| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 18.5.2004 (IX R 63/02) BStBl. 2004 II S. 874

Veräußert ein Steuerpflichtiger sein Grundstück an seinen Nachbarn, der mit dem Eigentumserwerb zugleich erreichen möchte, dass der Steuerpflichtige seine öffentlich-rechtlichen Abwehrrechte gegen dessen Bauvorhaben nicht (mehr) geltend macht, so ist das Entgelt dem nicht nach § 22 Nr. 3 EStG steuerbaren Veräußerungsvorgang auch dann zuzuordnen, wenn sich der Steuerpflichtige im Kaufvertrag ausdrücklich zum Verzicht auf seine Nachbarrechte verpflichtet.

EStG § 22 Nr. 3.

Vorinstanz: FG Düsseldorf vom 19. Dezember 2001 2 K 4816/98 E (EFG 2002, 759)

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war Eigentümer eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks, das er im Jahre 1989 für 115.000 DM erworben hatte. Im Rahmen eines Flurbereinigungsverfahrens erwarb er eine weitere Parzelle gegen Ausgleichszahlung von 24.299,50 DM hinzu. In der Folgezeit stellte die Stadt einen Bebauungsplan "Frachtzentrum" auf und wies die ihm unterfallenden Grundstücksparzellen, zu denen auch das Grundstück des Klägers gehörte, als Sondergebiet aus. Die X plante als Eigentümerin der Nachbargrundstücke ein Frachtzentrum und erhielt 1993 eine entsprechende Baugenehmigung. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und erstritt erfolgreich einstweiligen Rechtsschutz vor dem Verwaltungsgericht. Gegen dessen Beschluss wurde Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht eingelegt.

Noch während des anhängigen Beschwerdeverfahrens veräußerte der Kläger sein Grundstück an die X für 2.550.000 DM. Nach § 2 Abs. 2 des notariellen Kaufvertrages war der Kaufpreis innerhalb von vierzehn Tagen nach Mitteilung über die Rücknahme der Rechtsbehelfe gegen die Baugenehmigung fällig. § 8 dieses Vertrages verpflichtete den Kläger zum Verzicht auf Rechtsmittel. Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung berechtigte die Käuferin nach § 9 Abs. 5 des Vertrages zum Rücktritt vom Kaufvertrag. Der Kläger kam seinen vertraglichen Obliegenheiten nach, so dass ihm im Streitjahr (1995) der Kaufpreis ausgezahlt wurde.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) unterwarf den Kaufpreis, soweit er den Wert des veräußerten Grundstücks (vom FA mit 150.000 DM angenommen) überstieg, nach § 22 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) der Besteuerung. Dementsprechend berücksichtigte das FA im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr sonstige Einkünfte in Höhe von 2.400.000 DM.

Die Klage blieb im Wesentlichen ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ging in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 759 veröffentlichten Urteil von Wiederbeschaffungskosten des Grundstücks in Höhe von 415.000 DM aus. Im Übrigen, also in Höhe von 2.135.000 DM liege eine steuerbare sonstige Leistung nach § 22 Nr. 3 EStG vor. Die Leistung des Klägers liege in der im Kaufvertrag vereinbarten und auch vollzogenen Rücknahme der Rechtsbehelfe im Zusammenhang mit der Baugenehmigung. Der Vorgang erschöpfe sich nicht in einer (nicht steuerbaren) Veräußerung. Vielmehr habe die Käuferin das Grundstück nur deshalb erworben, weil der Kläger wegen seiner verfahrensrechtlichen Stellung als klagebefugter Nachbar die Errichtung des Frachtzentrums blockiert habe. Die X hätte nicht einen so hohen Kaufpreis gezahlt, wenn nicht die Rücknahme der Rechtsbehelfe sichergestellt gewesen wäre. Dementsprechend sei der Kaufpreis aufzuteilen. Der die Wiederbeschaffungskosten übersteigende Teil des Entgelts entfalle auf die Rücknahme der Rechtsbehelfe und sei als sonstige Leistung nach § 22 Nr. 3 EStG zu versteuern.

Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers. Aus dem Entgelt für die Grundstücksveräußerung sei ein Teilbetrag nicht abspaltbar und könne deshalb auch nicht als Leistungsentgelt i.S. von § 22 Nr. 3 EStG für die Aufgabe nachbarrechtlicher Positionen qualifiziert werden.

Der Kläger beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Einkommensteuerbescheid vom 23. Dezember 1996 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3. Juni 1998 dahin gehend zu ändern, dass keine Einkünfte aus § 22 Nr. 3 EStG angesetzt werden.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet und führt nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Stattgabe der Klage.

1. Der Kaufpreis von 2.550.000 DM ist Gegenleistung für eine nicht steuerbare Grundstücksveräußerung. Er entgilt nicht - auch nicht zum Teil - eine vom Kläger erbrachte sonstige Leistung und ist deshalb nicht nach § 22 Nr. 3 EStG steuerbar.

a) Nach § 22 Nr. 3 EStG sind sonstige Einkünfte (§ 2 Abs. 1 Nr. 7 EStG) Einkünfte aus Leistungen, soweit sie weder zu anderen Einkunftsarten noch zu den Einkünften i.S. der Nrn. 1, 1a, 2 oder 4 der Vorschrift gehören, z.B. Einkünfte aus gelegentlichen Vermittlungen. Eine (sonstige) Leistung i.S. des § 22 Nr. 3 EStG ist jedes Tun, Dulden oder Unterlassen, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrages sein kann; ausgenommen sind Veräußerungsvorgänge oder veräußerungsähnliche Vorgänge im privaten Bereich (ständige Rechtsprechung; vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Dezember 2001 IX R 74/98, BFH/NV 2002, 643, und vom 23. Juni 1964 GrS 1/64 S, BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500; Schmidt/Wacker, Einkommensteuergesetz, 23. Aufl., § 22 Rz. 131, m.w.N.).

b) Im Streitfall liegt eine nicht steuerbare Veräußerung des Grundstücks vor. Von diesem Veräußerungsvorgang ist keine im Rechtsmittelverzicht liegende sonstige Leistung des Klägers abzuspalten. Das Entgelt ist allein dem Veräußerungsvorgang zuzuordnen.

aa) Allerdings kommt es nicht allein darauf an, wie die Parteien ihr Rechtsgeschäft bezeichnen. So hat der BFH in Substanzausbeuteverträgen - auch dann, wenn sie als Kaufverträge formuliert waren - die zeitlich begrenzte Überlassung von Grundstücken zur Hebung der darin ruhenden Bodenschätze gesehen und grundsätzlich als Pachtverträge beurteilt (vgl. BFH-Urteil vom 6. Mai 2003 IX R 64/98, BFH/NV 2003, 1175, m.w.N.). Für die Auslegung und Abgrenzung kommt es vielmehr entscheidend auf den wirtschaftlichen Gehalt der zugrunde liegenden Vereinbarung(en) an, wie er sich nach dem Gesamtbild der gestalteten Verhältnisse des Einzelfalls unter Berücksichtigung des wirklichen Willens der Vertragsparteien ergibt (einhellige Auffassung; z.B. BFH-Urteil vom 18. August 1977 VIII R 7/74, BFHE 123, 176, BStBl II 1977, 796).

bb) Nach dem wirtschaftlichen Gehalt der Vereinbarungen handelt es sich entgegen der Auffassung des FG im Streitfall allein um eine Grundstücksveräußerung. Das Entgelt wurde für die Übergabe des Eigentums geleistet und ist deshalb nicht steuerbar. Zwar enthält der notarielle Kaufvertrag die Verpflichtung des Klägers, die Rechtsmittel zurückzunehmen. Diese stellt sich aber als eine vertraglich vereinbarte Nebenpflicht zur Hauptpflicht des Klägers nach § 433 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) dar, der Käuferin das Grundstück zu übergeben und ihr das Eigentum daran zu verschaffen. Die Nebenleistungspflicht begründet kein wirtschaftlich eigenständiges Verhalten des Klägers, das von der Übertragung seines Eigentums abgespalten werden könnte. Seine nachbarrechtlichen Abwehransprüche, auf die er nach dem Vertrag verzichten sollte, sind vielmehr Ausfluss seiner Eigentümerposition und mit ihr untrennbar verbunden.

(1) Das folgt schon aus der Rechtsnatur dieser Rechte. Unabhängig davon, ob der Kläger im Zeitpunkt seines Verzichts auf die Rechtsbehelfe überhaupt noch aktiv legitimiert war, lässt sich seine Rechtsstellung als Berechtigter eines nachbarlichen Abwehrrechts nicht von seiner Rechtsstellung als Eigentümer des Grundstücks trennen. Nachbarschutz aus den Vorschriften des öffentlichen Baurechts kann grundsätzlich nur der jeweilige zivilrechtliche Eigentümer oder sonst in eigentumsähnlicher Weise an einem Grundstück dinglich Berechtigte in Anspruch nehmen. Das öffentliche Baurecht als Rechtsgrundlage für das Nachbarrecht bestimmt den Inhalt des Grundeigentums und zielt auf einen Ausgleich möglicher Bodennutzungskonflikte. Es ist grundstücks- und nicht personenbezogen (ständige Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteile vom 11. Mai 1989 4 C 1.88, BVerwGE 82, 61, 74, Deutsches Verwaltungsblatt - DVBl - 1989, 1055, 1060; Oberverwaltungsgericht - OVG - Münster, Urteil vom 15. Oktober 1993 7 A 2994/91, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - NVwZ - 1994, 696 f.; allgemein zur Drittschutznormtheorie Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht Band 1, 11. Aufl., 1999, § 43 Rdnr. 18, m.w.N.).

(2) Mit der Übertragung des Eigentums am Grundstück geht das Nachbarrecht des Klägers in seiner Person unter (vgl. zum Erlöschen des Rechts das Urteil des OVG Münster in NVwZ 1994, 696 f.). Deshalb hat der vertraglich ausbedungene Verzicht auf dieses Recht - wie die Revision zutreffend ausführt - nur deklaratorische Bedeutung. Denn mit der Grundstücksübertragung verliert der Kläger ohnehin das Rechtsschutzbedürfnis, die verwaltungsprozessualen Verfahren weiter zu führen. Er stünde dann - bloß zeitlich versetzt - so, wie er steht, wenn er der vertraglichen Regelung entsprechend sämtliche Rechtsbehelfe zurücknimmt: Er kann sein materielles Recht nicht mehr durchsetzen.

Ein eigenständiger wirtschaftlicher Gehalt kommt der vertraglichen Nebenpflicht nur in zweierlei Hinsicht zu: Einerseits setzt sie einen bestimmten Termin für das Erlöschen der Nachbarrechte, deren Untergang sonst von grundbuchrechtlichen Umständen (z.B. Eintragung der Vormerkung nach § 883 BGB als Begründung des Anwartschaftsrechts der Käuferin, Umschreibung des Eigentums im Grundbuch) abhinge, welche die Beteiligten nicht - jedenfalls nicht allein - beeinflussen können. Andererseits und damit zusammenhängend wirkt sich der explizite Rechtsmittelverzicht unmittelbar auf die Fälligkeit des Kaufpreises aus. Bereits vor diesem Hintergrund lässt sich die Annahme des FG nicht halten, der überwiegende Teil des Kaufpreises entfalle auf den Rechtsmittelverzicht. Ob die X das Grundstück vom Kläger allein deshalb für diesen hohen Preis erwarb, um dadurch dessen Nachbarrechte zum Erlöschen zu bringen, ändert als bloße Motivation für den Erwerb nichts daran, dass das Entgelt rechtlich und auch wirtschaftlich allein dem Veräußerungsvorgang zuzuordnen ist, und zwar unabhängig davon, welche wirtschaftlichen Ziele der Grundstückserwerber über den Erhalt des Eigentums am Grundstück hinaus mit dem Kauf verfolgt.

cc) Durch den hier gegebenen Zusammenhang von Entgelt und Veräußerungsvorgang unterscheidet sich der Streitfall von Fällen, in denen der Grundstückseigentümer gegen Entgelt Einschränkungen in seinen subjektiven öffentlichen Rechten hinnimmt (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 22. August 2003 IX B 85/03, BFH/NV 2004, 41). So hat die Rechtsprechung den entgeltlichen Verzicht auf die Einhaltung eines Grenzabstands bei der Bebauung eines angrenzenden Grundstücks (BFH-Urteil vom 5. August 1976 VIII R 97/73, BFHE 120, 180, BStBl II 1977, 26), den Ausgleich von Beeinträchtigungen durch eine beabsichtigte Bebauung (BFH-Urteil vom 8. März 1984 IX R 109/82, nicht veröffentlicht - NV -, Juris-Dokument STRE845025960) oder den Verzicht auf den Widerspruch gegen Immissionen, die von einem Nachbargrundstück ausgehen (BFH-Urteil vom 14. Dezember 1976 VIII R 162/74, NV) als nach § 22 Nr. 3 EStG steuerbare Leistung beurteilt und dabei die Wertminderung des Grundstücks als Bemessungsgrundlage für den Wert der Leistung angesehen (vgl. eingehend dazu auch BFH-Urteil vom 10. August 1994 X R 42/91, BFHE 175, 362, BStBl II 1995, 57; kritisch zu dieser Rechtsprechung Leisner-Egensperger, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 22 Rdnr. D 160). Wird indes - wie hier - das Entgelt dafür erbracht, dass ein Vermögensgegenstand in seiner Substanz endgültig aufgegeben wird, gehört das Entgelt nicht zu den Einkünften gemäß § 22 Nr. 3 EStG (BFH-Urteil vom 19. Dezember 2000 IX R 96/97, BFHE 194, 178, BStBl II 2001, 391).

2. Weil das angefochtene Urteil diesen Grundsätzen nicht entspricht, ist es aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Es sind keine Einkünfte des Klägers aus § 22 Nr. 3 EStG in Höhe von 2.135.000 DM der Besteuerung zu unterwerfen, so dass der Klage in vollem Umfang stattzugeben ist. Die Einkommensteuer des Streitjahres ist danach auf 0 € festzusetzen.