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  BFH-Urteil vom 18.12.2002 (II R 20/01) BStBl. 2003 II S. 228

Ein Grundstück, auf dem sich leer stehende, aber benutzbare Gebäude befinden, ist bei der Feststellung des Einheitswerts des Grundvermögens (auch nach dem in den neuen Bundesländern geltenden Bewertungsrecht) nicht allein deshalb als unbebautes Grundstück zu bewerten, weil am Stichtag eine Nutzung aus dem formalen Grund einer fehlenden Genehmigung oder aus bauplanungsrechtlichen Gründen nicht zulässig gewesen wäre.

BewG § 72 Abs. 1, § 129 Abs. 2; RBewDV § 33a Abs. 2.

Vorinstanz: FG des Landes Brandenburg vom 13. Dezember 2000 2 K 2501/98 BG (EFG 2001, 342)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), die Bundesrepublik Deutschland, war Eigentümerin eines über 1.000 ha großen Grundstücks in Brandenburg, das als Militärflugplatz genutzt und mit den dazu erforderlichen Gebäuden bestückt worden war. Nach Aufgabe der militärischen Nutzung hatte die Klägerin das nunmehr im Außenbereich nach § 35 des Baugesetzbuchs (BauGB) belegene Grundstück im Januar 1995 förmlich in ihr allgemeines Grundvermögen überführt und im Dezember 1998 für ... DM verkauft. Zwischenzeitlich waren kleinere Teilflächen anderen öffentlichen Zwecken zugeführt worden.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) nahm mit ursprünglichem Bescheid vom 13. November 1997 eine Nachfeststellung auf den 1. Januar 1996 vor, erließ am 5. Juni 1998 einen Änderungsbescheid und stellte schließlich durch Einspruchsentscheidung vom 20. Oktober 1998 den Einheitswert des Grundstücks auf 3.609.500 DM fest. Dabei hatte er die Grundstücksart Geschäftsgrundstück angenommen und den Bodenwert infolge Abschlägen wegen Altlasten und für die Beseitigung von Gebäuderesten mit 0 DM sowie die Gebäudewerte mit zusammen 3.470.706 DM und den Wert der Außenanlagen mit 4 v.H. der Gebäudewerte angesetzt. Berücksichtigt waren dabei 123 Gebäude einschließlich Garagen und Hangars. Weitere vorhandene Gebäude blieben wegen nicht mehr gegebener Nutzbarkeit außer Ansatz. Bei einigen der Gebäude waren Abschläge wegen wirtschaftlicher Überalterung oder behebbarer Baumängel vorgenommen worden.

Der Klage, mit der die Klägerin geltend gemacht hatte, das Grundstück sei als unbebautes Grundstück zu behandeln, weil die Gebäude wegen der Belegenheit im Außenbereich baurechtlich nicht nutzbar seien, zumindest aber müssten bei den Gebäuden weitere Abschläge wegen der Stilllegung des Betriebes, einer schlechten Verkehrsanbindung und der Lage im Außenbereich vorgenommen werden, gab das Finanzgericht (FG) statt. Mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 342 veröffentlichten Urteil folgte das FG der Klägerin darin, dass ein unbebautes Grundstück vorgelegen habe. Zwar habe das nach § 129 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) fortgeltende Bewertungsrecht der DDR noch keine dem § 72 Abs. 1 und 3 BewG entsprechende Definition der unbebauten Grundstücke enthalten; jedoch könne auf den Rechtsgedanken, wie er in § 72 BewG Gesetz geworden sei, zurückgegriffen werden. Danach sei ein Grundstück dann unbebaut, wenn ein zur dauernden bestimmungsgemäßen Nutzung geeigneter Raum aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht mehr vorhanden ist. Im Streitfall seien die Gebäude aus rechtlichen Gründen nicht mehr nutzbar gewesen. Nachdem die Widmung des Grundstücks zu militärischen Zwecken aufgegeben worden sei, sei eine weitere Nutzung sowohl zu dem bisherigen Zweck als Flughafen als auch zu einem anderweitigen Zweck unzulässig gewesen. Einer privilegierten Nutzung gemäß § 35 Abs. 1 BauGB seien militärische Anlagen der vorliegenden Art nicht zugänglich.

Mit der Revision rügt das FA fehlerhafte Anwendung des § 129 Abs. 2 BewG i.V.m. § 53 des Bewertungsgesetzes der Deutschen Demokratischen Republik (BewG DDR) und den §§ 44, 33a der Durchführungsverordnung zum Reichsbewertungsgesetz (RBewDV). Die Frage, ob trotz vorhandener Bauwerke ein unbebautes Grundstück vorliege, beurteile sich nicht nach § 72 BewG, sondern nach § 33a Abs. 2 RBewDV. Diese Vorschrift bestimme, dass ein bebautes Grundstück gegeben sei, wenn sich auf ihm bereits bezugsfertige Gebäude befinden. Mit der Bezugsfertigkeit werde auf die Benutzbarkeit des Gebäudes abgestellt. Diese richte sich allein nach den tatsächlichen baulichen Gegebenheiten und ende in dem Zeitpunkt, ab dem eine Nutzung des Gebäudes wegen seiner Zerstörung oder seines Verfalls objektiv nicht mehr zumutbar sei. Die Aufgabe einer militärischen Nutzung besage über eine anderweitige Nutzbarkeit eines Gebäudes nichts. Die Tatsache, dass eine anderweitige Nutzung einer luftverkehrsrechtlichen oder baurechtlichen Genehmigung bedürfte, stehe hinsichtlich ihres Aussagewerts für eine fehlende Nutzbarkeit einer Räumungsverfügung nicht gleich. Die in die Nachfeststellung einbezogenen Gebäude seien alle gefahrlos zu betreten.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten. Sie hält daran fest, dass die Benutzbarkeit eines Gebäudes auch aus Rechtsgründen entfallen könne.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Ein Grundstück, auf dem sich leer stehende, aber benutzbare Gebäude befinden, ist entgegen der Auffassung des FG bei der Feststellung des Einheitswerts des Grundvermögens auch nach dem in den neuen Bundesländern geltenden Bewertungsrecht nicht allein deshalb als unbebautes Grundstück zu bewerten, weil am Stichtag eine Nutzung aus dem formalen Grund einer fehlenden Genehmigung oder aus bauplanungsrechtlichen Gründen nicht zulässig gewesen wäre. Da der Vorentscheidung eine andere Rechtsauffassung zugrunde liegt, war sie aufzuheben (§ 126 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Zu Recht hat das FG keinen Anstoß daran genommen, dass der Oberfinanzpräsident als Vertreter des Bundes gegen eine ihm nachgeordnete (Landes-)Behörde Klage erhoben hat. Beschreitet der von einem Steuerverwaltungsakt betroffene Fiskus den Finanzrechtsweg, handelt es sich nicht um einen unzulässigen Insichprozess (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9. Oktober 1985 II R 204/83, BFHE 145, 109, BStBl II 1986, 148). Das FG hat weiter zu Recht angenommen, dass hinsichtlich des Grundstückskäufers, der das Grundstück erst während des laufenden Klageverfahrens und nach Ablauf der Klagefrist erworben hat, allenfalls eine einfache Beiladung gemäß § 60 Abs. 1 FGO in Betracht kommt (vgl. Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 353 AO 1977 Anm. 50). Nicht zutreffend ist dagegen die Ansicht des FG, das Grundstück sei am streitigen Stichtag ein unbebautes Grundstück gewesen.

2. Gemäß § 129 Abs. 2 BewG richtet sich die Ermittlung der Einheitswerte des Grundvermögens in den neuen Bundesländern nicht nach den §§ 68 bis 94 BewG, sondern - soweit hier maßgebend - nach den §§ 10 und 11 Abs. 1, 2 und 3 Satz 2 sowie den §§ 50 bis 53 BewG DDR und § 3a Abs. 1 sowie den §§ 32 bis 46 RBewDV. Im Gegensatz zu § 72 BewG enthält das in den neuen Bundesländern fortgeltende Bewertungsrecht keine gesetzliche Definition der unbebauten Grundstücke.

a) § 33a Abs. 2 RBewDV regelt lediglich, wann aus einem Grundstück im Zustand der Bebauung ein bebautes Grundstück wird. Danach tritt der Übergang zum bebauten Grundstück mit der Bezugsfertigkeit des darauf errichteten Gebäudes ein, wobei die Bezugsfertigkeit anzunehmen ist, sobald dem künftigen Benutzer des Gebäudes zugemutet werden kann, es zu beziehen. Damit stellt bereits die Vorschrift des § 33a Abs. 2 RBewDV ähnlich wie § 72 Abs. 1 BewG auf die Zumutbarkeit einer Gebäudenutzung ab. Allerdings enthält sie keine ausdrückliche Regelung darüber, wonach sich das Ende der Benutzbarkeit richtet (vgl. BFH-Urteil vom 20. Juni 1975 III R 87/74, BFHE 116, 397, BStBl II 1975, 803); wird aber der Übergang vom Grundstück im Zustand der Bebauung - und damit letztlich vom unbebauten Grundstück - zum bebauten Grundstück an die Zumutbarkeit der Gebäudenutzung geknüpft, ist es folgerichtig, den Rückfall des bebauten Grundstücks in den Zustand eines unbebauten Grundstücks in dem Augenblick anzunehmen, ab dem eine Gebäudenutzung nicht mehr zumutbar ist.

b) Ob es zumutbar ist, ein Gebäude zu benutzen, richtet sich nach seinem tatsächlichen Zustand und nicht danach, ob eine formal erforderliche Nutzungsgenehmigung vorliegt, oder nach der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit einer Gebäudenutzung. Zu Unrecht beruft sich das FG für seine gegenteilige Auffassung auf das Urteil des BFH vom 24. Oktober 1990 II R 9/88 (BFHE 162, 369, BStBl II 1991, 60). Wenn der BFH darin zur Abgrenzung der unbebauten von den bebauten Grundstücken ausdrücklich nur auf die tatsächlichen Verhältnisse abstellt, schließt dies nicht die formalrechtliche Zulässigkeit oder die Zulässigkeit einer Gebäudenutzung nach dem Bauplanungsrecht ein. Dies wird durch die Entscheidung des BFH in BFHE 116, 397, BStBl II 1975, 803, wonach der Verlust der Benutzbarkeit eines Gebäudes durch eine baupolizeiliche Räumungsverfügung "objektiviert" wird, bestätigt. Gemeint sind damit nämlich Räumungsverfügungen, die im Hinblick auf den tatsächlichen Gebäudezustand und die von diesem ausgehende Gefahr für die Benutzer des Gebäudes ergehen und daher als Indiz einer entfallenen Benutzbarkeit anzusehen sind. Tritt die Unbenutzbarkeit eines Gebäudes zu einer Zeit ein, in der es bereits leer steht und nicht mehr benutzt wird, müssen sich die Steuerbehörden und Finanzgerichte auch ohne Räumungsverfügung ein eigenes Urteil darüber bilden, ob die Benutzung eines bestimmten Gebäudes noch zumutbar ist oder nicht. Da das FG stattdessen auf das Fehlen einer Nutzungsgenehmigung sowie auf die Unzulässigkeit der Gebäudenutzung nach dem Bauplanungsrecht abgestellt hat, war die Vorentscheidung aufzuheben.

3. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat - von seinem Standpunkt aus zu Recht - keine Feststellungen zum tatsächlichen Zustand der Gebäude getroffen, obwohl die Klägerin vorgetragen hatte, dass zumindest einzelne der erfassten Gebäude am streitigen Stichtag nicht mehr benutzbar gewesen seien. Der Senat kann daher nicht beurteilen, ob das zu bewertende Grundstück als unbebautes oder als bebautes Grundstück zu beurteilen ist und welche einzelnen Gebäude im Falle der zweiten Alternative bei der Ermittlung des Gebäudewerts zu berücksichtigen sind. Die Sache war daher an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO), damit die erforderlichen Feststellungen nachgeholt werden können. Dabei ist von folgenden Rechtsgrundsätzen auszugehen:

a) Dazu, wann ein Gebäude als nicht mehr benutzbar anzusehen ist, kann mit dem FG auf § 16 Abs. 3 des mittlerweile durch Art. 2 des Gesetzes zur Reform des Wohnungsbaurechts vom 13. September 2001 (BGBl I, 2376) aufgehobenen Zweiten Wohnungsbaugesetzes (II. WoBauG) zurückgegriffen werden, wonach ein Raum auf Dauer nicht benutzbar ist, wenn ein zu seiner Benutzung erforderlicher Gebäudeteil zerstört ist oder wenn der Raum oder der Gebäudeteil sich in einem Zustand befindet, der aus Gründen der Bau- oder Gesundheitsaufsicht eine dauernde, der Zweckbestimmung entsprechende Benutzung des Raumes nicht gestattet. Dabei ist es unerheblich, ob der Raum tatsächlich benutzt wird. Diese Beschreibung dessen, was unter fehlender Benutzbarkeit zu verstehen ist, enthält eine allgemeingültige, auch auf die Grundstücksbewertung übertragbare Aussage (vgl. BFH-Urteil vom 23. April 1992 II R 19/89, BFH/NV 1993, 84, unter 1. a bb). Sie ist auch in § 16 Abs. 2 des neuen Wohnraumförderungsgesetzes übernommen worden, wobei lediglich die "Gründe der Bau- und Gesundheitsaufsicht" zu "bauordnungsrechtlichen Gründen" zusammengefasst sind. Für Zwecke der Grundstücksbewertung entfällt allerdings das Erfordernis, dass die Unbenutzbarkeit dauerhaft sein muss (so Urteil des BFH in BFHE 162, 369, BStBl II 1991, 60).

b) Für den Fall, dass es sich bei dem zu bewertenden Grundstück am streitigen Stichtag um ein bebautes Grundstück gehandelt hat, liegt gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 5 RBewDV ein sonstiges bebautes Grundstück vor, wie das FA in seiner Klageerwiderung vom 11. Juni 1999 abweichend zum angefochtenen Feststellungsbescheid zutreffend ausgeführt hat. Ihm kann auch darin gefolgt werden, dass etwaige noch benutzbare Gebäude nach Tz. 2.25 des gleichlautenden Erlasses der Obersten Finanzbehörden der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen betreffend die Bewertung von übrigen Geschäftsgrundstücken und sonstigen bebauten Grundstücken im Beitrittsgebiet ab dem 1. Januar 1991 vom 21. Juli 1994 (BStBl I 1994, 480), soweit sie nicht einer der dort oder in anderen gleichlautenden Erlassen der genannten Finanzbehörden aufgeführten Gebäudegruppen zugeordnet werden können, zur Ermittlung des nach § 33 Abs. 2 Satz 1 RBewDV maßgeblichen gemeinen Werts derjenigen Gebäudegruppe zuzuordnen sind, die der tatsächlichen baulichen Gestaltung wertmäßig am nächsten kommt. Soweit dies - wie das FA meint - Gebäude auf Fabrikgrundstücken, Lagerhausgrundstücken, Grundstücken mit Werkstätten und vergleichbaren Grundstücken sind, ist auf Tz. 4.2.4.4 des gleichlautenden Erlasses der genannten Finanzbehörden vom 1. Januar 1991 (BStBl I 1993, 467) zu verweisen, wonach zusätzlich zu den Abschlägen wegen nicht behebbarer Baumängel oder Bauschäden bzw. wegen der Notwendigkeit baldigen Abbruchs und der wirtschaftlichen Überalterung ein Sonderabschlag für stillliegende Fabriken zu gewähren ist, wenn am Stichtag der gesamte auf dem Grundstück befindliche Betrieb stilliegt und dabei weniger als 10 v.H. des umbauten Raums an fremde Dritte überlassen wird.