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  BFH-Urteil vom 12.6.2001 (XI R 5/00) BStBl. 2001 II S. 830

Wird ein Grundstück des Betriebsvermögens im Hinblick auf ein behördlich angeordnetes Nutzungsverbot veräußert, so können die aufgedeckten stillen Reserven grundsätzlich auf ein Ersatzwirtschaftsgut übertragen werden, auch wenn dieses vor der Veräußerung erworben wird, sofern zwischen beiden Vorgängen ein ursächlicher Zusammenhang besteht.

EStG § 5, § 6b; EStR R 35.

Vorinstanz: FG Köln (EFG 2000, 207)

Sachverhalt

I.

Streitig ist die Übertragung aufgedeckter stiller Reserven auf ein Ersatzwirtschaftsgut.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind miteinander verheiratet und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger handelt mit LKW und anderen Nutzfahrzeugen.

Im Rahmen eines Vergleichs wurde dem Kläger 1977 gestattet, das Betriebsgrundstück in F bis zum In-Kraft-Treten des Bebauungsplans Nr. 40.3 weiterhin für seine gewerblichen Zwecke zu nutzen. Mit Ordnungsverfügung vom 23. September 1985 wurde die Nutzung des Grundstücks zu gewerblichen Zwecken ab dem 1. Mai 1986 untersagt. Der Kläger erwarb im Jahr 1985 ein Ersatzgrundstück in K. Der Betrieb wurde im Jahr 1987 verlegt. Im Oktober 1986 wurde ein Makler mit der Veräußerung des Grundstücks in F beauftragt. Einzelne Angebote schienen dem Kläger zu niedrig. Im Januar 1992 wurde das ehemalige Betriebsgrundstück veräußert. Der Kläger erzielte einen Gewinn von ... DM, den er in Höhe von ... DM mit den Anschaffungskosten für das Ersatzgrundstück in K saldierte. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) unterwarf die aufgedeckten stillen Reserven im Streitjahr 1992 in voller Höhe der Besteuerung. Eine gewinnneutrale Übertragung der stillen Reserven nach § 6b des Einkommensteuergesetzes (EStG) bzw. nach den Grundsätzen der Rücklage für Ersatzbeschaffung sei nicht möglich.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab; die Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 207 veröffentlicht.

Mit der Revision machen die Kläger geltend:

1. Entgegen der Auffassung des FG sei entscheidend, ob zwischen der Ersatzbeschaffung und der späteren Veräußerung ein wirtschaftlicher Zusammenhang bestehe.

2. Der Zeitraum zwischen der Ersatzbeschaffung und dem späteren Verkauf sei nicht unangemessen lang gewesen.

3. § 6b EStG (Verkauf und nachfolgender Kauf) führe zu einer Steuerstundung. Diese Konstellation sei bei einem nachfolgenden Verkauf nicht gegeben; eine zeitliche Begrenzung sei nicht gefordert. Das FG-Urteil beruhe auf einer fehlerhaften Analogie.

4. Ein früherer Verkauf habe aus rein wirtschaftlichen Gründen nicht stattgefunden. Der Kläger habe den Verkauf in keiner Weise hinausgezögert.

5. Der Umstand, dass das Gebäude zeitweise unentgeltlich an Arbeitnehmer überlassen worden sei, sei unschädlich. Entscheidend sei, dass das Ersatzgrundstück dieselbe Funktion wie das veräußerte Grundstück habe. Etwas anderes lasse sich auch dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 29. April 1999 IV R 7/98 (BFHE 188, 390, BStBl II 1999, 488) nicht entnehmen.

Die Kläger beantragen, unter Änderung des angefochtenen Urteils und des Einkommensteuerbescheides 1992 vom 9. April 1996 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. September 1996 bei der Festsetzung der Einkommensteuer zu berücksichtigen, dass ein anteiliger Buchgewinn von ... DM mit den Anschaffungskosten des 1985 erworbenen Ersatzgrundstücks verrechnet wird.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Zwischen der Ersatzbeschaffung, dem behördlichen Eingriff und der späteren Veräußerung müsse ein Zusammenhang bestehen. Eine Rücklage für Ersatzbeschaffung sei am Ende des zweiten auf ihre Bildung folgenden Wirtschaftsjahres gewinnerhöhend aufzulösen; eine Verlängerung komme nur in Betracht, wenn die Ersatzbeschaffung ernstlich geplant und zu erwarten sei. Der Gesetzeszweck verlange einen direkten Zusammenhang zwischen Gewinnaufdeckung und Ersatzbeschaffung. Der vom FG festgestellte Sachverhalt sei bindend.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision wird als unbegründet zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -); die Voraussetzungen für eine Kürzung der Anschaffungskosten nach den Grundsätzen der Rücklage für Ersatzbeschaffung liegen nicht vor.

1. Nach den von der Rechtsprechung entwickelten und von der Finanzverwaltung in Abschn. 35 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR; jetzt R 35 EStR) übernommenen Grundsätzen zur sog. Rücklage für Ersatzbeschaffung kann eine Gewinnrealisierung durch Aufdeckung stiller Reserven ausnahmsweise dann vermieden werden, wenn ein Wirtschaftsgut aufgrund höherer Gewalt oder infolge oder zur Vermeidung eines behördlichen Eingriffs gegen eine Entschädigung aus dem Betriebsvermögen ausscheidet und alsbald ein funktionsgleiches Ersatzwirtschaftsgut angeschafft wird (BFH-Urteile vom 4. Februar 1999 IV R 57/97, BFHE 188, 56, BStBl II 1999, 602, m.w.N., und vom 14. Oktober 1999 IV R 15/99, BFHE 190, 356, BStBl II 2001, 130, BFH/NV 2000, 636). Insbesondere infolge einer behördlichen Anordnung oder zur Vermeidung eines behördlichen Eingriffs kann das Wirtschaftsgut durch Veräußerung aus dem Betriebsvermögen ausscheiden und der entsprechende Veräußerungsgewinn Gegenstand der Rücklage bzw. der Anschaffungskostenkürzung sein (vgl. BFH-Urteile vom 22. September 1959 I 51/59 U, BFHE 72, 1, BStBl III 1961, 1, und vom 8. Oktober 1975 I R 134/73, BFHE 117, 441, BStBl II 1976, 186). In diesen Fällen tritt an die Stelle der Entschädigung der Veräußerungserlös.

In der Regel folgt die Ersatzbeschaffung zeitlich dem Vorgang nach, der zur Aufdeckung der stillen Reserven führt. Unter besonderen Umständen kann sie aber auch vorangehen, z.B. wenn ein Unternehmer einen behördlichen Eingriff (Enteignung) als unmittelbar bevorstehend erkennt und bereits vor dem Eingriff ein Ersatzgut beschafft, weil sich eine günstige Gelegenheit bietet. In diesen Fällen muss aber, um die Steuerbegünstigung zu erhalten, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem behördlichen Eingriff und der Ersatzbeschaffung einwandfrei dargetan werden können. Wenn ein Unternehmer freiwillig oder aus spekulativen Gründen zwischen Veräußerung und Ersatzbeschaffung eine unangemessen lange Zeit verstreichen lässt, so ist eine Übertragung der stillen Reserven ausgeschlossen; der Gewinn ist dann als verwirklicht zu behandeln (BFH-Urteil in BFHE 72, 1, BStBl III 1961, 1).

2. Im Streitfall kann ein solcher ursächlicher Zusammenhang schon deswegen nicht bejaht werden, weil zwischen der Ersatzbeschaffung und der Veräußerung ein Zeitraum von mehr als sechs Jahren lag.

Der BFH ist stets davon ausgegangen, dass die Ersatzbeschaffung nicht unbegrenzt vorgezogen werden kann (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 14. November 1990 X R 85/87, BFHE 163, 58, BStBl II 1991, 222, unter II. 2. a). Bei vorgezogener Ersatzbeschaffung erscheint ein Zeitraum von zwei bis drei Jahren zwischen Erwerb und Veräußerung noch angemessen, um den Zusammenhang zwischen den beiden Vorgängen zu bejahen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 72, 1, BStBl III 1961, 1). An diesen zeitlichen Vorgaben hält der Senat fest. Dabei berücksichtigt er auch, dass nach § 6b EStG für den Fall eines der Veräußerung vorangehenden Erwerbs ein Zeitraum von äußerstenfalls zwei Jahren unschädlich ist (§ 6b Abs. 1 EStG).

Die von den Klägern geltend gemachten wirtschaftlichen Gründe sind nicht geeignet, ausnahmsweise von einer Gewinnrealisierung durch Kürzung der Anschaffungskosten abzusehen. Der lange Zeitraum zeigt, dass Anschaffung und Veräußerung nicht mehr im Rahmen eines mehr oder weniger einheitlichen Vorgangs abgewickelt wurden, sondern dass es dem Kläger darauf ankam, einen möglichst günstigen Kaufpreis zu erzielen und er dabei auch in Kauf nahm, einen längeren Zeitraum zu warten. Nach den Feststellungen des FG war der Kläger nicht auf Grund außergewöhnlicher Umstände an einer früheren Veräußerung gehindert.

Soweit die Kläger darauf hinweisen, dass bei vorausgehender Ersatzbeschaffung der Veräußerungsgewinn noch nicht realisiert und eine der Rücklagenbildung vergleichbare Situation nicht gegeben sei, ist zu berücksichtigen, dass bei späterer Veräußerung grundsätzlich (sofern es sich um abnutzbare Wirtschaftsgüter handelt) zunächst die vollen Absetzungen für Abnutzung auf das Ersatzwirtschaftsgut in Anspruch genommen werden, was bei einer früheren Veräußerung nicht möglich wäre.