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BFH-Urteil vom 26.2.2008 (II R 82/05) BStBl. 2008 II S. 629

Die Grundsätze des sog. Erbvergleichs sind auf einen Vergleich zwischen Miterben und einem nicht am Nachlass beteiligten Dritten über Grund und Höhe möglicher Ansprüche des Erblassers unanwendbar.

AO § 173 Abs. 1, § 175 Abs. 1; BewG § 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2; BGB § 779; EStG 1997 § 35; ErbStG § 9 Abs. 1 Nr. 1, § 10 Abs. 1, § 12 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Köln vom 15. Oktober 2004 9 K 4265/01

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Miterbin zu 2/3 nach ihrem am 15. März 1996 verstorbenen Bruder JD (Erblasser); ihre beiden Halbgeschwister - darunter HD - sind jeweils Miterben zu 1/6. Die Miterben nahmen die Kreissparkasse ... (KSK) nach Eintritt des Erbfalls auf Ersatz für Gelder in Höhe von mehr als 300.000 DM in Anspruch, die der Erblasser dem Angestellten der KSK H zu Anlagezwecken übergeben und die dieser veruntreut haben soll. Derartige Straftaten des H waren im Juli 1998 aufgedeckt worden.

Am 28. Dezember 1998 schlossen die Miterben mit der KSK folgende Vereinbarung:

1. Sachverhalt

Die Kunden gehen davon aus, dass der verstorbene JD Herrn H Gelder zur Anlage gegeben hatte. Sie behaupten, daraus einen Zahlungsanspruch von mehr als 300.000 DM gegen die KSK zu haben. Unterlagen oder andere Beweismittel/Indizien können sie nicht vorlegen. Einzelheiten zu den "Anlagebeträgen" oder einer von H versprochenen Verzinsung können sie nicht machen. Herr HD bestätigt, von Herrn H am 25. Juni 1998 eine "Rückzahlung" von 13.000 DM in bar erhalten zu haben.

...

3. Vergleich

Dies vorausgesetzt schließen die Parteien folgenden Vergleich:

a) Die KSK verpflichtet sich, innerhalb der nächsten zwei Wochen 132.520 DM als Kapital zu zahlen, 66.250 DM auf Konto ..., 33.130 DM auf Konto ... und 33.130 DM auf Konto ....

b) Die KSK verpflichtet sich, innerhalb der nächsten zwei Wochen 195.600 DM als Zinsen zu zahlen, 97.800 DM auf Konto ..., 48.900 DM auf Konto ... und 48.900 DM auf Konto .... Sofern erforderlich sind davon vorab Zinsabschlagsteuer und Solidaritätszuschlag durch die KSK abzuführen.

...

Die Gutschriften auf den Konten der Miterben erfolgten am 30. Dezember 1998.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erließ am 27. Mai 1999 gemäß § 173 Abs. 1 "i.V.m." § 175 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) geänderte Bescheide, mit denen das FA unter anderem die Forderungen aus der Vereinbarung der Miterben mit der KSK in Höhe von insgesamt 328.120 DM sowie die von H an den Miterben HD gezahlten 13.000 DM in Höhe der jeweiligen Erbquote des Miterben der Erbschaftsteuer unterwarf. Der von der Klägerin eingelegte Einspruch blieb insoweit erfolglos.

Mit ihrer Klage wandte sich die Klägerin gegen die Einbeziehung der Beträge aus der Vereinbarung mit der KSK und der von H erhaltenen Zahlungen in die Bemessungsgrundlage der Erbschaftsteuer.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage nur insoweit statt, als das FA in den steuerpflichtigen Erwerb auch Zinsen einbezogen hatte, die auf den Zeitraum nach dem Erbfall entfielen. Im Übrigen wies das FG die Klage ab, da die Forderung aus der Vereinbarung vom 28. Dezember 1998 nach der Rechtsprechung zum Erbvergleich als steuerpflichtiger Erwerb von Todes wegen zu behandeln sei.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 11 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) und des § 38 AO. Das FG habe die Bedeutung des Stichtagsprinzips für die Steuerentstehung verkannt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Erbschaftsteuer unter Änderung des Bescheids vom 27. Mai 1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. Juni 2001 auf ... DM herabzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

1. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat zu Unrecht angenommen, dass die Zahlungen der KSK und des H der Erbschaftsteuer unterlägen und es nicht auf das zivilrechtliche Bestehen von Ansprüchen des Erblassers gegen die KSK und H beim Eintritt des Erbfalls ankomme.

a) Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG unterliegt der Erwerb durch Erbanfall i.S. des § 1922 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) der Erbschaftsteuer. Als steuerpflichtig gilt gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG die Bereicherung des Erwerbers. Maßgebend für die Vermögenszuordnung am Todestag und damit für den gegenständlichen Umfang des Wechsels der Rechtszuständigkeit ist das Bürgerliche Recht (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15. Oktober 1997 II R 68/95, BFHE 183, 248, BStBl II 1997, 820). Die Forderungen der Miterben gegen die KSK und H können daher nur dann dem Nachlass zugerechnet werden, wenn diese dem Erblasser im Zeitpunkt seines Todes zustanden.

b) Aus dem Vergleich der Miterben mit der KSK allein kann nicht gefolgert werden, dass dem Erblasser die vergleichsgegenständlichen Forderungen gegen die KSK und H tatsächlich zustanden. Entgegen der Auffassung des FG können die Rechtsgrundsätze zum sog. Erbvergleich auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden.

Der sog. Erbvergleich, d.h. die einvernehmliche Bereinigung streitiger Erbrechtsverhältnisse einschließlich etwa bestehender Ungewissheiten über einzelne Erbteile oder über die den Erben zufallenden Beträge im Wege eines Vergleichs, ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH auch der Erbschaftsteuer zugrunde zu legen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 22. November 1995 II R 89/93, BFHE 179, 436, BStBl II 1996, 242; vom 6. Dezember 2000 II R 28/98, BFH/NV 2001, 601; BFH-Beschlüsse vom 25. August 1998 II B 45/98, BFH/NV 1999, 313; vom 19. September 2000 II B 10/00, BFH/NV 2001, 163).

Ein solcher Vergleich kann jedoch nur insoweit Verbindlichkeit im Besteuerungsverfahren beanspruchen, als er seinen letzten Rechtsgrund noch im Erbrecht findet (vgl. BFH-Urteile vom 24. Juli 1972 II R 35/70, BFHE 106, 555, BStBl II 1972, 886, und in BFH/NV 2001, 601; BFH-Beschluss in BFH/NV 2001, 163). Die erbschaftsteuerliche Anerkennung des sog. Erbvergleichs stellt eine nicht weiter verallgemeinerungsfähige Ausnahme von dem Grundsatz dar, dass weder die Miterben noch sonst am Nachlass beteiligte Personen berechtigt sind, den Kreis der steuerpflichtigen Personen oder den Umfang der steuerpflichtigen Bereicherung nach dem Erbfall durch freie Vereinbarung eigenmächtig neu zu bestimmen. Insbesondere lassen sich die Grundsätze zur Anerkennung des sog. Erbvergleichs nicht auf Vereinbarungen zwischen Miterben und einem nicht am Nachlass beteiligten Dritten übertragen, wenn dieser der Beilegung eines ernsthaften Streits über Ansprüche des Erblassers gegen diesen Dritten bei zweifelhafter Rechtslage dient. Die Bereicherung der Miterben findet ihren letzten Rechtsgrund insoweit nicht mehr im Erbrecht, sondern in den (behaupteten) schuldrechtlichen Ansprüchen des Erblassers gegenüber dritten Personen.

Etwas anderes lässt sich auch nicht aus § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ableiten. Diese Vorschrift erfordert ein Ereignis, das den nach dem Steuertatbestand rechtserheblichen Sachverhalt "nachträglich" anders gestaltet und sich steuerlich in die Vergangenheit auswirkt, und zwar in der Weise, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897; vom 8. August 2002 II B 157/01, BFH/NV 2002, 1548; vom 18. Mai 2007 II B 65/06, BFH/NV 2007, 1456). Ein Vergleich i.S. des § 779 BGB ist jedoch dadurch gekennzeichnet, dass durch ihn der Streit oder die Ungewissheit der Vertragsparteien über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird. Da ein solcher Vergleich danach nicht den Lebenssachverhalt rückwirkend anders gestaltet, sondern nur dessen rechtliche Beurteilung betrifft, kommt ihm - abgesehen vom sog. Erbvergleich - keine steuerliche Rückwirkung zu (vgl. hierzu auch von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 175 AO Rz 252, 255; von Wedelstädt in Beermann/Gosch, § 175 AO Rz 46, 56).

Da das FG von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben.

2. Die Sache ist nicht spruchreif.

a) Das FG hat - von seiner Rechtsauffassung ausgehend konsequent - keine Feststellungen dazu getroffen, ob dem Erblasser am Stichtag tatsächlich Forderungen gegen die KSK oder H zustanden. Das FG wird die entsprechenden Feststellungen nachzuholen haben.

b) Soweit zivilrechtliche Ansprüche des Erblassers gegen die KSK bestanden, sind diese auf den Todestag des Erblassers als dem gemäß § 11 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG maßgeblichen Stichtag zu bewerten. Gemäß § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) sind Kapitalforderungen mit dem Nennwert anzusetzen, soweit nicht besondere Umstände einen höheren oder geringeren Wert begründen.

Nach dem Wortlaut des Vergleichs konnten die Miterben keine Unterlagen oder andere Beweismittel für das Bestehen von Ansprüchen vorlegen. Ist die Zivilrechtslage ungewiss und wird sie auch nicht durch ein rechtskräftiges Urteil geklärt (vgl. dazu BFH-Urteil vom 12. März 1997 II R 52/94, BFH/NV 1997, 550), ist der am Stichtag vorhandenen rechtlichen Unsicherheit durch Ansatz eines niedrigeren Wertes Rechnung zu tragen. Der Wert ist dann nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit anzusetzen, mit der sich die Forderung aus der Sicht vom Stichtag durchsetzen lassen wird. Dabei ist das Prozessrisiko ein maßgeblicher Anhaltspunkt (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1997, 550). Inwieweit der Vergleich zwischen der KSK und den Miterben auch die Einschätzung des Prozessrisikos durch die Vertragsparteien am Tag des Vergleichsschlusses widerspiegelt, kann offenbleiben. Diese Einschätzung kann schon deswegen nicht der Bewertung zugrunde gelegt werden, weil sie sich nicht auf den Stichtag bezieht und die strafbaren Handlungen des H am Bewertungsstichtag noch nicht entdeckt waren.

Die etwaigen zivilrechtlichen Ansprüche des Erblassers gegen die KSK können neben einer Erstattung des dem H übergebenen Kapitals auch Zinszahlungen umfassen, die sowohl der Erbschaftsteuer als auch bei den Erben der Einkommensteuer unterliegen. Hieraus folgt jedoch keine Doppelbelastung (vgl. hierzu BFH-Urteile vom 19. Januar 1956 IV 604/54 U, BFHE 62, 227, BStBl III 1956, 85; vom 1. März 1957 VI 57/55 U, BFHE 64, 358, BStBl III 1957, 135), da die Zinsen den Miterben noch im Jahre 1998 und damit unter der Geltung des § 35 des Einkommensteuergesetzes a.F. (i.d.F. des Art. 1 Nr. 13 des Steueränderungsgesetzes 1979 vom 30. November 1978, BGBl I 1978, 1849) zugeflossen sind, der eine Anrechnung der gezahlten Erbschaftsteuer auf die Einkommensteuer vorsah. Diese Vorschrift ist durch Art. 1 Nr. 40, Art. 18 Abs. 1 des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402) rückwirkend zum 1. Januar 1999 aufgehoben worden.

c) Etwaige Ansprüche des Erblassers gegen H sind gemäß § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BewG ebenfalls auf den Stichtag zu bewerten. Maßgebend sind die wirtschaftlichen Verhältnisse des H am Bewertungsstichtag (vgl. BFH-Urteil vom 11. März 1992 II R 149/87, BFH/NV 1993, 354). Spätere Änderungen der Zahlungsfähigkeit des H sind demgegenüber für die Bewertung unbeachtlich.

d) Sollten Ansprüche des Erblassers gegen die KSK und H bestanden haben, begegnet die Änderung des Steuerbescheids gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO verfahrensrechtlich keinen Bedenken.

Tatsachen im Sinne dieser Vorschrift sind alle Sachverhaltsbestandteile, die Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein können, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art (vgl. BFH-Urteile vom 25. Januar 2006 II R 61/04, BFH/NV 2006, 1059; vom 28. Juni 2006 III R 13/06, BStBl II 2007, 714). Demgegenüber sind rechtliche Schlussfolgerungen, insbesondere die geänderte rechtliche Wertung oder Subsumtion bereits bekannter Tatsachen, keine Tatsachen i.S. des § 173 Abs. 1 AO (vgl. BFH-Urteile vom 14. Mai 2003 X R 60/01, BFH/NV 2003, 1144; vom 13. Januar 2005 II R 48/02, BFHE 208, 392, BStBl II 2005, 451). Im Streitfall ginge es jedoch nicht um eine geänderte rechtliche Beurteilung von Tatsachen, die das FA bei Erlass des vorangegangenen Steuerbescheids bereits kannte, sondern um die steuerliche Berücksichtigung der dem FA erst später bekannt gewordenen Forderungen gegen die KSK und H, mithin um eine neue Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO (vgl. BFH-Urteil in BFHE 208, 392, BStBl II 2005, 451).