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  BFH-Urteil vom 11.1.2005 (IX R 66/03) BStBl. 2005 II S. 480

Erlangt der Restitutionsberechtigte vom Verfügungsberechtigten nach § 7 Abs. 7 Satz 2 VermG Mietentgelte, so muss er sie nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG als Entschädigung versteuern.

EStG § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 2 Abs. 1, § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1; VermG § 7 Abs. 7 Satz 2.

Vorinstanz: FG Berlin vom 5. November 2003 2 K 2314/00 (EFG 2004, 345)

Sachverhalt

I.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr (1998) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt werden. Die Klägerin erwirkte mit Erfolg die Rückübertragung des Eigentums an einem Grundstück in Leipzig nach § 3 ff. des Vermögensgesetzes (VermG). Der Besitz an dem Grundstück wurde am 1. Mai 1997 übergeben. Außerdem kehrte die Wohnungsbaugesellschaft, die das Grundstück bis zur Übergabe verwaltete, als Verfügungsberechtigte an die Klägerin im Streitjahr nach § 7 Abs. 7 Satz 2 VermG Nutzungsentgelte für den Zeitraum ab 1. Juli 1994 im Gesamtbetrag von 105.290 DM aus.

Diesen Betrag erfasste der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr als steuerpflichtige, tarifbegünstigte Einkünfte gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) ordnete in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 345 veröffentlichten Urteil die herausgegebenen Nutzungsentgelte (Mieteinnahmen) gemäß § 7 Abs. 7 Satz 2 VermG nicht der Vermögenssphäre zu, sondern beurteilte sie als steuerbare Entschädigung.

Hiergegen richtet sich die Revision. Die Restitutionsberechtigte (Berechtigte) erhalte die Nutzungsentgelte nach § 7 Abs. 7 Satz 2 VermG letztlich als Ersatz für unterlassene Instandsetzungs- und Reparaturarbeiten; daher seien die herausgegebenen Entgelte als Wertausgleich anzusehen.

Die Kläger beantragen sinngemäß, das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung des FA vom 2. Juni 2000 aufzuheben, den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr zu ändern und die Einkommensteuer für 1998 auf 984 DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Sie ist nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.

Zutreffend hat das FG die an die Klägerin gemäß § 7 Abs. 7 Satz 2 VermG ausgezahlten Nutzungsentgelte als Entschädigungen für entgangene Einnahmen i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG erfasst.

Gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG gehören zu den Einkünften i.S. des § 2 Abs. 1 EStG auch Entschädigungen, die als Ersatz für entgangene Einnahmen gewährt werden. Die nach § 7 Abs. 7 Satz 2 VermG der Berechtigten (hier der Klägerin) herauszugebenden Mietzinsen, die die Verfügungsberechtigte (§ 2 Abs. 3 VermG; hier die Wohnungsbaugesellschaft) ab dem 1. Juli 1994 bis zur Rückübertragung vereinnahmt hat, erfüllen die Voraussetzungen einer Entschädigung i.S. von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG.

Entschädigungen sind Zahlungen, die eine finanzielle Einbuße ausgleichen sollen, die ein Steuerpflichtiger infolge einer Beeinträchtigung seiner Rechtsgüter erlitten hat (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH -, vgl. BFH-Urteil vom 12. Juni 1996 XI R 43/94, BFHE 180, 433, BStBl II 1996, 516, m.w.N.; vgl. zur Entwicklung der Rechtsprechung zu den Entschädigungen i.S. der §§ 24, 34 EStG Weber-Grellet, Betriebs-Berater - BB - 2004, 1877 ff.).

a) Die Rechtsgüter der Berechtigten sind aufgrund der in § 1 Abs. 1 VermG aufgeführten (staatlichen) Maßnahmen beeinträchtigt worden (vgl. § 2 Abs. 4 VermG). Durch die Rückübertragung von Vermögenswerten nach § 3 VermG und den in § 7 VermG geregelten Wertausgleich soll der erlittene Verlust wieder gutgemacht werden (vgl. zum Zweck Redeker/Hirtschulz/Tank in Fieberg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus, Vermögensgesetz, Kommentar, § 3 Rz. 2 ff.).

b) Die Herausgabe der gezogenen Nutzungen nach § 7 Abs. 7 Satz 2 VermG hat Entschädigungscharakter (so auch die Auffassung der Finanzverwaltung, vgl. z.B. die Verfügung der Oberfinanzdirektion - OFD - Chemnitz vom 8. Juli 1998 S 2211-13/5-St 31, Steuererlasse in Karteiform - StEK -, EStG § 21 Nr. 294). Der Anspruch ist Folge eines gesetzlichen Schuldverhältnisses zwischen der Berechtigten und der Verfügungsberechtigten nach Anmeldung des Restitutionsanspruchs (so Bundesgerichtshof - BGH -, Urteil vom 14. Dezember 2001 V ZR 493/99, Wertpapiermitteilungen - WM - 2002, 613). Mit ihm weist der Gesetzgeber ab dem 1. Juli 1994 der Berechtigten mit Bestandskraft des Rückübertragungsbescheides die Früchte aus Miet-, Pacht- oder sonstigen Nutzungsverhältnissen zu, die ohne einen derartigen Anspruch der Verfügungsberechtigten verbleiben (vgl. BGH-Urteil vom 23. April 1999 V ZR 142/98, BGHZ 141, 232).

c) Die Berechtigte erzielt ab dem 1. Juli 1994 zwar nicht schon in eigener Person Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Obschon das gesetzliche Schuldverhältnis zwischen ihr und der Verfügungsberechtigten Züge einer gesetzlichen Treuhand trägt (BGH-Urteile in WM 2002, 613, und vom 10. Oktober 2003 V ZR 39/02, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 2004, 393), ist allein die Verfügungsberechtigte und nicht die Berechtigte bis zur Bestandskraft des Rückübertragungsbescheides Träger der Rechte und Pflichten, die sich aus der Rechtsstellung als Vermieterin ergeben. Die Berechtigte hat bis zur Rückgabe keinen Einfluss auf das Mietverhältnis (vgl. auch BGH-Urteil in BGHZ 141, 233, 236). Damit beherrscht sie nicht - wie dies für ein Zurechnen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erforderlich wäre - das Treuhandverhältnis (vgl. BFH-Urteil vom 27. Januar 1993 IX R 269/87, BFHE 170, 383, BStBl II 1994, 615).

d) Die Entschädigung ist aber als Ersatz für entgangene Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG zu werten. Es besteht eine kausale Verknüpfung zwischen Entschädigung und den entgangenen Einnahmen (vgl. dazu BFH-Urteil vom 12. September 1985 VIII R 306/81, BFHE 145, 320, BStBl II 1986, 252). Denn die Berechtigte müsste die Mietentgelte - hätte sie sie statt der Verfügungsberechtigten erzielt - nach § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG versteuern. Es kommt nicht darauf an, ob diese Einnahmen - nämlich solche aus Vermietung und Verpachtung - bereits bei der Enteignung von der Berechtigten erwartet werden konnten. Unabhängig davon, ob man ein derartiges Erfordernis § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG entnehmen könnte (vgl. dazu Horn in Herrmann/Heuer/Raupach - HHR -, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, § 24 EStG Anm. 33; ähnlich - zum Vorhandensein einer Einkunftsquelle - auch Wüllenkemper, EFG 2004, 808, 809, re. Sp.), ergibt sich ein Zusammenhang des Herausgabeanspruchs nach § 7 Abs. 7 Satz 2 VermG und den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung unmittelbar aus den Wertungen des Vermögensgesetzes.

aa) Die ab dem 1. Juli 1994 anfallenden Entgelte aus einem Mietverhältnis sollten der Berechtigten zugeordnet werden, um zu verhindern, dass die Verfügungsberechtigte die Mieterträge - statt damit die notwendigen Reparaturen vorzunehmen - für eigene Zwecke verwendet (vgl. BTDrucks 12/7588, S. 48; siehe dazu auch BGH-Urteil in BGHZ 141, 232). Neben diesem - von der Klägerin hervorgehobenen - gesetzgeberischen Motiv für die Einführung des Herausgabeanspruchs soll mit dieser Regelung aber zugleich ein Beitrag zur zügigen Rückübereignung der zu restituierenden Immobilie geleistet werden (vgl. dazu die das Vermögensrechtsanpassungsgesetz betreffende Stellungnahme der Bundesregierung zum Gesetzesentwurf des Bundesrates, BTDrucks 13/202, S. 7).

bb) Überdies und im Zusammenhang mit diesem Gesetzeszweck wurde mit der Einführung des Herausgabeanspruchs nach § 7 Abs. 7 Satz 2 VermG eine verfassungsrechtlich bedenkliche Ungleichbehandlung der Berechtigten untereinander beseitigt. Berechtigte, deren Vermögenswerte zeitnah zum In-Kraft-Treten des Vermögensgesetzes rückübertragen worden waren, kamen zu einem früheren Zeitpunkt in den Genuss der Erträge des betreffenden Vermögenswerts, während anderen Berechtigten, bei denen sich die Rückübertragungsentscheidung aus vielfach verwaltungstechnischen Gründen verzögerte, die sie im Regelfall nicht zu vertreten hatten, über Jahre hinweg die Nutzungen aus den restitutionsbelasteten Vermögenswerten vorenthalten blieben. Diesen wirtschaftlichen Nachteil auszugleichen ist der primäre Zweck des Herausgabeanspruchs und des damit verbundenen Eingriffs in die Rechtsposition der Verfügungsberechtigten (so BGH-Urteil vom 19. März 1998 III ZR 145/97, WM 1998, 1348, m.w.N.).

cc) Der Ausgleichsanspruch ist deshalb entgegen der Revision kein Äquivalent für Wertminderungen, die entstehen, weil die Verfügungsberechtigte nach dem hier maßgebenden Stichtag notwendige Investitionen zurückgehalten hat. Denn der Herausgabeanspruch setzt weder derartige Wertminderungen voraus noch das Unterlassen notwendiger Reparaturen. Er umfasst - anders als ein Bereicherungsanspruch (zur steuerrechtlichen Problematik vgl. Schön, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht - ZHR -, 155. Band 1991, S. 247, 260 ff.) - weder den Wert der Eigennutzung noch ist er auf die Herausgabe nicht gezogener Nutzungen gerichtet. Er will vielmehr der Berechtigten die der Verfügungsberechtigten tatsächlich zustehenden Entgelte verschaffen, mit denen diese dann ggf. selbst Reparaturen und Renovierungsarbeiten vornehmen kann (BGH-Urteil in BGHZ 141, 232). Dem entspricht es, wenn die Verfügungsberechtigte nach § 7 Abs. 7 Satz 4 VermG bestimmte Investitionen in die Erhaltung der zu restituierenden Immobilie ebenso wie seit dem 1. Juli 1994 aufgewandte Betriebskosten in gesetzlich vorgesehener Höhe unbeschadet ihres Einflusses auf den Wert des Gebäudes gegenüber dem Ausgleichsanspruch aufrechnen kann.

dd) Ausgehend von dieser am Gesetzeszweck orientierten normativen Struktur des Herausgabeanspruchs sollen die auszukehrenden Mietentgelte die wirtschaftlichen Nachteile entschädigen, die der Berechtigten durch die nicht zeitgerechte Rückübertragung ihrer Immobilie entstehen. Dieses schädigende Ereignis steht in unmittelbarem Zusammenhang mit entgangenen Einnahmen. Wäre die Immobilie nämlich zeitgerecht nach dem In-Kraft-Treten des Vermögensgesetzes restituiert worden, wäre die Berechtigte bereits früher in den Genuss der Rechtsfrüchte gekommen. Dafür will sie das Gesetz entschädigen und deshalb bilden die nach § 7 Abs. 7 Satz 2 VermG herausgegebenen Mietentgelte den Ersatz für entgangene Einnahmen.