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BFH-Urteil vom 1.12.2004 (II R 17/04) BStBl. 2005 II S. 855

Gibt das FA einen Steuerbescheid einem nicht empfangsbevollmächtigten Dritten bekannt, der auch in einem anschließenden Einspruchs- und Klageverfahren als vollmachtloser Vertreter auftritt, kann der Steuerpflichtige die Rechtsbehelfs- und Prozessführung des Dritten genehmigen, ohne zugleich die Empfangnahme des Steuerbescheids durch diesen genehmigen zu müssen.

AO 1977 § 80 Abs. 1 Satz 2, § 122 Abs. 1 Satz 3; ZPO §§ 83, 89.

Vorinstanz: FG Hamburg vom 30. Januar 2004 III 80/02 (EFG 2004, 954)

Sachverhalt

I.

Im Jahr 1995 wurden im Zuge der Auflösung einer Familienstiftung, zu deren Destinatären die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) gehörte, mehrere Grundstücke auf eine GbR übertragen, an der die Klägerin beteiligt war.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) sah zunächst die GbR als Erwerberin der Grundstücke an und erließ entsprechende Grunderwerbsteuerbescheide. Die Korrespondenz für die GbR wurde durch Rechtsanwalt S abgewickelt, der sowohl Geschäftsführer als auch anwaltlicher Vertreter der GbR war und ebenfalls zu den Destinatären der Stiftung gehörte.

Im Einspruchsverfahren gelangte das FA zu der Ansicht, dass ein Zwischenerwerb der Grundstücke durch die Destinatäre stattgefunden habe, und bat S um Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten für diesen Personenkreis. In seinem Antwortschreiben widersprach S der geänderten Rechtsauffassung des FA in der Sache und ging auf die Frage der Zustellungsvollmacht nicht ein.

Das FA stellte gegenüber der Klägerin mit Bescheid vom 17. November 1999, den es dem S bekannt gab, die Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer nach § 17 Abs. 2 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) gesondert fest.

Am 16. Dezember 1999 zeigte S dem FA an, dass die Klägerin von ihm nicht vertreten werde und keine Zustellungsvollmacht bestehe. "Rein vorsorglich" legte er gleichzeitig Einspruch ein. Mit Einspruchsentscheidung vom 15. Januar 2002, die ebenfalls dem S bekannt gegeben wurde, wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück.

Im Klageverfahren reichte S eine von D - einer anderen Destinatärin der Stiftung - für die Klägerin unter Berufung auf eine notarielle Generalvollmacht unterschriebene Prozessvollmacht ein. Im Begleitschreiben hieß es: "Frau ... (D) hat auch für die Vertretene erklärt, dass der Unterzeichner zur Empfangnahme an Frau ... (die Klägerin) persönlich zuzustellender Steuerbescheide nicht empfangsbevollmächtigt war. Die Einspruchseinlegung sowie die Klageerhebung werden für Frau ... (die Klägerin) genehmigt." S behauptete, Steuerbescheide nicht an die Klägerin weitergeleitet zu haben.

Das Finanzgericht (FG) stellte durch Zwischenurteil fest, dass Einspruch und Klage aufgrund der rückwirkenden Genehmigung der Vertretung zulässig erhoben seien, gleichzeitig aber auch der angefochtene Feststellungsbescheid im Zeitpunkt der Einspruchseinlegung als mit Wirkung gegenüber der Klägerin bekannt gegeben gelte und die Feststellungsfrist gewahrt habe. Die hilfsweise erhobene Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit des Bescheids vom 17. November 1999 beurteilte es als unbegründet. Das FG-Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 954 veröffentlicht.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 122 der Abgabenordnung (AO 1977), des § 89 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) und des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB).

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung festzustellen, dass der Bescheid über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer vom 17. November 1999 nicht wirksam bekannt gegeben worden ist.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Die Genehmigung der Einlegung des Einspruchs sowie der Klageerhebung durch die Generalbevollmächtigte der Klägerin schließt entgegen der Auffassung des FG nicht auch die Genehmigung der zeitlich früher liegenden Bekanntgabe des an die Klägerin gerichteten Feststellungsbescheids an S ein.

a) Das FG hat zwar zu Recht angenommen, dass die während des Klageverfahrens erklärte Genehmigung rückwirkend die bisherigen Vertretungsmängel - von deren Bestehen für das Revisionsverfahren zugunsten der Klägerin auszugehen ist - sowohl für das finanzgerichtliche Verfahren (dazu Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. November 1988 I R 168/84, BFHE 156, 1, BStBl II 1989, 514, unter II. 2.) als auch für das Einspruchsverfahren (dazu BFH-Urteil vom 16. September 1992 X R 171/90, BFH/NV 1993, 453) geheilt hat.

b) Der Senat kann dem FG jedoch nicht darin folgen, dass diese Genehmigung auch die Bekanntgabe des Feststellungsbescheids vom 17. November 1999 umfasst hat.

Die Generalbevollmächtigte der Klägerin hat die Einlegung des Einspruchs im Begleitschreiben zur Übersendung der Prozessvollmacht ausdrücklich genehmigt, gleichzeitig aber ausgeführt, dass S zur Empfangnahme von Steuerbescheiden nicht bevollmächtigt war. Bereits aus dem Wortlaut dieser Erklärung ergibt sich ohne weiteres, dass D die Genehmigung auf den Einspruch und die ab dem Zeitpunkt der Einlegung des Einspruchs vorgenommenen Handlungen des S beschränkt und die zeitlich früher liegenden Handlungen ("Empfangnahme von Steuerbescheiden") davon ausgenommen hat. Allein dieses Verständnis entspricht auch dem für die Erklärungsempfänger erkennbaren Zweck der Genehmigungserklärung, die während eines laufenden Klageverfahrens abgegeben wurde, in dem sich die Klägerin durchgängig auf die Unwirksamkeit der Bekanntgabe und das Fehlen einer Vollmacht für das Verwaltungsverfahren berufen hat.

An die vom FG vorgenommene, gegenteilige Auslegung der Erklärung dahin gehend, dass die Genehmigungswirkung auch vor der Einspruchseinlegung liegende Handlungen umfasse, ist der Senat nicht nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden, weil das FG gesetzliche Auslegungsregeln (§ 133 BGB) verletzt hat (vgl. dazu BFH-Urteil vom 22. September 1992 VIII R 7/90, BFHE 170, 29, BStBl II 1993, 228, unter 1. b). Das FG hat unterlassen, zunächst die Auslegungsbedürftigkeit der Vollmachts- und Genehmigungserklärung zu prüfen. Bei einer Willenserklärung, die - wie hier - nach Wortlaut und Zweck einen eindeutigen Inhalt hat, ist für eine Auslegung kein Raum (Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 63. Aufl. 2004, § 133 Rn. 6, m.w.N.). Auf die vom FG herangezogene Rechtsprechung, wonach eine Prozessvollmacht "im Zweifel" als umfassende Genehmigung aller in den bisherigen Instanzen vorgenommenen Handlungen anzusehen sei, kommt es danach nicht an. Abgesehen davon lässt sich dem vom FG insoweit allein angeführten BFH-Beschluss vom 22. September 1993 VIII B 38/93 (BFH/NV 1994, 387, unter 3. b) ein solcher Rechtssatz nicht entnehmen; dort ging es lediglich um die Nichtbeanstandung einer Einzelfallwürdigung der Tatsacheninstanz.

c) Entgegen der Auffassung des FG war die Klägerin auch aus Rechtsgründen nicht daran gehindert, die Bekanntgabe des Feststellungsbescheids an S von ihrer Genehmigungserklärung auszunehmen.

Nach § 80 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 ist der Umfang einer für das steuerliche Verwaltungsverfahren geltenden Vollmacht beschränkbar. Aus der Vorschrift des § 122 Abs. 1 Satz 3 AO 1977, die das Vorliegen einer Empfangsvollmacht voraussetzt, ergibt sich nichts anderes.

Ob dies einschränkungslos auch bei der rückwirkenden Genehmigung vollmachtlosen Handelns gilt, kann offen bleiben. Jedenfalls kann die Genehmigung auf einen in sich geschlossenen Verfahrensabschnitt beschränkt werden (vgl. - zu einzelnen Instanzen im Klageverfahren - Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23. Oktober 1963 V ZR 146/57, BGHZ 40, 197, unter 1. a), wie ihn das behördliche Einspruchsverfahren darstellt.

Schließlich muss es einem Steuerpflichtigen schon aus Gründen effektiven Rechtsschutzes möglich sein, die Einlegung von Rechtsbehelfen durch einen Dritten, dem das FA einen Verwaltungsakt - unwirksam - bekannt gegeben hat, nachträglich zu genehmigen, ohne zugleich auch die Empfangnahme des Bescheids genehmigen und damit der Rüge der Unwirksamkeit der Bekanntgabe den Boden entziehen zu müssen.

d) Die vom FG angeführte Rechtsprechung steht dem nicht entgegen.

Das Oberlandesgericht München ist in seinem Urteil vom 31. Juli 2002  7 U 2216/02 (Neue Juristische Wochenschrift, Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2003, 983, unter 3.) - anders als vom FG angenommen - nicht etwa von einer Genehmigung der von den Vertretern ohne Vertretungsmacht für die beklagte GmbH erstinstanzlich abgegebenen Erklärungen ausgegangen. Es hat vielmehr ausdrücklich festgestellt, dass eine Genehmigung dieser Handlungen verweigert worden und diese Verweigerung beachtlich sei.

Die vom FG herangezogene Entscheidung des Kammergerichts vom 26. Oktober 1965  18 W 2395/64 (Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht 1966, 70) ist ebenfalls nicht einschlägig, weil es darin lediglich um die Auslegung einer konkludenten Genehmigungserklärung, nicht aber um die Zulässigkeit ausdrücklich einschränkender Genehmigungserklärungen ging.

Die Aussage im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. April 1978  2 C 5.74 (Zeitschrift für Beamtenrecht 1978, 376), die Genehmigung dürfe sich nicht auf einzelne Teilhandlungen des Verfahrens beschränken, sondern müsse die gesamte Prozessführung einbeziehen, betrifft sowohl nach ihrem Wortlaut als auch nach dem Zusammenhang, in den sie gestellt ist, allein das gerichtliche Verfahren.

2. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat weder zur Frage einer tatsächlichen Bevollmächtigung des S (unten a) noch zur Feststellungsverjährung im Zeitpunkt einer möglichen Weiterleitung des Bescheides an die Klägerin bzw. des Ergehens der Einspruchsentscheidung (unten b) Feststellungen getroffen.

a) Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand erscheint es nicht als ausgeschlossen, dass S bereits im Zeitpunkt des Erlasses des Feststellungsbescheids als Bevollmächtigter der Klägerin anzusehen war.

Das FG wird insoweit festzustellen haben, ob die Klägerin als Gesellschafterin der GbR dem S im Einspruchsverfahren der GbR eine Vollmacht erteilt hat, die auch als Vollmacht für ein sie persönlich betreffendes Verfahren wegen der Grunderwerbsteuer aus der Auflösung der Familienstiftung ausgelegt werden kann.

Zudem ergeben sich aus den Akten Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin nicht nur der D, sondern auch weiteren Destinatären eine Generalvollmacht erteilt hatte. Das FG wird der Frage nachgehen, ob auch S - der ebenfalls zum Kreis der Destinatäre gehörte - Generalbevollmächtigter der Klägerin war.

Darüber hinaus sind die Grundsätze über die sog. Vollmachten kraft Rechtsscheins auch im steuerlichen Verwaltungsverfahren anzuwenden (vgl. dazu BFH-Entscheidungen vom 25. September 1990 IX R 84/88, BFHE 162, 4, BStBl II 1991, 120, unter B. IV. 1., und vom 12. Februar 1997 X B 146/96, BFH/NV 1997, 542). Das FG wird - insbesondere zur entscheidenden Frage der Erkennbarkeit des Verhaltens des S durch die Klägerin bzw. D - noch die erforderlichen Feststellungen nachzuholen haben.

b) Das FG hat ferner keine Feststellungen zum Zeitpunkt des Eintritts der Feststellungsverjährung getroffen. Von diesem Zeitpunkt hängt es ab, ob eine unwirksame Bekanntgabe des ursprünglichen Bescheids durch dessen etwaige Weiterleitung an die Klägerin bzw. an D (dazu unten aa) oder durch die - erst im Jahr 2002 vorgenommene - Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung an S (dazu unten bb) geheilt werden konnte. Dabei kommt die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 3 a AO 1977 nicht zur Anwendung, weil diese durch die Einlegung eines Einspruchs gegen einen nicht wirksam gewordenen Bescheid nicht ausgelöst wird (BFH-Urteile vom 16. Mai 1990 X R 147/87, BFHE 161, 398, BStBl II 1990, 942, unter 3.; vom 27. April 1993 VIII R 27/92, BFHE 171, 392, BStBl II 1994, 3, unter II. 3. c bb, und vom 13. September 1994 IX R 89/90, BFHE 175, 323, BStBl II 1995, 39, unter 1. a, m.w.N.).

aa) Auch ein Verwaltungsakt, der mit einfachem Brief einer nicht zur Empfangnahme berechtigten Person bekannt gegeben wurde, gilt in analoger Anwendung des § 9 Abs. 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes (in der bis zum 30. Juni 2002 geltenden Fassung) in dem Zeitpunkt als bekannt gegeben, in dem der richtige Empfänger den Bescheid erhält (BFH-Urteile vom 8. Dezember 1988 IV R 24/87, BFHE 155, 472, BStBl II 1989, 346, und vom 14. Dezember 1989 III R 49/89, BFH/NV 1991, 288, unter 2. c).

Insoweit wird das FG bei seiner erneuten Entscheidung ggf. auch Feststellungen dazu treffen müssen, ob bzw. zu welchem Zeitpunkt S den Feststellungsbescheid an die Klägerin bzw. an D weitergeleitet hat oder die beiden Kenntnis hiervon erhielten. Das FG braucht sich dabei nicht notwendig mit - mittelbaren - Erklärungen des S über die Verhältnisse der Klägerin und der D zu begnügen, sondern kann insbesondere D auch persönlich zu diesen Tatsachen hören. Erklärungen Dritter können nicht in jedem Fall Zweifel beheben, ob diese Erklärungen mit denen der möglichen Vollmachtgeberin übereinstimmen (BFH-Urteil vom 17. Juli 1984 VIII R 20/82, BFHE 141, 463, BStBl II 1984, 802).

bb) Bekanntgabemängel können - die Wahrung der Feststellungsfrist vorausgesetzt - auch durch eine ordnungsgemäße Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geheilt werden (BFH-Urteile vom 8. Juli 1982 IV R 20/78, BFHE 136, 252, BStBl II 1982, 700, unter 2. b, und in BFH/NV 1991, 288, unter 2. c). Da das Tätigwerden des S im Einspruchsverfahren von der Klägerin rückwirkend genehmigt worden ist, war dieser zur Entgegennahme der Einspruchsentscheidung berechtigt. Dem S war auch der Inhalt des Bescheides bekannt (vgl. BFH-Urteil vom 7. März 1995 XI R 79/94, BFH/NV 1995, 1035).