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BFH-Urteil vom 3.8.2005 (I R 94/03) BStBl. 2006 II S. 20

1. Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sind u.a. zu aktivieren, wenn die für die Entstehung wesentlichen wirtschaftlichen Ursachen gesetzt worden sind und der Kaufmann mit der künftigen rechtlichen Entstehung des Anspruchs fest rechnen kann.

2. Die Auslegung von Verträgen obliegt dem FG als Tatsacheninstanz und ist daher für das Revisionsgericht bindend, wenn sie den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB entspricht und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt.

KStG § 8 Abs. 1; EStG § 5 Abs. 1 Satz 1; HGB § 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2; FGO § 118 Abs. 2.

Vorinstanz: FG München vom 9. Oktober 2003 7 K 4861/01 (EFG 2004, 214)

Sachverhalt

I.

Streitig ist der Zeitpunkt der Aktivierung von Forderungen.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, nahm in den Streitjahren die Aufgaben eines sog. Möbelverbundes wahr. Sie unterstützte diesem Verbund angeschlossene Möbel-(Handels-)häuser (sog. "Anschlusshäuser") bei deren Geschäftstätigkeit u.a. durch die Organisation eines gemeinsamen Einkaufs. Dabei arbeitete sie auch mit den Möbelherstellern mit dem Ziel zusammen, für die Anschlusshäuser günstige Konditionen für deren Wareneinkauf auszuhandeln. Diese Konditionen wurden in den zwischen der Klägerin und den Möbelherstellern und -lieferanten abgeschlossenen "Lieferantenverträgen" festgelegt. Die Vertragsabschlüsse über die Lieferung von Möbeln selbst kamen unmittelbar mit den Anschlusshäusern zustande. Die Hersteller stellten diesen die Waren in Rechnung. Allerdings übernahm die Klägerin über ihre Tochtergesellschaft (T) als sog. "Zentralregulierungsstelle" die Regulierung. Letztere erhielt dazu Zweitschriften der Rechnungen, die sie aufgrund eines Zahlungsziels von 20 bis 30 Tagen an die Möbelhersteller beglich.

Die Möbelhersteller verpflichteten sich ihrerseits, der Klägerin eine "Verbandsabgabe" in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes der mit den Anschlusshäusern getätigten Umsätze (abzüglich Skonti) zu gewähren. Daneben war für die Rechnungsregulierung eine weitere umsatzabhängige Vergütung zu zahlen ("Zentralregulierungsgebühr"). Beide von den Möbelherstellern zu entrichtenden Vergütungen behielt die T vom jeweiligen Rechnungsbetrag ein. Mit der Klägerin rechnete die T 14-tägig ab und schrieb ihr die Verbandsabgabe gut. Daneben erhielt die Klägerin einen Anteil an der Zentralregulierungsgebühr.

Die Klägerin meint, ihr Anspruch auf die "Verbandsabgabe" sei nicht schon im Zeitpunkt des jeweiligen Vertragsabschlusses bzw. der Lieferung der Möbelhersteller an die Anschlusshäuser zu aktivieren, vielmehr sei eine Gewinnrealisierung erst mit der späteren Regulierung durch die damit beauftragte T anzunehmen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) vertrat im Anschluss an eine Außenprüfung hingegen die Auffassung, dass die Ansprüche auf die Verbandsabgabe jedenfalls mit der Lieferung der Waren durch die Hersteller an die Anschlusshäuser realisiert und somit zu aktivieren seien. Auf dieser Grundlage erließ er entsprechende Steuerbescheide.

Die hiergegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Auf die in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 214 abgedruckten Entscheidungsgründe wird verwiesen.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 des Handelsgesetzbuchs (HGB), § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Sie beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die (während des Revisionsverfahrens erlassenen) Bescheide über Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag 1995 und 1997 vom 3. November 2003 und den Bescheid auf den 1. Januar 1996 über den Einheitswert des Betriebsvermögens vom 8. Mai 2000 - wie von ihr beziffert - zu ändern.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Das angefochtene Urteil des FG ist, soweit es über die Bescheide über Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag 1995 vom 8. Mai 2000 und Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag 1997 vom 10. Juli 2003 entschieden hat, aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. An die Stelle dieser Bescheide sind während des Revisionsverfahrens Änderungsbescheide vom 3. November 2003 getreten. Soweit dem FG-Urteil nicht mehr existierende Bescheide zugrunde liegen, kann es keinen Bestand haben (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28. August 2003 IV R 20/02, BFHE 203, 143, BStBl II 2004, 10).

Die Bescheide über Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag vom 3. November 2003 sind gemäß § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden. Nachdem sich hinsichtlich der vorliegend streitigen Punkte keine Änderungen ergeben haben und die Klägerin auch keinen weiter gehenden Antrag gestellt hat, bedarf es keiner Zurückverweisung der Sache an das FG gemäß § 127 FGO. Das finanzgerichtliche Verfahren leidet an keinem Verfahrensmangel. Die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen sind nicht entfallen. Sie bilden unverändert die Grundlage für die Entscheidung des erkennenden Senats (BFH-Urteil in BFHE 203, 143, BStBl II 2004, 10). Diese kann in der Sache selbst ergehen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).

Hinsichtlich Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag 1995 und 1997 ist die Klage unbegründet und war daher abzuweisen. Im Übrigen ist die Revision unbegründet und war zurückzuweisen. Das FG hat in der Sache zu Recht entschieden, dass die Ansprüche der Klägerin auf die jeweilige Verbandsabgabe mit der erfolgten Vertragsvermittlung realisiert und zu aktivieren sind.

1. Gemäß § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG hat die Klägerin in ihren Bilanzen das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) auszuweisen ist. Die "handelsrechtlichen" GoB ergeben sich u.a. aus den Bestimmungen des Ersten Abschnitts des Dritten Buchs "Vorschriften für alle Kaufleute" der §§ 238 ff. HGB. Nach § 240 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1, § 242 Abs. 1, § 246 Abs. 1 HGB hat der Kaufmann in seine Bilanz für den Schluss eines Geschäftsjahres u.a. seine Vermögensgegenstände und damit seine Forderungen vollständig aufzunehmen.

2. Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sind u.a. auszuweisen, wenn die für die Entstehung wesentlichen wirtschaftlichen Ursachen im abgelaufenen Geschäftsjahr gesetzt worden sind und der Kaufmann mit der künftigen rechtlichen Entstehung des Anspruchs fest rechnen kann (BFH-Urteile vom 8. November 2000 I R 10/98, BFHE 193, 406, BStBl II 2001, 349, m.w.N.; vom 12. Mai 1993 XI R 1/93, BFHE 171, 448, BStBl II 1993, 786, m.w.N.; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, Kommentar zum HGB, AktG, GmbHG, PublG nach den Vorschriften des Bilanzrichtlinien-Gesetzes, 6. Aufl., HGB § 246 Rn. 172, 175; Ellrott/St. Ring in Beck'scher Bilanz-Kommentar, 5. Aufl., § 247 HGB Rn. 80; Blümich/Schreiber, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 5 EStG Rz. 940 f.). Diese Voraussetzungen sind gegeben, wenn der Leistungsverpflichtete die von ihm geschuldete Erfüllungshandlung erbracht, d.h. seine Verpflichtung "wirtschaftlich erfüllt" hat, so dass dem Schuldner der Gegenleistung die Einrede des nicht erfüllten Vertrags gemäß § 320 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nicht mehr zusteht. Damit ist dem Leistenden der Anspruch auf die Gegenleistung (die Zahlung) so gut wie sicher. Sein Zahlungsrisiko reduziert sich darauf, dass der Empfänger im Einzelfall Gewährleistungsansprüche geltend macht oder sich als zahlungsunfähig erweist. Dann aber ist der Schwebezustand des zugrunde liegenden Geschäfts beendet und der Gewinn aus dieser Leistungsbeziehung realisiert (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 HGB). Ohne Bedeutung für die Gewinnrealisierung ist, ob am Bilanzstichtag die Rechnung bereits erteilt worden ist, ob die geltend gemachten Ansprüche noch abgerechnet werden müssen oder die Forderung erst nach dem Bilanzstichtag fällig wird (BFH-Urteil in BFHE 171, 448, BStBl II 1993, 786, m.w.N.; vgl. auch Ellrott/St. Ring, a.a.O., § 247 HGB Rn. 81; Blümich/Schreiber, a.a.O., § 5 EStG Rz. 940 f.; Werndl in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, 2004, § 6 Rdnr. A 84; Crezelius in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, 5. Aufl., § 5 Rn. 154; Herrmann/Heuer Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, § 5 EStG Anm. 1010; Weber-Grellet in Schmidt, Einkommensteuergesetz, 24. Aufl., § 5 Rz. 608).

3. Nach diesen Grundsätzen ist ein Anspruch auf eine Abschlussprovision zu aktivieren, sobald die Vermittlungsleistung erfüllt ist, nachdem also der vermittelte Vertrag zustande gekommen ist (BFH-Urteil vom 14. Oktober 1999 IV R 12/99, BFHE 190, 349, BStBl II 2000, 25). Nach den Feststellungen des FG stellen die vom Lieferanten zu entrichtenden Provisionen Gegenleistungen für die Schaffung der Geschäftsbeziehungen dar. Mit dem Abschluss des jeweiligen Kaufvertrags und der Vereinbarung des Leistungsentgelts, spätestens jedoch mit der Lieferung an die Anschlusshäuser ist daher auch der Provisionsanspruch der Klägerin wirtschaftlich verdient und somit realisiert. Da die Frage der Realisierung einer Forderung insbesondere von der nach ihrer Fälligkeit zu trennen ist, steht der Aktivierung der Bonusansprüche nicht die weitere Bestimmung des Lieferantenvertrages entgegen, wonach die Ansprüche auf die Verbandsabgabe "erst mit der Rechnungsregulierung entstehen". Das FG geht zu Recht davon aus, dass diese Formulierung die Abrechnung und damit die Fälligkeit der Ansprüche betrifft.

4. Entgegen der Revisionsbegründung der Klägerin ist im Streitfall auch nicht von einem einheitlichen "Leistungspaket" auszugehen mit der Folge, dass die Realisierung beider Entgeltsforderungen einheitlich erst mit der Rechnungsregulierung als letztem Leistungselement erfolgen würde, was zur Folge hätte, dass der Anspruch auf die Verbandsabgabe zuvor allenfalls als "unfertige Leistung" zu erfassen wäre. Dieser Annahme stehen die Feststellungen des FG entgegen, wonach die weitere Leistung der Klägerin in Form der Regulierung der Rechnungen, die sie auf die T übertragen hat, von der eigentlichen Vermittlungsleistung zu trennen ist (vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 190, 349, BStBl II 2000, 25). Diese Feststellungen des FG beruhen auf seiner Auslegung der Lieferantenverträge zwischen der Klägerin und den Möbelherstellern. Die Vertragsauslegung obliegt dem FG als Tatsacheninstanz. Vorliegend entspricht sie den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB und verstößt nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze. Sie ist jedenfalls möglich und damit für den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindend (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 5. Mai 1999 XI R 6/98, BFHE 188, 415, BStBl II 1999, 735; BFH-Beschlüsse vom 29. November 2002 VIII B 127/02, BFH/NV 2003, 746; vom 26. Juni 2002 IX B 119/01, BFH/NV 2002, 1469; Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 118 Rz. 24). Insbesondere durfte das FG darauf abstellen, dass die Regulierungsleistung der Klägerin in den Verträgen eine gesonderte Regelung findet und durch eine besondere Vergütung abgegolten wird. Dabei hat das FG andererseits den von der Klägerin geltend gemachten wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen den der Verbandsabgabe und der Regulierungsgebühr zugrunde liegenden Leistungen ausdrücklich einbezogen und auch nicht verkannt, dass beide "paketweise" angeboten werden. Im Übrigen sind diese Feststellungen des FG von der Klägerin im Revisionsverfahren nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen worden (§ 118 Abs. 2 FGO).

Ist somit von unterschiedlichen Leistungen auszugehen, so hindert eine spätere Realisierung der sich aus der Rechnungsregulierung ergebenden Vergütung nicht eine vorangehende Realisierung der Verbandsabgabe als Vergütungsanspruch aus der zugrunde liegenden bereits erfolgten Vertragsvermittlung. Die entsprechenden Vergütungsansprüche waren deshalb an den Bilanzstichtagen der Streitjahre zu aktivieren. Die Rechtsfolge hinsichtlich des Einheitswerts des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1996 folgt aus §§ 95 Abs. 1, 109 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes. Entsprechend war die Vorentscheidung inhaltlich zu bestätigen.