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BFH-Urteil vom 27.8.2008 (II R 36/06) BStBl. 2009 II S. 232

Fordert die Finanzbehörde nach Anzeigeerstattung gemäß § 30 Abs. 1 und 2 ErbStG die Einreichung einer Schenkungsteuererklärung, endet die Anlaufhemmung gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres nach dem Jahr der Steuerentstehung.

AO § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1; ErbStG § 30 Abs. 1 und 2, § 31.

Vorinstanz: Hessisches FG vom 17. März 2006 1 K 3097/02

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erhielt von seinem Onkel (O) aufgrund einer privatschriftlichen Vereinbarung vom 29. Oktober 1994 schenkweise einen Anteil von 600.000 DM an einem dem O gegen eine KG zustehenden Darlehensanspruch. Dieser Vertrag wurde dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) mit einem bei ihm am 15. November 1995 eingegangenen Schreiben übersandt. Das FA forderte daraufhin den Kläger mit Schreiben vom 22. November 1995 gemäß § 31 Abs. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) zur Abgabe der Schenkungsteuererklärung auf; diese Erklärung ging am 13. Februar 1996 beim FA ein.

Durch Bescheid vom 26. Juni 2000 setzte das FA für den Erwerb aus der Darlehensübertragungsvereinbarung vom 29. Oktober 1994 sowie für weitere Erwerbe Schenkungsteuer gegen den Kläger fest. Der Einspruch, mit dem der Kläger Festsetzungsverjährung geltend machte, führte aus hier nicht streitigen Gründen zu einer Herabsetzung der Schenkungsteuer. Das FA verneinte den Eintritt der Festsetzungsverjährung, weil die vierjährige Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Jahres 1996, in dem die Steuererklärung des Klägers bei ihm eingegangen war, zu laufen begonnen habe.

Das Finanzgericht (FG) nahm mit seinem in Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst (DStRE) 2007, 505 veröffentlichten Urteil hinsichtlich des Erwerbs des Klägers aus dem Darlehensübertragungsvertrag vom 29. Oktober 1994 Festsetzungsverjährung an und setzte die Schenkungsteuer ohne Berücksichtigung dieses Erwerbs antragsgemäß herab. Der Kläger sei seiner Anzeigepflicht nach § 30 Abs. 1 ErbStG ordnungsgemäß nachgekommen. Der Beginn der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) sei durch die Anforderung der Steuererklärung nicht hinausgeschoben worden.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 5 Nr. 2 AO.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Entgegen der Rechtsauffassung des FG war der mit dem Erlass des angefochtenen Bescheids geltend gemachte Steueranspruch nicht wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung erloschen.

1. Nach § 47 AO erlöschen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis u.a. durch Verjährung. Eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung und Änderung sind nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Festsetzungsfrist beträgt für die Schenkungsteuer regelmäßig vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Sie beginnt grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1  1. Alt. AO). Bei einer Schenkung unter Lebenden entsteht die Schenkungsteuer mit dem Zeitpunkt der Ausführung der Zuwendung (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). Im Streitfall wurde die Schenkung mit Abschluss der Darlehensübertragungsvereinbarung vom 29. Oktober 1994 ausgeführt.

2. Abweichend von § 170 Abs. 1 AO beginnt gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO die Festsetzungsfrist dann, wenn eine Steuererklärung oder eine Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Erklärung, die Anmeldung oder die Anzeige eingereicht bzw. erstattet wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Ist die gemäß § 30 Abs. 1 oder 2 ErbStG bestehende Anzeigepflicht erfüllt worden und fordert das FA daraufhin gemäß § 31 Abs. 1 ErbStG die Abgabe einer Schenkungsteuererklärung, endet die Anlaufhemmung erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres nach dem Jahr der Steuerentstehung.

a) Nach dem Wortlaut des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO wird die Anlaufhemmung alternativ durch die Einreichung der Steuererklärung bzw. -anmeldung oder durch die Erstattung der Anzeige beendet. Diese Vorschrift enthält keine ausdrückliche Regelung der Frage, ob bereits eine ordnungsgemäß eingereichte Anzeige i.S. des § 30 Abs. 1 oder 2 ErbStG die Anlaufhemmung endgültig beendet oder ob - sofern das FA nach Anzeigeerstattung zur Abgabe einer Schenkungsteuererklärung auffordert - diese Rechtsfolge erst in dem Zeitpunkt eintritt, in dem die Steuererklärung eingereicht wird und der Dreijahreszeitraum der Anlaufhemmung nicht schon vorher abgelaufen ist. Diese Frage ist im letzteren Sinne zu beantworten.

b) § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO soll verhindern, dass durch eine späte Einreichung der Steuererklärung, -anmeldung oder Anzeige die der Finanzbehörde zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit (ggf. gezielt) verkürzt wird (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. Januar 2003 I R 10/02, BFHE 202, 1, BStBl II 2003, 687; vom 6. Juli 2005 II R 9/04, BFHE 210, 65, BStBl II 2005, 780; vom 6. Juni 2007 II R 54/05, BFHE 217, 393, BStBl II 2007, 954). Diesen Sicherungszweck - und damit die Verlängerung der vom Gesetzgeber grundsätzlich für ausreichend gehaltenen Vierjahresfrist - verknüpft § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit der Erfüllung einer dem Steuerpflichtigen oder seinem Vertreter bzw. der für ihn zum Handeln Verpflichteten auferlegten Handlungspflicht (BFH-Beschluss vom 7. Dezember 1999 II B 79/99, BFHE 190, 220, BStBl II 2000, 233). Diese Handlungspflicht erstreckt sich nach dem Wortlaut des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO gleichermaßen auf die Einreichung einer Anzeige als auch - nach Aufforderung durch das FA - auf die Einreichung einer Steuererklärung.

c) Sofern das FA nach Erstattung der Anzeige zur Einreichung einer Steuererklärung gemäß § 31 Abs. 1 ErbStG auffordert, rechtfertigt sich eine (weitere) Anlaufhemmung aufgrund der unterschiedlichen Zwecksetzungen der Anzeige (§ 30 Abs. 1 und 2 ErbStG) einerseits und der Steuererklärung (§ 31 ErbStG) andererseits (ebenso Moench/Kien-Hümbert, Erbschaft- und Schenkungsteuer, § 30 Rz 15). Für diesen Fall kann § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nicht entnommen werden, dass der Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung im Hinblick auf die Anlaufhemmung keine Bedeutung zukommen soll.

aa) Die Anzeigepflicht soll - lediglich - die möglichst vollständige Erfassung aller Erwerbe sicherstellen und dient in erster Linie dazu, dem FA die Prüfung zu erleichtern, ob und wen es im Einzelfall zur Abgabe einer Steuerklärung aufzufordern hat. Demgegenüber hat die Steuererklärung ein Verzeichnis der zum Nachlass gehörenden Gegenstände und die sonstigen für die Feststellung des Gegenstands und des Werts des Erwerbs erforderlichen Angaben zu enthalten (§ 31 Abs. 2 ErbStG) und soll so die Erbschaftsteuer- bzw. Schenkungsteuerfestsetzung ermöglichen (BFH-Urteile vom 16. Oktober 1996 II R 43/96, BFHE 181, 351, BStBl II 1997, 73; vom 10. November 2004 II R 1/03, BFHE 208, 33, BStBl II 2005, 244).

bb) Diesen unterschiedlichen Zwecksetzungen der Anzeige bzw. der Steuererklärung ist bei der Anwendung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO dadurch Rechnung zu tragen, dass bei einer ordnungsgemäßen Erstattung der Anzeige erst die dem FA nachfolgend durch die Einreichung der angeforderten Steuererklärung vermittelte Kenntnis zur (endgültigen) Beendigung der Anlaufhemmung führt. Nach den Wertungen des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO rechtfertigt sich der Beginn der Festsetzungsfrist nicht schon deshalb, weil das FA den Steuerpflichtigen bereits aufgrund der Anzeige zur Abgabe einer Steuererklärung auffordern und diese Aufforderung (etwa durch Anwendung von Zwangsmitteln, §§ 328 ff. AO) auch ggf. durchsetzen kann (a.A. Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 30 Rz 37a). Die Rechtsprechung zum Begriff der Kenntnis i.S. des § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO, wonach die Finanzbehörde schon aufgrund der Anzeige regelmäßig die Schenkungsteuer - ggf. im Wege der Schätzung (§ 162 AO) - festsetzen oder von den Möglichkeiten des § 165 Abs. 1 Satz 1 und 4 AO Gebrauch machen könne (BFH-Urteil in BFHE 217, 393, BStBl II 2007, 954), kann nicht auf die Auslegung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO übertragen werden. Dem steht der von § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO abweichende Wortlaut des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, der ausdrücklich auf die Einreichung einer Steuererklärung abstellt, entgegen.

Die Vorentscheidung war, da sie den vorstehenden Rechtsgrundsätzen nicht entspricht, aufzuheben.

3. Die Sache ist spruchreif.

Der Kläger ist durch den angegriffenen Bescheid nicht in seinen Rechten verletzt.

Zwar ist der Kläger seiner aus § 30 Abs. 1 ErbStG folgenden Verpflichtung zur Anzeige der mit O geschlossenen privatschriftlichen Darlehensübertragungsvereinbarung vom 29. Oktober 1994 durch das beim FA am 15. November 1995 eingegangene Schreiben nachgekommen. Aufgrund der beim FA am 13. Februar 1996 eingegangenen Schenkungsteuererklärung, die der Kläger entsprechend der Anforderung des FA eingereicht hat, hat aber die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Jahres 1996 zu laufen begonnen und mit Ablauf des Jahres 2000 geendet. Dem angegriffenen Schenkungsteuerbescheid vom 26. Juni 2000 steht demgemäß Festsetzungsverjährung nicht entgegen.