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   BFH-Urteil vom 29.11.2006 (I R 46/05) BStBl. 2009 II S. 955

Für ein bei der Ausgabe einer verbrieften festverzinslichen Schuldverschreibung mit bestimmter Laufzeit vereinbartes Disagio ist in der Steuerbilanz ein Rechnungsabgrenzungsposten zu aktivieren.

EStG § 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 Nr. 1; HGB § 250 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 253 Abs. 1 Satz 2.

Vorinstanz: FG Köln vom 17. März 2005 13 K 7115/00 (EFG 2005, 1179)

Sachverhalt

I.

Die Beteiligten streiten über die steuerliche Behandlung von Emissionsdisagien bei der Ausgabe festverzinslicher Inhaberschuldverschreibungen.

Die Rechtsvorgängerin der Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), eine AG, emittierte festverzinsliche Inhaberschuldverschreibungen, wobei sie diese teils mit einem Abgeld (Disagio), teils mit einem Aufgeld (Agio) begab. In ihren Bilanzen stellte die AG die Disagien in einen aktiven Posten der Rechnungsabgrenzung (RAP) ein; im Streitjahr 1991 beliefen sich die Aufstockungen auf insgesamt 873.565 DM. Die Agien stellte die Klägerin in einen passiven RAP ein, diesen stockte sie im Streitjahr um insgesamt 288.821 DM auf. Auf Einspruch begehrte die Klägerin im Wege der Bilanzberichtigung die Auflösung der für Emissionsdisagien angesetzten aktiven RAP. Dem folgte der Beklagte, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) nicht.

Die hiergegen gerichtete Klage mit dem Antrag, das Einkommen für das Streitjahr um 873.565 DM herabzusetzen, hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) Köln entschied mit Urteil vom 17. März 2005 13 K 7115/00 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2005, 1179), hinsichtlich der für die Disagien gebildeten RAP begehre die Klägerin zu Recht im Wege der Bilanzberichtigung deren Auflösung, da die Voraussetzungen für ihre Bildung nach den einschlägigen Bestimmungen des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht vorgelegen hätten. Allerdings habe die Klägerin auch hinsichtlich der Agien kein Recht auf Ansatz entsprechender passiver RAP; daher seien auch diese aufzulösen. Somit ergebe sich im Streitjahr (saldiert) eine Minderung des Einkommens der Klägerin um 873.565 DM abzüglich 288.821 DM, damit lediglich um 584.744 DM.

Gegen die Vorentscheidung haben beide Beteiligte Revision eingelegt.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin insbesondere Verletzung von § 250 Abs. 2, § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB, § 5 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 und § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG. Sie beantragt, die Vorentscheidung hinsichtlich der Behandlung der passiven RAP für Emissionsagien aufzuheben und das dort angesetzte Einkommen der Klägerin 1991 um weitere 288.821 DM herabzusetzen.

Das FA rügt mit seiner Revision Verletzung von § 250 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB) und des § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG. Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben, soweit dort das zu versteuernde Einkommen der Klägerin 1991 um 584.744 DM herabgesetzt worden ist, und die Klage insoweit abzuweisen.

Beide Beteiligte beantragen wechselseitig die Zurückweisung der Revision des jeweils anderen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Revision der Klägerin ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

Die Voraussetzungen für die von der Klägerin begehrte Bilanzberichtigung durch Auflösung der aktiven RAP liegen nicht vor. Diese Posten sind von der Klägerin in ihrer Bilanz des Streitjahres dem Grunde und der Höhe nach zu Recht ausgewiesen worden.

1. Gemäß § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) i.V.m. § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG sind in den Bilanzen der Klägerin auf der Aktivseite RAP anzusetzen, soweit sie Ausgaben für eine bestimmte Zeit nach dem Abschlussstichtag darstellen.

2. Entgegen der Auffassung des FG sind diese Voraussetzungen hinsichtlich der Emissionsdisagien bei der Begebung der streitigen Inhaberschuldverschreibungen erfüllt. Die Klägerin hat ihre Verpflichtungen aus der jeweiligen Schuldverschreibung gemäß § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG, § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB mit dem - über dem vereinnahmten Ausgabebetrag liegenden - Rückzahlungsbetrag (Erfüllungsbetrag) zu passivieren. Die nach § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG vorzunehmende aktive Rechnungsabgrenzung mit dem Ziel einer periodengerechten Gewinnermittlung führt zu einer zeitbezogenen erfolgsmäßigen Verteilung dieses Minderbetrages.

a) Bei der verbrieften Verpflichtung der Klägerin zur Zahlung des Erfüllungsbetrages handelt es sich um eine "Ausgabe" i.S. von § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG. Eine solche setzt nicht notwendig einen Zahlungsvorgang voraus, sondern kann auch in der Buchung einer Verbindlichkeit bestehen (Senatsurteil vom 31. Mai 1967 I 208/63, BFHE 89, 191, BStBl III 1967, 607; Blümich/Schreiber, § 5 EStG Rz 673; Federmann in Herrmann/ Heuer/Raupach, § 5 EStG Rz 1924; a.A. Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 25. Aufl., § 5 Rz 247).

b) In Höhe der Emissionsdisagien stellen die zu festgelegten Zeitpunkten fälligen und damit eine bestimmte Laufzeit aufweisenden Rückzahlungsverpflichtungen der Klägerin Aufwand "für eine bestimmte Zeit" nach dem Abschlussstichtag dar.

aa) Es steht im Ermessen der Vertragspartner einer Emission, eine Zinsabrede als Disagio zu gestalten, wobei dessen Höhe laufzeitabhängig ist und regelmäßig im umgekehrten Verhältnis zum vereinbarten Nominalzins steht. Daher stellt das Disagio wirtschaftlich ein Mittel zur Feineinstellung des Zinses im Sinne einer zusätzlich geleisteten Vergütung für die Kapitalüberlassung dar, die die in Form laufender Zinsen gewährte Vergütung im Ergebnis korrigiert und damit Teil des Effektivzinses ist (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 8. Oktober 1996 XI ZR 283/95, BGHZ 133, 355, m.w.N.; Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 6. Dezember 1965 GrS 2/64 S, BFHE 84, 399, BStBl III 1966, 144; BFH-Urteile vom 20. November 1969 IV R 3/69, BFHE 97, 418, BStBl II 1970, 209; vom 12. Juli 1984 IV R 76/82, BFHE 141, 522, BStBl II 1984, 713; vom 21. April 1988 IV R 47/85, BFHE 153, 543, BStBl II 1989, 722; vgl. auch Ellrott/Krämer in Beck Bil-Komm., 6. Aufl., § 250 HGB Rz 60; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., HGB § 250 Rz 86; Trützschler, in: Küting/Weber, Handbuch der Rechnungslegung Einzelabschluss, HGB § 250 Rz 75). Dem Disagio kommt daher eine "zinsorientierte Funktion" zu (vgl. Bachem, Betriebs-Berater - BB - 1991, 1671).

bb) Dies gilt gleichermaßen für Emissionsdisagien bei der Begebung von Schuldverschreibungen als festverzinsliche Anleihen wie im Streitfall, in denen die Gläubigerrechte (Rückzahlungs- und Zinsansprüche) verbrieft sind. Auch in diesen Fällen beruht ein Unterschiedsbetrag zwischen Rückzahlungs- und Ausgabebetrag auf Veränderungen des Kapitalmarktzinses zwischen dem Antrag auf Genehmigung einer Emission und dem Ausgabetag mit der Folge einer Minderung des vom Emittenten zu vereinnahmenden Betrages (vgl. BFH-Urteil vom 13. Oktober 1987 VIII R 156/84, BFHE 151, 512, BStBl II 1988, 252 - zur Beurteilung eines Kommunaldarlehens -; Hahne, Der Betrieb - DB - 2003, 1397; Plewka/Schimmele, DB 1998, 2494, 2496 f.).

Zwar begründet das FG seine Beurteilung des Emissionsdisagios als bloßen "Kaufpreisabschlag" beim Erwerb der Schuldverschreibung (vgl. auch Hahne, DB 2003, 1397; derselbe, Deutsches Steuerrecht - DStR - 2005, 2000, 2001; derselbe, Steuern und Bilanzen - StuB - 2006, 295, 300; Plewka/Schimmele, DB 1998, 2494, 2496) mit dem Hinweis darauf, dass zwischen den sich aus dem Wertpapier als solchem ergebenden Verpflichtungen des Emittenten und der aus dem Begebungsvertrag folgenden Verpflichtung des Anlegers zur Zahlung des Kaufpreises für das Wertpapier - zivilrechtlich betrachtet - ein Gegenseitigkeitsverhältnis nicht bestehe. Eine solche Beurteilung wird jedoch einer - auch nach Wegfall einer entsprechenden gesetzlichen Auslegungsregel - der Behandlung steuerlich relevanter Tatbestände unverändert zugrunde zu legenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise (BTDrucks 7/4292, S. 15 f.) nicht gerecht. Auch eine Inhaberschuldverschreibung begründet - unbeschadet ihrer Verbriefung und Übertragbarkeit - wirtschaftlich eine Kapitalüberlassung an den Emittenten (BFH-Urteil in BFHE 151, 512, BStBl II 1988, 252). Nachdem ein bei ihrer Begebung gewährtes Emissionsdisagio darauf beruht, dass die vom Emittenten zu leistenden Zinszahlungen hinter dem aktuellen Marktzins für vergleichbare Finanzierungen zurückbleiben, ist eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen diesem Disagio und den vom Emittenten für die erfolgte Kapitalüberlassung zu erbringenden Leistungen offenbar. Sie wird nicht dadurch aufgehoben, dass die Kapitalüberlassung nicht in Form einer bloßen Darlehenshingabe, sondern eines Kaufpreises für eine verbriefte Forderung erfolgt (BFH-Urteil in BFHE 151, 512, BStBl II 1988, 252). Insoweit ist ein Emissionsdisagio daher mit einem Auszahlungsdisagio bei einem "normalen" Darlehen sehr wohl vergleichbar (vgl. die Beispiele bei Bachem, BB 1991, 1671; a.A. Plewka/Schimmele, DB 1998, 2494, 2495 f.). Die hierzu getroffene Unterscheidung im BFH-Urteil in BFHE 151, 512, BStBl II 1988, 252 (a.E.) war lediglich für die Frage des Zuflusses des Disagios im Sinne der Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht i.S. des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG beim Darlehensgeber als Bezieher von (Überschuss-)Einkünften aus Kapitalvermögen von Bedeutung (vgl. dazu auch BFH-Urteil vom 21. Mai 1993 VIII R 1/91, BFHE 172, 42, BStBl II 1994, 93).

Gegen diese Beurteilung spricht nicht das zur Frage der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens eines Kreditinstituts ergangene BFH-Urteil vom 15. Juli 1998 II R 40/97 (BFHE 188, 119, BStBl II 1999, 337), in dem die Übernahme aktiver RAP für Emissionsdisagien bei Schuldverschreibungen in die Vermögensaufstellung - unter Zugrundelegung einer wie von der Vorinstanz vertretenen zivilrechtlichen Betrachtung - verneint wurde. Diese Entscheidung wird ausdrücklich damit begründet, dass der auf wirtschaftlichen Gesichtspunkten beruhende Gedanke einer periodengerechten Rechnungsabgrenzung, wie er das Bilanzsteuerrecht beherrsche und der ertragsteuerrechtlichen Behandlung des Emissionsdisagios beim Emittenten zugrunde liege, dem Bewertungsrecht fremd sei.

Auch aus dem Senatsurteil vom 26. April 1995 I R 92/94 (BFHE 177, 444, BStBl II 1995, 594 - zum Wechseldiskontgeschäft -) lässt sich Gegenteiliges nicht ableiten. Diesem Urteil ist zu entnehmen, dass die zivilrechtliche Qualifikation eines Geschäfts bilanzsteuerrechtlich insoweit zu beachten sei, als sie Aussagen über Bestand und Höhe von Forderungen betreffe; für den Ansatz einer Forderung (und eines passiven Rechnungsabgrenzungspostens) sei beim Wechseldiskontgeschäft kein Raum. Die Rechtssituation sei insoweit aber nicht vergleichbar mit der eines Disagios, nachdem dort eine unbedingte Forderung auf den (vollen) Rückzahlungsbetrag bestehe.

Schließlich lässt sich gegen die Beurteilung des Senats nicht anführen, dass das Disagio bei vorzeitiger Erfüllung der zugrunde liegenden Verpflichtung nicht (teilweise) zurückzugewähren sei, nachdem im Streitfall - wie regelmäßig bei Inhaberschuldverschreibungen - eine vorzeitige Rückzahlung des vereinnahmten Betrages nicht vorgesehen war.

3. Ob eine Aktivierungspflicht in Bezug auf die streitbefangenen Disagien auch aus dem handelsrechtlichen Aktivierungswahlrecht gemäß § 250 Abs. 3 HGB und dem aus § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG resultierenden Grundsatz abgeleitet werden kann, dass in der Steuerbilanz eine Aktivierungspflicht für Positionen besteht, für die ein handelsrechtliches Aktivierungswahlrecht begründet ist (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 3. Februar 1969 GrS 2/68, BFHE 95, 31, BStBl II 1969, 291), oder ob § 5 Abs. 5 EStG als abschließende Regelung in Bezug auf die Bildung steuerbilanzieller RAP zu verstehen ist (so z.B. Hahne, DStR 2005, 2000, 2003; derselbe, StuB 2006, 295, 300; Federmann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 5 EStG Rz 1945, jeweils m.w.N.), bedarf keiner Entscheidung.