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  BFH-Beschluss vom 15.3.2005 (IV B 91/04) BStBl. 2005 II S. 647

1. Die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags gegenüber einer Personengesellschaft kann unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zu einer verfassungswidrigen Überbesteuerung im Sinne des sog. Halbteilungsgrundsatzes führen.

Eine Aussetzung des Klageverfahrens im Hinblick auf die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 2194/99 gegen das Urteil des BFH vom 11. August 1999 XI R 77/97 (BFHE 189, 413, BStBl II 1999, 771) kommt deshalb nicht in Betracht.

2. Das Klageverfahren gegen einen Gewerbesteuermessbescheid ist auch nicht im Hinblick auf den Vorlagebeschluss des Niedersächsischen FG zur Verfassungsmäßigkeit der Gewerbeertragsteuer vom 21. April 2004 4 K 317/91 (EFG 2004, 1065, Az. des BVerfG 1 BvL 2/04) auszusetzen (Bestätigung des Senatsurteils vom 24. Februar 2005 IV R 23/03).

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 2; GewStG § 2 Abs. 1, § 14; FGO § 74.

Vorinstanz: FG Münster vom 31. März 2004 5 K 4139/00 G

Sachverhalt

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG, gegen die für die Streitjahre (1995 bis 1998) Gewerbesteuermessbescheide ergangen sind. Im Einspruchsverfahren berief sich die Klägerin einerseits auf die Verfassungswidrigkeit der Gewerbesteuer. Andererseits machte sie geltend, der Steuerbetrag sei jeweils anteilig zu kürzen, so dass die Gesamtsteuerlast aus Einkommen-, Vermögen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer sowie Solidaritätszuschlag 50 v.H. des sog. Sollertrags nicht überschreite. Zugleich beantragte die Klägerin, die Verfahren gemäß § 363 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) ruhen zu lassen, bis der Bundesfinanzhof (BFH) über genau bezeichnete Verfahren betreffend den sog. Halbteilungsgrundsatz entschieden habe.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) ließ die Verfahren zunächst ruhen, erließ aber dann später doch eine Einspruchsentscheidung, mit der die Einsprüche als unbegründet zurückgewiesen wurden.

Mit der dagegen erhobenen Klage machte die Klägerin geltend, das FA habe über die Einsprüche nicht entscheiden dürfen. Zugleich beantragte sie, das Verfahren gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in der Sache 2 BvR 2194/99 auszusetzen.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Das Verfahren sei nicht auszusetzen, weil die im Verfahren 2 BvR 2194/99 des BVerfG streitigen Normen im Streitfall nicht anzuwenden seien. In dem Verfassungsbeschwerdeverfahren gehe es um die Frage, ob die Einkommensteuer 1994 unter Berücksichtigung des Halbteilungsgrundsatzes herabzusetzen sei. Diese Frage habe keine Bedeutung für die hier streitige Festsetzung von Gewerbesteuermessbeträgen. In der Sache habe die Klage keinen Erfolg, weil die Einspruchsentscheidung rechtmäßig ergangen sei und die Gewerbesteuermessbeträge richtig festgesetzt worden seien. Die Revision ließ das FG nicht zu.

Mit der dagegen gerichteten Beschwerde macht die Klägerin mehrere Revisionszulassungsgründe gemäß § 115 Abs. 2 FGO geltend.

Das Urteil beruhe auf einem Verfahrensfehler, weil das FG nicht habe entscheiden dürfen, sondern das Verfahren nach § 74 FGO hätte aussetzen müssen. Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, weil zu klären sei, ob § 363 Abs. 2 Satz 4 AO 1977 auch auf Fälle des § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 anzuwenden sei. Eine Entscheidung des BFH sei außerdem zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Künftige unterschiedliche Entscheidungen zum Halbteilungsgrundsatz müssten verhindert werden. Das FG weiche vom Beschluss des BVerfG vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91 (BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655) ab.

Zugleich mit der Beschwerdebegründung hat die Klägerin eine Aussetzung bzw. ein Ruhen des Verfahrens im Hinblick darauf beantragt, dass beim BVerfG auf Vorlage des Niedersächsischen FG ein Verfahren betreffend die Verfassungswidrigkeit der Gewerbesteuer anhängig sei (Az. 1 BvL 2/04). Jenes Verfahren sei für das hiesige vorgreiflich. Denn der angefochtene Bescheid sei aufzuheben, wenn das BVerfG die Gewerbesteuer für verfassungswidrig erkläre.

Das FA ist dem Antrag auf Aussetzung oder Ruhen des Verfahrens entgegengetreten. Das Verfahren bei dem BVerfG sei nicht vorgreiflich, weil es dort um die Verfassungsmäßigkeit der Gewerbesteuer, hier jedoch um die Zulassung der Revision gehe. Außerdem erscheine das Verfahren bei dem BVerfG aussichtslos, weil das BVerfG in jüngerer Zeit ohne erneute Sachprüfung an seiner bisherigen Rechtsprechung zur Verfassungsmäßigkeit der Gewerbesteuer festgehalten habe.

Der Senat hat angeregt, dass das FA die angefochtenen Gewerbesteuermessbescheide im Hinblick auf das Verfahren vor dem BVerfG 1 BvL 2/04 nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO 1977 für vorläufig erklärt. Die Klägerin hat einer solchen Änderung der Bescheide jedoch nicht zugestimmt und an ihrem Antrag auf Aussetzung des Verfahrens festgehalten.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht begründet und war deshalb zurückzuweisen.

1. Das Verfahren war nicht gemäß § 74 FGO bis zur Entscheidung des BVerfG über das Verfahren 1 BvL 2/04 auszusetzen.

a) Nach § 74 FGO kann das Gericht die Aussetzung des Verfahrens u.a. dann anordnen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet.

Eine Aussetzung des Klageverfahrens gemäß § 74 FGO ist nach der Rechtsprechung des BFH danach u.a. dann geboten, wenn vor dem BVerfG bereits ein nicht als aussichtslos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist, zahlreiche Parallelverfahren vorliegen und keiner der Verfahrensbeteiligten ein besonderes berechtigtes Interesse an einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen gesetzlichen Regelung trotz des beim BVerfG anhängigen Verfahrens hat (BFH-Beschlüsse vom 7. Februar 1992 III B 24, 25/91, BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408; vom 18. September 1992 III B 43/92, BFHE 169, 110, BStBl II 1993, 123; vom 25. August 1993 X B 32/93, BFHE 171, 412, BStBl II 1993, 797, und vom 30. April 1996 III R 211/90, BFH/NV 1997, 23). Für die Aussetzung des Verfahrens ist darüber hinaus erforderlich, dass eine die Verfassungswidrigkeit bejahende Entscheidung des BVerfG entscheidungserhebliche Auswirkungen auf das auszusetzende Verfahren haben könnte (BFH-Beschluss vom 5. August 1992 II B 75/92, BFHE 168, 402, BStBl II 1992, 967).

b) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt.

Zwar ist bei dem BVerfG unter dem Az. 1 BvL 2/04 ein Vorlagebeschluss des Niedersächsischen FG vom 21. April 2004 4 K 317/91 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2004, 1065) anhängig, mit dem die Frage zur Entscheidung vorgelegt worden ist, ob die Vorschriften des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) zur Gewerbeertragsteuer verfassungswidrig sind. Der beschließende Senat hält gleichwohl an seiner wiederholt dokumentierten Auffassung fest, dass die Gewerbeertragsteuer mit der Verfassung vereinbar ist, und erwartet auch unter Berücksichtigung des jüngsten Beschlusses des BVerfG zu § 15 Abs. 3 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vom 26. Oktober 2004 2 BvR 246/98 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 2005, 56) nicht, dass das BVerfG die Gewerbeertragsteuer für verfassungswidrig erklären wird.

Selbst wenn aber das BVerfG die Gewerbeertragsteuer für verfassungswidrig halten sollte, erscheint es ausgeschlossen, dass die betreffende Entscheidung entscheidungserhebliche Auswirkungen auf das vorliegende Verfahren haben könnte. Nach der neueren Rechtsprechung des BVerfG ist nicht ohne weiteres davon auszugehen, dass normverwerfende Entscheidungen dieses Gerichts zu einer rückwirkenden Neuregelung des beanstandeten Gesetzes - und sei es auch nur im Rahmen einer Übergangsregelung für alle noch offenen Fälle - führen (vgl. Senatsbeschluss vom 26. November 1998 IV B 150/97, BFH/NV 1999, 657, mit Nachweisen zur Rechtsprechung des BVerfG). Eine solche Möglichkeit hat der BFH insbesondere für die Gewerbeertragsteuer verneint und deshalb in seinem Urteil vom 11. November 1997 VIII R 49/95 (BFHE 185, 46, BStBl II 1998, 272) ausgeführt, eine rückwirkende Nichtigkeitserklärung des GewStG würde zu einem derart schwerwiegenden Eingriff in das Wirtschaftsgefüge führen, dass der sich danach ergebende Zustand der verfassungsmäßigen Ordnung ferner als der bestehende stände. Es wäre danach selbst für den Fall, dass das GewStG gegen den Gleichheitssatz verstoßen sollte, nicht mit einer Nichtigkeits-, sondern allenfalls mit einer Unvereinbarkeitserklärung und einer Änderungsverpflichtung des Gesetzgebers für die Zukunft zu rechnen (vgl. im Ergebnis auch BFH-Beschluss vom 3. August 1999 VIII B 79/98, BFH/NV 2000, 222).

Der Vorlagebeschluss des Niedersächsischen FG in EFG 2004, 1065 zur Verfassungsmäßigkeit der Gewerbesteuer hat dementsprechend nicht zur Folge, dass alle finanzgerichtlichen Verfahren zur Gewerbesteuer gemäß § 74 FGO auszusetzen sind (Senatsurteil vom 24. Februar 2005 IV R 23/03, zur Veröffentlichung vorgesehen).

2. Das Verfahren war auch nicht bis zur Entscheidung des BVerfG in der Sache 2 BvR 2194/99 auszusetzen.

a) Das Verfahren 2 BvR 2194/99 betrifft eine Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BFH vom 11. August 1999 XI R 77/97 (BFHE 189, 413, BStBl II 1999, 771), mit dem eine Bindung gemäß § 31 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) an den in Leitsatz 3 des Vermögensteuerbeschlusses des BVerfG in BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655 erwähnten sog. Halbteilungsgrundsatz verneint und eine Belastung mit Einkommen- und Gewerbeertragsteuer von insgesamt rd. 60 v.H. des zu versteuernden Einkommens als nicht verfassungswidrig erklärt wurde.

b) Die Voraussetzungen für eine Aussetzung des hiesigen Verfahrens liegen auch in Bezug auf die unter dem Az. 2 BvR 2194/99 anhängige Verfassungsbeschwerde nicht vor. Selbst wenn der sog. Halbteilungsgrundsatz entgegen dem angefochtenen BFH-Urteil in BFHE 189, 413, BStBl II 1999, 771 unmittelbare Wirkung auf die Festsetzung von Ertragsteuern haben und das BVerfG der Verfassungsbeschwerde mit dieser Begründung stattgeben sollte, könnte das auf die im vorliegenden Verfahren angefochtenen Gewerbesteuermessbescheide keine Auswirkung haben.

Einerseits ist die Klägerin eine Personenhandelsgesellschaft und damit zwar Steuersubjekt hinsichtlich der Gewerbesteuer, nicht aber hinsichtlich der Einkommensteuer. Eine Belastung des sog. Sollertrags jenseits der im Beschluss des BVerfG in BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655 als zulässig erachteten Grenze von etwa 50 v.H. ("in der Nähe einer hälftigen Teilung") kann sich für die Klägerin nicht ergeben. Eine Überbelastung könnte allenfalls bei Gesellschaftern der Klägerin eintreten, soweit deren nach ihren persönlichen Besteuerungsmerkmalen festzusetzende Einkommensteuer in Verbindung mit der auf sie entfallenden, nach Abzug der Gewerbesteuer als Betriebsausgabe verbleibenden Belastung durch Gewerbesteuer auf der Ebene der Gesellschaft die o.g. Grenze übersteigt.

Andererseits kann ein Gewerbesteuermessbescheid niemals zu einer verfassungswidrigen Überbesteuerung führen. Denn seine Regelungswirkung beschränkt sich auf die Festsetzung des Steuermessbetrags (§ 14 Satz 1 GewStG). Die tatsächliche Steuerbelastung ergibt sich erst aus dem Gewerbesteuerbescheid, in dem die Steuer auf Grund des Steuermessbetrags mit einem Hundertsatz (Hebesatz) festgesetzt wird (§ 16 Abs. 1 GewStG).

Schließlich würde auch wenig dafür sprechen, die Beseitigung einer Übermaßbesteuerung, die aus dem Zusammenwirken einer als Betriebsausgabe abzuziehenden - mithin sich selbst und andere Ertragsteuern mindernden - und mit einem linearen Steuersatz erhobenen Gewerbesteuer mit einer progressiv erhobenen Einkommensteuer folgt, durch Begrenzung der Gewerbesteuer zu bewirken. Vielmehr müsste in diesem Zusammenhang eine ggf. erforderliche Begrenzung der Steuerlast durch Minderung der einem progressiven Tarif unterliegenden Einkommensteuer erreicht werden.

3. Die geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

a) Das Urteil des FG beruht nicht auf dem gerügten Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Das FG hatte keine Veranlassung das Verfahren nach § 74 FGO auszusetzen. Es konnte sich auf dieselben Gründe stützen, die nach den vorstehenden Ausführungen auch für die Entscheidung des beschließenden Senats maßgeblich sind, das Verfahren nicht auszusetzen.

b) Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung; eine Entscheidung des BFH zur Rechtsfortbildung ist nicht erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 Alternative 1 FGO).

Die mit der Beschwerde herausgearbeitete Frage, ob § 363 Abs. 2 Satz 4 AO 1977 (Fortsetzung des Einspruchsverfahrens) auch auf Fälle des § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 anzuwenden sei, ist im Streitfall nicht entscheidungserheblich. Denn die Voraussetzungen des § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 waren im Streitfall nicht erfüllt. Ein Einspruchsverfahren ruht danach nur dann, wenn ein (anderes) Verfahren bei einem der in der Vorschrift genannten Gerichte anhängig ist, das für die Entscheidung über den Einspruch rechtserheblich ist (Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 363 AO 1977 Rz. 166). Im Streitfall waren nach den vorstehenden Ausführungen weder das Verfahren zur Verfassungsmäßigkeit der Gewerbesteuer noch die Verfahren zur Anwendung des sog. Halbteilungsgrundsatzes präjudiziell. Deshalb ruhten die Einspruchsverfahren nicht, so dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung eines ruhenden Einspruchsverfahrens nach § 363 Abs. 2 Satz 4 AO 1977 für die Entscheidung des hiesigen Rechtsstreits keine Bedeutung haben.

c) Eine Entscheidung des BFH ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO). Das FG-Urteil stellt keinen von dem Beschluss des BVerfG in BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655 abweichenden Rechtssatz auf. Die Rechtsfrage, inwieweit sich ein Steuerpflichtiger auf den sog. Halbteilungsgrundsatz berufen kann, ist im Streitfall - wie ausgeführt - nicht entscheidungserheblich. Es kann demnach dahinstehen, ob eine Entscheidung in einer Ertragsteuersache überhaupt von einem Beschluss des BVerfG zur Vermögensteuer in der Weise abweichen kann, dass die Voraussetzungen für eine Divergenzrevision vorliegen.