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  BFH-Urteil vom 1.4.2003 (I R 39/02) BStBl. 2003 II S. 869

§ 42 AO 1977 steht der Anwendung des § 34c Abs. 3 EStG jedenfalls dann nicht entgegen, wenn der den Steuerabzug begehrende unbeschränkt steuerpflichtige Gesellschafter einer ausländischen Domizilgesellschaft ausländische Steuern vom Einkommen gezahlt hat, die auf ihm nach § 42 AO 1977 zugerechnete Einkünfte der Gesellschaft erhoben wurden.

AO 1977 § 42 Abs. 1 Sätze 1 und 2; EStG § 34c Abs. 1, Abs. 3, Abs. 6 Sätze 1 und 4; StAnpG § 6.

Vorinstanz: FG München vom 22. Juni 2001 8 K 3899/99 (EFG 2002, 1421)

Sachverhalt

I.

Streitig ist, ob der Abzug ausländischer Steuern (hier: schweizerischer Verrechnungssteuer) nach § 34c Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) dann abgelehnt werden kann, wenn die Steuer auf Grund eines Gestaltungsmissbrauchs angefallen ist.

Die Klägerin und Revisionsklägerin zu 1. (Klägerin zu 1.) ist eine KG, an der u.a. der in Deutschland wohnhafte Kläger und Revisionskläger zu 2. (Kläger zu 2.) als Kommanditist beteiligt ist. Weitere Gesellschafter der Klägerin zu 1. waren in den Streitjahren (1988 bis 1990) zwei inzwischen verstorbene Söhne des Klägers zu 2., der eine ebenfalls Kommanditist, der andere Komplementär.

Die in Deutschland ansässige I erteilte 1987 der in London ansässigen F einen Auftrag zur Durchführung von Medienkampagnen für pharmazeutische Produkte in Deutschland. Die F trat dabei als Treuhänderin der in Zürich ansässigen FP auf, an der der Kläger zu 2. mit 33 v.H. des Grundkapitals beteiligt war. Zwischen der FP und der Klägerin zu 1. bestand ein Geschäftsbesorgungsvertrag, durch den Letztere mit der Beschaffung von Informationsmaterial, der Pflege von Geschäftsbeziehungen zu Auftraggebern der FP und der Überwachung der Durchführung von Public Relations-Maßnahmen in Deutschland betraut wurde.

Nach Durchführung einer Fahndungsprüfung ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) davon aus, dass es sich sowohl bei der F als auch bei der FP um Briefkastengesellschaften gehandelt habe und der Auftrag der I in Wirklichkeit durch die Klägerin zu 1. angenommen und durchgeführt worden sei. Ferner hatte das FA festgestellt, dass die von der I geleisteten Entgelte zwar zunächst auf einem Konto der FP eingegangen, von dort aber alsbald auf ein Privatkonto des Klägers zu 2. überwiesen worden waren. Es rechnete deshalb in den die Klägerin zu 1. betreffenden Gewinnfeststellungsbescheiden für die Streitjahre die genannten Entgelte in vollem Umfang dem Kläger zu 2. als Vorabgewinne zu. Die genannten Bescheide sind bestandskräftig.

Die Schweizerische Finanzverwaltung behandelte die genannten Zahlungen als Ausschüttungen der FP an den Kläger zu 2. und erhob darauf schweizerische Verrechnungssteuer. Diesen Betrag zahlte der Kläger zu 2. in voller Höhe.

Den Antrag des Klägers zu 2., die gezahlte Verrechnungssteuer auf die für die entsprechenden Veranlagungszeiträume festzusetzende Einkommensteuer anzurechnen, lehnte das FA ebenso ab wie den hilfsweise gestellten Antrag, die Gewinnanteile des Klägers zu 2. an der Klägerin zu 1. um die vorgenannten Steuerbeträge zu mindern. Die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 1421 veröffentlicht.

Mit ihrer Revision machen die Kläger die Verletzung des § 34c Abs. 3 EStG geltend und beantragen, das Urteil des FG aufzuheben und das FA unter Aufhebung der ablehnenden Verfügung dazu zu verpflichten, den Sammeländerungsbescheid 1988 bis 1990 dahin gehend zu ändern, dass die Gewinnanteile des Klägers zu 2. um die in der Schweiz gezahlten Steuern gemindert werden.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zu anderweitigen Feststellungen für die Streitjahre (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Nach § 34c Abs. 3 EStG ist bei unbeschränkt Steuerpflichtigen, bei denen eine ausländische Steuer vom Einkommen u.a. deshalb nicht nach Abs. 1 angerechnet werden kann, weil keine ausländischen Einkünfte vorliegen, die festgesetzte und gezahlte und keinem Ermäßigungsanspruch mehr unterliegende ausländische Steuer bei der Ermittlung der Einkünfte abzuziehen, soweit sie auf Einkünfte entfällt, die der deutschen Einkommensteuer unterliegen. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt: Der Kläger zu 2. war in den Streitjahren unstreitig unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Die ihm zugerechneten Einkünfte unterlagen einer Besteuerung in der Schweiz. Die dort - nach den den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) - festgesetzte und gezahlte Verrechnungssteuer ist eine solche vom Einkommen, die keinem Ermäßigungsanspruch mehr unterliegt, weil die Festsetzungen der Schweizerischen Steuerverwaltung bestandskräftig geworden sind. Die Steuer ist auch nicht nach § 34c Abs. 1 EStG anrechenbar, weil die besteuerten Einkünfte nach dem insoweit maßgeblichen deutschen Rechtsverständnis (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. März 1998 I R 38/97, BFHE 185, 464, BStBl II 1998, 471; auch das Ministerium der Finanzen - FinMin - des Landes Nordrhein-Westfalen vom 7. September 1970, Betriebs-Berater - BB - 1970, 1203) nicht aus der Schweiz, sondern aus dem Inland stammen.

2. Nichts anderes ergibt sich aus § 34c Abs. 6 Satz 1 EStG, wonach Abs. 3 nicht anzuwenden ist, wenn die Einkünfte aus einem ausländischen Staat stammen, mit dem ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) besteht. Zwar bestand in den Streitjahren im Verhältnis zur Schweiz das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11. August 1971 (BGBl II 1972, 1022) in der Fassung des Änderungsprotokolls vom 30. November 1978 (BGBl II 1980, 751) - DBA-Schweiz 1971/78 -. Der Senat hat dazu aber bereits in seinem Urteil in BFHE 185, 464, BStBl II 1998, 471; ebenso Beschluss vom 19. April 1999 I B 141/98 (BFH/NV 1999, 1317) ausgeführt, dass der Wortlaut des Gesetzes es nicht erlaubt, § 34c Abs. 6 Satz 1 EStG stets anzuwenden, wenn zwischen der Bundesrepublik und dem Staat, dessen Steuer potentiell anzurechnen ist, ein DBA besteht. § 34c Abs. 6 Satz 1 EStG sieht die Nichtanwendung des § 34c Abs. 3 EStG nur für den Fall vor, dass die ausländische Steuer (nach deutschem Rechtsverständnis) auf Einkünfte erhoben wird, die - anders als im Streitfall - aus dem entsprechenden ausländischen Vertragsstaat stammen.

3. Der Anwendung des § 34c Abs. 3 EStG im Streitfall steht auch § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht entgegen.

a) Das FG ist rechtsfehlerfrei und in Übereinstimmung mit den Beteiligten davon ausgegangen, dass die von den Klägern gewählte Rechtskonstruktion missbräuchlich i.S. des § 42 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 war. Es hat dazu - für den Senat ebenfalls bindend - festgestellt, dass für die Zwischenschaltung der FP wirtschaftliche oder sonst beachtliche außersteuerliche Gründe nicht erkennbar waren und sie lediglich als Briefkastenfirma ohne eigene Geschäftsräume und nennenswertes Personal unterhalten wurde. Es verletzt weder Denkgesetze noch Erfahrungssätze, die FP vor diesem Hintergrund als Briefkasten-Gesellschaft zu qualifizieren.

b) Das FG geht allerdings fehl, wenn es annimmt, dass die Anwendung des § 34c Abs. 3 EStG in Missbrauchsfällen stets ausgeschlossen sei.

aa) Soweit sich das FG dazu auf das BFH-Urteil vom 24. Februar 1976 VIII R 155/71 (BFHE 120, 121, BStBl II 1977, 265) stützt, ist dem bereits deshalb nicht zu folgen, weil das Urteil nicht zu § 42 AO 1977, sondern noch zu § 6 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) ergangen ist. Soweit der VIII. Senat die Anwendung des § 34c EStG mit der Begründung abgelehnt hat, dass eine Doppelbesteuerung im engeren Sinne nicht vorliegen könne, wenn keine Subjektidentität zwischen dem Rechtssubjekt, bei dem die ausländische Steuer angefallen sei, und deren Gesellschaftern, um deren (inländische) Besteuerung es gehe, bestehe, beziehen sich diese Ausführungen nur auf die Anrechnung ausländischer Steuer nach § 34c Abs. 1 EStG, während in dem betroffenen Streitjahr § 34c Abs. 3 EStG noch nicht existierte. Abgesehen davon handelt es sich bei der hier streitigen Verrechnungssteuer nach dem maßgeblichen Schweizer Steuerrecht um eine Form der Kapitalertragssteuer (vgl. Spori in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Anh. Schweiz Rz. 201), die im Streitfall für Rechnung des Klägers zu 2. erhoben und demgemäß von ihm vollständig bezahlt wurde. Im Streitfall liegt daher - anders als in dem vom VIII. Senat zu beurteilenden Fall - Subjektidentität im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung vor, ohne dass es auf die Frage ankäme, ob die von einer Basisgesellschaft gezahlte ausländische Steuer in eine solche ihrer Anteilseigner umzudeuten ist (vgl. dazu Probst in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, § 34c EStG Rz. 56 "Basisgesellschaften").

bb) Der Auffassung des FG steht der Wortlaut des § 42 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 entgegen, wonach bei Vorliegen eines Missbrauchs der Steueranspruch so entsteht, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. Bei einer solchen angemessenen Gestaltung im Streitfall (Geschäftsbeziehung unmittelbar zwischen der Klägerin zu 1. oder dem Kläger zu 2. einerseits und I andererseits) wäre jedoch ebenfalls § 34c Abs. 3 EStG anwendbar. Dies ergibt sich bereits aus dem Senatsurteil in BFHE 185, 464, BStBl II 1998, 471. Es entspricht aber auch der allgemeinen Auffassung in der Literatur, dass in Missbrauchsfällen - jedenfalls bei Subjektidentität - § 34c EStG zur Anwendung kommen muss. Soweit die ausländische Steuer auch bei einer wirtschaftlich angemessenen rechtlichen Gestaltung des Sachverhaltes angefallen wäre, ist danach § 34c Abs. 1 EStG anzuwenden (vgl. Lüdicke in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, Außensteuerrecht, § 34c EStG Rz. 47; Krabbe in Brezing/Krabbe/Lempenau/Mössner/Runge, Außensteuerrecht, § 34c EStG Rz. 20; Timmermanns, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 34c Rz. 36 und 124; Probst, a.a.O.). Liegen hingegen - wie im Streitfall - die Tatbestandsvoraussetzungen des § 34c Abs. 1 EStG nur deshalb nicht vor, weil die entsprechenden Einkünfte nach deutschem Verständnis nicht aus dem Ausland stammen, so ist die ausländische Steuer nach § 34c Abs. 3 EStG abzuziehen (Lüdicke, a.a.O., § 34c EStG Rz. 171; Krabbe, a.a.O.; Timmermanns, a.a.O., § 34c Rz. 124; Blümich/Wied, a.a.O., § 34c EStG Rz. 30).

cc) Die vorgenannte Auslegung der § 34c Abs. 3 EStG und § 42 AO 1977 entspricht auch den Vorgaben des DBA-Schweiz 1971/78. Dieses enthält insoweit keine spezielle Missbrauchsregelung. Daher darf in DBA-Fällen § 42 AO 1977 angewendet werden, weil das Abkommen hinsichtlich der persönlichen Einkünftezurechnung auf die nationale Steuerrechtsordnung Bezug nimmt. Für § 42 AO 1977 bedeutet das, dass die Vorschrift anwendbar ist, solange und soweit mit ihrer Hilfe Einkünfte als von einer anderen Person erzielt beurteilt werden (vgl. Wassermeyer in Debatin/ Wassermeyer, a.a.O., Art. 1 MA Rz. 58, m.w.N.).

dd) Soweit sich das FG schließlich darauf beruft, dass der Gesetzgeber durch Einfügung des § 34c Abs. 6 Satz 4 EStG durch das Steuerbereinigungsgesetz (StBereinG) vom 22. Dezember 1999 (BGBl I 1999, 2601, BStBl I 2000, 13) habe klarstellen wollen, dass er in Fällen missbräuchlicher Gestaltung seit jeher eine Steuerermäßigung gemäß § 34c EStG (als Anrechnung oder Abzug) habe ausschließen wollen, ist dem nicht zu folgen. § 52 EStG enthält insoweit keine besondere, eine Rückwirkung anordnende Anwendungsregelung, so dass davon auszugehen ist, dass § 34c Abs. 6 Satz 4 EStG erst mit dem In-Kraft-Treten des StBereinG ab dem Veranlagungszeitraum 2000 anzuwenden ist (vgl. Wendt in Herrmann/Heuer/Raupach, Steuerreform 1999/2000/2002, § 34c EStG R. 1). Auch die Materialien (BTDrucks 14/1514 S. 30) sprechen gegen die Annahme des FG. Dort wird zwar ausgeführt, die vorgenannte Senatsrechtsprechung zur Auslegung des § 34c Abs. 6 Satz 1 EStG erfordere es, den Umfang der Steuerermäßigungen (§ 34c Abs. 1 und 3 EStG) bei Bestehen von DBA zu begrenzen, um Doppelanrechnungen zu verhindern und den Steuerabzug in Missbrauchsfällen und bei "künstlichen Gestaltungen" zu verhindern. Von einer Klarstellung ist jedoch nicht die Rede. Im Übrigen wäre die Berücksichtigung der vermeintlichen - allenfalls erst nachträglich geäußerten - Absichten des Gesetzgebers ausgeschlossen, weil die Auslegung des § 34c EStG aus systematischen Gründen die zuvor dargelegte Reichweite des § 42 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 zu beachten hat.

4. Da die Vorinstanz eine abweichende Auffassung vertreten hat, war ihr Urteil aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die angegriffenen Feststellungsbescheide sind antragsgemäß zu ändern, wobei die Ermittlung und Berechnung der festzustellenden Beträge dem FA nach Maßgabe der Gründe dieser Entscheidung überlassen werden (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).

5. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des Revisionsverfahrens auf § 135 Abs. 2 FGO. Hinsichtlich des Klageverfahrens beruht sie auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO, weil die Kläger ihren dort gestellten Hauptantrag im Revisionsverfahren nicht weiterverfolgt haben.