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  BFH-Urteil vom 19.12.2000 (IX R 100/97) BStBl. 2001 II S. 345

Werden innerhalb der Spekulationsfrist des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG a.F. (jetzt: § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) Kapitalgesellschaftsanteile im Anschluss an eine mit der Gewährung von kostenlosen Bezugsrechten oder von Gratisaktien verbundene Kapitalerhöhung veräußert, sind im Rahmen der Gewinnermittlung nach § 23 Abs. 4 Satz 1 EStG a.F. (jetzt: § 23 Abs. 3 Satz 1 EStG) die ursprünglichen Anschaffungskosten der Kapitalgesellschaftsanteile um den auf die Bezugsrechte oder die Gratisaktien entfallenden Betrag zu kürzen.

EStG § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, Abs. 4 Satz 1; HGB § 255 Abs. 1.

Vorinstanz: Hessisches FG (EFG 1997, 1520)

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erwarb in den Jahren 1983 bis 1986 und 1990 (Streitjahre) Stammaktien von Kapitalgesellschaften, die in kurzem zeitlichen Abstand zum Erwerbsvorgang Kapitalerhöhungen vornahmen, indem sie dem Inhaber der Stammaktie in einem bestimmten festgelegten Verhältnis kostenlos Bezugsrechte zum Kauf neuer (sog. junger) Aktien gewährten und/oder Gratisaktien ausgaben. Im Anschluss an die Kapitalerhöhung veräußerte der Kläger die Stammaktien innerhalb der Spekulationsfrist des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes in der für die Streitjahre maßgebenden Fassung (EStG). Der Kläger erlitt wegen der bei der Ausgabe von Bezugsrechten oder Gratisaktien handelsüblichen Abschläge auf den Börsenkurs der Stammaktien bei diesen Veräußerungsgeschäften regelmäßig einen Verlust; diesen legte er jeweils seinen Einkünfteermittlungen nach § 23 Abs. 4 Satz 1 EStG zugrunde. Die aufgrund der Bezugsrechte erworbenen jungen Aktien oder Gratisaktien veräußerte der Kläger nach Ablauf der Spekulationsfrist; angefallene Gewinne behandelte er als nicht steuerbar.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -FA-) teilte die ursprünglichen Anschaffungskosten der Stammaktien in den Aktienwert einerseits und den Wert der Bezugsrechte auf den Erwerb junger Aktien oder Gratisaktien andererseits auf. Den - um den Wert der Bezugsrechte und der Gratisaktien geminderten - Wert der Stammaktien stellte das FA den Veräußerungserlösen aus § 23 EStG gegenüber, was zu einer entsprechenden Minderung der mit Gewinnen aus anderen Spekulationsgeschäften verrechneten Verluste des Klägers führte.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 1520 veröffentlichten Urteil die Ansicht, das FA habe zu Recht die ursprünglichen Anschaffungskosten der Stammaktien um einen auf die Bezugsrechte und Gratisaktien entfallenden Betrag gekürzt. Aktien enthielten ein Bündel von Mitgliedschaftsrechten, wozu neben dem Recht auf einen Anteil am Gewinn und dem Stimmrecht auch das Recht gehöre, bei einer Kapitalerhöhung einen Teil der neuen Aktien zugeteilt zu bekommen. Durch den Kapitalerhöhungsbeschluss erstarke dieses Recht zu einem eigenen, selbständig bewertbaren Vermögensgegenstand; die Substanz der Stammaktie werde insoweit geteilt. Daher seien auch deren Anschaffungskosten zu teilen. Dies gelte nicht nur bei Aktien im Betriebsvermögen, sondern auch bei im Privatvermögen gehaltenen Aktien.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 23 Abs. 4 Satz 1 EStG).

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die angefochtenen Einkommensteuerbescheide dergestalt abzuändern, dass die angesetzten Einkünfte aus Spekulationsgeschäften um 8.758 DM (1983), 5.709 DM (1984), 38.781 DM (1985), 31.938 DM (1986) und 40.950 DM (1990) gemindert werden.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass bei der Ermittlung der von dem Kläger in den Streitjahren erzielten Spekulationsgewinne die Anschaffungskosten der Stammaktien um einen auf die Bezugsrechte und Gratisaktien entfallenden Betrag zu kürzen waren.

1. Gemäß § 23 Abs. 4 Satz 1 EStG ist Gewinn aus Spekulationsgeschäften der Unterschied zwischen dem Veräußerungspreis einerseits und den Anschaffungs- oder Herstellungskosten und den Werbungskosten andererseits.

Entgegen der Ansicht des Klägers ist es für die Frage des Vorliegens von Anschaffungskosten unerheblich, dass die Stammaktien nicht im Betriebsvermögen, sondern im Privatvermögen gehalten werden. Der Begriff "Anschaffungskosten" in § 23 Abs. 4 Satz 1 EStG ist mit dem Begriff der Anschaffungskosten in § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG identisch (Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 30. Juli 1965 VI 264/64 U, BFHE 83, 454, BStBl III 1965, 663). Anschaffungskosten i.S. der genannten Vorschrift sind damit - unter Bezugnahme auf § 255 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches - alle Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben und ihn in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen. Dieser aus dem Handelsrecht in das Steuerrecht übernommene einheitliche Anschaffungskostenbegriff gilt gleichermaßen im Bereich der Gewinneinkünfte wie im Bereich der Überschusseinkünfte (vgl. BFH-Urteile vom 12. Februar 1980 VIII R 114/77, BFHE 130, 378, BStBl II 1980, 494; vom 19. Juli 1994 VIII R 58/92, BFHE 176, 317, BStBl II 1995, 362, a.E.; vom 21. Januar 1999 IV R 27/97, BFHE 188, 27, BStBl II 1999, 638).

Der so verstandene Begriff der Anschaffungskosten schließt es nicht aus, dass ein ursprünglich vom Steuerpflichtigen angeschaffter Vermögensgegenstand durch mehrere andere Vermögensgegenstände ersetzt wird und dass sich die auf den ursprünglich angeschafften Vermögensgegenstand entfallenden Anschaffungskosten anteilig in mehreren Ersatzvermögensgegenständen fortsetzen. Durch die Gewährung kostenloser Bezugsrechte oder die Ausgabe von Gratisaktien erwirbt deren Inhaber unentgeltlich einen Anteil an den stillen Reserven, die in entsprechender Höhe aus der Substanz der Stammaktien ausscheiden. Eine solche Kapitalerhöhung führt wirtschaftlich zu einer Abspaltung der in den Stammaktien verkörperten Substanz und dementsprechend zu einer Abspaltung eines Teils der ursprünglichen Anschaffungskosten. Die zu Anteilen an einer im Privatvermögen gehaltenen wesentlichen Beteiligung (§ 17 Abs. 2 EStG) ergangene Rechtsprechung des BFH (z.B. Urteil in BFHE 188, 27, BStBl II 1999, 638, m.w.N.) ist insoweit wegen der Einheitlichkeit des Anschaffungskostenbegriffes auf die Ermittlung der Anschaffungskosten i.S. von § 23 Abs. 4 Satz 1 EStG zu übertragen.

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze hat die Revision keinen Erfolg. Das FG hat der Gewinnermittlung nach § 23 Abs. 4 Satz 1 EStG zutreffend die Anschaffungskosten der Stammaktien, gemindert um den auf die Bezugsrechte und Gratisaktien entfallenden Betrag, zugrunde gelegt. Es hat auch in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Werte von Stammaktien und Bezugsrechten sowie von Gratisaktien nach der Gesamtwertmethode errechnet (vgl. BFH-Urteil vom 6. Dezember 1968 IV R 174/67, BFHE 94, 251, BStBl II 1969, 105).