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BFH-Beschluss vom 27.6.2006 (V B 143/05) BStBl. 2006 II S. 732

Für die Anwendbarkeit der Regelung zur Berechnung der abziehbaren Vorsteuerbeträge nach Durchschnittssätzen gemäß § 23a UStG ist im ersten Kalenderjahr der unternehmerischen Betätigung der voraussichtliche Umsatz dieses Jahres maßgebend.

UStG 1999 § 23a; Richtlinie 77/388/EWG Art. 24 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg vom 30. Juni 2005 10 K 270/03

Sachverhalt

I.

Streitig ist, ob der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), ein nicht eingetragener Verein, im Gründungsjahr die abziehbaren Vorsteuerbeträge nach § 23a des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) pauschal mit dem Durchschnittssatz von 7 v.H. des steuerpflichtigen Umsatzes ansetzen kann.

Der Kläger wurde im Sommer 2002 gegründet. Er unterliegt nicht der Buchführungspflicht. Satzungsmäßiger Zweck ist die finanzielle Unterstützung ... sowie die Förderung der Kultur. Er ist als eine Körperschaft i.S. des § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) anerkannt.

Am 3. September 2002 veranstaltete der Kläger ein Benefizkonzert, bei dem er Entgelte in Höhe von 141.799 € erzielte. In der Umsatzsteuer-Voranmeldung für September 2002 stellte der Kläger der Umsatzsteuer aus den Erlösen (7 v.H. von 141.799 € = 9.925,93 €) abziehbare Vorsteuerbeträge in gleicher Höhe gemäß § 23a Abs. 1 Satz 1 UStG gegenüber, so dass sich keine Zahllast ergab.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) erkannte in dem Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für September 2002 und in dem nachfolgenden Umsatzsteuerbescheid für 2002 (Streitjahr) vom 16. Juni 2004 den pauschalen Vorsteuerabzug nicht an. Er berücksichtigte lediglich die tatsächlich angefallenen Vorsteuerbeträge in Höhe von zusammen 5.646,80 € und errechnete eine Zahllast in Höhe von 4.279,13 € (9.925,93 € abzüglich 5.646,80 €).

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung aus, nach § 23a Abs. 2 UStG könne der Unternehmer, dessen steuerpflichtiger Umsatz, mit Ausnahme der Einfuhr, im vorangegangenen Kalenderjahr 30.678 € überstiegen habe, den Durchschnittssatz nicht in Anspruch nehmen. Der Kläger habe seine unternehmerische Tätigkeit jedoch erst im Gründungsjahr 2002 aufgenommen, so dass auf den steuerpflichtigen Umsatz des Vorjahres nicht zurückgegriffen werden könne. Bei Aufnahme der unternehmerischen Tätigkeit innerhalb des laufenden Kalenderjahres sei deshalb der voraussichtliche Umsatz dieses Kalenderjahres maßgebend.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Er beantragt, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sowie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2  2. Alternative FGO zuzulassen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.

1. Die Revision kann nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen werden.

a) Der Kläger misst der Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung zu, "ob § 23a Abs. 2 UStG im Gründungsjahr der begünstigten Körperschaft die Anwendung des Durchschnittssatzes auszuschließen vermag, obwohl im vorangegangenen Kalenderjahr kein steuerpflichtiger Umsatz vorlag und der Umsatz im vorangegangenen Kalenderjahr den in § 23a Abs. 2 UStG genannten Betrag von 30.678 € mithin nicht überstiegen hat".

Er trägt zur Begründung vor, die Frage sei - außer in dem angefochtenen Urteil - in der Rechtsprechung bisher noch nicht behandelt worden. Das vom FG zur Stützung seiner Rechtsauffassung herangezogene Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19. Februar 1976 V R 23/73 (BFHE 118, 483, BStBl II 1976, 400) sei zu § 19 UStG ergangen und angesichts des unterschiedlichen Wortlauts der Vorschriften nicht auf § 23a UStG anwendbar. Auch in der Literatur finde sich keine überzeugende Begründung für die mit dem Wortlaut des § 23a Abs. 2 UStG nicht vereinbare Ansicht, in Neugründungsfällen hänge die Anwendbarkeit des § 23a Abs. 1 UStG vom voraussichtlichen Umsatz im Gründungsjahr ab.

b) Dieses Vorbringen rechtfertigt eine Zulassung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO nicht.

aa) "Grundsätzliche Bedeutung" i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO kommt einer Rechtssache zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalles maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 21. April 1999 I B 99/98, BFHE 188, 372, BStBl II 2000, 254; vom 29. April 2004 V B 43/03, BFH/NV 2004, 1303).

Die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO kommt lediglich wegen einer Rechtsfrage in Betracht, die klärungsbedürftig und im Revisionsverfahren klärbar ist. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn sich die Antwort auf die streitige Rechtsfrage ohne weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG getan hat, die Rechtslage also eindeutig ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 8. Oktober 1996 V B 40/96, BFH/NV 1997, 446; vom 18. Januar 2005 V B 24/04, juris). So liegt es im Streitfall.

bb) Nach § 23a Abs. 2 UStG in der im Streitjahr (2002) geltenden Fassung, kann der Unternehmer, dessen steuerpflichtiger Umsatz, mit Ausnahme der Einfuhr, im vorangegangenen Kalenderjahr 30.678 € überstiegen hat, den Durchschnittssatz nicht in Anspruch nehmen.

Der Gesetzgeber hat keine Regelung für Unternehmungsgründungen innerhalb des laufenden Kalenderjahrs getroffen. In diesen Fällen des Beginns einer selbständigen gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit - in denen nicht auf den Umsatz im vorangegangenen Kalenderjahr zurückgegriffen werden kann - ist im ersten Kalenderjahr der unternehmerischen Betätigung der voraussichtliche Umsatz dieses Jahres maßgebend. Dies hat der BFH bereits für die Anwendung der Kleinunternehmerregelung in § 19 UStG im Fall des Beginns einer selbständigen gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit entschieden (vgl. BFH-Urteil in BFHE 118, 483, BStBl II 1976, 400) und gilt auch für § 23a UStG, wie auch in der Literatur einhellig vertreten wird (vgl. Stadie in Rau/ Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 23a Rz. 9; Birkenfeld, Umsatzsteuer-Handbuch, § 229 Rz. 37; Radeisen in Vogel/Schwarz, UStG, § 23a Rz. 8; Püschner in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 23a Rz. 21 i.V.m. § 23 Rz. 36; Waza in Offerhaus/Söhn/Lange, Umsatzsteuer, § 23a Rz. 18; Lippross, Umsatzsteuer, 21. Aufl. 2005, S. 814; wohl auch Wagner in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 23a Rz. 4).

Diese Auslegung ist nach dem Sinn des § 23a UStG geboten. Die Vorschrift soll - wie sich aus der Umsatzgrenze in § 23a Abs. 2 UStG ergibt - nur für kleinere gemeinnützige Körperschaften gelten. Sie soll nach der Gesetzesbegründung "für kleinere gemeinnützige Körperschaften die Ermittlung der abziehbaren Vorsteuerbeträge wesentlich erleichter(n)" (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 15. Februar 1989 zum "Gesetz zur Verbesserung und Vereinfachung der Vereinsbesteuerung (Vereinsförderungsgesetz)", BTDrucks 11/4176, S. 13, abgedruckt in Umsatzsteuer-Rundschau 1990, 44, 45). Mit diesem Sinn des § 23a UStG wäre es unvereinbar, wenn die Vorschrift im Fall der Aufnahme der unternehmerischen Tätigkeit im ersten Kalenderjahr der unternehmerischen Tätigkeit unabhängig von der in § 23a Abs. 2 UStG vorgesehenen Umsatzgrenze anwendbar wäre.

Diese Beschränkung des § 23a UStG auf Kleinunternehmen folgt auch aus Art. 24 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG). Die Bestimmung sieht unter der Überschrift "Sonderregelung für Kleinunternehmen" vor, dass Mitgliedstaaten, in denen die normale Besteuerung von "Kleinunternehmen" wegen deren Tätigkeit oder Struktur auf Schwierigkeiten stoßen würde, unter den von ihnen festgelegten Beschränkungen und Voraussetzungen - vorbehaltlich der Konsultation nach Art. 29 der Richtlinie 77/388/EWG - vereinfachte Modalitäten für die Besteuerung und Steuererhebung, insbesondere Pauschalregelungen, anwenden dürfen, die jedoch nicht zu einer Steuerermäßigung führen dürfen. Auf dieser Bestimmung beruht § 23a UStG (vgl. Stadie, a.a.O., Rz. 6; Wagner, a.a.O., Rz. 1; Waza, a.a.O., Rz. 11).

2. Aus den vorstehenden Darlegungen ergibt sich, dass entgegen der Ansicht des Klägers auch die Voraussetzungen einer Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2  2. Alternative FGO nicht vorliegen.

Angesichts der Eindeutigkeit der Rechtslage erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des BFH in dem vom Kläger angestrebten Revisionsverfahren.