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BFH-Urteil vom 11.1.2006 (II R 12/04) BStBl. 2006 II S. 615

Für die Bewertung eines Zweifamilienhauses im Ertragswertverfahren oder Sachwertverfahren ist entscheidend, ob aus der Sicht des Hauptfeststellungszeitpunkts das Haus sich i.S. des § 76 Abs. 3 Nr. 1 BewG von den nach § 76 Abs. 1 BewG zu bewertenden Zweifamilienhäusern wesentlich unterscheidet.

BewG § 76 Abs. 3 Nr. 1.

Vorinstanz: Hessisches Finanzgericht vom 10. Oktober 2002 3 K 4068/99 (EFG 2004, 965)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Eigentümerin eines 867 qm großen Grundstücks, das in den Jahren 1978/1979 mit einem Zweifamilienhaus bebaut und dessen Einheitswert im Sachwertverfahren durch bestandskräftigen Einheitswertbescheid auf 338.600 DM festgestellt wurde. Die Wohnfläche der Hauptwohnung beträgt 206 qm, die der Wohnung im Obergeschoss 73 qm. Im Kellergeschoss des Hauses wurde ein Schwimmbad mit 26 qm Wasseroberfläche eingerichtet. Im Erdgeschoss befindet sich eine Diele, die ohne Wandabgrenzung zu einem erhöht liegenden ca. 60 qm großen Wohnraum führt. Dieser ist bis zum Dachfirst ausgebaut und an der Westseite vollständig verglast. Im Inneren des Wohnraums und auf gleicher Höhe an der Außenwand zur Terrasse befindet sich jeweils ein offener, mit Natursteinen verkleideter Kamin.

Den Antrag der Klägerin auf fehlerberichtigende Wertfortschreibung des Einheitswerts im Ertragswertverfahren lehnte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) mit Bescheid vom 26. April 1999 ab. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Der dagegen erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 965 veröffentlichten Urteil im Wesentlichen statt und verpflichtete das FA, den Einheitswert unter Anwendung des Ertragswertverfahrens auf 101.900 DM herabzusetzen. Das Gebäude der Klägerin verfüge zwar über besondere Ausstattungsmerkmale, die nach den Verhältnissen im Hauptfeststellungszeitpunkt zur Bewertung im Sachwertverfahren führten. Unter Berücksichtigung der Verbesserung der Bauqualität und der Wohnverhältnisse in der Zeit nach dem Hauptfeststellungszeitpunkt unterscheide sich das Gebäude der Klägerin aber nicht von zeitgleich gebauten Objekten, die in der gleichen Gemeinde im Ertragswertverfahren bewertet worden seien.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung der §§ 27 und 76 Abs. 3 Nr. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG). Das FG habe die Maßgeblichkeit der Verhältnisse im Hauptfeststellungszeitpunkt nicht beachtet.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat zu Unrecht einen Anspruch der Klägerin auf Wertfortschreibung im Ertragswertverfahren bejaht.

1. Nach § 76 Abs. 1 BewG ist der Wert eines Zweifamilienhausgrundstücks grundsätzlich im Ertragswertverfahren zu ermitteln. Abweichend davon ist jedoch nach § 76 Abs. 3 Nr. 1 BewG das Sachwertverfahren bei Zweifamilienhäusern anzuwenden, die sich durch besondere Gestaltung oder eine besondere Ausstattung wesentlich von den nach § 76 Abs. 1 BewG zu bewertenden Zweifamilienhäusern unterscheiden.

a) Das FG hat rechtsfehlerhaft angenommen, dass über die Frage der "wesentlichen Unterscheidung" (§ 76 Abs. 3 Nr. 1 BewG) eines Objekts von den nach § 76 Abs. 1 BewG zu bewertenden Zweifamilienhäusern unter Berücksichtigung von zeitgleich gebauten und im Ertragswertverfahren bewerteten Objekten zu entscheiden ist.

Ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 76 Abs. 3 Nr. 1 BewG für die Bewertung im Sachwertverfahren vorliegen, ist eine Frage der Wertverhältnisse. Für diese ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (Urteil vom 21. Oktober 1987 II R 26/87, BFHE 151, 88, BStBl II 1987, 841; zuletzt BFH-Beschluss vom 22. Juli 2005 II B 121/04, BFH/NV 2005, 1979) auf die Wertverhältnisse im Hauptfeststellungszeitpunkt (1. Januar 1964) des § 27 BewG abzustellen. Auch das Merkmal der wesentlichen Unterscheidung i.S. des § 76 Abs. 3 Nr. 1 BewG ist an den Wertverhältnissen des 1. Januar 1964 auszurichten. Allein die im Zeitraum nach dem Hauptfeststellungszeitpunkt eingetretene Verbesserung der Wohnqualität und der Wohnverhältnisse rechtfertigt nicht den Übergang vom Sachwert- auf das Ertragswertverfahren im Wege einer fehlerbeseitigenden Wertfortschreibung.

b) Ein Anspruch auf Wertfortschreibung ergibt sich auch nicht daraus, dass mit dem Zweifamilienhaus der Klägerin nach Meinung des FG im Wesentlichen vergleichbare Objekte vom FA im Ertragswertverfahren bewertet worden sind. Dabei kann offen bleiben, ob die von der Klägerin benannten Vergleichsobjekte tatsächlich im Ertragswertverfahren bewertet worden sind. Denn der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) gewährt keinen Anspruch auf Anwendung einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis. Eine "Gleichheit im Unrecht" gibt es nicht (vgl. BFH-Entscheidungen vom 20. Juni 1989 VIII R 82/86, BFHE 156, 543, BStBl II 1989, 836; vom 18. Juli 2002 V B 112/01, BFHE 199, 77, BStBl II 2003, 675). Auch etwaige Ungleichmäßigkeiten bei der Feststellung der Einheitswerte im Ertragswertverfahren führen nicht zur Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit der maßgebenden Vorschriften über die Einheitsbewertung (BFH-Urteil vom 2. Februar 2005 II R 36/03, BFHE 209, 138, BStBl II 2005, 428).

Die Vorentscheidung war wegen der vorstehend bezeichneten Rechtsfehler aufzuheben.

2. Die Sache ist spruchreif. Das FA hat zutreffend eine fehlerbeseitigende Wertfortschreibung abgelehnt. Nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt und der von ihm (nach den Verhältnissen zum 1. Januar 1964) vorgenommenen Gesamtwürdigung, an die der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, liegen die Voraussetzungen einer Bewertung im Sachwertverfahren vor.

a) Zur Ausfüllung der in § 76 Abs. 3 Satz 1 BewG verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe "besondere Gestaltung", "besondere Ausstattung" und "wesentliche Unterscheidung" bedarf es zunächst der Feststellung, ob das zu beurteilende Objekt -gemessen an den Verhältnissen im Hauptfeststellungszeitpunkt- besondere Gestaltungs- oder Ausstattungsmerkmale aufweist, die es von der Mehrzahl der Zweifamilienhäuser unterscheidet. Sodann ist in einem weiteren gedanklichen Schritt abzuwägen, ob diese Merkmale zu einer wesentlichen Unterscheidung führen. Beide Subsumtionsschritte verlangen jeweils eine Wertung (BFH-Urteile vom 11. November 1998 II R 17/97, BFH/NV 1999, 593; vom 7. November 2000 II R 45/99, BFH/NV 2001, 583).

b) Das FG ist in Anwendung dieser Rechtsgrundsätze und auf der Grundlage der -von ihm zu Unrecht als letztlich nicht maßgeblich angesehenen- Verhältnisse zum Hauptfeststellungszeitpunkt ausdrücklich zum Ergebnis gelangt, der Wert des Objekts der Klägerin sei im Sachwertverfahren zu ermitteln. Dies ergebe sich aus den besonderen Ausstattungsmerkmalen des Objekts (Schwimmbad, Treppen in Naturstein, Isolierverglasung, teilweise eingebaute Wandschränke, Fußböden aus Solnhofer Platten und zwei offene Kamine in Naturstein) sowie aus der Größe und Gestaltung des Wohnzimmers.

Diese Gesamtwürdigung des FG und seine daraus gezogene Schlussfolgerung, dass die festgestellten Ausstattungs- und Gestaltungsmerkmale das streitbefangene Gebäude in ihrer Gesamtheit deutlich von der Masse der Zweifamilienhäuser abheben und den Wohnwert des Hauses in besonderem Maße erhöhen (vgl. BFH-Urteil vom 27. April 1978 III R 6/77, BFHE 125, 290, BStBl II 1978, 523), ist nach Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungssätzen möglich (vgl. BFH-Urteile vom 7. Juli 2004 II R 77/01, BFH/NV 2005, 73; vom 6. November 2001 IX R 97/00, BFHE 197, 151, BStBl II 2002, 726, m.w.N.). Sie steht - anders als die Klägerin meint - wegen der vom FG festgestellten besonderen Größe und Gestaltung des Wohnzimmers auch nicht im Widerspruch zu dem Urteil des BFH in BFH/NV 2001, 583, weil in dem dort entschiedenen Fall kein besonderes Gestaltungsmerkmal festgestellt war. Die Gesamtwürdigung des FG ist daher, da sie mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen nicht angegriffen ist, für das Revisionsgericht bindend (§ 118 Abs. 2 FGO).