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BFH-Urteil vom 16.11.2005 (VI R 64/04) BStBl. 2006 II S. 410

1. Eine mit Hilfe eines Computerprogramms erzeugte Datei genügt den Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch nur dann, wenn nachträgliche Veränderungen an den zu einem früheren Zeitpunkt eingegebenen Daten nach der Funktionsweise des verwendeten Programms technisch ausgeschlossen sind oder in ihrer Reichweite in der Datei selbst dokumentiert und offen gelegt werden.

2. Kann der Arbeitnehmer den ihm überlassenen Dienstwagen auch privat nutzen und wird über die Nutzung des Dienstwagens ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch nicht geführt, so ist der zu versteuernde geldwerte Vorteil nach der 1 v.H.-Regelung zu bewerten. Eine Schätzung des Privatanteils anhand anderer Aufzeichnungen kommt nicht in Betracht.

EStG § 8 Abs. 2 Sätze 2 bis 4, § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2.

Vorinstanz: FG Düsseldorf vom 21. September 2004 9 K 1073/04 H(L)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, stellte ihren beiden Geschäftsführern in den Jahren 2000 bis 2003 firmeneigene Kraftfahrzeuge zur Verfügung. Zur Ermittlung der auf Privatfahrten sowie auf Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte entfallenden Anteile an der Gesamtnutzung der Fahrzeuge bedienten sich die Geschäftsführer des von dem Softwarehersteller Microsoft vertriebenen Tabellenkalkulationsprogramms MS-Excel. Die erzeugten Dateien enthalten zeilenweise fortlaufend für jede einzelne Fahrt Angaben zu Wochentag, Datum, Anlass der Fahrt (privat, Fahrten zwischen Wohnung und Betrieb, geschäftlich) mit der jeweils zurückgelegten Streckenlänge sowie den am Ende der Fahrt sich ergebenden Kilometerstand. Die den nachträglich erstellten Einträgen zugrunde liegenden Aufzeichnungen wie Terminkalender und ähnliche Notizen wurden vernichtet. Bei den Lohnabrechnungen erfasste die Klägerin als geldwerten Nutzungsvorteil den anhand der eingegebenen Daten errechneten Betrag.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) gelangte anlässlich einer Lohnsteuer-Außenprüfung zu der Auffassung, die (ausgedruckten) Excel-Dateien stellten kein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch i.S. des § 8 Abs. 2 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) dar. Er ermittelte den geldwerten Vorteil daher nach der sog. 1 v.H.-Regelung und nahm die Klägerin gemäß § 42d EStG für Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag in Höhe von 11.953 DM in Haftung.

Die Klage gegen den Haftungsbescheid blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) schloss sich der Ansicht des FA an, ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch erfordere fortlaufende Aufzeichnungen, die nachträglich nicht beliebig und ohne hinreichende Dokumentation abänderbar sein dürften. Bei der Software Excel genüge die bloße Änderung einer Zahl oder einer Rechenformel, um alle weiteren Daten neu berechnen und entsprechend anzeigen und ausdrucken zu können. Auf diese Weise könnten zu einem späteren Zeitpunkt Fahrten eingefügt oder in ihrer Länge verändert werden, um dadurch etwaige Unstimmigkeiten mit vorhandenen Belegen (etwa mit Inspektionsrechnungen oder ähnlichen Dokumenten) zu beseitigen. Zwar seien derartige Manipulationen auch bei handschriftlich geführten Fahrtenbüchern nicht völlig auszuschließen; sie erforderten indessen einen erheblich höheren Aufwand und seien zudem eher als Fälschung erkennbar. Lägen nach diesen Maßstäben keine ordnungsgemäßen Aufzeichnungen vor, sei nach Wortlaut, Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung eine von der 1 v.H.-Regelung abweichende Schätzung des Privatanteils nicht möglich. Das Urteil des FG ist in Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst (DStRE) 2005, 1433 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt die Klägerin sinngemäß eine Verletzung von § 8 Abs. 2 Satz 4 EStG. Ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch erfordere nur dessen materielle Richtigkeit und Überprüfbarkeit. Die restriktive Auslegung des FG entbehre einer vernünftigen Begründung und mache das Führen eines Fahrtenbuchs zum Selbstzweck statt zum Hilfsmittel einer materiell zutreffenden Besteuerung. Das Gesetz verstoße zudem gegen europäisches Gemeinschaftsrecht, weil Angehörige anderer Staaten der Europäischen Union ein Fahrtenbuch nicht ganzjährig zeitnah führen könnten und damit auf die 1 v.H.-Regelung verwiesen werden müssten.

Die Klägerin beantragt, das Urteil der Vorinstanz sowie die Einspruchsentscheidung und den Haftungsbescheid aufzuheben.

Das FA tritt der Revision entgegen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision hat keinen Erfolg. Wie das FG im Ergebnis zu Recht entschieden hat, verletzt der angegriffene Lohnsteuer-Haftungsbescheid die Klägerin nicht in ihren Rechten.

1. Ist wegen der Befugnis, einen Dienstwagen auch privat zu nutzen, ein geldwerter Vorteil anzusetzen, so ist dessen Höhe nach der 1 v.H.-Regelung zu bewerten, sofern nicht das Verhältnis der privaten Fahrten zu den übrigen Fahrten durch ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch nachgewiesen wird (§ 8 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG).

Der Begriff des ordnungsgemäßen Fahrtenbuchs ist gesetzlich nicht näher bestimmt. Aus dem Wortlaut und aus dem Sinn und Zweck der Regelung folgt allerdings, dass die dem Nachweis des zu versteuernden Privatanteils (Privatfahrten einschließlich der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte) an der Gesamtfahrleistung dienenden Aufzeichnungen eine hinreichende Gewähr für ihre Vollständigkeit und Richtigkeit bieten und mit vertretbarem Aufwand auf ihre materielle Richtigkeit hin überprüfbar sein müssen. Dazu gehört auch, dass das Fahrtenbuch zeitnah und in geschlossener Form geführt worden ist. Eine mit Hilfe eines Computerprogramms erzeugte Datei genügt diesen Anforderungen nur dann, wenn nachträgliche Veränderungen an den zu einem früheren Zeitpunkt eingegebenen Daten nach der Funktionsweise des verwendeten Programms technisch ausgeschlossen sind oder zumindest in ihrer Reichweite in der Datei selbst dokumentiert und offen gelegt werden.

a) Die genannten Anforderungen lassen sich in ihren wesentlichen Zügen bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes herleiten.

Danach erfüllt ein "Fahrten"-Buch als Eigenbeleg des Fahrzeugführers begrifflich die Aufgabe, über die mit einem Fahrzeug unternommenen Fahrten Rechenschaft abzulegen. Da die dabei zu führenden Aufzeichnungen eine "buch"-förmige äußere Gestalt aufweisen sollen, verlangt der allgemeine Sprachgebrauch des Weiteren, dass die erforderlichen Angaben in einer gebundenen oder jedenfalls in einer in sich geschlossenen Form festgehalten werden müssen, die nachträgliche Einfügungen oder Veränderungen ausschließt oder zumindest deutlich als solche erkennbar werden lässt. Eine lose Ansammlung einzelner Daten ohne äußeren Zusammenhang kann daher schon in begrifflicher Hinsicht kein "Fahrtenbuch" sein.

Daraus, dass die erfassten Daten untereinander "ordnungsgemäß" in der vorgenannten Buchform zu verbinden sind, lässt sich zudem entnehmen, dass das Fahrtenbuch die Fahrten geordnet und in ihrem fortlaufenden zeitlichen Zusammenhang wiedergeben muss. Außerdem müssen die geführten Aufzeichnungen eine ordentliche und damit im Wesentlichen eine übersichtliche äußere Form aufweisen.

b) Aus Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung ergibt sich ferner, dass ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch nicht nur fortlaufend in einer geordneten und geschlossenen äußeren Form, sondern vor allem auch zeitnah zu führen ist.

Ziel ordnungsgemäßer Aufzeichnungen muss es sein, die unzutreffende Zuordnung einzelner Privatfahrten zum beruflichen Nutzungsanteil wie auch deren gänzliche Nichtberücksichtigung im Fahrtenbuch möglichst auszuschließen. Dieser Anforderung wird nur die fortlaufende und zeitnahe Erfassung der Fahrten in einem geschlossenen Verzeichnis gerecht, das aufgrund seiner äußeren Gestaltung geeignet ist, jedenfalls im Regelfall nachträgliche Abänderungen, Streichungen und Ergänzungen als solche kenntlich werden zu lassen.

c) Nach diesen Maßstäben ist eine mittels eines Computerprogramms erzeugte Datei, an deren bereits eingegebenem Datenbestand zu einem späteren Zeitpunkt noch Veränderungen vorgenommen werden können, ohne dass die Reichweite dieser Änderungen in der Datei selbst dokumentiert und bei gewöhnlicher Einsichtnahme in die Datei offen gelegt wird, kein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch. Das gilt auch dann, wenn die einzelnen Eintragungen in der Computerdatei unmittelbar im Anschluss an die jeweilige Fahrt vorgenommen worden sein sollten. Eine solche Aufzeichnungsmethode ist nicht geeignet, den fortlaufenden und lückenlosen Charakter der Angaben und ihre zeitnahe Erfassung mit hinreichender Zuverlässigkeit zu belegen. Der auf diese Weise erzeugte Datenbestand ist kein in sich geschlossenes Verzeichnis und damit auch kein Fahrten-"Buch" i.S. des § 8 Abs. 2 Satz 4 EStG (gleicher Ansicht: Niedersächsisches FG, Urteil vom 5. Mai 2004 2 K 636/01, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2004, 1817; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Februar 2002 2 K 235/00, EFG 2002, 667; Adamek in Bordewin/Brandt, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 8 Rz. 153; Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort: Kraftfahrzeuggestellung, Rz. 41; vgl. auch Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen - BMF - vom 28. Mai 1996 IV B 6 -S 2334- 173/96, BStBl I 1996, 654, unter II. 1., und H 31 (9-10) "Elektronisches Fahrtenbuch" der Lohnsteuer-Richtlinien - LStR - seit 2000; anderer Auffassung: Büchter-Hole, Anmerkung in EFG 2002, 668).

2. Die Entscheidung des FG, den streitbefangenen Aufzeichnungen die Anerkennung als ordnungsgemäße Fahrtenbücher i.S. von § 8 Abs. 2 Satz 4 EStG zu versagen, entspricht diesen Grundsätzen.

Das von dem Hersteller Microsoft entwickelte Programm MS-Excel eröffnet dem Anwender nach den Feststellungen des FG die Möglichkeit zu einer nachträglichen Veränderung bereits eingegebener Daten, deren Reichweite in der Datei selbst nicht näher dokumentiert wird. Wie das FG dabei zu Recht hervorgehoben hat, können die Eintragungen dadurch zu einem späteren Zeitpunkt ohne größeren Aufwand an praktisch jedes gewünschte Ergebnis angepasst werden. Der Ausdruck einer solchen Datei ist deshalb zum Nachweis der Vollständigkeit und Richtigkeit der erforderlichen Angaben nicht geeignet.

Die Klägerin hätte den geldwerten Vorteil ihrer Geschäftsführer aus der Privatnutzung der gestellten Dienstwagen daher zwingend nach der 1 v.H.-Regelung (§ 8 Abs. 2 Sätze 2 und 3 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG) berechnen müssen. Das FA war gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG berechtigt, die Klägerin für die zu Unrecht zu niedrig einbehaltene Lohnsteuer in Haftung zu nehmen.

Für eine freie Schätzung des Anteils der Privatnutzung an der Gesamtfahrleistung, wie sie noch bis zum Veranlagungszeitraum 1995 zulässig war (vgl. Abschn. 31 Abs. 7 Satz 3 Nr. 3 LStR 1993), ist seit der Änderung des § 8 Abs. 2 EStG durch das Jahressteuergesetz (JStG) 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438) kein Raum mehr. Gleiches gilt nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Vorschrift des § 8 Abs. 2 Sätze 2 und 4 EStG für eine Schätzung, die sich an den Angaben des Steuerpflichtigen in einem Fahrtenbuch orientiert, das sich im Besteuerungs- oder im Klageverfahren als nicht ordnungsgemäß herausgestellt hat (FG Baden-Württemberg in EFG 2002, 667; Adamek in Bordewin/Brandt, a.a.O., § 8 Rz. 153; Kirchhof, KompaktKommentar, Einkommensteuergesetz, 5. Aufl., § 8 Rn. 54; anderer Auffassung: Dürr in Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 8 Rz. 164; Küttner/Thomas, Personalbuch 2005, Stichwort "Dienstwagen", Rz. 23; für § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG auch Kanzler, Anmerkung in Finanz-Rundschau 2000, 398; Korn/Strahl, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 6 Rz. 406).