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  BFH-Beschluss vom 25.11.2002 (I B 136/02) BStBl. 2005 II S. 375

Ein Arbeitnehmer mit Wohnsitz im französischen und mit Arbeitsort im inländischen Grenzgebiet, der an mehr als 45 Arbeitstagen außerhalb der Grenzzone für seinen Arbeitgeber tätig ist, unterfällt nicht als Grenzgänger gemäß Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich der französischen Besteuerung. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass zu den Tagen der Tätigkeit außerhalb der Grenzzone nur ganze Arbeitstage zählen, und dass es weder darauf ankommt, in welchem Umfang der Arbeitnehmer außerhalb der Grenzzone tätig ist, noch ob und in welchem Umfang ihm der Arbeitgeber für eine Dienstreise außerhalb der Grenzzone ein Tagegeld gewährt.

DBA-Frankreich Art. 13 Abs. 5 Buchst. a.

Vorinstanz: FG des Saarlandes vom 27. Juni 2002 2 V 80/02

Sachverhalt

I.

Der Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller), ein deutscher Staatsangehöriger, wohnte im streitgegenständlichen Zeitraum April bis Dezember 1999 in Frankreich im deutsch-französichen Grenzgebiet i.S. des Art. 13 Abs. 5 Buchst. c des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern (DBA-Frankreich). Er war in der fraglichen Zeit an insgesamt 206 Arbeitstagen in Deutschland als Arbeitnehmer nichtselbständig tätig. Lohnsteuer wurde nicht einbehalten, weil er aufgrund einer Freistellungsbescheinigung des Antragsgegners und Beschwerdeführers (Finanzamt - FA -) als sog. Grenzgänger i.S. von Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich vom (inländischen) Steuerabzug befreit war.

Im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung wurde die Freistellung vom FA widerrufen und ein Lohnsteuer-Nachforderungsbescheid erlassen. Das FA vertrat - unter Bezugnahme auf das Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 20. Februar 1980 (BStBl I 1980, 88) sowie den Erlass des Saarländischen Finanzministers (FinMin Saarland) vom 25. Mai 1981 B/I-21/81-S 1301-Fra-A und die Verfügung der Oberfinanzdirektion (OFD) Saarbrücken vom 14. März 2000 14 S 1301-162-St 221 - die Auffassung, die Voraussetzungen für eine Befreiung des Antragstellers von der Lohnsteuer lägen nicht vor, da der Antragsteller an mehr als 20 v.H. seiner Arbeitstage, nämlich an 52 Tagen, außerhalb der zwischen den Vertragsstaaten im Doppelbesteuerungsabkommen festgelegten Grenzzone tätig gewesen sei. Es handele sich hierbei um neun Tage, an denen der Antragsteller sich auf Dienstreisen befunden habe, die insgesamt länger als 12 Stunden gedauert hätten. Einzubeziehen seien überdies ein Sonnabend und zwei Sonntage der dienstreisebedingten Abwesenheit außerhalb der Grenzzone. Der Antragsteller verwies demgegenüber darauf, dass er sich tatsächlich dienstreisetäglich nicht länger als 12 Stunden außerhalb der deutsch-französischen Grenzzone aufgehalten habe und dort tätig gewesen sei. Außerdem seien vom FA zu Unrecht der Sonnabend bzw. die Sonntage in die als schädlich angesehenen Tage einbezogen worden.

Über den Einspruch gegen den Nachforderungsbescheid ist noch nicht entschieden. Den zugleich gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Bescheides hat das FA abgelehnt.

Der Antragsteller beantragte daraufhin beim Finanzgericht (FG), die Vollziehung des angefochtenen Bescheides gemäß § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auszusetzen. Der Antrag hatte Erfolg.

Dagegen wendet sich das FA mit seiner - vom FG zugelassenen - Beschwerde.

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde des FA ist unbegründet.

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll - u.a. und soweit hier einschlägig - erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Eine überwiegende Erfolgsaussicht des Rechtsmittels ist für die Aussetzung der Vollziehung nicht erforderlich (vgl. Bundesfinanzhof - BFH -, Beschluss vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182, seitdem ständige Rechtsprechung).

2. Im Streitfall bestehen bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Lohnsteuer-Nachforderungsbescheides.

a) Einkünfte, die ein sog. Grenzgänger aus nichtselbständiger Arbeit bezieht, können gemäß Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich nur in dem anderen Vertragsstaat besteuert werden. Grenzgänger i.S. des Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich sind gemäß dessen Buchst. a Personen, die im Grenzgebiet eines Vertragsstaates arbeiten und ihre ständige Wohnstätte, zu der sie in der Regel jeden Tag zurückkehren, im Grenzgebiet des anderen Vertragsstaates haben.

b) Die Grenzgängereigenschaft geht nach dem BMF-Schreiben in BStBl I 1980, 88 (dort unter 2.), das auf einer Verständigungsvereinbarung mit der französischen Steuerverwaltung beruht, bei einem Arbeitnehmer, der - wie im Streitfall der Antragsteller - nicht während des ganzen Kalenderjahres in der Grenzzone beschäftigt ist, nicht verloren, wenn er in dieser Zeit höchstens an 20 v.H. der gesamten Werk- bzw. Arbeitstage, jedoch in keinem Fall an mehr als 45 Tagen, nicht zum Wohnsitz zurückkehrt oder außerhalb der Grenzzone für seinen Arbeitgeber tätig ist. Andernfalls steht das Besteuerungsrecht für die Arbeitseinkünfte dem Staat der Arbeitsausübung zu. Zur Anwendung dieser Verständigungsregelung vertritt die Finanzverwaltung in Abstimmung mit der französischen Finanzverwaltung (vgl. Erlass des FinMin Saarland vom 11. Juni 1981, vgl. auch FinMin Nordrhein-Westfalen, Erlass vom 8. Juli 1981, wiedergegeben in Handbuch des Außensteuerrechts 2002, S. 856) die Auffassung, zu den Tagen der Tätigkeit außerhalb der Grenzzone zählten auch solche, an denen ein Arbeitnehmer sich auf einer Dienstreise außerhalb der Grenzzone befinde. Halte er sich dort nicht während des ganzen Tages auf, so zählten solche Tage als Tage der Tätigkeit außerhalb der Grenzzone, wenn der Arbeitgeber dem Grenzgänger hierfür ein volles Tagegeld gewähre. Dies gelte jedoch nicht, wenn sich die Dienstreise außerhalb der Grenzzone über Sonn- und Feiertage erstrecke. Auch wenn für diese Tage vom Arbeitgeber volles Tagegeld gezahlt werde, zählten sie nicht zu den Tagen der Tätigkeit außerhalb der Grenzzone.

Nach Maßgabe dieser Verwaltungspraxis hielt sich der Antragsteller im streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. April bis zum 31. Dezember 1999 lediglich an 35 Tagen außerhalb des Grenzgebiets auf. Dabei kann unentschieden bleiben, ob der in Rede stehende Sonnabend in die Berechnung der schädlichen Arbeitstage einzubeziehen ist. Jene neun Tage, an denen der Antragsteller sich auf Dienstreisen befand, zählen nach der erwähnten Verwaltungspraxis jedenfalls nicht zu den Tagen der Tätigkeit außerhalb der Grenzzone. Denn an diesen Tagen war er nicht vollen Umfanges außerhalb der Grenzzone tätig. Er erhielt nach Aktenlage und nach den Feststellungen des FG für diese Tage von seinem Arbeitgeber kein volles Tagegeld.

c) Allerdings will die Finanzverwaltung neuerdings und so auch im Streitfall auf die Gewährung des Tagegeldes nicht mehr abstellen (vgl. die erwähnte Verfügung der OFD Saarbrücken vom 14. März 2000). Vielmehr seien solche Tage in die Prüfung der 45-Tage-Grenze einzubeziehen, an denen der Arbeitnehmer sich länger als 12 Stunden außerhalb der Grenzzone aufhalte. Grund hierfür ist der Umstand, dass das FA als "Tagegeld" die gemäß § 3 Nr. 16, § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 Buchst. a und § 9 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfrei zu gewährenden pauschalen Verpflegungsmehraufwand als maßgeblich ansieht. Nach der bis zum 31. Dezember 1995 geltenden Rechtslage betrug dieser Mehraufwand höchstens 35 DM bei eintägigen Dienstreisen, wenn diese länger als 12 Stunden dauerten. Nach der seit dem 1. Januar 1996 geltenden Fassung kommt die Gewährung der maximalen Pauschbeträge aber nur noch bei einer ganztägigen Abwesenheit in Betracht. Die Finanzverwaltung will an dem Erfordernis der 12-stündigen Abwesenheit festhalten; die Änderung des Reisekostenrechts lasse die Abkommenslage mit Frankreich unberührt (§ 2 der Abgabenordnung - AO 1977 -).

Vor diesem Hintergrund wären die neun in Rede stehenden Dienstreisetage als schädlich anzusehen und ginge die Grenzgängereigenschaft des Antragstellers verloren.

3. Dem ist bei summarischer Prüfung jedoch nicht beizupflichten.

Denn in Einklang mit den abkommensrechtlichen tatbestandlichen Vorgaben bedarf es "in der Regel" der arbeitstäglichen Rückkehr des Arbeitnehmers, soll seine Grenzgängereigenschaft nicht verloren gehen. Dies schließt Ausnahmen nicht aus; die Nichtrückkehr des Arbeitnehmers an einem Arbeitstag aus Anlass dienstlicher Verrichtungen ist unschädlich, wenn die Summe der Arbeitstage, an denen der Arbeitnehmer nicht zurückkehrt, eine Höchstgrenze nicht überschreitet. Zur Festlegung dieser Höchstgrenze kann auch auf entsprechende Verständigungsvereinbarungen zurückgegriffen werden (vgl. z.B. Senatsurteile vom 21. August 1996 I R 80/95, BFHE 181, 415, BStBl II 1997, 134; vom 16. Mai 2001 I R 100/00, BFHE 195, 341, BStBl II 2001, 633, jeweils im Verhältnis zur Schweiz und m.w.N.; Wassermeyer in Debatin/ Wassermeyer, Doppelbesteuerungsabkommen, Art. 15 MA Rz. 170).

Für den Streitfall bedeutet dies, dass die Grenzgängereigenschaft nur bei einer Tätigkeit außerhalb des Grenzgebiets von mehr als 20 v.H. der gesamten Werk- oder Arbeitstage bzw. von mehr als 45 Tagen verloren geht. Darauf, in welchem stundenweisen Umfang der Arbeitnehmer sich tatsächlich außerhalb der Grenzzone aufhält, und ob und in welchem Umfang er von seinem Arbeitgeber ein Tagegeld erhält, kommt es hingegen nicht an. Eine derartige Begrenzung lässt sich weder dem Art. 13 Abs. 5 Buchst. a DBA-Frankreich noch der erläuternden Verständigungsvereinbarung mit der französischen Steuerverwaltung entnehmen. Für eine solche Rechtsauffassung fehlt die Rechtsgrundlage (vgl. Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes). Die hierzu ergangenen innerstaatlichen Verwaltungsanweisungen können diese Rechtsgrundlage nicht ersetzen und nicht herangezogen werden, um das Doppelbesteuerungsabkommen, das mit dem Zustimmungsgesetz innerstaatliches Recht geworden ist, abzuändern (vgl. z.B. Senatsurteil vom 1. Februar 1989 I R 74/86, BFHE 157, 39, BStBl II 1990, 4, 5; Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, a.a.O., Art. 3 MA Rz. 79, m.w.N.). Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn die betreffende Anweisung mit der ausländischen (hier der französischen) Steuerverwaltung abgestimmt wurde, zumal wenn diese Abstimmung durch eine ihrerseits unabgestimmte behördliche Auslegung - wie im Streitfall die Verfügung der OFD Saarbrücken vom 14. März 2000 - einseitig unterlaufen wird.

Im Ergebnis kommt es bei summarischer Prüfung sonach ausschließlich auf ganze Tage der Tätigkeit außerhalb der deutsch-französischen Grenzzone an. Dadurch wird zugleich den Praktikabilitätsbedenken des FA Rechnung getragen, die sich andernfalls bei einer tatsächlich nur stundenweisen Außentätigkeit und deren Nachweisbarkeit ergeben. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, jene neun Arbeitstage aus der 20 v.H.- bzw. 45-Tage-Höchstbegrenzung der Tage außerhalb des Grenzgebietes herauszurechnen, an denen sich der Antragsteller anlässlich der jeweiligen Dienstreise zu seinem Einsatzort begeben hat. Die maßgebliche Grenze von 45 Tagen wurde im streitgegenständlichen Zeitraum unterschritten.