräußerungsgewinne folglich nicht entgegen. Das räumt auch das FA ein.

bb) Aus gesetzessystematischer und teleologischer Sicht wird dies bestätigt:

Zwar bestimmt § 20 Abs. 1 Satz 2 der Gewerbesteuer- Durchführungsverordnung (GewStDV), dass für die Frage, ob und inwieweit i.S. des § 9 Nr. 1 GewStG Grundbesitz zum Betriebsvermögen gehört, der Stand zu Beginn des Kalenderjahres sei. Der Sachzusammenhang, in den diese Bestimmung gestellt ist, zeigt jedoch auf, dass diese sich lediglich auf die pauschale Kürzung gemäß § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG bezieht, nicht aber auf die erweiterte Kürzung gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG. Die Orientierung auf den Beginn des Kalenderjahres ist durch die Anknüpfung der Pauschalkürzung an den Einheitswert des dem Unternehmen gehörenden Grundbesitzes bedingt (vgl. insbesondere auch § 20 Abs. 2 GewStDV), der auf den 1. Januar eines Jahres festgestellt wird (vgl. §§ 21 Abs. 2, 22 Abs. 4, 23 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes - BewG -). Diese Orientierung erübrigt sich indes, wenn die erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG beantragt wird und wenn deren Voraussetzungen vorliegen; diese Kürzung tritt dann an die Stelle der Kürzung nach Satz 1 der Vorschrift und unterfällt eigenen Grundsätzen. Auch davon geht insoweit die Finanzverwaltung aus (vgl. Abschn. 61 Abs. 3 Satz 4 und 62 Abs. 3 Satz 3 GewStR 1990 = Abschn. 59 Abs. 3 Satz 4 und 60 Abs. 3 Satz 3 GewStR 1998).

Dass beide Kürzungen - jene gemäß § 9 Nr. 1 Satz 1 ebenso wie jene nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG - darauf abzielen, realsteuerliche Doppelbelastungen von Grundbesitz mit Grund- und Gewerbesteuer zu vermeiden (vgl. Gosch in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 9 GewStG Rz. 36, m.w.N.), widerspricht dem nicht und führt nicht zu abweichenden Anforderungen: Der in Rede stehende Grundbesitz wurde mit Grundsteuer belastet. Dies rechtfertigt es, entsprechende Erträge von der Gewerbesteuer auch dann freizustellen, wenn sich die Belastung mit dieser erst in einem anderen Erhebungszeitraum auswirken könnte. Das Erfordernis einer zeitlichen Belastungskorrespondenz gibt das Gesetz nicht vor. Unabhängig davon enthält § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG ohnehin - und abweichend von § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG - unter den aufgeführten einschränkenden Voraussetzungen, vor allem unter der Beschränkung auf Grundstücksunternehmen, die vollständige Befreiung der Doppelbelastung. Diesem Gesetzeszweck wird aber gerade dann und dadurch entsprochen, dass die Kürzung auch zeitraumübergreifend sichergestellt wird. Auf den Umstand, dass der betreffende Gewinn zunächst in eine Rücklage eingestellt worden ist, kommt es insoweit nicht an. Auch wenn er von dem Gewinn aus deren Auflösung zu unterscheiden ist, ändert dies nichts daran, dass es um die nämlichen stillen Reserven aus der Grundstücksveräußerung geht (vgl. § 6b Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 EStG; s. auch die Begriffsdefinitionen des Veräußerungsgewinns in § 16 Abs. 2 Satz 1 und § 6b Abs. 2 EStG; ferner BFH-Urteil vom 4. Februar 1982 IV R 150/78, BFHE 135, 202, BStBl II 1982, 348, zur insoweit nur infolge der Sonderregelung in § 34 Abs. 1 Satz 4 EStG erforderlichen Abgrenzung zwischen laufendem und tarifbegünstigtem Gewinn aus einer Betriebsveräußerung).

d) In Anbetracht dessen erübrigt es sich, auf die weiteren Überlegungen zur Rechtfertigung der Begünstigung in § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG einzugehen. Ebenso bleibt ohne Bedeutung, dass und ggf. welche Gestaltungsspielräume sich aus den vom GewStG in § 9 Nr. 1 Sätze 1 und 2 alternativ zur Verfügung gestellten Kürzungen ergeben können. Sollten solche bestehen (vgl. dazu auch Gosch in Blümich, a.a.O., § 9 GewStG Rz. 41), so wären diese im Gesetz angelegt.

e) Soweit der Senat in seinem Urteil in BFHE 158, 440, BStBl II 1990, 76 einen anderen Standpunkt eingenommen hat, wird dieser nicht aufrechterhalten (im Ergebnis ebenso Güroff in Glanegger/Güroff, Gewerbesteuergesetz, 4. Aufl., § 9 Nr. 1 Rz. 34; Gosch in Blümich, a.a.O., § 9 GewStG Rz. 101, 117 - bis zur 65. Ergänzungslieferung -, und in Steuer und Wirtschaft 1992, 350, 358).

2. Für den Gewinnzuschlag nach § 6b Abs. 7 EStG gilt Gleiches jedoch nicht. Hierdurch soll die Steuerstundung abgegolten werden, die infolge der Rücklagenbildung für im Ergebnis nicht reinvestierte Veräußerungsgewinne entsteht. Im wirtschaftlichen Ergebnis handelt es sich sonach um die Verzinsung und damit den Gegenwert dafür, dass sich der betreffende Veräußerungsgewinn steuerlich nicht im Wirtschaftsjahr seines Entstehens, sondern erst in einem Folgejahr auswirkt. Anders als der über die Rücklage "gestundete" Veräußerungsgewinn entfällt diese Kompensation sonach nicht auf die Verwaltung des Grundbesitzes, vielmehr auf das in der Rücklage gespeicherte Kapital. Der Zuschlag stellt gleichsam die pauschalierte Erfassung desjenigen Gewinns dar, der auf eine Kapitalnutzung entfällt, für welche das Gesetz ausdrücklich aber keine Kürzung vorsieht (vgl. § 9 Nr. 1 Satz 2 letzter Satzteil GewStG).

3. Die Rechtsauffassung der Vorinstanz war insoweit eine andere. Ihr Urteil war aufzuheben. Der angefochtene Gewerbesteuermessbescheid ist - unter Klageabweisung im Übrigen - wie folgt zu ändern: ...