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BFH-Urteil vom 1.4.2009 (IX R 31/08) BStBl. 2009 II S. 810

Ein Auflösungsverlust i.S. von § 17 Abs. 2, 4 EStG ist auch zu berücksichtigen, wenn der Steuerpflichtige eine wesentliche Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft erwirbt, die Beteiligung innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Auflösung der Gesellschaft aber auf einen Prozentsatz unterhalb der Grenze des § 17 Abs. 1 EStG abgesenkt wird.

EStG § 17 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4.

Vorinstanz: FG Hamburg vom 5. Mai 2008 6 K 97/06

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erwarb im Jahr 1999 einen Geschäftsanteil von 1,043 % (900 DM) an der S-GmbH zum Preis von 145.396,44 DM. Im Zuge von drei Kapitalerhöhungen und Übernahme der neuen Geschäftsanteile durch neue Gesellschafter sank die Beteiligung des Klägers zunächst auf 1,025 %, sodann im Jahr 2001 auf 0,860 % und später auf 0,819 %. In dem im Januar des Streitjahres 2002 über das Vermögen der GmbH eröffneten Insolvenzverfahren wurde Masseunzulänglichkeit festgestellt.

Der Kläger beantragte im Rahmen eines Lohnsteuerermäßigungsverfahrens für das Jahr 2002 die Eintragung eines Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte wegen eines Verlustes aus der GmbH-Beteiligung. In dem diesbezüglichen finanzgerichtlichen Verfahren erzielten die Beteiligten eine tatsächliche Verständigung hinsichtlich der Höhe des geltend gemachten Verlustes sowie der Verlustentstehung im Jahr 2002 und einigten sich auf die Eintragung des beantragten Freibetrags in Höhe von 74.341 € (145.396,44 DM) auf der Lohnsteuerkarte. Streitig blieb die Berücksichtigung des Auflösungsverlustes dem Grunde nach. Den mit der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr erklärten Verlust aus der GmbH-Beteiligung in Höhe von 78.009 € erkannte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) nicht an, da die Beteiligung an der GmbH nicht wesentlich i.S. von § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gewesen sei. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) entschied, der Berücksichtigung des Beteiligungsverlustes des Klägers stehe § 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/ 2002 (StEntlG 1999/2000/2002) entgegen. Die Beteiligung des Klägers habe im Zeitpunkt der Verlustentstehung unterhalb der relevanten Beteiligungsgrenze von 1 % gelegen.

Die hiergegen gerichtete Revision der Kläger stützt sich auf die Verletzung materiellen Rechts (§ 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b Satz 2 EStG). Der Erwerb von Anteilen führe auch dann zur Begründung einer wesentlichen Beteiligung des Steuerpflichtigen i.S. von § 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b Satz 2  1. Alternative EStG, wenn die erworbenen Anteile selbst eine wesentliche Beteiligung darstellten. Zudem solle ein Verlust aus einer derart erworbenen relevanten Beteiligung unabhängig von einer Behaltefrist und unabhängig davon zu berücksichtigen sein, ob die Beteiligung im Auflösungszeitpunkt/Veräußerungszeitpunkt noch eine wesentliche sei. Die gegenteilige Wortlautauslegung des FG verfehle die mit der Korrektur des § 17 EStG durch das StEntlG 1999/2000/2002 angestrebte Reduzierung der Verlustausgleichsbeschränkung auf die eigentlichen Missbrauchsfälle. Beim Erwerb einer originär wesentlichen Beteiligung sei jeder Gestaltungsmissbrauch denklogisch ausgeschlossen.

Die Kläger beantragen sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Mai 2006 dahingehend zu ändern, dass ein Verlust des Klägers aus § 17 EStG in Höhe von 39.005 € berücksichtigt und die festzusetzende Einkommensteuer auf Null herabgesetzt wird.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Zu Unrecht hat das FG den geltend gemachten Auflösungsverlust des Klägers nicht berücksichtigt. Zwar hat er die Anteile entgeltlich erworben und diese haben nicht innerhalb der gesamten letzten fünf Jahre vor der Auflösung der Gesellschaft zu einer Beteiligung des Klägers i.S. von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG in der im Streitfall geltenden Fassung des Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes vom 20. Dezember 2001 (BGBl I 2001, 3858, BStBl I 2002, 35) gehört (§ 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b Satz 1 EStG). Jedoch ist der Auflösungsverlust nach Satz 2 dieser Vorschrift zu berücksichtigen.

1. Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört nach § 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 EStG auch der Gewinn aus der Auflösung einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % beteiligt war. Die relevante Beteiligung von zumindest 1 % gilt für Auflösungen ab dem Jahr 2002 (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. November 2004 VIII B 129/04, BFH/NV 2005, 540).

Nach § 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b Satz 1, Abs. 4 EStG ist ein Auflösungsverlust nicht zu berücksichtigen, soweit er auf Anteile entfällt, die entgeltlich erworben sind und nicht innerhalb der gesamten letzten fünf Jahre zu einer Beteiligung i.S. von Abs. 1 Satz 1 gehört haben. Dies gilt nicht für innerhalb der letzten fünf Jahre erworbene Anteile, deren Erwerb zur Begründung einer Beteiligung des Steuerpflichtigen i.S. von Abs. 1 Satz 1 geführt hat (§ 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b Satz 2  1. Halbsatz EStG).

Nach ihrem Wortlaut erfasst diese Norm - mit der Rechtsfolge der vollen Verlustberücksichtigung - auch den Fall, in dem eine ursprünglich in relevanter Höhe erworbene Beteiligung innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung/Auflösung der Gesellschaft auf einen Prozentsatz unterhalb der Relevanzschwelle abgesenkt wurde (anders wohl Herzig/Förster, Der Betrieb 1999, 711, 716; Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 27. Aufl., § 17 Rz 199; Schneider, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 17 Rz C 417 f., m.w.N.). Die Gesetzesformulierung "Erwerb zur Begründung einer Beteiligung" umfasst nicht nur den Hinzuerwerb von Anteilen, durch den eine bis dahin geringere Beteiligung relevant i.S. von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG wird (vgl. Schneider; in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, a.a.O., § 17 Rz C 425 f.).

Diese am Wortlaut der Vorschrift orientierte Auslegung wird bestätigt durch den Zweck des Gesetzes, Missbrauchsgestaltungen zu vermeiden, im Rahmen derer eine zunächst unwesentliche Beteiligung zur steuerwirksamen Verlustrealisierung zu einer wesentlichen aufgestockt wird (vgl. BTDrucks 14/23, S. 179, 14/265, S. 180). Erwirbt aber der Steuerpflichtige von vorneherein eine qualifizierte (oder: relevante) Beteiligung, kann es zu keinem Missbrauch kommen. Er muss den Gewinn aus dieser Beteiligung versteuern und ist berechtigt, auch die Verluste steuerrechtlich geltend zu machen. Der Gesetzgeber zielt nach der Gesetzesbegründung vielmehr auf Fälle, in denen der Steuerpflichtige im Privatvermögen eine nicht relevante Beteiligung hält, dann erkennt, dass sie zu Verlusten führt, und diese Verluste dadurch abziehbar machen möchte, dass er Anteile hinzuerwirbt. So verhält es sich z.B., wenn der Steuerpflichtige eine verlustträchtige 0,9 %-Beteiligung hält. Es soll verhindert werden, dass er durch den Erwerb weiterer 0,1 % den gesamten Verlust geltend machen könnte. § 17 Abs. 2 Satz 4 Buchst. b Satz 2 EStG beschränkt den Verlustabzug in diesem Fall auf die 0,1 % der Anteile. Im Streitfall hat der Kläger aber von vornherein eine Beteiligung über 1 % erworben. Er muss also alle Gewinne versteuern und in der Konsequenz auch berechtigt sein, die Verluste geltend zu machen. Nur der so erreichte Gleichklang der Besteuerung von Auflösungsgewinn und -verlust entspricht dem objektiven Nettoprinzip als systemtragendem Grundprinzip des Einkommensteuergesetzes (vgl. §§ 2 Abs. 2, 10d EStG).

2. Nach diesen Grundsätzen war der streitige Auflösungsverlust zu berücksichtigen. Die Sache ist spruchreif. Die Höhe des Verlustes steht nach der entsprechenden tatsächlichen Verständigung im finanzgerichtlichen Verfahren fest.