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  BFH-Beschluss vom 29.11.2000 (I R 38/99) BStBl. 2001 II S. 374

Das BMF wird aufgefordert, dem Verfahren beizutreten, um zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die ersatzlose Streichung von § 12 Abs. 2 Satz 4 UmwStG 1995 durch Art. 3 Nr. 4 Buchstabe a des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 (BGBl I 1997, 2590) in formell verfassungsmäßiger Weise zustande gekommen ist.

UmwStG 1995 § 12 Abs. 2 Satz 4; GG Art. 20 Abs. 3, Art. 76 Abs. 1, Art. 100 Abs. 1; FGO § 122 Abs. 2 Satz 3.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg, Außensenate Stuttgart (EFG 1999, 864)

Sachverhalt

I.

Die Beteiligten streiten über die steuerrechtliche Beurteilung von Unternehmensverkäufen im Rahmen des sog. Kombinationsmodells und in diesem Zusammenhang darum, ob die Korrektur einer zuvor erfolgten Teilwertabschreibung durch Hinzurechnung gemäß § 12 Abs. 2 des Umwandlungssteuergesetzes (UmwStG 1995) rechtmäßig ist. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) möchte erreichen, dass diese Hinzurechnung durch den Höchstbetrag gemäß § 12 Abs. 2 Satz 4 UmwStG 1995 i.d.F. bis zur Änderung durch Art. 3 Nr. 4 Buchst. a des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 (BGBl I 1997, 2590) begrenzt wird. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) lehnt dies ab.

Die Klage war erfolglos. Das Finanzgericht (FG) hat sie mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 1999, 864 wiedergegebenen Gründen abgewiesen.

Dagegen richtet sich die Revision.

Entscheidungsgründe

II.

Nach Ansicht des Senats ist die Frage entscheidungserheblich, ob die ersatzlose Streichung von § 12 Abs. 2 Satz 4 UmwStG 1995 durch Art. 3 Nr. 4 Buchst. a des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 (BGBl I 1997, 2590) in formell verfassungsmäßiger Weise zustande gekommen ist. Er erwägt, diese Frage mit der nachfolgenden Begründung dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gemäß Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) vorzulegen.

1. Die ersatzlose Streichung von § 12 Abs. 2 Satz 4 UmwStG 1995 a.F. durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform verstößt gegen formelles Verfassungsrecht, weil durch sie das Demokratieprinzip in Gestalt des Parlamentsvorbehalts (Art. 20 Abs. 3, Art. 76 Abs. 1 GG) verletzt wird. Die Grenzen, die Beschlussempfehlungen des Vermittlungsausschusses zwischen Bundestag und Bundesrat gesetzt sind, sind überschritten worden.

a) Diese Grenzen hat das BVerfG wiederholt aufgezeigt, zuletzt im Urteil vom 7. Dezember 1999 2 BvR 301/98 (BVerfGE 101, 297, BStBl II 2000, 162; davor in den Beschlüssen vom 13. Mai 1986 1 BvR 99, 461/85, BVerfGE 72, 175, 187 ff.; vom 8. Juni 1988 2 BvL 9/85 und 3/86, BVerfGE 78, 249, 271). Nach Auffassung des BVerfG darf danach der "Vermittlungsausschuss ... eine Änderung, Ergänzung oder Streichung der vom Bundestag beschlossenen Vorschriften nur vorschlagen, wenn und soweit dieser Einigungsvorschlag im Rahmen des Anrufungsbegehrens und des ihm zugrundeliegenden Gesetzgebungsverfahrens verbleibt. Das zum Anrufungsbegehren führende Gesetzgebungsverfahren wird durch die in dieses eingeführten Anträge und Stellungnahmen bestimmt. Stellungnahmen des Bundesrates sind auch dann in den Vermittlungsvorschlag zum Ausgleich der Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundestag und Bundesrat einzubeziehen, wenn diese vom Bundestag in seinem Gesetzesbeschluss nicht berücksichtigt worden sind" (so unter B. I. 1. c bb der Entscheidungsgründe in BVerfGE 101, 297, BStBl II 2000, 162). "Der Beschlussvorschlag des Vermittlungsausschusses soll somit eine Brücke zwischen schon in den Gesetzgebungsorganen erörterten Alternativen schlagen, ohne eine - dem Vermittlungsausschuss nicht zustehende - Gesetzesvorlage einzubringen (Art. 76 Abs. 1 GG), das Gesetzgebungsverfahren in der parlamentarischen Demokratie zu verkürzen oder die Gesetzgebungszuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zu verfälschen. Der Bundestag muss den Vermittlungsvorschlag auf der Grundlage seiner Debatte über ihm vorliegende Anträge und Stellungnahmen als ein ihm zuzurechnendes und von ihm zu verantwortendes Ergebnis seines parlamentarischen Verfahrens erkennen und anerkennen können. Der Vermittlungsvorschlag ist deshalb in dem Rahmen gebunden, der nach den bisherigen Beratungen im Bundestag inhaltlich und formal vorgezeichnet ist" (so unter B. I. 1. c cc der Entscheidungsgründe in BVerfGE 101, 297, BStBl II 2000, 162). "Soweit ein Anrufungsbegehren allein durch die Benennung des vom Deutschen Bundestag beschlossenen Gesetzes gekennzeichnet ist und dieses Gesetz - wie beim Artikelgesetz - die Änderung mehrerer Gesetze zum Gegenstand hat oder aber in einem Einzelgesetz eine Fülle von Neuregelungen vorsieht, bedarf der in dem Anrufungsbegehren enthaltene Vermittlungsauftrag deutlicher Umgrenzung. Diese sollte sich in der Regel aus einer präzisen Fassung des Anrufungsauftrages ergeben, kann aber auch aus den Kontroversen in der parlamentarischen Debatte und zwischen Bundestag und Bundesrat erschlossen werden. Der Vermittlungsausschuss darf hingegen keinen Vorschlag unterbreiten, der außerhalb der bisherigen Auffassungsunterschiede im Parlament oder der bisherigen Gegenläufigkeit zwischen Bundestag und Bundesrat bleibt" (so unter B. I. 1. c d der Entscheidungsgründe in BVerfGE 101, 297, BStBl II 2000, 162).

b) Nach diesen Maßstäben ist die Streichung von § 12 Abs. 2 Satz 4 UmwStG 1995 a.F. durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 formell verfassungswidrig. Der Vermittlungsausschuss hat die ihm von Verfassungs wegen gezogenen Grenzen seines Vermittlungsauftrages überschritten.

Ausgangspunkt des vom Bundestag am 5. August 1997 beschlossenen Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform war der Regierungsentwurf des Jahressteuergesetzes 1996 (BTDrucks 13/901), der zunächst in erster Linie Vorschriften zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (EStG) enthielt und das UmwStG 1995 nur randseitig und zu hier nicht in Rede stehenden Fragen betraf. Im Rahmen der Beratungen des Finanzausschusses wurde der Gegenstand des Verfahrens erweitert, allerdings nach wie vor, ohne Regelungen zu § 12 Abs. 2 und Abs. 3 UmwStG 1995 zu enthalten (BTDrucks 13/7000). Der Bundestag beschloss daraufhin am 4. April 1997 das Änderungsgesetz, der Bundesrat versagte ihm aber am 25. April 1997 die Gefolgschaft (BTDrucks 13/7570), woraufhin die Bundesregierung den Vermittlungsausschuss anrief (BTDrucks 13/7579). Angaben zum Vermittlungsauftrag enthielt der Anrufungsbeschluss nicht. Der Vermittlungsausschuss trat am 4. August 1997 zusammen und beschloss die letztlich Gesetz gewordenen Änderungen auch des UmwStG 1995 (BTDrucks 13/8325), nach Lage der Dinge auf Initiative des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) und der Länder Hamburg und Nordrhein-Westfalen. Am 5. August 1997 nahm der Bundestag diesen Vorschlag des Vermittlungsausschusses ohne inhaltliche Aussprache an (vgl. Plenarprotokoll der Sitzung 13/186, S. 16860). Nachdem am 5. September 1997 auch der Bundesrat zugestimmt hatte, wurde das Änderungsgesetz am 29. Oktober 1997 im BGBl verkündet.

Der Vermittlungsausschuss ist nach den vorgeschilderten Abläufen autonom und auf Spontaninitiative der Finanzverwaltung und der Länder Hamburg und Nordrhein-Westfalen hin tätig geworden. An entsprechenden parlamentarischen Vorgaben fehlte es. Zwar enthielt der ursprüngliche Regierungsentwurf mit dem geplanten § 50c Abs. 11 EStG eine Gesetzesänderung, die ebenfalls auf eine Missbrauchsverhinderung infolge vorangegangener Teilwertabschreibungen gerichtet war, dies allerdings in anderen Zusammenhängen und letztlich ohne irgendeinen Bezug zu jenen Missbrauchsgefahren, die es mittels der Änderung von § 12 Abs. 2 UmwStG 1995 auszuräumen galt. Den Anforderungen an den Parlamentsvorbehalt, wie sie vom BVerfG aufgestellt worden sind, ist damit nicht genügt.

Der vom FG hervorgehobene Gesichtspunkt, dass der Bundestag die Beratungsergebnisse des Vermittlungsausschusses vom 4. August 1997 am darauffolgenden Tag hätte ablehnen können, vermag daran nichts zu ändern. Dies ist deswegen nicht ausschlaggebend, weil es an den vorangehenden und verfassungsrechtlich gebotenen Initiativen des Parlaments gemangelt hat. Allein die Annahme des Vermittlungsvorschlags durch Bundesrat und Bundestag kann diese Defizite nicht ausräumen: Gemäß § 10 Abs. 2 der Geschäftsordnung für den Vermittlungsausschuss (BGBl II 1951, 103) ist die Möglichkeit ausgeschlossen, sachliche Anträge zu stellen, sobald der Vermittlungsausschuss seine Empfehlung abgegeben hat. Der Vermittlungsausschuss hat sich nach Lage der Dinge somit die Funktion eines Ersatzgesetzgebers angemaßt (ebenso Hübner/ Schaden, Deutsches Steuerrecht 1999, 2093, 2097 f.; Wisniewski in Haritz/Benkert, Umwandlungssteuergesetz, 2. Aufl., § 27 Rz. 41).

2. Infolge der vom Senat erwogenen Verfassungswidrigkeit von § 12 Abs. 2 UmwStG 1995 i.d.F. von Art. 3 Nr. 4 des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform wäre gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Entscheidung des BVerfG einzuholen. Der Senat hält es für zweckmäßig, wenn das BMF vor Ergehen eines entsprechenden Vorlagebeschlusses zu den aufgeworfenen Rechtsfragen, vor allem aber zu den tatsächlichen Abläufen im Gesetzgebungsverfahren Stellung nähme. Das BMF wird deswegen gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung aufgefordert, dem Verfahren beizutreten.