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BFH-Urteil vom 7.9.2006 (V R 6/05) BStBl. 2007 II S. 148

1. Ein Testamentsvollstrecker, der über einen längeren Zeitraum eine Vielzahl von Handlungen vornimmt, wird regelmäßig nachhaltig und damit unternehmerisch tätig; dies gilt auch bei einer "Auseinandersetzungs-Testamentsvollstreckung" (Anschluss an BFH-Urteile vom 26. September 1991 V R 1/87, BFH/NV 1992, 418, und vom 30. Mai 1996 V R 26/93, BFH/NV 1996, 938).

2. Die unternehmerische Tätigkeit eines Testamentsvollstreckers unterliegt auch dann der Umsatzsteuer, wenn sie aus privatem Anlass aufgenommen wurde; die Rechtsprechung des EuGH zur "nur gelegentlichen" Ausführung von Umsätzen durch Nutzung privater Gegenstände kann hierzu nicht erweiternd angewendet werden.

UStG 1993/1999 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 1; Richtlinie 77/388/EWG Art. 4 Abs. 3.

Vorinstanz: FG München vom 9. Dezember 2004 14 K 669/02 (EFG 2005, 644)

Sachverhalt

I.

Streitig ist, ob die Umsätze des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) in den Jahren 1997 bis 1999 (Streitjahre) aus seinen Tätigkeiten als Testamentsvollstrecker und Nachlassverwalter der Umsatzsteuer unterlagen.

Aufgrund einer betriebsnahen Veranlagung kam der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) zu dem Ergebnis, dass die - im Inland ausgeübten - Tätigkeiten des Klägers als Testamentsvollstrecker für den Nachlass K bzw. als Nachlassverwalter für den Nachlass V (37 Miterben) steuerpflichtig nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1993/1999 (UStG 1993/1999) seien. Die Tätigkeiten hätten eine Vielzahl von Einzelhandlungen des Klägers umfasst, über längere Zeit angedauert und seien mit Einnahmeerzielungsabsicht betrieben worden. Gleichzeitig berücksichtigte das FA die auf die Tätigkeiten entfallenden Vorsteuern zu Gunsten des Klägers. Neben den hier streitigen Umsätzen erzielte der Kläger außerdem Umsätze aus der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken, für die er gemäß § 9 UStG 1993/1999 auf die Steuerbefreiung verzichtete.

Nach den Feststellungen des FA hat der Kläger in den Jahren 1998 und 1999 jeweils 25.862 DM aus der Nachlassverwaltung V (Summe 51.724 DM) und im Jahr 1997 7.826 DM sowie im Jahr 1998 1.931 DM Umsätze aus der Tätigkeit als Testamentsvollstrecker des Nachlasses K (Summe 9.757 DM) erzielt. Das FA erließ jeweils am 4. April 2001 geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1997 bis 1999 und setzte die Umsatzsteuer für 1997 auf 8.163 DM (erklärt: 7.788,44 DM = 3.982,17 €), für 1998 auf 6.834 DM (erklärt: 3.371,40 DM = 1.723,77 €) und für 1999 auf 5.577 DM (erklärt: 2.135,30 DM = 1.091,76 €) fest.

Die hiergegen eingelegten Einsprüche blieben erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 644 veröffentlichte Urteil mit der Begründung statt, der Kläger habe die Tätigkeiten als Testamentsvollstrecker des Nachlasses K und die Verwaltung des Nachlasses V nur deshalb übernommen, weil er in beiden Fällen Miterbe war. In beiden Fällen sei es von vornherein um die Auseinandersetzung des Nachlassvermögens gegangen; nach diesen Tätigkeiten sei der Kläger nicht mehr als Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter tätig geworden. Zwar sei nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ein Testamentsvollstrecker grundsätzlich selbständig und nachhaltig i.S. des § 2 Abs. 1 UStG 1993/1999 tätig; die Beurteilung als "Steuerpflichtiger" aufgrund einer "wirtschaftlichen Tätigkeit" komme aber nach dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 26. September 1996 C-230/94, Enkler (Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1996, 418) nicht in Betracht, wenn die Umsätze - wie im Streitfall - für private Zwecke und damit nur gelegentlich i.S. von Art. 4 Abs. 3 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) ausgeführt würden.

Hiergegen wendet sich das FA mit seiner - vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen - Revision und macht insbesondere geltend: Die vom FG herangezogene EuGH-Rechtsprechung sei zu Umsätzen mit Gegenständen ergangen, die sowohl wirtschaftlichen wie privaten Zwecken dienen können, sie könne deshalb nicht auf den hier vorliegenden Fall von Dienstleistungen übertragen werden. Außerdem habe das FG bei seiner Entscheidung nicht die gesamten Gegebenheiten des Einzelfalls berücksichtigt, wie dies vom EuGH gefordert werde, wenn es wesentlich darauf abstelle, dass die - nicht unerheblich vergütete - Tätigkeit aus dem Umstand entstanden sei, dass der Kläger Miterbe gewesen sei.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger ist der Revision entgegengetreten und hält das Urteil des FG für zutreffend.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils des FG sowie zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Das FG hat zu Unrecht angenommen, dass die vom Kläger als Testamentsvollstrecker und Nachlassverwalter erzielten Umsätze nicht der Umsatzsteuer unterliegen.

1. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1993/1999 unterliegen u.a. die sonstigen Leistungen der Umsatzsteuer, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Streitig ist bei den Tätigkeiten des Klägers als Testamentsvollstrecker und Nachlassverwalter allein, ob er Unternehmer i.S. des § 2 UStG 1993/1999 war. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG 1993/1999 ist Unternehmer, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt; nach § 2 Abs. 1 Satz 3 UStG 1993/1999 ist gewerblich oder beruflich jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt.

a) Der Kläger war als Nachlassverwalter und Testamentsvollstrecker selbständig tätig, weil er seine Aufgaben weisungsfrei wahrgenommen hat.

b) Das hier streitige Merkmal der gewerblichen oder beruflichen, d.h. nachhaltigen Tätigkeit ist nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteile vom 24. November 1992 V R 8/89, BFHE 170, 275, BStBl II 1993, 379; vom 13. November 2003 V R 59/02, BFHE 203, 540, BStBl II 2004, 472, mit Nachweisen) aufgrund des Gesamtbildes der Verhältnisse anhand verschiedener Kriterien zu beurteilen, die im Einzelfall in unterschiedlicher Gewichtung heranzuziehen sind. Es sind u.a. zu würdigen: die Dauer und die Intensität des Tätigwerdens, die Beteiligung am Markt, die Zahl der ausgeführten Umsätze und das planmäßige Tätigwerden. An die entsprechenden tatsächlichen Feststellungen und deren Würdigung durch das FG ist der BFH als Revisionsgericht gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden. Das Revisionsgericht hat insoweit nur zu prüfen, ob dem FG bei der tatsächlichen Würdigung Rechtsverstöße unterlaufen sind.

Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass auch eine Tätigkeit als Testamentsvollstrecker und Nachlassverwalter in nur zwei Verfahren zur Auseinandersetzung eines Nachlasses eine nachhaltige Tätigkeit sein kann (vgl. BFH-Urteile vom 26. September 1991 V R 1/87, BFH/NV 1992, 418; vom 30. Mai 1996 V R 26/93, BFH/NV 1996, 938). Nachhaltigkeit ist nicht bereits deshalb zu verneinen, weil keine Verwaltungs-, sondern eine sog. Auseinandersetzungs-Testamentsvollstreckung ausgeführt wird. Insbesondere wegen der Vielzahl der vorgenommenen Handlungen über einen längeren Zeitraum ist das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise von einer nachhaltigen Tätigkeit des Klägers ausgegangen.

c) Zu Unrecht hat das FG aber angenommen, dass der Besteuerung der Umsätze des Klägers entgegenstehe, dass er sie für private Zwecke "und damit nur gelegentlich i.S. des Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG" ausgeführt habe; diese Rechtsauffassung deckt sich nicht mit den Grundsätzen zum Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer.

Der EuGH geht in ständiger Rechtsprechung vielmehr davon aus, dass Art. 4 der Richtlinie 77/388/EWG der Mehrwertsteuer einen sehr breiten Anwendungsbereich zuweist (EuGH-Urteile vom 4. Dezember 1990 Rs. C-186/89, Van Tiem, Slg. 1990, I-4363 RandNr. 17; vom 29. April 2004 Rs. C-77/01, EDM, UR 2004, 292 RandNr. 47). Allerdings muss sich der Umsatz auf eine "wirtschaftliche Tätigkeit" beziehen, was bei Zahlungen nicht der Fall ist, die auf dem bloßen Eigentum an einem Gegenstand beruhen; der Steuerpflichtige muss vielmehr "als solcher" (vgl. Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 77/388/EWG) handeln (EuGH-Urteile vom 11. Juli 1996 Rs. C-306/94, Régie dauphinoise, Slg. 1996, I-3695 RandNrn. 15, 17; vom 22. Juni 1993 Rs. C-333/91, Sofitam, Slg. 1993, I-3513 RandNr. 13; vom 14. November 2000 Rs. C-142/99, Floridienne und Berginvest, Slg. 2000, I-9567 RandNr. 26).

Da Gegenstände sowohl privaten wie unternehmerischen Tätigkeiten dienen können, kann ihre (ggf. nur beabsichtigte) Nutzung Abgrenzungsfragen hervorrufen; deshalb gehen die vom FG zitierten EuGH-Urteile (in UR 1996, 418; vom 4. Oktober 1995 Rs. C-291/92, Armbrecht, BStBl II 1996, 392) von der Nutzung bzw. der Veräußerung von Gegenständen und der Frage aus, ob diese Vorgänge privat oder unternehmerisch zu beurteilen sind. Wird der Steuerpflichtige jedoch "als solcher" - wie hier der Kläger - mit Dienstleistungen (vgl. Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG) gewerblich oder beruflich tätig, ohne dass es dabei auf die Verwendung von Gegenständen ankommt, greifen die Einschränkungen dieser EuGH-Rechtsprechung nicht ein. Dann ist es aber auch unerheblich, aus welchen Gründen - wie hier der Miterbenstellung - der Kläger die wirtschaftliche Tätigkeit aufgenommen hat (zur Testamentsvollstreckung als Leistungsaustausch zwischen Gesellschaft und Gesellschafter siehe auch BFH-Beschluss vom 10. Juni 1992 V B 135/01, BFH/NV 2002, 1504).

Das Gemeinschaftsrecht schließt eine Besteuerung der Umsätze des Klägers damit nicht aus.

2. Die Sache ist entscheidungsreif. Das FG hat die Voraussetzungen für die Besteuerung der Umsätze des Klägers nach nationalem Recht ausdrücklich bejaht; da die vom FG zu Unrecht angenommenen Einschränkungen durch das Gemeinschaftsrecht nicht eingreifen, deretwegen allein das FG die Umsatzsteuerpflicht verneint hatte, war die Klage abzuweisen.