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  BFH-Beschluss vom 5.2.2001 (I B 140/00) BStBl. 2001 II S. 598

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob bei Zugrundelegung des EuGH-Urteils vom 27. Juni 1996 Rs. C 107/94 "Asscher" (IStR 1996, 329) der in § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG bestimmte Mindeststeuersatz für beschränkt Steuerpflichtige mit dem Diskriminierungsverbot in Art. 52 ff. EGV (= Art. 43 ff. EGV i.d.F. des Vertrages von Amsterdam) vereinbart werden kann.

FGO § 69 Abs. 3; EStG § 50 Abs. 3 Satz 2; EGV a.F. Art. 52 ff. (= EGV n.F. Art. 43 ff.); DBA-Niederlande Art. 20 Abs. 3.

Vorinstanz: FG Düsseldorf (EFG 2001, 26)

Sachverhalt

I.

Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) ist niederländische Staatsangehörige mit Wohnsitz in den Niederlanden. Sie erzielte dort im Streitjahr 1998 einen Gewinn aus Gewerbebetrieb von 75.676 hfl. In der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) war sie an einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) beteiligt und erklärte Einkünfte aus dieser Beteiligung in Höhe von 33.257 DM.

Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) setzte die Einkommensteuer 1998 unter Berücksichtigung des Mindeststeuersatzes von 25 v.H. des Einkommens gemäß § 50 Abs. 3 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) fest. Über den dagegen gerichteten Einspruch ist noch nicht entschieden.

Dem nach zuvoriger Ablehnung durch das FA beim Finanzgericht (FG) gestellten Antrag, den angefochtenen Bescheid auszusetzen, gab das FG mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 26 wiedergegebenen Gründen statt: Es sei ernstlich zweifelhaft, ob bei Zugrundelegung der vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) im Urteil vom 27. Juni 1996 Rs. C 107/94 ("Asscher", Internationales Steuerrecht - IStR - 1996, 329) entwickelten Rechtsgrundsätze § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG mit EG-Recht in Einklang stehe. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sei deswegen nach Abzug des Sonderausgabenpauschbetrages auf das zu versteuernde Einkommen der Steuersatz nach der Grundtabelle (§ 50 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 32a EStG) anzuwenden.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des FA, mit der es beantragt, den FG-Beschluss aufzuheben und den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung u.a. soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182, seitdem ständige Rechtsprechung). Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung anordnen (§ 69 Abs. 3 Satz 3 FGO). Im Streitfall bestehen ernstliche Zweifel daran, ob der in § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG bestimmte Mindeststeuersatz von 25 v.H. des Einkommens gemeinschaftsrechtskonform ist.

2. Wie der EuGH in seinem Urteil in IStR 1996, 329 entschieden hat, stellt es eine nach Art. 52 ff. des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft - EGV - (= Art. 43 ff. nach der Zählung des Vertrages von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, Amtsblatt Nr. 97/C-340/173) verbotene mittelbare Diskriminierung dar, wenn auf bestimmte Gebietsfremde ein höherer Einkommensteuersatz angewandt wird, als er für Gebietsansässige und diesen gleichgestellte Personen gilt. Im Urteilsfall betraf dies einen Gebietsfremden, der in den Niederlanden selbständig tätig war, der jedoch in Belgien wohnte und auch dort einer beruflichen Erwerbstätigkeit nachging. Der EuGH sah eine Ungleichbehandlung darin, dass der Betreffende mit seinen in den Niederlanden erzielten Einkünften einem Steuersatz von 25 v.H. unterworfen wurde, während eine vergleichbare Person mit Wohnsitz in den Niederlanden in den Genuss eines Steuersatzes von lediglich 13 v.H. gelangte.

Diese Ausgangssituation stimmt mit der überein, die sich im Streitfall für die Antragstellerin stellt: Auch sie ist in einem Mitgliedstaat - der Bundesrepublik - beruflich tätig und wohnt in einem anderen Mitgliedsstaat - den Niederlanden -. Sie erwirtschaftet dort Einkünfte, mit denen sie der Besteuerung nach dem Einkommen unterfällt. Abweichend von unbeschränkt steuerpflichtigen Personen, die in der Bundesrepublik ansässig sind, wird sie mit ihren hier erzielten Einkünften einem besonderen Mindeststeuersatz von 25 v.H. unterworfen, der höher ist als jener - nach Berechnung des FG - von nur 17,43 v.H., der für unbeschränkt Steuerpflichtige gilt. Die vom EuGH als gemeinschaftsrechtswidrig angesehene mittelbare Diskriminierung durch Anwendung unterschiedlicher und belastender Steuersätze ist damit gegeben.

Diese Diskriminierung kann - jedenfalls bei summarischer Prüfung - nicht mit einer ansonsten bestehenden höheren Steuerprogression für einen Inländer mit entsprechend hohem Welteinkommen gerechtfertigt werden. Denn der EuGH stellt nicht darauf ab, welchem individuellen Steuersatz ein derartiger Steuerpflichtiger unterworfen wäre. Vielmehr lässt er es genügen, dass der Wohnsitzstaat nach Maßgabe des einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommens berechtigt ist, die in dem anderen Staat erzielten Einkünfte bei der Berechnung der Höhe der Steuer von den übrigen Einkünften des betreffenden Steuerpflichtigen, namentlich im Hinblick auf die Anwendung der Progressionsbestimmung, zu berücksichtigen. Da ein derartiger Progressionsvorbehalt auch zwischen der Bundesrepublik und den Niederlanden in Art. 20 Abs. 3 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie verschiedener sonstiger Steuern und zur Regelung anderer Fragen auf steuerlichem Gebiet vom 16. Juni 1959 (BGBl II 1960, 1782) i.d.F. des Zweiten Zusatzprotokolls vom 21. Mai 1991 (BGBl II 1991, 1429) - DBA-Niederlande - vereinbart worden ist, befinden sich - so der EuGH - "die beiden Gruppen von Steuerpflichtigen (...) also im Hinblick auf diese Bestimmung in einer gleichartigen Situation". Das FA weist in diesem Zusammenhang zwar ebenso wie die Vorinstanz (vgl. auch Kramer, Recht der Internationalen Wirtschaft - RIW - 1996, 951, 954) zutreffend darauf hin, dass darin eine Begünstigung des beschränkt Steuerpflichtigen gegenüber dem unbeschränkt Steuerpflichtigen im Inland liegen kann, weil Ersterer im Tätigkeitsstaat Progressionsvorteile hat, die dem dort unbeschränkt Steuerpflichtigen nicht zustehen; insofern sichert der pauschale Mindeststeuersatz von 25 v.H. des Einkommens in gewisser Weise die "kohärente" Besteuerung zu dem Steuervorteil, der darin liegt, dass der Steuerausländer im Inland keine erhöhte Progression bezogen auf sein Gesamteinkommen erleidet (vgl. zum sog. Kohärenzprinzip m.w.N. Senatsbeschluss vom 30. Dezember 1996 I B 61/96, BFHE 181, 511, BStBl II 1997, 466). Solche Vergleichsbetrachtungen müssen jedoch möglicherweise vor dem Hintergrund der im Wohnsitzstaat anzuwendenden Freistellungs- oder Anrechnungsmethode und der sich daraus ergebenden Belastung der Antragstellerin gesehen werden. Ob sich danach für die Antragstellerin eine Diskriminierung ergibt, kann abschließend erst im Hauptsacheverfahren entschieden werden.

Daran ändert auch das EuGH-Urteil vom 14. September 1999 Rs. C 391/97 ("Gschwind", IStR 1999, 597) nichts. In diesem Urteil hat der EuGH keine diskriminierende Wirkung in dem Umstand gesehen, dass ein Mitgliedstaat die Gewährung einer persönlichen Steuervergünstigung wie des Splitting-Vorteils an gebietsfremde Eheleute davon abhängig macht, ob mindestens 90 v.H. ihres Welteinkommens in diesem Staat der Steuer unterliegen, oder, wenn dieser Prozentsatz nicht erreicht wird, ob ihre in diesem Staat nicht der Steuer unterliegenden ausländischen Einkünfte einen bestimmten Betrag nicht überschreiten. Das ausschlaggebende Kriterium für die unterschiedliche Behandlung sieht der EuGH darin, dass der Wohnsitzstaat nur dann vergleichbare Vergünstigungen gewähren kann, wenn der Steuerpflichtige dort nennenswerte Einkünfte hat. Erneut nimmt der EuGH gewissermaßen eine Gesamtschau vor, bezieht darin die jeweilige Besteuerungssituation in beiden betroffenen Mitgliedstaaten ein und beschränkt die Vergleichsbetrachtung nicht isoliert auf die Situation nur im Wohnsitz- oder nur im Tätigkeitsstaat.

Der erkennende Senat folgt damit im vorläufigen Verfahren den Bedenken, die im Schrifttum gegenüber der Vereinbarkeit des Mindeststeuersatzes in § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG mit dem Gemeinschaftsrecht geäußert worden sind (z.B. Dautzenberg, Der Betrieb - DB - 1996, 2248; Herzig/Dautzenberg, DB 1997, 8, 13; Kramer, RIW 1996, 951, 954; Saß, DB 1996, 1607, 1608; de Weerth, RIW 1997, 482, 484; Waterkamp-Faupel, Finanz-Rundschau 1996, 669, 670; Strunk in Korn, Einkommensteuergesetz, § 50 Rz. 41). Sie rechtfertigen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides, ohne dass in diesem Eilverfahren eine Vorabentscheidung des EuGH (§ 234 Abs. 1 EGV) einzuholen wäre (vgl. Senatsbeschluss in BFHE 181, 511, BStBl II 1997, 466, m.w.N.).